L 1 U 5715/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 7018/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5715/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.10.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Unfall des Klägers am 08.06.2001 ein versicherter Arbeitsunfall ist.

Der aus dem früheren Jugoslawien stammende Kläger hat mit der D. & M. GmbH/Zweigstelle M., auch firmierend als D. & M. Industriemontage und Rohrleitungsbau GmbH, am 02.05.1995 einen Arbeitsvertrag als Vorrichter/Isolierer geschlossen. Vereinbart war u. a., dass die Arbeitspapiere in M. aufbewahrt werden. Der Gerichtsstand für alle Klagen aus dem Arbeitsverhältnis war das Arbeitsgericht M ... Die Einstellung erfolgte am 02.05.1995, zunächst befristet bis 02.08.1995 als Probezeit. In der Folge waren von der Firma D. & M., Zweigniederlassung M., beim Arbeitsamt M. und später ab 1996 auch von der Zweigstelle M. beim Arbeitsamt M. Arbeitserlaubnisse für den Kläger jeweils für weitere Zeiträume beantragt und genehmigt worden.

Die Landesversicherungsanstalt W. forderte mit Bescheid vom 04.02.2002 von der D.-M. GmbH D. - Zweigniederlassung M. - Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 469.354,55 EUR nach, da bei einer Betriebsprüfung sich u. a. für den Zeitraum von 1997 bis Dezember 2000 die Beschäftigung von 15 Arbeitnehmern ergeben habe, die in Deutschland versicherungs- und beitragspflichtig gewesen seien. In diesen Fällen sei nicht von einer Entsendung von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer i. S. der Einstrahlung nach § 5 SGB IV auszugehen, da die Lohnbuchhaltung und die Geschäftstätigkeit der D. und der D. M. Industriemontage GmbH sich seit Jahren in Deutschland befinde. Löhne und Gehälter seien nicht von der im früheren Jugoslawien ansässigen Muttergesellschaft, sondern im Wesentlichen vom Tochterunternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland gezahlt worden. Auf Widerspruch der Firma erging der den Widerspruch zurückweisende Widerspruchsbescheid der Landesversicherungsanstalt W. vom 11.08.2005, in dem im Wesentlichen ausgeführt wurde, die von der Krankenversicherungsanstalt B. bzw. Zweigstellen der Krankenversicherungsanstalt ausgestellten Entsendebescheinigungen deckten teilweise nur einen Teil der nachgewiesenen Beschäftigungszeiten der betroffenen Arbeitnehmer ab, bei einigen Bescheinigungen seien Ausstellungsdaten handschriftlich geändert worden ohne Verlängerung der Gültigkeitsdauer, teilweise seien sie mit Stempel in serbischer Sprache mit unleserlicher Unterschrift versehen bzw. einige Bescheinigungen seien mit dem Stempel der AOK M. versehen ohne Unterschrift, alle datiert auf den 16.01.2001. Insoweit ergäben sich bereits Zweifel, ob die vorgelegten serbischen Entsendebescheinigungen vom Versicherungsträger stammten. Selbst wenn man davon ausginge, sei nach den im Einzelnen dargelegten Erkenntnissen aus der Betriebsprüfung davon auszugehen, dass die genannten 15 Beschäftigten, darunter der Kläger, von der deutschen Zweigstelle selbst eingestellt worden seien und deren Schwerpunkt der Beschäftigung ohne Zweifel in der Bundesrepublik Deutschland gelegen habe. Über den in dieser Sache anhängigen Rechtsstreit vor dem Sozialgericht M. ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

Am 08.06.2000 erlitt der Kläger einen Unfall mit Beckenring-, Oberschenkelschaft- und Rippenfrakturen während seiner Tätigkeit für die Firma D. & M. GmbH, einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten. Mit Bescheid vom 07.05.2001 verneinte die Beklagte ihre Zuständigkeit für den Unfall des Klägers, denn der Kläger sei nicht im Geltungsbereich des SGB VII beschäftigt gewesen. Der Entsendebegriff richte sich nach deutschem Recht. Maßgebend für die Prüfung des Entsendetatbestandes sei der zuständige Träger des Entsendestaates. Dieser habe durch die Ausstellung der Entsendebescheinigungen - des Vordrucks JU-1 - bescheinigt, dass der Kläger sich zum Unfallzeitpunkt im Rahmen einer Entsendung in Deutschland aufgehalten habe und Beschäftigter der Firma D. M. D. in Jugoslawien gewesen sei. Eine offensichtliche Unrichtigkeit der ausgestellten Bescheinigungen sei nicht erkennbar. Die behauptete Beschäftigung bei der Firma D. M. M. sei nicht durch konkrete Nachweise untermauert. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2004 zurück.

