L 3 R 3755/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 3009/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 3755/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit.

Die am 3.4.1950 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt 1995 als Näherin versicherungspflichtig in Teilzeit beschäftigt. In der Folgezeit arbeitete sie noch stundenweise in einem Privathaushalt.

Am 19.4.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die von der Beklagten veranlasste allgemeinmedizinisch/sozialmedizinische Begutachtung (Gutachten Dr. P. vom 30.7.2002) erbrachte im Wesentlichen wiederkehrende depressive Störungen (gegenwärtig leicht- bis mittelgradige Episode) sowie Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Seitverbiegung, jedoch ohne Bewegungseinschränkung und ohne Nervenausfallserscheinungen sowie Nervenwurzelreizzeichen bei einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 12.8.2002 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2002 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 21.11.2002 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben, mit der sie ihr Rentenbegehren weiterverfolgt hat.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt, die übereinstimmend (auch) über das Vorliegen - mittelgradiger - depressiver Störungen berichtet und - soweit sie sich diesbezüglich zu einer Leistungseinschätzung in der Lage gesehen haben - der Leistungseinschätzung der Beklagten entgegengetreten sind (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 16/34 der SG-Akte Bezug genommen).

Daraufhin hat das SG - auch auf Vorschlag der Beklagten - Beweis erhoben durch Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Dr. S. vom 15.7.2003. Psychiatrischerseits diagnostiziert worden sind eine leicht- bis mittelgradige depressive Erkrankung bei rezidivierend verlaufender Depression mit endogenen und reaktiven Anteilen sowie somatischen Störungen, eine selbstunsicher-ängstliche Persönlichkeitsstörung sowie chronisch-rezidivierende Kopfschmerzen. Festgestellt worden sind eine emotional-affektive Einengung, eine Herabgestimmtheit, ein ängstlich-gespannter Affekt, eine depressive Grundstimmung, eine Antriebstörung mit Antriebsminderung, eine allgemein erhöhte innere Gespanntheit, Unruhe und Ängstlichkeit, eine verminderte Belastbarkeit, eine erhöhte Erschöpfbarkeit sowie subjektiv häufig auftretende Gefühle der Überforderung. Phasenweise träten starke Angstgefühle und dann auch somatische Symptome einer vegetativen Übererregung sowie längerdauernde Angstreaktionen mit thorakalem Druckgefühl und Herzrasen auf. Simulation und auch Aggravation könnten zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Die Beschwerdesymptomatik habe Auswirkungen auf den gesamten Tagesablauf und die Aktivitätsmöglichkeiten der Klägerin, wobei ein ausgeprägter Leidensdruck bestehe. Im Rahmen der depressiven Erkrankung bestünden Störungen der allgemeinen Belastbarkeit, der Stresstoleranz, des Antriebs und der Fähigkeit, Druck und Belastungen entsprechend auszuhalten. Seit der Rentenantragstellung bestehe damit nur noch ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen auch im Rahmen leichter Tätigkeiten. Nebenbefundlich erhoben worden sind Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Seitverbiegung ohne Bewegungseinschränkung, ohne Nervenausfallserscheinungen und Nervenwurzelreizzeichen sowie Verschleißerscheinungen beider Kniegelenke.

