L 7 SO 2035/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SO 1296/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2035/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. April 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kostenübernahme auf 15 Wochenstunden festgesetzt wird zu einem Stundensatz von maximal 16,50 EUR.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig; dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Frist des § 929 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ( -ZPO - zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift im sozialgerichtlichen Verfahren vgl. Beschluss des Senats vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B (juris)). Nach Angaben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers wurde am 25. April 2007 und damit innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO Vollstreckungsantrag beim SG gestellt. Unabhängig davon dürfte im hier zu entscheidenden Fall mangels Vollstreckbarkeit des angegriffenen Beschlusses infolge dessen Unbestimmtheit die Frist auch nicht in Gang gesetzt worden sein.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Es ist allerdings klarzustellen, wie hoch die Stundenzahl der Betreuung zu sein hat und in welcher Höhe Kosten zu übernehmen sind, damit der Beschluss vollzogen werden kann.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479, 480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Erforderlich ist mithin - neben dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Erfolg in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) - die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund; vgl. hierzu schon Senatsbeschluss vom 23. März 2005 - L 7 SO 675/05 ER-B - (juris)).

Die Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist in Ansehung des sich aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtschutz (Artikel 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris) unter Hinweis auf BVerfG NJW 1997 a.a.O. und NVwZ 2005 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/06 ER-B - FEVS 57, 72, vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 und vom 21. Juli 2006 - L 7 AS 2129/06 ER-B (juris)).

Die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind - wie das SG zu Recht angenommen hat - dem Grunde nach gegeben. Es spricht viel dafür, dass der Antragsteller weiter einen Anspruch auf Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form der Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter hat. Bereits in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom 9. Januar 2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B - hat der Senat ausgeführt, dass und warum Anordnungsanspruch und -grund gegeben sein dürften. An dieser grundsätzlichen Situation hat sich in der Folgezeit bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts geändert. Insoweit kann auf die Begründung des Beschlusses vom 9. Januar 2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B verwiesen werden. Allerdings ist aufgrund der Ermittlungen des SG der Umfang der Schulbegleitung zu reduzieren, da nach der neueren Auskunft des Schulleiters vom 21. März 2007 nicht in dem früher angenommenen Umfang eine Betreuungserforderlichkeit nachgewiesen oder glaubhaft gemacht ist. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil trotz der umfänglicheren Schulbegleitung seit diesem Beschluss des Senats sich die Situation des Antragstellers in der Schule nicht nachhaltig stabilisiert oder verbessert hat. Diese Verringerung der Stundenzahl hält der Senat aufgrund der vom SG erhobenen weiteren Berichte und Stellungnahmen des Schulleiters, der Lehrerinnen des Antragstellers und des Arbeiter-Samariter-Bundes U. für notwendig, da die Eingliederungshilfe sich auf den ergänzenden Bedarf zu beschränken hat und keine umfängliche pädagogische Betereuung zum Gegenstand hat. Bei dieser Sachlage ist ein Bedarf einer vollumfänglichen Schulbegleitung nicht erkennbar. Der Senat weist darauf hin, dass bereits in dem Beschluss vom 9. Januar 2007 Zweifel am Umfang der gewünschten Schulbegleitung geäußert worden waren.

Der Senat setzt den Umfang des Betreuungsaufwandes mit 15 Stunden fest, weil neben dem von der Schule bestätigten Betreuungsbedarf von 720 Minuten (=12 Stunden) pro Woche (reine Schulstunden) Übergänge berücksichtigt werden müssen und insbesondere auch ein Puffer für besondere Situation vorhanden sein muss. Das gilt insbesondere für die im Falle des Antragstellers besonders prekäre Frage der Nahrungsaufnahme während des Schulbesuchs.

Was die Kosten angeht, ergibt sich aus den Akten des Antragsgegners, dass eine qualifizierte Betreuung pro Stunde 16,50 EUR kostet, wie sie vom Arbeiter-Samariter-Bund U. als Leistungserbringer für die frühere Schulbegleitung des Antragstellers in Rechnung gestellt worden sind. Nach Auskunft des Arbeiter-Samariter-Bundes beruht dieser Stundensatz auf einer Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII mit der Stadt U. und dem Landkreis A. , die auch von anderen Sozialhilfeträgern inhaltlich angewendet wird. Dieser Satz liegt deutlich unter dem für das Land Baden-Württemberg zwischen den Trägern der Pflegeversicherung und den Pflegediensten vereinbarten Satz von 19,56 EUR für die pflegerische Betreuung. Es ist auch für den Senat plausibel, dass für den vom Antragsgegner angenommen Satz von 8,00 EUR eine qualifizierte Betreuung nicht zu erreichen ist.

Wegen des auch das Recht des SGB XII beherrschenden Subsidiaritätsprinzips ist es nicht vorrangig Aufgabe der Sozialhilfeträger, selber Eingliederungsleistungen zu erbringen. Sie sind vielmehr dem Hilfebedürftigen gegenüber zur Übernahme von Kosten verpflichtet, die diesem durch die Inanspruchnahme von Trägern der freien Wohlfahrtspflege entstehen, wenn ein Eingliederungsbedarf besteht, der nach dem Wunsch eines behinderten Menschen von diesen Trägern befriedigt werden kann (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 22. September 2005 - L 7 SO 3421/05 ER-B - ZfSH/SGB 2006, 33 und vom 13. Juli 2006 - L 7 SO 1902/06 ER-B - sozialrecht aktuell 2006, 168). Insofern ist es primär Sache des Antragstellers und seiner Eltern, sich um die Schulbegleitung zu bemühen, wie sie es für den vorangegangenen Zeitraum auch getan haben. Das ist mit dem nunmehr festgesetzten Stundensatz auch möglich. Nach telefonischer Auskunft des Arbeiter-Samariter-Bundes U. wäre dieser bereit und in der Lage, relativ kurzfristig eine Schulbegleitung durch einen ortsnahen Helfer zu dem genannten Satz zur Verfügung zu stellen. Es besteht daher keine Veranlassung, dem Antragsgegner die Auswahl des Begleiters aufzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Trotz der Zurückweisung der Beschwerde sind die vom Senat vorgenommenen Maßgaben zu Gunsten des Antragstellers zu werten, da er ohne diese Präzisierung in der Tat Schwierigkeiten gehabt hätte, den Beschluss des SG ausführen zu lassen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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