L 13 AL 3227/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 3328/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 3227/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 23. Mai 2006 werden zurückgewiesen.

Die Beklagten hat dem Kläger ein Viertel seiner außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Entscheidungen über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 30. Juni bis 3. August 1998 sowie vom 7. September 1998 bis 18. Januar 1999 zurücknehmen und diese Leistung einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 7.217,12 EUR zur Erstattung fordern durfte.

Der 1959 geborene verheiratete Kläger türkischer Staatsangehörigkeit stand in der Bundesrepublik Deutschland vom 10. Januar 1973 bis 30. Juni 1997 in einem Arbeitsverhältnis als angelernter Gießereihelfer. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung der Arbeitgeberin vom 14. Dezember 1996 meldete sich der Kläger am 21. Februar 1997 beim damaligen Arbeitsamt (heute: Agentur für Arbeit) R. (AA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 22. Juli 1997 bewilligte das AA ab 1. Juli 1997 Alg für die Dauer von 312 Kalendertagen in Höhe von 521,40 DM wöchentlich (Bemessungsentgeld gerundet 1170; Leistungsgruppe C; Kindermerkmal 1). Nach Erschöpfung seines Anspruchs auf Alg am 29. Juni 1999 bezog der Kläger aufgrund seines Antrags vom 4. Mai 1998 bei unveränderten Berechnungsgrundlagen ab 30. Juni 1998 Alhi in Höhe von 446,46 DM wöchentlich (Ende des Bewilligungsabschnitts: 29. Juni 1999; Bewilligungsbescheid vom 12. Mai 1998). In der Zeit vom 4. August bis 6. September 1998 war der Leistungsbezug wegen ungenehmigter Ortsabwesenheit unterbrochen. Für die Leistungsunterbrechung erging ein bestandskräftiger Aufhebungsbescheid; Alhi wurde mit Bescheid vom 17. September 1998 weiterbewilligt. Im Antrag auf Alhi vom 4. Mai 1998 hatte der Kläger verneint, Vermögen in der Form von Bargeld, Bankguthaben, Wertpapieren oder Kapitallebensversicherungen zu besitzen. Auch über bebaute oder unbebaute Grundstücke sowie Eigentumswohnungen verfüge er nicht. Das vom Kläger unterzeichnete Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" vom 10. September 1998 zu seinem Antrag vom 9. September 1998 (vorgelegt anlässlich der am 7. September 1998 nach Ortsabwesenheit erfolgten Arbeitslosmeldung) enthält den Vermerk "wie bisher". Der Kläger versicherte mit seiner Unterschrift die Richtigkeit seiner Angaben, die Richtigkeit der durch das AA vorgenommenen Verbesserungen oder Ergänzungen sowie den Erhalt des Merkblatts 1 für Arbeitslose und dessen inhaltliche Kenntnisnahme.

Mit am 11. Februar 2005 bei der AA eingegangenem Schreiben vom 8. Februar 2005 teilte das Hauptzollamt S. - Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) - mit, der Kläger habe ab 18. November 1997 50.000,00 DM bei der Türkischen Nationalbank (TCMB) angelegt. Die Laufzeit habe drei Jahre betragen. Der Kläger habe im Antrag auf Alhi dementsprechend die leistungsrechtlich relevanten Fragen zu Kapitalanlagen und Zinseinkünften wahrheitswidrig verneint. Auf die Anhörungsmitteilung der AA vom 28. Juli 2005 trug der Kläger vor, das angelegte Geld sei für eine notwendige Renovierung seiner Wohnung und zur Finanzierung der Hochzeiten zweier Töchter vorgesehen gewesen. Mit Bescheid vom 21. September 2005 nahm die AA die Entscheidungen über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 30. Juni bis 3. August 1998 sowie vom 7. September 1998 bis 18. Januar 1999 zurück und forderte vom Kläger 5.518,67 EUR überzahlte Alhi zuzüglich Beiträgen zur Krankenversicherung (1.502,03 EUR) und Pflegeversicherung (196,42 EUR) zur Erstattung. Wegen der bei der türkischen Nationalbank bestehenden als Vermögen verwertbaren Spareinlagen von 50.000,- DM (25.564,59 EUR) sei der Kläger bis mindestens 18. Januar 1999 nicht bedürftig gewesen. Der Kläger habe vorsätzlich, zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht, indem er die Spareinlagen verschwiegen habe. Die Bewilligungen seien deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen gewesen; die erbrachten Leistungen einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung müsse der Kläger erstatten. Den hiergegen seitens des Klägers am 17. Oktober 2005 erhobenen und nicht näher begründeten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der AA mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2005 zurück.

