L 2 R 1815/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3844/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1815/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. März 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) hat.

Die 1920 in T (S Republik) geborene jüdische Klägerin hielt sich von November 1943 bis Oktober 1944 im Lager S/S auf, bevor sie im Oktober 1944 (bis Februar 1945) ins KZ Auschwitz transportiert wurde. Nach Beendigung des Krieges lebte sie bis 1968 in der T und siedelte mit ihrem (zweiten) Ehemann am 21. August 1968 in die S über, deren Staatsangehörigkeit sie besitzt. Sie bezieht zusammen mit ihrem Ehemann von der s Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) eine monatliche Ehepaar-Altersrente in Höhe von 1.645,- SFr (März 1999); daneben erhält sie nach ihren Angaben eine "tschechische Rente" in Höhe von ca. 78,- EUR. Ihr Ehemann erhielt (für das Jahr 1999) aus der Pensionskasse der H-L R AG eine monatliche Rentenleistung in Höhe von 4.682,- SFr. Entsprechend dem Bescheid vom 23. Januar 1975 (Az.: 56. II -2 -783 006) wies der Regierungspräsident K den Antrag der Klägerin auf Entschädigung für Schaden an - Körper oder Gesundheit - Freiheit - im beruflichen Fortkommen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) ab. Nach ihren Angaben erhielt sie jedoch aus dem Härtefonds der C Conference eine einmalige Zahlung in Höhe von 5.000,- DM.

Am 2. Mai 2003 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Altersrente unter Anwendung des ZRBG. In dem ihr übersandten Fragebogen gab die Klägerin unter dem 17. November 2003 an, sie habe innerhalb des "Ghetto S - S" von November 1943 bis Oktober 1944 eine Beschäftigung als Näherin - vermittelt durch den Lagerkommandanten - ausgeübt. Sie sei auf dem Weg von und zur Arbeit und während der Arbeit bewacht worden, habe täglich 10 Stunden gearbeitet und dafür keinen Barlohn, sondern Sachbezüge ("Lebensmittel - Bett") erhalten. Mit Bescheid vom 26. Februar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die territorialen Voraussetzungen des ZRBG nicht erfüllt seien: Das Lager S habe weder in einem Gebiet gelegen, das dem Deutschen Reich eingegliedert, noch von ihm besetzt gewesen sei. Den Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die S sei nach dem Aufstand im August 1944 von den Deutschen besetzt gewesen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2004 zurück: Die S habe zu den verbündeten Staaten des ehemaligen Deutschen Reichs gehört. Dieser Status sei auch nach August 1944 unberührt geblieben, als durch den Einmarsch der Roten Armee die S zum Kampfgebiet geworden sei. Darüber hinaus sei S ein Arbeits- und Konzentrationslager gewesen, in dem die Klägerin als Zwangsarbeiterin eingesetzt gewesen sei. Zwangsarbeiten seien unfreiwillige, vom ZRBG nicht erfasste Arbeitsleistungen.

Mit der am 10. September 2004 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zusätzlich hat sie vorgetragen, die Bezeichnung Arbeitslager in der historischen Literatur sei nicht entscheidend, ausschlaggebend seien allein die tatsächlichen Verhältnisse. In S sei ein Judenrat tätig geworden, der auch der Klägerin die Arbeit, für die sie drei tägliche Mahlzeiten und zusätzlich Lebensmittel erhielt, vermittelt habe. Die Klägerin habe auch zwischen verschiedenen Arbeiten wählen können. Ferner habe es Schule, Krankenhaus, Leichtathletikfeld und sogar Schwimmbad gegeben und es sei ein Kulturprogramm mit Sprachkursen, Theateraufführungen und Lesungen entwickelt worden. Hierzu hat die Klägerin einen Bericht des Dr. E N vorgelegt. Das SG hat eine Abhandlung über die S in der Yad Vashem The Holocaust Martyrs and Heroes Remembrance Authority und einen Artikel der Jewisch Virtual Library über S aus der Enzyklopädie des Holocaust von Israel Gutmann, New York 1995, sowie einen Aufsatz mit dem Titel "Die Slowakei unter Tiso - ein ‚Musterstaat’ Hitlers" von Jana Müller, veröffentlicht in Zeitschrift des Vereins Widerstands Museum Ebensee, Nr. 46 November 1999, beigezogen. Mit Urteil vom 8. März 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, das Gebiet der S, in dem sich das Lager S befunden hat, sei weder dem Deutschen Reich eingegliedert gewesen, noch von dem Deutschen Reich besetzt gewesen. Auch im Zuge des Volksaufstands im Sommer 1944 sei die S nicht vom Deutschen Reich besetzt worden, sondern habe ihren Status als unabhängiger Staat behalten. Ungeachtet dessen komme die Anrechnung der Zeit von November 1943 bis Oktober 1944 als Beitragszeit nicht in Betracht, weil es sich bei dem Lager S nicht um ein Ghetto, sondern um ein Arbeitslager gehandelt habe, wie aus der Stellungnahme des von der Klägerin vorgelegten Bericht des Dr. N hervorgehe. Zudem fehle es an den Erfordernissen der Freiwilligkeit und der Entgeltlichkeit der von der Klägerin ausgeübten Beschäftigung.