Ferner hat das SG - nachdem sich die Beklagte gegen die Leistungseinschätzung von Dr. S. gewandt hatte - auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung des weiteren nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. G. vom 3.2.2004. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erhoben worden sind eine rezidivierende depressive Störung mit derzeit eher leichter anhaltender Episode, eine Migräne, ein Verdacht auf selbstunsicher-ängstliche Persönlichkeitsstörung sowie ein Verdacht auf eine sensible Polyneuropathie. Im Übrigen läge ein Lendenwirbelsäulen- und Halswirbelsäulensyndrom mit geringen zervikal-radikulären Reizerscheinungen C 6/7 beidseits vor. Im Moment bestehe der Eindruck, dass die länger anhaltende depressive Episode eher am Abklingen sei. Berücksichtigt werden müsse jedoch, dass gewisse kognitive Störungen wahrscheinlich auf depressiver Grundlage vorlägen. Der klinischen Eindruck einer nur leichten depressiven Störung sei deshalb möglicherweise im Sinne einer leicht bis mittelgradigen depressiven Episode zu revidieren. Soweit in der ärztlichen Einschätzung der Beklagten zum Ausdruck gekommen sei, dass eine rezidivierende depressive Störung keine dauernden Schäden hinterlasse und im Fall der Remission nicht zur Erwerbsunfähigkeit führe, sondern nur zur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, berücksichtige dies nicht Länge und Ausprägung der depressiven Episoden sowie die insgesamt verminderte Belastbarkeit, ferner nicht das Bestehen depressiver Restsymptome in den Intervallen sowie die selbstunsicher-ängstliche Persönlichkeitsstörung. Unter Berücksichtigung der Dokumentation der behandelnden Ärzte, der Vorbegutachtung durch Dr. S. und des jetzigen Befundes sowie der entgegen den bisherigen Begutachtungen durchaus bestehenden Nervenwurzelreizerscheinungen halte er die Klägerin ebenfalls nur für nur eingeschränkt belastbar im Rahmen einer drei bis sechsstündigen leichten Tätigkeit mit weiteren qualitativen Einschränkungen. Dieser Zustand bestehe etwa seit Mitte 2002. Zugestimmt werde im Wesentlichen den Ausführungen im Vorgutachten. Die Beklagte berücksichtige zu wenig, dass es sich diesmal um eine längerdauernde depressive Störung handle. Unberücksichtigt geblieben seien ferner die radikulären Reizerscheinungen sowie die sensible Polyneuropathie als erschwerende zusätzliche gesundheitliche Einschränkungen.

In seiner auf die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten eingehenden ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 27.4.2004 hat der Sachverständige an seiner Leistungseinschätzung festgehalten.

Das SG hat die Beklagte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9.8.2004 und des von der Klägerin nunmehr im Wege einer teilweisen Klagrücknahme auf die Zeit vom 1.11.2002 bis zum 31.10.2005 beschränkten Klageantrags durch Urteil vom selben Tag unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1.11.2002 bis zum 31.10.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren und ihr 2/3 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften entschieden, dass bei der Klägerin unter Berücksichtigung der Ausführungen in den Sachverständigengutachten von Dr. G. und Dr. S., denen gefolgt werde, seit dem Zeitpunkt der Stellung des Rentenantrags nur noch ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen bestehe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 20.8.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.8.2004 Berufung eingelegt, mit der sie sich weiterhin gegen die von den Sachverständigen angenommene zeitliche Leistungseinschränkung wendet und auch darauf hinweist, dass Dr. G. ein zeitliches Leistungsvermögen von noch bis zu sechs Stunden (und nicht von unter sechs Stunden) angenommen habe.

Mit Ausführungsbescheid vom 25.11.2004 hat die Beklagte das Urteil des SG ausgeführt (wegen der Einzelheiten vgl. Blatt 23/51 der LSG-Akte).

Der Senat hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt, die vordergründig wegen phasenweise mittelgradiger bzw. hochgradiger depressiver Störungen ein aufgehobenes bzw. nur noch unter sechsstündiges Leistungsvermögen angenommen haben (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 57/69 und 74/77 sowie 87/101 der LSG-Akte Bezug genommen).