Auf die am 20. Dezember 2005 beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage hat dieses mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2006 den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2005 insoweit aufgehoben, als darin die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 1.698,45 EUR verfügt worden ist. Im übrigen hat das SG die Klage abgewiesen; wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des der Beklagten am 31. Mai 2006 und den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Juni 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 26. Juni 2006 und der Kläger am 4. Juli 2006 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, das SG habe den mit der Klage angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu Unrecht teilweise aufgehoben. Die Rückforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung könne auch nach dem 1. Januar 2005 auf § 335 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützt werden. Die Streichung der Alhi aus dem Text dieser Norm sei auf ein gesetzgeberisches Versehen zurückzuführen. Die entstandenen planwidrige Gesetzeslücke müsse im Wege der Analogie geschlossen werden. Im Übrigen seien das angegriffene Urteil und ihre Bescheide zutreffend.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 23. Mai 2006 abzuändern, die Klage abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 23. Mai 2006 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2005 insgesamt aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, er habe im Zeitpunkt des Antrags auf Alhi nicht nur über das in der Türkei angelegte Sparvermögen in Höhe von 50.000,00 DM verfügt, sondern auch Schulden in etwa gleicher Höhe gehabt. Diese Schulden seien im Zuge der Finanzierung der ihm und seiner Ehefrau gehörenden selbstgenutzten Eigentumswohnung entstanden. Diese sei ca. zehn Jahre vorher zum Preis von 80.000,00 EUR erworben worden. Zum Nachweis einer am 31. Dezember 1998 bestehenden Verbindlichkeit in Höhe von insgesamt 49.922,81 EUR legt der Kläger das Schreiben der Allgemeinen Hypothekenbank R. AG vom 28. Juli 2006 vor.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG (S 9 AL 3328/05) und die Berufungsakten (L 13 AL 3227/06) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Weder die Berufung der Beklagten, noch diejenige des Klägers hat Erfolg.

1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist unter Beachtung der Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt und statthaft (vgl. § 143 SGG), da die in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGG aufgeführten Berufungsbeschränkungen nicht eingreifen. Die Berufung ist jedoch unbegründet; das SG hat den Bescheid vom 21. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2005 zu Recht aufgehoben, soweit die Beklagte vom Kläger die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 1.698,45 EUR verlangt hat.

Gegenstand der (isolierten) Anfechtungsklage ist der die Zurücknahme der Entscheidungen über die Bewilligung von Alhi in der Zeit vom 30. Juni bis 3. August 1998 sowie vom 7. September 1998 bis 18. Januar 1999 einschließlich der Erstattung von Alhi und der Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung in Höhe von 7.217,12 EUR verfügende Bescheid vom 21. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2005. Dieser erweist sich, soweit die Beklagte die Verpflichtung des Klägers zur Erstattung von Beiträgen zur Krankenversicherung in Höhe von 1.502,03 EUR und von Beiträgen zur Pflegeversicherung in Höhe von 196,42 EUR verfügt hat, als rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in subjektiven Rechten. Zwar hat im streitgegenständlichen Zeitraum ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis nicht bestanden. Darüber hinaus hat die Beklagte auch die Höhe der Erstattungsforderung ausgehend von den nach den Zahlungsnachweisen erbrachten Leistungen sowie der dort ausgewiesenen richtigen Beitragssätze zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung gemäß der Berechnung auf Seite 123 bis 125 der Verwaltungsakte, die der Senat sich zu eigen macht, zutreffend berechnet. Gleichwohl fehlt es aber für den von der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch an der erforderlichen Rechtsgrundlage. § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 SGB III in der hier allein in Betracht kommenden, seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung bietet eine solche nicht, denn § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 SGB III sieht in dieser Fassung eine Erstattungspflicht von Beziehern von Alhi, deren Bewilligungsentscheidungen rückwirkend aufgehoben worden sind, hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr vor.

