L 12 AS 332/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 3475/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 332/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Unter Aufhebung des Beschlusses des SG Konstanz vom 19.12.2006 wird die Antragsgegnerin verpflichtet dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches.

Der 1969 geborene Ast. beantragte im April 2005 erstmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei der Antragsgegnerin (Ag) ... Im An¬trag ist dabei mit Grünstift vermerkt, dass der Ast. in Untermiete lebe und keine Miete, sondern nur eine Nebenkostenbeteiligung bezahle. In der Verwaltungsakte befindet sich eine Erklärung einer im Jahre 1962 geborenen Frau Juliane F. (F.), dass sie den Antrag auf Arbeitslosengeld II für den Ast. am 18. April 2005 persönlich beim Arbeitsamt abgege¬ben habe. Am 3. Juni 2005 unterzeichnete der Ast. eine Erklärung über eine bestehende Haushaltsgemeinschaft. Diese bestehe demnach seit einem Jahr; die Fragen nach gemeinsamen oder sonstigen im Haushalt lebenden Kindern, nach gemeinsamem Girokonto oder wechselseitiger Verfügungsbefugnis über Einkommens- und Vermögensgegenstände wur¬den jeweils verneint. Darauf bewilligte die Ag. zunächst vom 18. April bis 31. Ok¬tober 2005 die Regelleistungen von monatlich 345 EUR. Auf entsprechende Fortzahlungsanträge wurde die Leistung bis 31. Oktober 2006 weiterbewilligt.

Am 18. September 2006 wurde erneut ein Fortzahlungsantrag gestellt. Am 10. Oktober 2006 schrieb die Ag. an den Ast., es fehlten Angaben zu Frau F., da jetzt eine sogenannte "Verantwortungs- und Einstandsge¬meinschaft" vermutet werde. Er solle die entsprechenden Angaben auch in Bezug auf Frau F. ausfüllen, wozu eine Frist bis 27. Oktober 2006 gesetzt werde. Falls er bis zu die¬sem Termin nicht antworte, werde die Leistung ganz versagt. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen seien in der Anlage abgedruckt. Frau F. teilte daraufhin am 23. Oktober 2006 der Ag. mit, eine sogenannte "Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft" müsse sie ablehnen. Der Ast. sei lediglich ein Bekannter von ihr, der sie vor über einem Jahr gebeten habe, für ein paar Monate bei ihr wohnen zu dürfen, da er damals wegen eines Streits mit seinem Vater habe dort ausziehen müssen. In ihrer Gutmütigkeit habe sie noch nicht einmal Miete von ihm verlangt. Die Ag. setzte eine Frist bis zum 12. November 2006, um die Vermutung durch genauere Angaben und Unterlagen zu widerlegen. Falls er seiner Mitwirkungspflicht bezüglich der Angaben zu Frau F. nicht nachkomme, könne eine Bewilligung versagt werden. Mit Bescheid vom 7. November 2006 versagte die Agentur für Arbeit R. dem Ast. die Leistung wegen fehlender Mitwirkung. Hiergegen legte der Ast. Widerspruch ein mit der Begründung, Frau F. habe die Vermutung widerlegt. Außerdem hätte es die Beklagte versäumt, ihm konkrete Angaben zur Widerlegung der Vermutung aufzuzeigen. Auch würde die Ag. in Be¬zug auf Frau F. kein Geld einsparen, da sie von einer kleinen Witwenrente leben müs¬se. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2006 wies die Agentur für Arbeit den Wider¬spruch zurück, weil die Voraussetzungen der §§ 60, 66 SGB I vorlägen und eine Versagung der Leistungen auch angemessen sei.

Am 24. November 2006 hat der Ast. beim Sozialgericht Ulm Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung "auf Auszahlung von Soziallei¬stungen nach dem Hartz-IV Gesetz" gestellt und geltend gemacht, Frau F. sei lediglich eine gute Bekannte von ihm, die ein Haus besitze, welches über zwei Stockwerke und acht Zimmer und außerdem zwei Bäder verfüge. So habe sie ihm nach dem Auszug ihrer Kinder ein Zimmer anbieten können. Erfreulicherweise verzichte sie aufgrund seiner finanziellen Lage vorerst auf Miete. Frau F. selbst verfüge nur über eine kleine Witwenrente ( 433,19 EUR), von der sie selbst kaum leben könne. Die Ag. ist dem mit Beschluss vom 1. Dezember 2006 an das örtlich zuständige Sozialgericht Kon¬stanz verwiesenen Antrag entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 19.12.2006 lehnte das Sozialgericht Konstanz (SG) den Antrag ab. In den Gründen führte es im Wesentlichen aus, dass ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch nicht gegeben seien, da das Hauptsacheverfahren für den Ast. keine Aussicht auf Erfolg habe. Nach § 7 Abs. 3a SGB II gelte zu Lasten des Ast. die Vermu¬tung, dass er mit Frau F. eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft bilde, da er mit dieser länger als ein Jahr zusammenlebe. Bislang sei es dem Ast. auch nicht gelungen, diese Vermutung zu entkräften. Zu Recht geht die Ag. davon aus, dass die bloße Behauptung von Frau F., dem sei nicht so, zur Wi¬derlegung nicht ausreiche. Der Ast. müsste insoweit konkrete Anhaltspunkte geltend machen wie beispielsweise eine (gegebenenfalls auch nach Stockwerken) getrennte Raumnut¬zung, das Vorhandensein eines anderen Lebenspartners bei Frau F. oder ihm. Die vorlie¬genden Indizien sprechen jedenfalls eher für das Gegenteil, nämlich dass sich Frau F. für den Ast. verantwortlich fühle. So stelle sie ihm über einen langen Zeitraum mietfreien Wohnraum zur Verfügung, bringe für ihn Anträge zu der Behörde und nehme seine Post entge¬gen.