Gegen das am 7. April 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Mai 2005 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie an ihrem Begehren festgehalten und zur Frage der Besetzung der S durch das Deutsche Reich eine Stellungnahme von Dr. K H vorgelegt hat, nach deren Auffassung von einer deutschen Besetzung der S ausgegangen werden müsse.

Die Klägerin beantragt - sinngemäß - ,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. März 2005 und den Bescheid vom 26. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juli 1997 Altersrente gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung, über die der Senat nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Klägerin stehen monatliche Ansprüche aus einem Recht auf Rente gegen die Beklagte nicht zu.

Streitgegenstand ist der mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) angefochtene Bescheid vom 26. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2004, mit dem die Beklagte die ab 1. Juli 1997 begehrten Rentenleistungen unter Zugrundelegung der Bestimmungen des ZRBG abgelehnt hat.

Grundvoraussetzung für die Anwendung des ZRBG ist - wie das BSG in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 29/06 R - (veröffentlicht in Juris) ausgeführt hat -, dass die Klägerin vom zeitlichen und räumlichen Geltungsbereich sowie vom persönlichen Anwendungsbereich des ZRBG erfasst ist. Das ist vorliegend gegeben. Der zeitliche Geltungsbereich beginnt mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1997; das Begehren der Klägerin wird von ihm erfasst. Sie unterliegt auch dem räumlichen Geltungsbereich des ZRBG (s. hierzu BSG, aaO, Rdnr. 58 bis 61), weil sie als Schweizer Staatsangehörige mit Aufenthalt in der Schweiz bei der Anwendung deutscher rentenversicherungsrechtlicher Vorschriften (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1a) durch Art. 4a (Gebietsgleichstellung für Leistungsansprüche) des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit einem Deutschen mit Inlandsaufenthalt gleichgestellt ist. Schließlich wird die Klägerin auch vom persönlichen Anwendungsbereich des ZRBG erfasst, denn sie ist als Jüdin aus Gründen der Rasse Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden.