Auch eine erweiternde oder analoge Anwendung des § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 SGB III scheidet aus. Zweifelhaft erscheint bereits, ob nach Neufassung der Norm mit Wirkung zum 1. Januar 2005 von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist. Denn zum 1. Januar 2005 ist nicht nur die Alhi, sondern auch das Unterhaltsgeld (Uhg) weggefallen. Gleichwohl sieht § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 SGB III auch in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung noch eine Pflicht zur Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für den Fall der rückwirkenden Aufhebung und Rückforderung von Uhg vor. Es erscheint sehr weitgehend, anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Weitergeltung des § 335 SGB III im Hinblick auf einen unrechtmäßigen Bezug von Uhg erkannt, diese bezüglich des praxisrelevanteren unrechtmäßigen Bezugs von Alhi aber übersehen haben soll (vgl. dazu Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III, § 335, Rdnr. 37). Jedenfalls scheitert eine analoge oder erweiternde Anwendung des § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 SGB III vorliegend aber an dem in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und in den Grundrechten verfassungsrechtlich verankerten sowie in § 31 SGB I konkretisierten Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. Dieser bedeutet, dass Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers einer gesetzlichen Grundlage bedürfen; derartige Eingriffe darf die Verwaltung also nicht von sich aus vornehmen, sondern nur in Anwendung eines dazu berechtigenden Gesetzes. Die (hier betroffene) Eingriffsverwaltung ist also strikt gesetzesgebunden, und zwar nicht nur in dem Sinn, dass die Eingriffsverwaltung wie jede Verwaltung nicht gegen das Gesetz handeln darf, sondern auch in dem Sinn, dass ihr Handeln nur mit dem Gesetz möglich ist (v. Münch in Erichsen/Martens, Allg. VerwR, 9 ... Aufl., S. 34 m.w.N.; unter Hinweis auf das sog. Geltungszeitraumprinzip im Ergebnis ebenso Leitherer, a.a.O.). Dass die frühere gesetzliche Erstattungsforderung bzgl. der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei überzahlter Arbeitslosenhilfe einen Grundrechtseingriff mindestens in Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ein solcher Grundrechtseingriff muss als Rechtfertigung eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage haben. Die schließt es im vorliegenden Fall aus, die ausdrückliche Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber so zu behandeln, als wäre sie nicht erfolgt (Landessozialgericht (LSG) Nordrhein Westfalen, Urteil vom 31. Januar 2007 - L 12 AL 121/06 - veröffentlicht in JURIS, nicht rechtskräftig; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 15. Dezember 2006 - L 12 AL 3541/06 und L 12 AL 3427/06 - letzteres veröffentlicht in JURIS)

2. Die selbständige Anschlussberufung des Klägers ist ebenfalls statthaft, da die Beschwer auch für diesen 500 EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und, weil unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt, auch im übrigen zulässig. Auch die Berufung des Klägers hat jedoch in der Sache keinen Erfolg; soweit er sich mit der (isolierten) Anfechtungsklage gegen die Zurücknahme der Bewilligung von Alhi und die Pflicht zur Erstattung von in der Zeit vom 30. Juni bis 3. August 1998 sowie vom 7. September 1998 bis 18. Januar 1999 bezogener Alhi in Höhe von 5.518,67 EUR wendet, hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Insoweit erweist sich der Bescheid vom 21. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2005 als rechtmäßig und den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzend.

Verfahrensrechtliche Grundlage für die verfügte (teilweise) Zurücknahme der dem Kläger Alhi bewilligenden Bescheide vom 12. Mai 1998 und vom 17. September 1998 ist die Bestimmung des § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), welche seit 1. Januar 1998 in der Modifizierung durch § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) anzuwenden ist. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er von Anfang an rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X u. a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser nach der zwingenden Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ohne dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre.

Der Bescheid vom 12. Mai 1998 (Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 30. Juni bis 3. August 1998) ist insgesamt rechtswidrig, der Bewilligungsbescheid vom 17. September 1998 betreffend die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 7. September 1998 bis 18. Januar 1999. Dem Kläger stand nämlich für diese Zeiträume keine Alhi zu. Voraussetzung für die Gewährung dieser Leistung war, dass der Arbeitslose bedürftig ist (§ 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III in der seit 1. Januar 1998 geltenden Fassung). Der Arbeitslose ist bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 194 SGB III zu berücksichtigen ist, die Alhi nach § 195 SGB III nicht erreicht (§ 193 Abs. 1 SGB III); er ist ferner nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt ist (§ 193 Abs. 2 SGB III). Unter welchen Voraussetzungen die Gewährung von Alhi mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse offenbar nicht gerechtfertigt ist, konkretisieren für die Zeit bis 31. Dezember 2001 die §§ 6 ff. der auf der Ermächtigungsgrundlage in § 137 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw. § 206 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB III erlassenen Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1929).