Sodann hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. T. vom 13.6.2006. Dieser Sachverständige erhebt eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter Episode, eine sensible Polyneuropathie (nach den Vorbefunden) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom mit Rücken- und Kopfschmerzen. Seit dem 38. Lebensjahr träten die Episoden regelmäßig alle paar Monate auf und auch zwischen den Episoden sei eine deutliche depressive Symptomatik mit Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit und Überforderungssymptomatik ständig vorhanden und die Klägerin habe große Schwierigkeiten, mit den Anforderungen des täglichen Lebens zurechtzukommen. Im Rahmen von depressiven Episoden bestünde eine starke Antriebslosigkeit, sie komme dann zum Teil kaum aus dem Bett, vernachlässige sich und gehe überhaupt nicht mehr vor die Türe. Aber auch im Intervall zwischen den depressiven Episoden sei sie antriebsarm und lustlos, vernachlässige soziale Kontakte und betreibe keinerlei Freizeitaktivitäten. Einerseits bedinge die depressive Störung mit häufig rezidivierenden leichten und mittelgradigen Episoden eine starke Antriebsminderung mit deutlicher Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit, andererseits könne die berufliche Leistungsfähigkeit durch eine adäquate Behandlung zumindest teilweise wiederhergestellt werden. Derzeit sei die Klägerin auch für leichtere Tätigkeiten arbeitsunfähig. Abweichungen zu den Vorgutachten bestünden insoweit, als darin außer Acht gelassen worden sei, dass die Therapiemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien. Die Leistungseinschränkung bestehe in wechselnder Ausprägung (bedingt durch den fluktuierenden Krankheitsverlauf) seit mindestens 1998. Hinsichtlich der vom Sachverständigen erhobenen Tagesstruktur im Rahmen schwerer depressiver Episoden wird insbesondere auf Blatt 134/136 der LSG-Akte Bezug genommen.

Die Beklagte wendet sich erneut gegen die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung im vorliegenden Fall unter Vorlage der ärztlichen Stellungnahme von Dr. I. vom 31.10.2006 (wegen der Einzelheiten vgl. Blatt 158 der LSG-Akte).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. August 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der Ausführungsbescheid der Beklagten vom 25.11.2004 wurde nicht gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).

Auch nach Auffassung des Senats hat die Klägerin auf Grund eines mindestens seit der Rentenantragstellung nur noch drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögens Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Senat stützt seine Überzeugung eines im dargestellten Umfang zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens in erster Linie auf die Sachverständigengutachten von Dr. S., Dr. G. und Prof. Dr. T., aber vorliegend auch auf die Einschätzungen der vom SG und vom Senat gehörten behandelnden Ärzte. Danach bedingen die bei der Klägerin im Vordergrund zu sehenden Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet die Beschränkung auf noch leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung der weiteren, in den Sachverständigengutachten im Einzelnen aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen. Ferner ist nach den Gutachten hier die Annahme einer quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkung auf ein nur noch unter sechsstündiges Leistungsvermögen medizinisch begründet. Die von den Sachverständigen vorgenommene Leistungsbeurteilung ist nach den erhobenen Befunden, bei kritischer Würdigung und der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, weshalb er ihr folgt. Die hiervon abweichende Leistungsbeurteilung durch den ärztlichen Dienst der Beklagten erachtet der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens als widerlegt.

Die sozialmedizinische Beurteilung des beruflichen Restleistungsvermögens bei psychischen Störungen (z. B. depressiven Verstimmungen) richtet sich im Wesentlichen nach dem Ausmaß von Funktions- bzw. Aktivitätsstörungen und einer möglicherweise eingeschränkten Teilhabe an den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, a. a. O., S. 37). Nur bei einer weitgehenden Einschränkung der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens (im Sinne einer "vita minima") beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit ist von einer Minderung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens auszugehen (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, a. a. O., S. 47).

Festgestellt worden sind hier als Funktions- und Aktivitätsstörungen eine emotional-affektive Einengung, eine Herabgestimmtheit, ein ängstlich-gespannter Affekt, eine depressive Grundstimmung, eine Antriebstörung mit Antriebsminderung, eine allgemein erhöhte innere Gespanntheit, Unruhe und Ängstlichkeit, eine verminderte Belastbarkeit, eine erhöhte Erschöpfbarkeit sowie subjektiv häufig auftretende Gefühle der Überforderung. Phasenweise treten starke Angstgefühle und dann auch somatische Symptome einer vegetativen Übererregung sowie längerdauernde Angstreaktionen mit thorakalem Druckgefühl und Herzrasen auf. Simulation und auch Aggravation konnten zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Die Beschwerdesymptomatik hat Auswirkungen auf den gesamten Tagesablauf und die Aktivitätsmöglichkeiten der Klägerin, wobei ein ausgeprägter Leidensdruck besteht. Im Rahmen der depressiven Erkrankung bestehen Störungen der allgemeinen Belastbarkeit, der Stresstoleranz, des Antriebs und der Fähigkeit, Druck und Belastungen entsprechend auszuhalten (Feststellungen im Gutachten Dr. S., denen sich Dr. G. im Ergebnis im Wesentlichen angeschlossen hat). Weitgehende Einschränkungen von Aktivitäten und Tagesstruktur ergeben sich aus den von Prof. Dr. T. getroffenen Feststellungen nicht nur für die Zeiten schwererer depressiver Episoden (vgl. Verweise oben), sondern auch für die Intervalle zwischen den depressiven Episoden.

