L 3 AL 1546/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 01048/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 1546/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Rücknahme und Rückforderung von Arbeitslosengeld (Alg) streitig.

Die am 15.06.1955 geborene, seit 1978 verheiratete Klägerin war nach ihren Angaben von 1971 bis 1989 in Polen als Botin bzw. Dreherin und Lageristin beschäftigt. Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1989 wurde ihr mit Bescheiden vom 09.03.1990 bzw. 02.04.1990 Alg bzw. Unterhaltsgeld (UHGVA) jeweils nach Leistungsgruppe A entsprechend Lohnsteuerklasse IV bewilligt. Ab dem 08.01.1992 war die Klägerin als Näherin bei der Firma T. in B. beschäftigt. Hierbei war sie im Akkordlohn tätig und bezog in der Zeit vom 01.12.1995 bis 30.11.1996 ein Bruttorarbeitsentgelt von insgesamt 26.365,97 DM, wobei das monatliche Bruttoarbeitsentgelt zwischen 1.716,82 DM (Februar 1996) und 2.856,07 DM (Mai 1996) lag. Vom 30.12.1996 bis 18.05.1998 bezog sie Krankengeld nach einem Leistungsbemessungsentgelt von täglich 81,98 DM.

Am 18.05.1998 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Hierbei gab sie an, sie habe zuletzt im Jahr 1989 Alg bezogen. Auf ihrer Lohnsteuerkarte sei zu Jahresbeginn die Lohnsteuerklasse V eingetragen gewesen, diese sei im Laufe des Jahres nicht geändert worden. Aufgrund einer Bandscheiben-Operation sei ihre Vermittlungsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt. Die Klägerin bestätigte durch ihre Unterschrift, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. In der Arbeitsbescheinigung teilte der Arbeitgeber mit, das Beschäftigungsverhältnis sei beendet, das Arbeitsverhältnis bestehe jedoch fort. Auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin sei für das Jahr 1998 die Lohnsteuerklasse V eingetragen.

Mit Bescheid vom 07.04.1998 lehnte der Rentenversicherungsträger den Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege. Nachdem sich die Klägerin bei der persönlichen Vorsprache am 22.07.1998 bereit erklärt hatte, im Rahmen der im ärztlichen Gutachten vom 30.06.1998 festgestellten Einschränkungen leichte Arbeit in Vollzeit auszuüben, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 04.08.1998 Alg in Höhe von wöchentlich 261,80 DM (täglich 37,40 DM) für 546 Kalendertage unter Zugrundelegung eines wöchentlichen Bemessungsentgelts von 570 DM sowie Leistungsgruppe A bei erhöhtem Leistungssatz. Mit Änderungsbescheid vom 14.01.1999 setzte die Beklagte den Zahlbetrag ab dem 01.01.1999 mit wöchentlich 265,37 DM bzw. täglich 37,91 DM fest. Mit weiterem Dynamisierungsbescheid vom 26.05.1999 wurde der wöchentliche Zahlbetrag ab dem 19.05.1999 auf 268,31 DM bzw. täglich 38,33 DM, jeweils unter Zugrundelegung von Leistungsgruppe A, angehoben. Die Klägerin bezog in der Folgezeit Alg bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 15.11.1999.

Nachdem die Klägerin Antrag auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) gestellt und dabei mitgeteilt hatte, dass auf ihrer Lohnsteuerkarte Lohnsteuerklasse V eingetragen sei, nahm die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 01.02.2000 die Bewilligung von Alg ab dem 19.05.1998 teilweise zurück und setzte die Erstattung von 6.114,52 DM fest. Zur Begründung führte sie aus, der Klägerin habe lediglich Anspruch nach der Leistungsgruppe D (entsprechend Lohnsteuerklasse V) in Höhe von wöchentlich 187,95 DM zugestanden. Die Rücknahme der Bewilligung sei nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zulässig, weil die Klägerin durch das Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme sie schriftlich bestätigt habe, hätte erkennen können, dass ihr die Leistungen nicht nach der Leistungsgruppe A zugestanden hätten.