Am 30. Juni 1998 waren, ebenso wie am 7. September 1998, mit Ausnahme der Bedürftigkeit alle Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung von Alhi erfüllt. Die Bedürftigkeit war zu verneinen, weil der Kläger damals über Vermögen in Höhe von 50.000,- DM verfügte. In dieser Höhe hatte er Geld bei der TCMB als Festgeld vom 18. November 1997 bis 17. November 2000 angelegt. Unter Abzug der Freibeträge für ihn und seine nicht dauernd getrennt lebende Ehefrau von jeweils 8.000,- DM war das Geldvermögen in Höhe von 34.000,- DM grundsätzlich zu berücksichtigen (vgl. § 1 Abs. 1 AlhiV). Denn dieses Vermögen war verwertbar, weil es jederzeit übertragen oder belastet werden konnte und der Kläger als Vermögensinhaber keinen Verfügungsbeschränkungen unterlag (§ 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AlhiV). Die Verwertung war auch zumutbar, weil weder ein die Zumutbarkeit negativ konkretisierender Regeltatbestand in § 6 Abs. 2 Satz 2 AlhiV noch die Generalklausel des § 6 Abs. 2 Satz 1 AlhiV erfüllt war. Soweit der Kläger - insoweit auch nicht durch beweiskräftige Tatsachen untermauert - geltend gemacht hat, das bei der TCMB angelegte Festgeld sei für die Finanzierung der Hochzeiten seiner beiden Töchter, die nach türkischer Sitte von den Brauteltern zu bestreiten seien, bestimmt und zum Teil auch verwendet worden, steht dies der Verwertbarkeit des Vermögens nicht entgegen. Das Gleiche gilt, soweit der Kläger sich darauf beruft, das Geld im übrigen für die Renovierung der ihm und seiner Ehefrau gehörenden (bei Antragstellung ebenfalls nicht angegebenen) Eigentumswohnung vorgesehen zu haben. Letztlich stehen auch die vom Kläger erstmals im Berufungsverfahren belegten Verbindlichkeit bei der Allgemeinen Hypothekenbank R. AG in Höhe von insgesamt 49.922,81 EUR (am 31. Dezember 1998) der Verwertbarkeit des bei der TCMB angelegten Festgelds nicht entgegen. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass diese Verbindlichkeiten offenbar im Rahmen der Finanzierung der vom Kläger und seiner Ehefrau erworbenen (selbstgenutzten) Eigentumswohnung, deren Wert angesichts des Kaufpreises von 80.000,00 DM die am 31. Dezember 1998 bestehenden Verbindlichkeiten deutlich überstieg. Eine Saldierung der zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht zur Rückzahlung fälligen Verbindlichkeiten bei der Allgemeinen Hypothekenbank R. AG mit dem bei der TCMB angelegten Festgeld kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht. Da sich die Höhe der Alhi nach einem schon zuletzt dem Alg zugrundeliegenden richtigen Arbeitsentgelt von 1.170,00 DM richtete, war nach der die Dauer der Berücksichtigung festlegenden Bestimmung des § 9 AlhiV für 29 Wochen (34.000: 1.170), mithin vom 30. Juni bis 3. August 1998 und vom 7. September 1998 bis 18. Januar 1999 die Bedürftigkeit zu verneinen.