Einerseits kann damit nach Länge und Ausprägung der depressiven Episoden, nach deren Häufigkeit (Prof. Dr. T.: alle paar Monate, Dr. Streich im Februar 2003: Behandlungsbedarf alle zwei bis drei Wochen, Dr. M. ebenfalls im Februar 2003: viermalige Behandlung seit Juli 2002), aber auch unter Berücksichtigung der Einschränkungen während der Intervalle (vor allem der durchgängigen Antriebsminderung und Belastbarkeitsminderung) jedenfalls im Rahmen einer Längsschnittbetrachtung (wobei hier insbesondere den Auskünften der längerfristig behandelnden Ärzte entscheidender Beweiswert zukommt) nicht mehr nur von vorübergehenden und jeweils nur Arbeitsunfähigkeit begründenden Einschränkungen gesprochen werden, und andererseits lassen die aufgezeigten Funktionseinschränkungen zwar nicht ein vollständig aufgehobenes, aber zeitlich auf ein drei bis unter sechs Stunden eingeschränktes Leistungsvermögen nachvollziehbar erscheinen.

Dabei ist vom Senat einerseits einzuräumen, dass hier in der Tat insbesondere gewisse Restaktivitäten erhalten geblieben sind und auch z. B. Konzentrationsvermögen und Aufmerksamkeit bzw. Auffassung nicht als aufgehoben angesehen werden können. Andererseits nimmt der Senat insbesondere gestützt auf Dr. S. hier auch kein aufgehobenes Leistungsvermögen an, sondern nur ein zeitlich auf ein bis unter sechsstündig reduziertes Leistungsvermögen, was den Erhalt eines verwertbaren beruflichen Restleistungsvermögens impliziert.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles lässt sich die hier angenommene zeitliche Leistungseinschränkung mit den Befundfeststellungen in Einklang bringen, wobei nach Auffassung des Senats zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass aus Tagesstruktur und Alltagsaktivitäten zwar - wie oben dargelegt - grundsätzlich Rückschlüsse auf das berufliche Restleistungsvermögen gezogen werden können, es dabei aber auch zu beachten gilt, dass es zwischen beruflichen Anforderungen einerseits und den Anforderungen des täglichen Lebens andererseits beachtenswerte Unterschiede gibt. Letztlich kommt daher Einschränkungen von Tagesstruktur und Alltagsaktivitäten lediglich indizielle Bedeutung zu. So wird man z. B. aus einer vita minima i. d. R. ohne weiteres auf ein gänzlich aufgehobenes berufliches Leistungsvermögen schließen können und aus jeglichem Fehlen von Einschränkungen im täglichen Leben i. d. R. auf ein vollumfängliches bzw. jedenfalls rentenrechtlich nicht relevant reduziertes berufliches Leistungsvermögen. Bestehen allerdings bereits im täglichen Leben jedenfalls nicht ganz unerhebliche Leistungseinschränkungen, kann sich die bestehende Beeinträchtigung unter den gesteigerten Leistungsanforderungen einer beruflichen Tätigkeit umso mehr auswirken und nach den Umständen des Einzelfalles das Erfordernis einer teilweisen zeitlichen Leistungseinschränkung nahe legen. So verhält es sich nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall.