Der Kläger hat am 15.09.2004 beim Sozialgericht M. Klage erhoben, die mit Beschluss vom 08.10.2004 an das Sozialgericht S. verwiesen worden ist. Der Kläger hat auf den vorgelegten Arbeitsvertrag verwiesen und das Schreiben der Republikanstalt der Krankenversicherung B. - Zweigstelle für den P. Bezirk J. - vom 05.04.2000 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass für einen Kollegen des Klägers auf der Grundlage falscher Erklärungen der Firma D. M. D. falsche Bescheinigungen ausgestellt worden seien. Bis heute sei die Firma der Aufforderung, die mit den deutschen Firmen abgeschlossene Verträge vorzulegen, nicht nachgekommen. Auf Antrag der Beteiligten ist das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden (Beschluss vom 04.02.2005). Nach Wiederanruf des Verfahrens am 11.07.2005 hat das Sozialgericht S. mit Urteil vom 26.10.2006 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 08.06.2000 um einen versicherten Arbeitsunfall des Klägers handelt.

Gegen das der Beklagten am 10.11.2006 zugestellte Urteil hat sie am 16.11.2006 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, unter welchen Umständen der Arbeitsvertrag von 1995 zu Stande gekommen sei, könne nicht sicher beurteilt werden, zumal die Firma in M. sich stets auf den Entsendetatbestand berufen habe. Zweifel an der anspruchsbegründenden Voraussetzung einer Beschäftigung i. S. des SGB VII gingen jedoch zu Lasten des Klägers. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Rechtsstreit des Rentenversicherungsträgers gegen die Firma D. & M. M. habe das Landessozialgericht N.-W. im Beschluss vom 13.10.2006 ausdrücklich ausgeführt, die wirtschaftlichen Verflechtungen der hier beteiligten Unternehmen bzw. Unternehmensformen seien nicht sicher zu beurteilen. Es werde angeregt, den Ausgang des Verfahrens des beim Landessozialgericht B.-W. anhängigen Verfahrens gegen den Arbeitskollegen des Klägers (L 6 U 3668/04) abzuwarten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts S. vom 26.10.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er stimme einem Ruhen des Verfahrens nicht zu, da die maßgeblichen Begleitumstände mit dem beim 6. Senat anhängigen Verfahren nicht identisch seien. Abweichend davon könne auf einen schriftlichen Arbeitsvertrag verwiesen werden.

Mit richterliche Verfügung vom 13.2.2007 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des SG beigezogen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Unterlagen und auf die beim Senat angefallene Berufungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig.

Gem. § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall ist der Senat einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht einen versicherten Arbeitsunfall des Klägers festgestellt. Der Kläger hat als Beschäftigter der Firma bzw. Firmen D. M. - Zweigstellen in M. und M., den Unfall am 08.06.2000 erlitten.

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig (§ 54 Abs. 1 SGG). Das Feststellungsbegehren des Klägers ist zulässig, denn die Feststellung eines Arbeitsunfalls betrifft das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), da durch den Unfall Rechtsbeziehungen zwischen Kläger und Beklagten konkretisiert werden. Die notwendige Voraussetzung einer vorherigen Entscheidung durch Verwaltungsakt für die Klage eines Versicherten auf Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall (BSG, Beschluss vom 27.06.2006 - B 2 U 77/06 B - , SozR 4-1500 § 55 Nr. 4 m. H. a. SozR 4-2700 § 8 Nr. 6, SozR 4-2700 § 2 Nr 2) liegt vor, da mit Verneinung der Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid ein versicherter Arbeitsunfall konkludent verneint wird.

Beschäftigte sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung. Beschäftigung ist nach § 7 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Wirksamkeit des Arbeitsvertrag ist für die Beschäftigteneigenschaft ohne Bedeutung, da auch ein faktisches Arbeitsverhältnis, d. h. die Beschäftigung ohne wirksamen Arbeitsvertrag, einem Arbeitsvertrag im Hinblick auf den Versicherungsschutz gleichsteht (BSG, SozR Nr. 1 zu § 539 RVO). Die Vorschriften über die Versicherungspflicht gelten für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs beschäftigt sind (§ 3 Nr. 1 SGB IV). Soweit Vorschriften über die Versicherungspflicht eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie jedoch nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist (§ 5 Abs. 1 SGB IV). Eine Einstrahlung nach § 5 SGB IV liegt aber u. a. nicht vor, wenn bei konzerninterner Entsendung die inländische Tochtergesellschaft eine juristische Person ist, der Arbeitnehmer in den Betrieb dieser Gesellschaft eingegliedert ist und sie das Arbeitsentgelt zahlt (BSG SozR 3-2400 § 5 Nr. 2)

