L 9 R 464/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 3505/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 464/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1946 geborene griechische Kläger hat nach seinen Angaben in Griechenland den Beruf des Elektrikers erlernt. Er war von 1968 bis 1970 in Griechenland versicherungspflichtig beschäftigt. Nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland war er von Mai 1971 bis Oktober 1979 als Arbeiter in einer Firma zur Plastikherstellung und in einer Schraubenfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Danach kehrte er nach Griechenland zurück und war dort von 1980 bis zum 28.02.2001 als Landwirt tätig. Der Kläger bezieht eine Invaliditätsrente des griechischen Rentenversicherungsträgers OGA bis zum 28.02.2007 bei einem Invaliditätsgrad von 67 %.

Am 14.03.2001 stellte der Kläger den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Beklagte zog das Gutachten der griechischen Gesundheitskommission zum Rentenantrag vom 14.03.2001 sowie die Bestätigungen des Allgemeinen Krankenhauses K. vom 12.03.2001 und des Allgemeinen Krankenhauses E. vom 16.05.2001 bei und ließ sie durch ihren Beratungsarzt Dr. W. auswerten. Dieser gelangte in der Stellungnahme vom 10.02.2004 zur Auffassung, der Kläger können mindestens noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein. Mit Bescheid vom 10.03.2004 lehnte sie den Rentenantrag ab. Nachdem der Kläger hiergegen am 08.04.2004 Widerspruch eingelegt hatte mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich wesentlich verschlechtert, veranlasste die Beklagte die gutachterliche Untersuchung des Klägers durch den Orthopäden Dr. G ... Im orthopädischen Gutachten vom 15.10.2004 stellte Dr. G. die Diagnosen eines Zustandes nach zementloser Implantation einer Knieendoprothese rechts im Jahr 2002, ausgeprägter Verschleißerscheinungen am linken Kniegelenk, Verschleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule bei Spondylose und leichter Osteochondrose ohne neurologische Nervenwurzelreizerscheinungen an den unteren Extremitäten sowie Übergewicht. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit anhaltendem Stehen oder Gehen sowie Tätigkeiten im Hocken. Auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten seien zu vermeiden. Langes Verharren in einer Körperhaltung, häufiges Bücken, Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Lasten seien dem Kläger gleichfalls nicht mehr zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei er noch in der Lage, leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, hauptsächlich sitzend, vollschichtig zu verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gegen den am 27.05.2005 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 08.06.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart. Zur Begründung trug er vor, er habe einen albanischen Landarbeiter eingestellt. Dies bedeute, dass er keine leichten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr verrichten könne.

Das SG veranlasste die erneute gutachterliche Untersuchung des Klägers durch Dr. G ... Im orthopädischen Gutachten vom 01.08.2005 führte Dr. G. aus, nach der Erstellung des letzten Gutachtens sei beim Kläger am 16.12.2004 die Implantation einer Totalendoprothese im linken Kniegelenk erfolgt. Dr. G. stellte folgende Diagnosen: 1. Zustand nach zementloser Implantation von Knieendoprothesen beiderseits. 2. Verschleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule bei Spondylose und leichter Osteochondrose ohne neurologische Nervenwurzelreizerscheinungen an den unteren Extremitäten. 3. Periarthritis humeroscapularis rechts. 4. Übergewicht. Die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes habe sich vom klinischen Befund her gegenüber der Vorbegutachtung gebessert. Die Beweglichkeit des linken Kniegelenkes habe sich im Vergleich mit dem Befund vor der Operation nur bei der Beugung verbessert. Nach der Operation am linken Kniegelenk habe er keine Schmerzen mehr wie vor der Operation, traue sich jedoch noch nicht zu, längere Strecken zu gehen. Seinen Tag verbringe er mit Fernsehen, Einkaufen und Beaufsichtigung seiner zwei Landarbeiter. Der Kläger könne keine Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sowie in überwiegendem Stehen oder Gehen ausüben. Auch Arbeiten mit gleichförmiger Körperhaltung, häufigem Bücken, Heben und Tragen von schweren oder mittelschweren Lasten seien ihm nicht mehr möglich. Auch Arbeiten im Akkord und am Fließband seien zu vermeiden. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Landwirt sei dem Kläger nicht mehr zumutbar. Er sei jedoch noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor. Auch bestehe kein Erfordernis für betriebsunübliche Pausen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.11.2005, auf den Bezug genommen wird, wies das SG die Klage ab.

Hiergegen hat der Kläger am 30.01.2006 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er eine Bescheinigung des Arztes Dr. K. K., stellvertretender Leiter der Orthopädischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses K., vom 20.01.2006 vorgelegt. Dieser führt darin aus, der Kläger sei am 20.01.2006 ambulant untersucht worden. Der Kläger habe sich am 28.02.2001 wegen Osteoarthritis einer totalen Arthroplastik des rechten Knies unterzogen und sei vom 22.02.2001 bis 12.03.2001 und vom 02.12.2004 bis 16.12.2004 stationär behandelt worden. Wegen Bewegungseinschränkungen der Knie sei der Kläger arbeitsunfähig.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. November 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat.

Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei ist es ausführlich auf die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen eingegangen; auch hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen des Orthopäden Dr. G. in den Gutachten vom 15.10.2004 und 01.08.2005 gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab.