Die Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Die Bewilligungsbescheide beruhen auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger hat die in beiden, den objektiven Umfang seiner Mitteilungspflicht festlegenden Anträgen auf Alhi vom 4. Mai 1998 und vom 7. September 1998 (nebst Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" vom 9. September 1998) enthaltene Frage, ob er oder seine Ehefrau Vermögen in der Form von Bankguthaben besitzen, zu Unrecht verneint. Diese Angabe war, weil solche Bankguthaben bestanden, falsch. Zur Überzeugung des Senats wusste der Kläger auch, dass diese Angabe unrichtig war; denn ihm war die Existenz der Festgeldanlagen bekannt. Der Kläger nahm die Unrichtigkeit auch billigend in Kauf, denn ihm war bekannt, dass die Alhi einkommens- und vermögensabhängig ist und Vermögen in dieser Größenordnung den Anspruch auf die Leistung ausschließen kann. Die Abhängigkeit der Alhi von Einkommen und Vermögen ist arbeitslosen Leistungsbeziehern nämlich regelmäßig bekannt. Zur Überzeugung des Senats wusste dies auch der Kläger. In jedem Fall ist das Verhalten des Klägers aber grob fahrlässig gewesen. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich überschreitet; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Bundessozialgericht (BSG) BSGE 42, 184, 187; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273). Vorliegend findet sich zunächst keinerlei Anhalt, dass die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit des Klägers eingeschränkt war. Auch die Fragestellung in den Anträgen auf Alhi war vollkommen eindeutig und klar. Sie ließ auch nicht den geringsten Raum für Interpretationen; insbesondere konnte nicht angenommen werden, dass Bankguthaben bei in Deutschland oder in der Türkei residierenden türkischen Banken nicht angegeben werden müssen (vgl. Senatsurteil vom 31. Mai 2005 – L 13 AL 348/05 – veröffentlicht in JURIS). Dass beim Kläger eine solche abwegige Fehlvorstellung bestanden haben könnte, hat er selbst nicht behauptet. Sie wäre, wenn sie sich der Kläger gleichwohl zurechtgelegt haben sollte, in jedem Fall grob fahrlässig gewesen und dem Kläger hätte sich aufdrängen müssen, diesbezüglich bei der Beklagten Rückfrage zu halten (vgl. BSG, Urteil vom 9. September 1998 - B 13 RJ 41/97 R - veröffentlicht in JURIS; BSG, Urteil vom 15. Oktober 1998 - B 14 KG 1/98 R -, ebenfalls veröffentlicht in JURIS), zumal sich diesbezügliche Zweifel auch nicht aus dem ihm zur Überzeugung des Senats bereits bei der erstmaligen Arbeitslosmeldung am 21. Februar 1997 ausgehändigten Merkblatt ergeben konnten. Diesem war zu entnehmen (vgl. z. B. S. 40 des Merkblatts 1 Ausgabe April 1996), dass die Bewilligung von Alhi von der Bedürftigkeit abhängt und bei der Bedürftigkeitsprüfung eigenes Vermögen sowie Vermögen des mit dem Arbeitslosen zusammenlebenden Ehegatten berücksichtigt wird, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zugemutet werden kann und den Freibetrag von 8.000,- DM übersteigt. Wenn der Kläger angesichts der eindeutigen Fragen und Hinweise die Festgeldanlagen bei der türkischen Nationalbank verschwiegen hat, hat er grob fahrlässig gehandelt. Der Kläger vermag sich auch nicht damit zu entlasten, dass er geltend macht, er sei von den die Anträge für ihn ausfüllenden Drittpersonen weder nach seinem in der Türkei befindlichen Vermögen gefragt und auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass er auch Vermögen im Ausland angeben müsse. Zunächst steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger die Antragsvordrucke selbst ausgefüllt hat oder Dritte auf seine Angaben hin den Vordruck ausgefüllt haben. Etwas anderes hat er auch nicht geltend gemacht; es wäre im übrigen auch nicht zu glauben. Stets hat der Kläger unterschriftlich versichert, dass seine Angaben zutreffen. Auch der Hinweis, er sei der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig und habe die Frage nach Vermögen im Antragsvordruck und die Ausführungen im Merkblatt nicht verstehen können, vermag ihn nicht zu entschuldigen. Für die Frage, ob Vermögen in Gestalt von Bargeld oder Bankguthaben vorhanden ist, bedarf es keiner besonderen Sprachkenntnisse. Diese Frage zu verstehen, war der immerhin über 24 Jahre in Deutschland bei einem deutschen Arbeitgeber beschäftigt gewesene und hier lebende Kläger in der Lage, zumal er auch andere Mitteilungspflichten gekannt hat, wie seine Informationen zu Urlaub, Krankheit, u. ä. belegen. Im übrigen wäre, da die Amtssprache deutsch ist (vgl. § 19 Abs. 1 SGB X), der Kläger gehalten gewesen, sich Klarheit über den Inhalt des Formantrags und des Merkblattes zu verschaffen, beispielsweise mit Hilfe einer der deutschen und türkischen Sprache mächtigen Person (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 - veröffentlicht in JURIS). Dass das Verschweigen der Festgeldanlagen zu den fehlerhaften Bewilligungen beigetragen hat und diese darauf beruhen, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein und steht fest (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 1989 - 7 RAr 62/87 - in DBlR 3498a AFG/§ 137; BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 15).

Die Rücknahme ist auch unter Einhaltung der Frist von zehn Jahren seit Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidungen verfügt worden (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X).

Ebenfalls eingehalten ist die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, nachdem die Beklagte erstmals am 11. Februar 2005 von den Festgeldanlagen erfahren hatte, der Kläger nach Ermittlungen zur Rücknahme und Erstattung mit Schreiben vom 28. Juli 2005 angehört worden war und der Rücknahmebescheid bereits am 21. September 2005 erging.

Die Rechtmäßigkeit der Erstattung der Alhi beruht auf § 50 Abs. 1 SGB X; die Höhe der Erstattungsforderung ist zutreffend berechnet.

Für die Beklagte war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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