Den hiergegen mit der Begründung eingelegten Widerspruch, sie habe bei der Antragstellung sämtliche Unterlagen vorgelegt und mit der Sachbearbeiterin zusammen ausgefüllt, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2000, auf den Bezug genommen wird, zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 26.05.2000 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben.

Mit Urteil vom 20.02.2001 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 01.02.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 26.04.2000 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe weder positive Kenntnis von der (teilweisen) Rechtswidrigkeit der Bewilligung gehabt noch habe sie deren Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Ausgehend von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff sei auf die Fähigkeiten des konkret Betroffenen abzustellen. Grundsätzlich sei sie nicht verpflichtet gewesen, den Bewilligungsbescheid im Detail zu überprüfen. Der Arbeitslose dürfe sich auf die Richtigkeit von Verwaltungsentscheidungen verlassen, soweit sich ihm nicht ein Fehler aufdränge (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. August 1997 - L 5 AR 818/96 -). Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide habe sich der Klägerin nicht aufdrängen müssen. Das nach Leistungsgruppe A gewährte Alg sei deutlich geringer gewesen als der zuvor erzielte Verdienst, so dass sich allein aufgrund des Zahlbetrags kein Hinweis auf die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide ergeben habe. Die Klägerin habe darüber hinaus keine Erfahrung im Umgang mit der Arbeitsverwaltung und deren Bescheiden gehabt. Der im Jahre 1990 stattgehabte Bezug von Leistungen während eines Sprachkurses könne nicht zu ihren Lasten als Vorerfahrung mit der Beklagten berücksichtigt werden. Allein die Aushändigung des Merkblatts und die Beschreibung der Zuordnung von Lohnsteuerklassen und Leistungsgruppen auf der Rückseite des ersten Bewilligungsbescheides reiche für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus.

Gegen das am 14.03.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.04.2001 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Klägerin hätte aufgrund der eindeutigen und unmissverständlichen Hinweise im Bewilligungsbescheid und im ihr bei Antragstellung ausgehändigten Merkblatt erkennen müssen, dass die Leistungsgruppe A nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen habe und deshalb ihrem Anspruch fälschlicherweise zugrunde gelegt worden sei. Unbeachtlich seien möglicherweise schlechte Deutschkenntnisse der Klägerin - was fraglich sei, da sie mehrere Deutsch-Sprachlehrgänge erfolgreich besucht habe -, da sie dann gehalten gewesen wäre, sich mit einer des Deutschen kundigen Person Klarheit über den Inhalt der Bescheide zu verschaffen. Schließlich habe die Klägerin auch Erfahrung im Umgang mit Behörden, da sie gegen jede ablehnende Entscheidung der Beklagten über ihren Bevollmächtigten Widerspruch einlegen lasse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 20. Februar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Klägerin hat den Änderungsbescheid vom 09.03.1990 über die Bewilligung von Alg ab 02.01.1990 und den Bewilligungsbescheid über Unterhaltsgeld vom 02.04.1990 vorgelegt, in welchen jeweils die Leistungsgruppe A zugrundegelegt war. Sie hat weiter ihre zuletzt erzielten Nettoeinkommen mitgeteilt. Diese lagen in der Zeit von Juni bis November 1996 zwischen 1.105,41 DM und 1851,34 DM.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagten-Akten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht den Bescheid vom 01.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2000 aufgehoben.