Gleichwohl erfüllt die Klägerin nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 ZRBG. Dieser erfordert, dass der/die Verfolgte 1) sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, 2) eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und gegen Entgelt ausgeübt wurde, 3) das Ghetto in einem Gebiet lag, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war und 4) für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Ob "S" als Konzentrations- und (Zwangs-)Arbeitslager oder als Ghetto (s. hierzu BSG, aaO, Rdnr. 84/85) zu qualifizieren ist, ob die von der Klägerin ausgeübte Beschäftigung als Näherin aus eigenem Willensentschluss (s. hierzu BSG, aaO, Rdnr. 100 bis 103) zustande gekommen ist und ob "Sered" sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war (s. hierzu BSG, aaO, Rdnr. 86 ff; 93 ff) lässt der Senat offen. Denn zur Überzeugung des Senats hat eine Beschäftigung gegen Entgelt im streitigen Zeitraum von November 1943 bis Oktober 1944 nicht vorgelegen. Zu diesem Tatbestandsmerkmal hat das BSG in seiner obengenannten Entscheidung ausgeführt, "die Beschäftigung muss nach § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG gegen "Entgelt" ausgeübt worden sein. Auch dieser Rechtsbegriff des ZRBG ist weit zu fassen. Er knüpft gemäß der Zielsetzung des ZRBG an das heutige Verständnis an. Nach dem heute geltenden § 14 Abs 1 SGB IV fallen unter den Begriff "Entgelt" (Arbeitsentgelt; Vergütung) alle Einnahmen, die in einem unmittelbaren (synallagmatischen) oder mittelbaren (inneren, sachlichen) Zusammenhang mit der geleisteten Arbeit (Tätigkeit) stehen (zu § 14 Abs 1 SGB IV: BSG SozR 4-8570 § 8 Nr 1 RdNr 12). Für die Qualifizierung als "Entgelt" kommt es nicht auf die Art oder Höhe, auch nicht auf die Angemessenheit oder gar auf eine "Gerechtigkeit" der Vergütung an. Entscheidend ist nur, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit (Tätigkeit) und nicht aus anderen Gründen erfolgte. Unerheblich ist auch, in welcher Form die Einnahmen bezogen wurden; es können - wie auch bereits nach dem im streitigen Zeitraum geltenden § 160 RVO - Geldbezüge oder Sachbezüge sein." Nach Auffassung des 4. Senats setzt daher das ZRBG nicht voraus, dass eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist. Diese Interpretation steht im Gegensatz zu den - allerdings nicht tragenden Gründen - der Entscheidung des 13. Senats vom 7. Oktober 2004 - B 13 RJ 59/03 R - (auf die sich das SG noch gestützt hat), in der im Hinblick auf eine notwendige Abgrenzung zwischen nicht versicherungspflichtiger Zwangsarbeit und versicherungspflichtiger Beschäftigung dargelegt ist, dass auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, die für eine (versicherungspflichtige) Beschäftigung bestimmenden Merkmale Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit vorliegen müssen. Der Senat lässt offen, welcher Auffassung der Vorrang zu geben ist. Denn auch nach der "weiten" Interpretation des 4. Senats ist im vorliegenden Fall das Merkmal der Entgeltlichkeit nicht glaubhaft gemacht worden. Im Fragebogen vom 17. November 2003 hat die Klägerin angegeben, keinen Barlohn, sondern "Lebensmitte l- Bett" erhalten zu haben. Im Klageverfahren (Schriftsatz vom 10. September 2004) hat ihr Prozessbevollmächtigter vorgetragen, die Klägerin habe "3 tägliche Mahlzeiten und zusätzliche Lebensmittel" erhalten. Dass diese Zuwendungen - wie der 4. Senat es verlangt - tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit und nicht aus anderen Gründen erfolgte, ist den Angaben der Klägerin nicht zu entnehmen; auf Grund der damaligen herrschenden politischen Verhältnisse in der S, die - der nationalsozialistischen Ideologie folgend - aus rassischen Gründen die konsequente Entrechtung der jüdischen Bevölkerung betrieb, spricht objektiv nichts dafür, dass in den für die jüdische Bevölkerung eingerichteten Lagern, zu denen S zählte, die arbeitenden Insassen Zuwendungen (Lebensmittel - Bett) erhielten, weil sie arbeiteten, also als Entgelt für ihre Arbeit. Denn alle Lagerinsassen, auch Kranke, alte Menschen und Kinder, bekamen - soweit und solange es den politisch Verantwortlichen opportun erschien - zum Erhalt ihrer physischen Existenz Essen und Unterkunft. Die Situation der Klägerin, die gearbeitet hat, hat sich deshalb nicht von der aller anderen Lagerinsassen unterschieden. Die Zuwendungen, die sie erhielt, ergaben sich logischerweise aus der Tatsache, dass sie in S festgehalten wurde. Damit kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) ZRBG nicht erfüllt ist.

Im Hinblick hierauf braucht der Senat nicht mehr zu prüfen, ob die hier geltend gemachte Zeit bei der Tschechischen Rente der Klägerin berücksichtigt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzunge für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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