Ergänzend ist auszuführen, dass ausweislich des von Dr. G. am 01.08.2005 erstatteten Gutachtens eine Besserung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten ist. Im Vergleich zu dem Vorgutachten vom 15.10.2004 hat sich die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes vom klinischen Befund her verbessert. Nach Durchführung der Totalendoprothese am linken Kniegelenk hat sich auch dessen Beugefähigkeit gebessert und die Schmerzen sind zurückgegangen. Der Schilderung seines Tagesablaufs durch den Kläger kann auch entnommen werden, dass er noch in der Lage ist, die Einkäufe durchzuführen und die Landarbeiter bei der Feldarbeit zu beaufsichtigen. Gegenüber der ersten Begutachtung ist zwischenzeitlich zwar eine Periarthritis humeruscapularis rechts hinzugetreten. Durch diese sind jedoch über die sonst bestehenden Einschränkungen hinaus lediglich Überkopfarbeiten ausgeschlossen. Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens folgt daraus nicht. Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheinigung des Arztes Dr. K. vom 20.01.2006 enthält gegenüber dem von Dr. G. am 01.08.2005 erstatteten Gutachten keine neuen Befunde oder Diagnosen, auch wird keine Verschlechterung hinsichtlich der von Dr. G. festgestellten Gesundheitsstörungen mitgeteilt. Die mitgeteilten stationären Behandlungen wegen der Arthroplastik an beiden Knien fanden vor der gutachterlichen Untersuchung statt und sind vom Sachverständigen Dr. G. zutreffend gewürdigt worden.

Der Kläger ist somit nicht erwerbsgemindert, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein arbeitstägliches Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden begründet. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsminderung bei arbeitstäglich sechsstündig und mehr leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für arbeitstäglich sechs Stunden und mehr leistungsfähige Angelernte des unteren Bereichs sowie Ungelernte geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, u.a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Dem Kläger ist somit keine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob die für ihn zuständige Arbeitsagentur einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 m.w.N.). Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104 und 117) oder wenn Arbeitskräfte i.S.v. § 43 Abs. 3 SGB VI nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nicht unter betriebsüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG SozR 2200 §§ 1246 Nrn. 136, 137 und 139 sowie 1247 Nrn. 33 und 53; SozR 3-2200 § 1247 Nrn. 10 und 14).

Ausgehend hiervon sind keine Beschränkungen des zumutbaren Arbeitsweges erkennbar. Der Kläger hat gegenüber den Sachverständigen Dr. G. vielmehr angegeben, er gehe einkaufen und gehe auch aufs Feld, um die Arbeiter zu beaufsichtigen. Auch benötigt der Kläger keine betriebsunüblichen Pausen. Ebenso gibt es für das Bestehen der übrigen sog. Katalogfälle keine Anhaltspunkte.

Darüber hinaus liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Denn bei den genannten Einschränkungen handelt es sich im Wesentlichen um solche, denen durch die Begrenzung auf leichte körperliche Arbeit hinreichend Rechnung getragen wird. So sind die dem Kläger noch zumutbaren, in wechselnder Körperhaltung zu verrichtenden leichten körperlichen Arbeiten von vorn herein nicht mit Überkopfarbeiten, dem Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, mit häufigem Bücken, Klettern oder Steigen, einseitigen körperlichen Zwangshaltungen oder dem Arbeiten auf Leitern und Gerüsten verbunden. Die genannten Leistungs- und Funktionsausschlüsse führen zu keiner Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, da die dem Kläger noch zumutbaren Arbeiten (z.B. Verpacken von Kleinteilen, Sortier-, Montier-, Etikettier- und Klebearbeiten) überwiegend in geschlossenen wohltemperierten Räumen zu ebener Erde durchgeführt werden und auch nicht regelmäßig mit besonderem Zeitdruck oder Akkordarbeit verbunden sind. Auch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung des Klägers ist nicht erkennbar.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Der Kläger hat nach seinen Angaben - ohne dass hierüber Unterlagen vorliegen - zwar den Beruf des Elektrikers erlernt. Er war jedoch in Deutschland als ungelernter Arbeiter und zuletzt als Landwirt tätig. Hierbei handelt es sich allenfalls um eine angelernte Tätigkeit des unteren Bereichs, so dass der Kläger auf alle gesundheitlich zumutbaren Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann.

Schließlich ist auch die Festlegung eines Invaliditätsgrades durch den griechischen Rentenversicherungsträger für die Beurteilung durch den deutschen Rentenversicherungsträger bzw. die Gerichte nicht bindend. Die Feststellung von Invalidität durch einen Rentenversicherungsträger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist nur insoweit für den Träger eines anderen Mitgliedstaates verbindlich, als die Übereinstimmung von Tatbestandsmerkmalen der Invalidität im Verhältnis zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 40 Abs. 4 der EG-Verordnung Nr. 1408/71 anerkannt worden ist. Eine solche Übereinstimmungserklärung liegt im Verhältnis zwischen der griechischen Invaliditätsregelung und den Bestimmungen des deutschen Rechts über Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bisher nicht vor (vgl. Beschluss des BSG vom 09. Juli 2002 - B 13 RJ 61/01 B - und BSG SozR 3 - 6050 Art. 40 Nr. 3).

Die Berufung konnte demnach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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