Die Bewilligungsbescheide vom 04.08.1998, 14.01.1999 und 26.05.1999 waren rechtswidrig, da die Beklagte darin anstelle der Leistungsgruppe D, die der auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragenen Lohnsteuerklasse V entsprach, die der Lohnsteuerklasse IV entsprechende Leistungsgruppe A zugrunde gelegt und dementsprechend zu hohes Alg bewilligt hatte. Unter Zugrundelegung der zutreffenden Leistungsgruppe D stand der Klägerin in der Zeit vom 19.05. bis 31.12.1998 lediglich Alg in Höhe von wöchentlich 185,92 DM zu. In der Zeit vom 01.01.1999 bis 18.05.1999 hatte sie Anspruch auf wöchentlich 185,43 DM anstelle 265,37 DM und vom 19.05.1999 bis 15.11.1999 in Höhe von 187,95 DM anstelle 268,31 DM.

Einer teilweisen Rücknahme der Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit steht jedoch die fehlende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide entgegen.

Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) rechtswidrig ist, darf er gem. § 45 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Nach § 45 Abs. 4 Abs. 1 SGB IV wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat weder unrichtige noch unvollständige Angaben gemacht. Sie hat bei der Antragstellung vielmehr die auf ihrer Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse V angegeben. Die Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 SGB X sind damit nicht erfüllt.

Einer Berufung der Klägerin auf Vertrauensschutz steht auch nicht § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X entgegen. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist zunächst diesem selbst zu entnehmen. Darüber hinaus können auch Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung Anhaltspunkte für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Dies setzt jedoch voraus, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid selbst oder aus anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R).

Die Klägerin hat - unter Zugrundelegung dieses Maßstabes - die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide weder gekannt noch grob fahrlässig nicht erkannt. Sie hat in für den Senat glaubhafter Weise vorgetragen, dass sie nach Lektüre der Bewilligungsbescheide von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen ist.

Nicht zutreffend ist die Beurteilung der Beklagten, aus den Widersprüchen gegen Bescheide und Überprüfungsanträgen zeige sich, dass die Klägerin ihre Rechte kenne und sich im Umgang mit Behörden zielgerichtet zu helfen wisse. Zutreffend ist zwar, dass die Klägerin gegen mehrere Bescheide Widerspruch eingelegt hat, so gegen den Bescheid der LVA Baden-Württemberg, mit dem der Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden war, und gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.10.1999, mit dem der Antrag auf Alhi abgelehnt worden war. Beiden Verfahren ist jedoch gemeinsam, dass ein Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Lohnersatzleistung abgelehnt worden war und dass die Klägerin in beiden Fällen einen Rechtsanwalt mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt hat. Demgegenüber wurde mit den Alg-Bewilligungsbescheiden kein Antrag der Klägerin abgelehnt, diesem wurde vielmehr entsprochen, so dass diesbezüglich für die Klägerin kein Anlass bestand, rechtskundigen Rat einzuholen.

Auch aufgrund der Höhe der gewährten Leistung musste sich der Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nicht aufdrängen. Vom 19.05.1998 bis 31.12.1998 bezog die Klägerin ein durchschnittliches monatliches Alg vom 1.134,47 DM (261,80 x 13: 3). Dieser Betrag lag nicht über dem durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt, das die Klägerin vor Beginn ihres Krankengeldbezuges erzielt hatte. Denn das durchschnittliche Nettoeinkommen der Klägerin in den letzten 6 Monaten ihrer Arbeitstätigkeit betrug 1.362,17 DM.

Ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide könnte sich danach allein aus den Hinweisen in den Merkblättern, deren Erhalt die Klägerin durch ihre Unterschrift bestätigt hat, sowie aus den Bewilligungsbescheiden selbst ergeben. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Antragsteller, die zutreffende Angaben gemacht haben, im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, Bewilligungsbescheide auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, sondern davon ausgehen dürfen, dass eine Fachbehörde die wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet (BSG Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).

Der Bewilligungsbescheid vom 04.08.1998 enthält - ebenso wie die Änderungsbescheide vom 14.01.1999 und 26.06.1999 - zwar Hinweise zur Berechnung der Höhe des Alg. Diesen kann jedoch nicht zwingend entnommen werden, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bescheide hätte erkennen müssen.

