L 10 U 3944/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2748/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3944/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. August 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalles vom 13. Juni 2002.

Die 1953 geborene Klägerin erlitt am 13. Juni 2002 einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall, als sie von einer 1,5 m hohen Rampe in einen etwa 50 cm breiten Spalt zwischen einem Abfallcontainer und der Rampe stürzte. Neben Prellungen am linken Ellenbogen und rechten Unterschenkel sowie einer Zahnfraktur 43 rechts zog sich die Klägerin eine Tibiakopfimpressionsfraktur rechts zu, die am 28. Juni 2002 osteosynthetisch mittels lateraler Abstützplatte und Spongiosaplastik (Spongiosaentnahme am rechten Beckenkamm) im Städtischen Krankenhaus S. versorgt wurde. Ab 1. August 2003 war die Klägerin, die bis 31. Juli 2003 Verletztengeld erhielt, wieder arbeitsfähig.

Im ersten Rentengutachten kam Dr. K. zum Ergebnis, an Unfallfolgen bestünden eine knöchern fest verheilte laterale Tibiakopffraktur rechts nach Osteosynthese bei einliegendem Osteosynthesematerial, Narbenbeschwerden am rechten Beckenkamm nach Spongiosaentnahme, eine geringfügige Minderung der Kniegelenksbeweglichkeit und eine geringe Muskelminderung am rechten Oberschenkel. Wegen der Bewegungsmaße wird auf das Messblatt verwiesen. Unfallunabhängig bestünden Knorpelschäden. Dr. K. bewertete die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 1. August 2003 und auch über den Untersuchungszeitpunkt hinaus bis voraussichtlich zum Ablauf des dritten Unfalljahres mit 20 v. H. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme gelangte dann Dr. C. unter Auswertung des Gutachtens und der dabei erhobenen Bewegungsmaße zum Ergebnis, es bestehe objektiv nur eine minimale Funktionseinschränkung. Zum Zeitpunkt der Untersuchung für das Gutachten sei von einer MdE um 10 v. H. auszugehen und ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit habe unter Berücksichtigung des Zwischenberichtes vom 13. Juni 2003 (Prof. Dr. W.) eine rentenberechtigende MdE nicht vorgelegen.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ab. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese u. a. geltend machte, sie sei seit über vier Wochen bis voraussichtlich 15. November 2003 arbeitsunfähig, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten nach Beiziehung und Einholung von Berichten, u. a. von Dr. K. mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2004 zurück.

Deswegen hat die Klägerin am 30. April 2004 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, u. a. geltend gemacht, sie leide nach wie vor unter Schmerzen und sich auf das Gutachten von Dr. K. berufen. Das SG hat Dr. K. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Danach habe die Klägerin Beschwerden im rechten Kniegelenk angegeben und subjektiv eine Verschlimmerung. Die Beschwerden seien wesentlich durch die Knorpelschäden und eine Arthrose bedingt. Möglicherweise sei es zur Aktivierung einer vorbestehenden Arthrose gekommen, obwohl dies nicht objektivierbar sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. August 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung verwiesen.

Gegen den am 25. August 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. September 2005 Berufung eingelegt, mit welcher sie die Gewährung von Verletztenrente erstrebt. Sie verweist auf das Gutachten von Dr. K. Dieser sei als behandelnder Operateur nicht unbefangen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie ein von ihr selbst veranlasstes Gutachten des Chirurgen D. vom 30. April 2007 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. August 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2004 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Juni 2002 ab 1. August 2003 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztenrente lägen nicht vor.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. H. eingeholt. Er ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, es bestehe ein Zustand nach Bruch des außenseitigen Schienbeinkopfes mit Spongiosaanlagerung aus dem rechten Beckenkamm, Osteosynthese und inzwischen erfolgter Metallentfernung. Funktionell bestünden ein leichtes Beuge- und minimales Streckdefizit des rechten Kniegelenks, eine geringfügige Muskelminderung und ein geringfügiger Muskelansatzschmerz am rechten Beckenkamm. Unfallunabhängig bestünden eine Fehlhaltung der Wirbelsäule mit Myotendopathien und Folgen eines Übergewichts. Zeitnah zum Trauma hätten sich sowohl indirekt bei Röntgenaufnahmen als auch direkt bei der Operation neben der Verletzung degenerative Veränderungen der anderen Kniegelenkskompartimente gezeigt, wobei die Beschwerden vorwiegend in den Bereichen der degenerativen Veränderungen lokalisiert würden. Die Funktion sei wesentlich weniger gestört als bei der Beschwerdenschilderung angegeben. Es seien sicherlich noch Beschwerden des rechten Kniegelenks vorhanden, die jedoch im Wesentlichen auf degenerative Veränderungen zurückzuführen seien. Der Schienbeinkopfbruch selbst sei hervorragend rekonstruiert sowie in anatomischer Stellung knöchern fest verheilt und die Kernspintomographie zeige auch keine Schädigung in diesem Bereich an der Knorpeloberfläche. Die unfallbedingte MdE schätze er auf unter 10 v. H. Die Klägerin sei bis zum dokumentierten Zeitpunkt des Endes der Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt arbeitsunfähig gewesen. Er habe im Wesentlichen dieselben Befunde wie Dr. K. in dessen Gutachten erhoben, stimme jedoch der Interpretation des Dr. C. zu, der schon damals von einer MdE von 10 v. H. ausgegangen sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16).

Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Verletztenrente. Ab dem 1. August 2003 liegt keine MdE in rentenberechtigendem Grade vor. An Unfallfolgen besteht ein Zustand nach Bruch des außenseitigen Schienbeinkopfes rechts mit Spongiosaanlagerung aus dem rechten Beckenkamm und Osteosynthese. Das Metall ist inzwischen entfernt. Außerdem finden sich - unfallunabhängig - vorbestehende degenerative Veränderungen des innenseitigen und vorderseitigen Kniegelenkskompartiments. Funktionell liegen ein geringfügiges Funktionsdefizit des rechten Kniegelenks, eine geringfügige Muskelminderung und ein geringfügiger Muskelansatzschmerz am Beckenkamm nach Spongiosaentnahme vor. Dies steht zur Überzeugung des Senats auf Grund des Sachverständigengutachtens des Orthopäden Dr. H., der die Klägerin eingehend untersucht und auch die weiteren vorliegenden ärztlichen Äußerungen ausgewertet hat, fest. Ein wesentlicher Widerspruch zu dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. K. besteht hinsichtlich der Befunde und Funktionseinschränkungen nicht. Unter Berücksichtigung dessen liegt seit Ende der Arbeitsunfähigkeit, nämlich ab 1. August 2003, eine rentenberechtigende MdE nicht vor. Nach den für den Senat schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. H. bedingen die Unfallfolgen keine MdE um 20 v. H. Die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks entspricht im Wesentlichen normalen Werten. Eine wesentliche funktionelle Einschränkung ergibt sich also nicht. Die Umfangmaße zwischen dem rechten und linken Bein lassen nicht auf eine wesentliche Schonung schließen. Bei den Schmerzangaben im Bereich des Beckenkamms ist - so Dr. H. - auffällig, dass sie sowohl bei passiver Beugung als auch bei passiver Streckung sowie Innen- und Außendrehen in gleicher Weise angegeben werden. Es wäre plausibel, wenn ein sogenannter Dehn- oder Widerstandsschmerz angegeben würde. Nicht plausibel ist jedoch - so Dr. H. - wenn die gleichartigen Schmerzen bei der inversen Bewegung geäußert werden, wofür jegliches pathologisch-anatomische Korrelat fehlt. Auch für eine Affektion der Hüftgelenke selbst findet sich kein Anhalt. Selbst wenn - wie dies auch Dr. H. tut - von einem lokalen Schmerz ausgegangen würde, rechtfertigt dieser keine MdE.

Soweit Dr. H. darauf hinweist, die Klägerin habe - wie von ihr inzwischen bestritten - angegeben, sie habe vor dem Trauma Beschwerden am rechten Kniegelenk gehabt, die ein nicht bekannter Kollege als Meniskusbeschwerden interpretiert habe, kommt es hierauf letztlich nicht an, da die von Dr. H. festgestellten und die von den behandelnden Ärzten beschriebenen Funktionseinschränkungen die Annahme einer MdE in rentenberechtigendem Grade nicht zulassen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Klägerin diese Angaben bei der Untersuchung - wie erstmals im Erörterungstermin vom 22. März 2007 bestritten - gemacht hat.

Soweit Dr. K. in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten ersten Rentengutachten die MdE auf 20 v. H. geschätzt hat, fehlt es hierfür an einer überzeugenden Begründung. Auch er hat keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen festgestellt. Außerdem hat Dr. K. unfall-unabhängige, bei der Operation nachgewiesene Knorpelschäden im rechten Kniegelenk und der medialen Tibia- und Femurfläche erhoben, ohne dies bei der Bewertung der unfallbedingten MdE nachvollziehbar zu berücksichtigen. Angesichts dessen erachtet der Senat mit Dr. H. die Einwände von Dr. C. zum Gutachten von Dr. K. für zutreffend.

Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten des Chirurgen D. führt zu keinem anderen Ergebnis. Die wiedergegebenen, von den Vorgutachten abweichenden Bewegungsmaße beruhen auf den Demonstrationen der Klägerin bei der Untersuchung ohne dass sie - was im Hinblick auf das Gutachten von Dr. H. und die dort beschriebene Diskrepanz zwischen Befund und Beschwerdenschilderung bzw. -demonstration geboten gewesen wäre - von dem Chirurgen D. kritisch überprüft und hinterfragt worden sind. Damit sind sie nicht nachgewiesen. Soweit er ausführt, im weiteren Verlauf nach operativer Versorgung einer Tibiakopffraktur sei eine Verschlimmerung nicht auszuschließen, belegt dies weder konkrete Funktionseinschränkungen bei der Klägerin noch - im Falle einer tatsächlich eingetretenen Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit - die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis.

Das SG hat aus den vorstehenden Gründen die Klage zu Recht abgewiesen. Deswegen ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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