Entsprechend der gesetzlichen Vermutung sei daher davon auszugehen, dass der Ast. mit Frau F. in einer "Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft" lebe. Daher seien deren hier nicht bekannten aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei der Ermittlung der Hilfebedürftigkeit des Ast. zu berücksichtigen. Im Hinblick darauf, dass Frau F. offenbar wenigstens Eigentümerin eines Hauses sei , genügten die Angaben des Ast.s, diese habe nur eine kleine Witwenrente und könne daher nicht zum Unterhalt beitragen, dem Darlegungserfordernis sicherlich nicht. Das Gericht könne hier offen lassen, wie weit die Ver¬pflichtung zur Darlegung gehe, wenn der Partner sich weigere, seine Daten offen zu legen, denn der Ast. habe insgesamt seine Obliegenheit bestritten, persönliche Daten von Frau F. mitzuteilen. Dass diese sich geweigert hätte, sei nicht ersichtlich. Hilfebedürftigkeit als wesentliche tatsächliche Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II sei damit nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht.

Gegen diesen Beschluss legte der Ast. Beschwerde eine, welche das SG nach Entscheidung über die Nichtabhilfe dem LSG Baden-Württemberg zur Entscheidung vorlegte.

In diesem Verfahren trug der Ast. - unter Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen - im Wesentlichen vor, mit Frau F. verbinde ihn außer einer gemeinsamen Adresse nicht weiteres. Es gebe keine gemeinsamen Familien, keinen gemeinsam gepflegten Bekanntenkreis, keine gemeinsamen Unternehmungen, keine gemeinsamen Kassen und kein gemeinsames Wirtschaften er habe einen Mietvertrag wonach er mtl. 270 EUR Miete bezahle. In einer eidesstattlichen Erklärung versicherte Frau F., sie unterhalte mit dem Ast. keinerlei persönliche Beziehung. Sie führten ein getrenntes Leben.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet. Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend ausgeführt. Der Senat nimmt insoweit darauf Bezug. Ergänzend ist noch auszuführen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung verlangt. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1236). Dies gilt insbesondere dann, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Ast. eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Ast. mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG, NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928). Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Ast. umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928). Der neu eingeführte § 7 Abs. 3a SGB II brachte eine Änderung bzgl. der Frage, wer das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zu beweisen hat. Danach wird ( Ziff. 1) vermutet, dass der wechselseitige Wille der Partner für einander einzustehen dann anzunehmen ist, wenn sie mehr als ein Jahr zusammenleben. Die Partner müssen also einen Negativbeweis erbringen. Dieser Beweis muss möglich sein. Es dürfen also keine so hohen Anforderungen gestellt werden, dass dieser Beweis unmöglich wird. Daher müssen auch die für die Beteiligten günstigen Umstände berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall spricht außer dem Leben in einer Wohnung nichts für die Annahme einer Einstehensgemeinschaft. Der Ast. hat von Anfang an erklärt, lediglich in einer Wohngemeinschaft zu leben. Hinweise für eine darüber hinausgehende Beziehung bestehen nicht. Der Umstand, dass Frau F. die Post entgegengenommen hat, bzw. einen Antrag für den Ast. abgegeben hat, reicht hierfür nicht aus. Die Ag. hat auch auf Grund der ersten Angaben des Ast. keine Einstehensgemeinschaft angenommen. Darüber hinaus können die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht als unglaubhaft angesehen werden. Diese sind individuell gehalten und widersprechen nicht den übrigen Anhaltspunkten der Streitsache. Auf Grund der Lebens- und Einkommenssituation von Frau F. ist es durchaus glaubhaft, dass sie nicht noch für einen weiteren Menschen einstehen will und kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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