Unter " 2. Berechnung des Arbeitslosengeldes" wird darin zunächst mitgeteilt: "Das im Bemessungszeitraum erzielte versicherungspflichtige Entgelt wird in ein durchschnittliches wöchentliches Bemessungsentgelt umgerechnet".

Das im Bewilligungsbescheid zugrunde gelegte Bemessungsentgelt von 570 DM entspricht dem Einkommen der Klägerin.

Zur Berechnung der Leistungsentgelte enthalten die Bescheide weiter folgende Belehrung: "Zu allen Bemessungsentgelten hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung die Leistungsentgelte bestimmt. Dazu hat es entsprechend den Vorgaben im Gesetz die bei Arbeitnehmern üblicherweise anfallenden Abzüge (Steuern, Sozialversicherung) ermittelt und vom Bemessungsentgelt abgezogen. Auf diese Weise ergeben sich die in der Rechtsverordnung enthaltenen Leistungsentgelte als rechnerische Nettoentgelte, die wegen Pauschalierung der Abzüge meistens nicht genau mit dem Nettoentgelt im Einzelfall übereinstimmen."

In diesem Hinweis wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das im Bewilligungsbescheid angegebene Leistungsentgelt nicht mit dem tatsächlich erzielten Nettoentgelt übereinzustimmen braucht. Da die Hinweise keine Belehrung darüber enthalten, dass das Leistungsentgelt niedriger als das tatsächlich erzielte Nettoentgelt ist, konnte dieser Belehrung auch entnommen werden, dass im Einzelfall das Leistungsentgelt höher als das tatsächlich erzielte Nettoentgelt ist, wobei hier zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin aufgrund ihrer Akkordarbeit wechselnde monatliche Entgelte erzielt hatte.

Nach einer Darstellung der Zuordnung der Leistungsgruppen zu den Steuerklassen wird folgende Belehrung erteilt: "Die Leistungsgruppe entspricht der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse (ist das nicht der Fall, konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden, weil nach den Arbeitslöhnen beider Ehegatten eine unzweckmäßige Lohnsteuerkombination gewählt wurde)."

Dieser Belehrung kann entnommen werden, dass die Leistungsgruppe nicht in jedem Fall der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse entspricht, und zwar insbesondere nicht in den Fällen, in denen ein Lohnsteuerklassenwechsel wegen einer unzweckmäßigen Lohnsteuerkombination nicht berücksichtigt worden war. Durch die Belehrung wurde somit ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Bewilligung von Alg auch nach einer anderen als der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse erfolgen könne. Den Bescheiden vom 09.03.1990 und 02.04.1990 kann entnommen werden, dass die Klägerin im Jahr 1990 Alg bzw. Uhg nach Leistungsgruppe A bezogen hatte und somit zum damaligen Zeitpunkt in Lohnsteuerklasse IV eingestuft war. In der Folgezeit hatte ein Lohnsteuerklassenwechsel zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann stattgefunden, so dass die Belehrung über einen Lohnsteuerklassenwechsel grundsätzlich auch auf die Klägerin zutraf. Von einem Kennenmüssen der Klägerin von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide aufgrund der darin enthaltenen Hinweise kann somit nicht ausgegangen werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten angeführten Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.01.2001 - L 13 AL 113/00 -, da diesem ein anderer Sachverhalt dergestalt zugrunde lag, dass der Kläger des dortigen Verfahrens mehrmals einen Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen hatte und gegenüber dem dortigen Kläger bereits während eines vorherigen Leistungsbezugs wegen verspätet mitgeteilter Änderung der Lohnsteuerklasse Aufhebungs-, Rücknahme- und Erstattungsbescheide erlassen worden waren. Der Kläger des dortigen Verfahrens hat darüber hinaus im Berufungsverfahren eingeräumt, die Bedeutung der Lohnsteuerklasse für die Höhe des Alg gekannt zu haben.

Die Berufung der Beklagten war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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