Der Senat verkennt nicht, dass Dr. G. in seinem Sachverständigengutachten ein bis zu sechsstündiges Leistungsvermögen bescheinigt hat, was i. d. R. ein sechsstündiges und damit nicht rentenrechtlich relevantes Leistungsvermögen impliziert. Vorliegend ist dem Gesamtzusammenhang des Sachverständigengutachtens allerdings zu entnehmen, dass der Sachverständige - wie bereits Dr. S. und ebenfalls in einer Längsschnittbetrachtung - im Ergebnis ebenfalls lediglich nur noch ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen annehmen wollte. Dies folgt daraus, dass Dr. G. einerseits im Wesentlichen seine Übereinstimmung mit den Feststellungen von Dr. S. erklärt und ebenfalls nur noch eine eingeschränkte Belastbarkeit angenommen hat und andererseits einräumen musste, dass der klinische Eindruck einer im Moment nur leichten depressiven Störung möglicherweise im Sinne einer leicht bis mittelgradigen depressiven Episode zu revidieren sei. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil der Senat bereits aufgrund der Einschätzungen von Dr. S. und Prof. Dr. T. (der ja sogar von Arbeitsunfähigkeit für leichte Tätigkeiten gesprochen hat) vom Vorliegen jedenfalls eines lediglich noch drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögens überzeugt ist.

Dr. I. übersieht in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 31.10.2006, dass es vorliegend nicht um die Leistungsbeurteilung bei einer derzeitigen - leichtgradigen - depressiven Episode geht, sondern um die Leistungsbeurteilung bezüglich der in der Vergangenheit liegenden und von Sachverständigen als bis mittelgradig eingestuften depressiven Episoden in einer Längsschnittbetrachtung. Auf die von Prof. Dr. T. jetzt zusätzlich festgestellte Schmerzerkrankung in ihren Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit kommt es dabei nicht mehr an. Die von der Beklagten eingeschaltete Nervenärztin Dr. D. geht in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 14.8.2003 - ebenfalls wie Dr. I. - nach Auffassung des Senats nur sehr unzureichend auf die von Dr. S. im Einzelnen beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen (vor allem auch: verminderte Belastbarkeit, erhöhte Erschöpfbarkeit, Überforderungssymptomatik) ein. Auch die von Dr. G. im Rahmen seiner Begutachtung erneut festgestellte insgesamt verminderte Belastbarkeit wird in ihrer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 18.3.2004 nicht erwähnt. Eingegangen wird z. B. auch nicht auf die von Prof. Dr. T. getroffene Feststellung, auch zwischen den Episoden sei eine deutliche depressive Symptomatik mit Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit und Überforderungssymptomatik ständig vorhanden und die Klägerin habe große Schwierigkeiten, mit den Anforderungen des täglichen Lebens zurechtzukommen Diese werden damit auch nicht in ihren Auswirkungen auf das berufliche Restleistungsvermögen gewürdigt.

Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Prof. Dr. T. auf Grund der gesamten Aktenlage nachvollziehbar davon ausgeht, dass vorliegend eine erhebliche Leistungseinschränkung bereits seit 1998 vorliegt, ist der Senat davon überzeugt, dass der Leistungsfall vorliegend jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 19.4.2002 eingetreten ist. Ob der Leistungsfall bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten ist, muss vom Senat nicht geprüft werden, nachdem lediglich die Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat.

Bei einem lediglich noch dreistündigen bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen besteht Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund der Arbeitsmarktlage und Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung wird nur auf Zeit geleistet, wobei die Befristung für längstens drei Jahre nach dem Rentenbeginn erfolgt (§ 102 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] in der ab dem 1.1.2001 geltenden Fassung). Sie wird nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist vorliegend ebenfalls nur befristet zu leisten, weil insbesondere unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. T. gemachten Ausführungen wahrscheinlich war und ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden konnte und kann (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Bei Annahme eines Leistungsfalls vom 19.4.2002 besteht damit ab dem 1.11.2002 befristet bis zum 31.10.2005 sowohl ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch wegen voller Erwerbsminderung. Nachdem vorliegend lediglich die Beklagte Berufung eingelegt hat, ist das Urteil des SG bezüglich des Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu korrigieren, zumal für den Zeitraum des Zusammentreffens nach § 89 SGB VI ohnehin nur die höhere Rente zu leisten wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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