Der Senat hat ebenso wie das Sozialgericht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt in einem inländischen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Er ist auf Grund eines schriftlich abgefassten Arbeitsvertrages mit der Firma D. M. - Zweigstelle M. - ab 1995 tätig geworden, wobei bereits in diesem Arbeitsvertrag auf eine rechtliche und wirtschaftliche Verknüpfung mit der Zweigstelle M. Bezug genommen wird, da dort die Personalunterlagen aufbewahrt werden. Nach den Feststellungen der Landesversicherungsanstalt W. ist der Kläger im Zeitraum von 01.06.1996 bis 31.07.2000 bei der D.-M. GmbH D. in M. beschäftigt gewesen und für diesen Zeitraum wurde für den Kläger ein Lohnkonto geführt, aus dem einzelne Lohnabrechnungen vorgenommen wurden. An die deutsche Sozialversicherung wurden in diesem Zeitraum für den Kläger keine Beiträge entrichtet. Dagegen war der Kläger im vorangegangenen Zeitraum vom 03.07.1995 bis 30.04.1996 bei dem Betrieb D.-M. Industriemontage und Rohrleitungsbau GmbH M. zur deutschen Sozialversicherung gemeldet gewesen. Diese Zeiten sind nicht deckungsgleich mit dem Beginn der Tätigkeit am 02.05.1995 für die Firma D. M. nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag mit der Zweigstelle M., wobei die gemeldete Beschäftigung des Klägers in M. ab 03.07.1995 noch in die arbeitsvertraglich vereinbarte Probezeit hineinreicht. Arbeitserlaubnisse für Tätigkeiten in M. und M. wurden für nachfolgende zusammenhängende Zeiträume erteilt, hier sind aber Beschäftigungsbetrieb und Einsatzort zuletzt im Antrag vom 28.12.1995 für M./L. angegeben gewesen, was wiederum nicht ganz mit der gemeldeten Tätigkeit in M. ab 03.07.1995 bis 30.04.1996 in Einklang zu bringen ist. Zur Überzeugung des Senats stand der Kläger daher in einem durchgehenden Beschäftigungsverhältnis mit der Firma D. M. M. und M., unabhängig davon, ob wirksame (Folge-)Arbeitsverträge vorlagen. Dies ergibt sich auch aus den vorgelegten Lohnabrechnungen ab 1995 bis 2000 der Zweigstellen M. bzw. M., insbesondere sind zeitnah zum Unfall Lohnabrechnungen des Klägers bei der D. M. GmbH M. für die Monate April bis Juli 2000 vorgelegt worden, was nach den oben genannten Grundsätzen für ein inländisches Arbeitsverhältnis spricht. Dies findet seine Bestätigung in den Feststellungen bei der Betriebsprüfung des Rentenversicherungsträgers W., dass die in dem Nachforderungsbescheid genannten Beschäftigten unabhängig vom Hauptsitz der Firma D. in Serbien beschäftigt worden sind, und nicht erkennbar geworden ist, dass der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an vorübergehend geplant war oder die von den Beschäftigten ausgeübte Tätigkeit ihrer Art nach nur als vorübergehend hätte angesehen werden können - hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid LVA W. verwiesen -. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich somit für den Senat nachvollziehbar das Bild eines in der Bundesrepublik Deutschland begründeten Beschäftigungsverhältnisses.

Die vorgelegten Entsendebescheinigungen stehen dieser Überzeugung des Senats nicht entgegen. Dies ergibt sich aus der Erklärung des serbischen Versicherungsträgers vom 05.04.2000, wonach auf der Grundlage falscher Erklärungen der Firma D. M. D. falsche Entsendebescheinigungen ausgestellt worden sind und bis dato die Firma der Aufforderung, die mit den deutschen Firmen abgeschlossenen Verträge vorzulegen, nicht nachgekommen ist. Damit vereinbar sind auch die im Einzelnen im Widerspruchsbescheid der Landesversicherungsanstalt W. dargelegten Zweifel an der Echtheit der serbischen Bescheinigungen. Auf die Frage der wirtschaftlichen Verflechtung der verschiedenen Unternehmen kommt es nicht an, weil bei der gebotenen Gesamtbetrachtung weder die Merkmale einer nur vorübergehenden Beschäftigung noch die eines im Ausland begründeten Beschäftigungsverhältnisses vorliegen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch dem vorgelegten Beschluss des Landessozialgerichts N.-W. vom 13.10.2006 im Verfahren L 16 B 1/06 R ER kein Anhaltspunkt für eine andere Würdigung zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved