L 11 R 1420/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 847/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1420/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme der Bewilligung von Altersrente mit Wirkung für die Zukunft.

Die 1926 geborene Klägerin siedelte am 07.11.1993 aus K. in die Bundesrepublik Deutschland über. Ihr Ehemann bezieht als anerkannter Spätaussiedler Rente nach Maßgabe des Fremdrentengesetzes (FRG). Die Klägerin selbst ist ausweislich des Bescheides des Landratsamts S. vom 09.05.1995 Ehegatte eines Spätaussiedlers.

Am 24.11.1993 beantragte die Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt S., Rechtsvorgängerin der Beklagten, Regelaltersrente, worauf die Beklagte zunächst am 03.11.1994 einen Rentenbescheid, der nicht an die Klägerin abgesandt wurde, erstellte. In der Folge tätigte die Beklagte weitere Ermittlungen und bewilligte der Klägerin schließlich nach Vorlage einer Bestätigung des Landratsamts T. vom 20.07.1994, dass die Klägerin die Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) beantragt hat, die Bearbeitung jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehme, und der Erklärung der Klägerin vom 11.01.1995, dass ihr der Vertriebenenausweis noch nicht vorliege und sie ihn unverzüglich nach Erhalt an die Beklagte weiterleite, mit Rentenbescheid vom 23.01.1995 Regelaltersrente ab dem 07.11.1993 in Höhe von 788,08 DM. Der Bescheid enthält folgenden Zusatz:

"Die Rente wird unter Vorbehalt gezahlt, da der Bundesvertriebenenausweis noch nicht vorliegt. Senden Sie uns diesen zu, sobald Sie im Besitz dessen sind. Sollten Sie uns den Ausweis nicht vorlegen, werden wir die Rente neu berechnen und überzahlte Beträge zurückfordern."

Im weiteren Verlauf erfolgten neben Rentenanpassungen "Neuberechnungen" der Rente mit Bescheiden vom 15.07.2002 und 17.10.2005. Mit Bescheid vom 09.06.2004 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin auf Neufeststellung der Rente unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit ab. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2004 zurückgewiesen. Die daraufhin erhobene Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG), die unter dem Aktenzeichen S 8 R 2274/04 geführt wurde, nahm die Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 15.09.2005 und 07.10.2005 forderte die Beklagte die Klägerin auf, den Bundesvertriebenenausweis vorzulegen.

Hierauf teilte die Klägerin mit, dass der Vertriebenenausweis nicht übersandt werden könne, da er nicht auffindbar sei.

Die Beklagte bat daraufhin um Zusendung eines Ersatzes, worauf die Klägerin den Bescheid des Landratsamts S. vom 09.05.1995, wonach sie Ehegatte eines Spätaussiedlers ist, übersandte. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass die Rente ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen rechtskräftigen Rentenfeststellungsbescheids vom 09.11.1994 (richtig: 03.11.1994) bindend festgestellt worden sei. Nach §§ 45 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sei eine Rücknahme nicht mehr möglich. Der erteilte Vorbehalt sei rechtlich ohne Belang, da er durch die Rentenanpassungsbescheide aufgehoben worden sei.

Im Wege der Anhörung teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie - die Klägerin - als Ehegatte eines Spätaussiedlers keine Berechtigung nach dem FRG besitze. Ohne Zeiten nach dem FRG habe sie keinen Rentenanspruch. In Ausübung des Ermessens und unter Würdigung der Gesamtumstände sei beabsichtigt, den Bescheid vom 23.01.1995 in Verbindung mit den Folgebescheiden für die Zukunft ab 01.02.2006 zurückzunehmen und die Rentenzahlung zum 31.01.2006 einzustellen.

Die Klägerin wies hierauf ergänzend noch darauf hin, dass der Vorbehalt keine Wirkung habe entfalten können, da er nicht habe erfüllt werden können. Zu diesem Zeitpunkt seien nur noch Spätaussiedlerbescheinigungen, keine Vertriebenenausweise mehr, erteilt worden.

Mit Bescheid vom 04.01.2006 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 23.01.1995 in Verbindung mit allen Folgebescheiden nach § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft ab 01.02.2006 zurück und stellte die Rentenzahlung zum 31.01.2006 ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Bescheide nach § 45 SGB X zurückgenommen werden könnten. Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Bescheides sei nicht schutzwürdig. Die Rentenbewilligung sei ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass der Vertriebenenausweis sofort nach Erhalt vorgelegt werde, erteilt worden. Der Vorbehalt sei durch die Anpassungsbescheide nicht aufgehoben worden. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 11.01.1995 die Vorlage zugesichert. Der Klägerin sei bekannt gewesen, um welche Bescheinigung es sich bei der Forderung bezüglich des Vertriebenenausweises gehandelt habe. Sie habe auch gewusst, dass die Rente neu berechnet werde, falls der Ausweis nicht vorgelegt werden könne oder die Berechtigung nach dem FRG nicht bestehe. Mit Bescheid vom 09.05.1995 sei bindend festgestellt, dass die Klägerin nur Ehegatte eines Spätaussiedlers sei. Dieser Personenkreis besitze keine Berechtigung nach dem FRG. Der Zusicherung, den Vertriebenenausweis unverzüglich nach Erhalt vorzulegen, sei die Klägerin nicht nachgekommen. Sie habe den Ausweis erst am 13.11.2005 nach mehrmaliger und nachdrücklicher Aufforderung durch sie - die Beklagte - übersandt. Ohne die Zeiten nach dem FRG sei die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt. Ein Rentenanspruch bestehe nicht. Die Rente sei somit bisher ohne Rechtsgrund bezahlt worden. Die gesetzlichen Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X für die Rücknahme seien nicht abgelaufen. Da davon ausgegangen werde, dass die Rentenleistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts aufgebraucht seien, würden in Ausübung des Ermessens und unter Würdigung der Gesamtumstände die Bescheide nur für die Zukunft ab 01.02.2006 zurückgenommen und die Rentenzahlung zum 31.01.2006 eingestellt.

Zur Begründung des dagegen erhobenen Widerspruchs verwies die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend führte sie aus, durch den Vorbehalt im Bescheid sei der Zeitpunkt der Bösgläubigkeit auf den 09.05.1995 ausgedehnt worden. Bei hinreichender Sorgfalt hätte die Klägerin wissen können und müssen, dass ihr die bewilligte Leistung der Rentenversicherung zu Unrecht gewährt worden sei. Im Rahmen der Prüfung des Ermessens sei auch zu berücksichtigen, dass die LVA S. die Klägerin über einen größeren Zeitraum nicht daran erinnert habe, den Ausweis vorzulegen und die Klägerin nicht in der Lage sei, die eingetretene Überzahlung der Rente zu erstatten. Allein die Tatsache, dass die Rücknahme zu wirtschaftlichen Härten führen könne, rechtfertige noch nicht, von der Rücknahme gänzlich abzusehen. Die Rücknahme sei vor Ablauf der vom Gesetzgeber eingeräumten Ausschlussfristen (§ 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X) erfolgt. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X sei gegenüber dem Bescheidempfänger der Verwaltungsakt grundsätzlich innerhalb von zehn Jahren seit seinem Erlass rücknehmbar. Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X entfalle die zeitliche Rücknahmeschranke jedoch in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Damit könne der Verwaltungsakt vom 23.01.1995 auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden. Auch die in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X vorgesehene zeitliche Grenze von einem Jahr seit Kenntnis der rechtserheblichen Tatsachen - hier der Zeitpunkt der Vorlage der Spätaussiedlerbescheinigung am 13.11.2005 - sei eingehalten. Soweit sich die Klägerin auf einen Bescheid ohne Vorbehalt vom 03.11.1994 berufe, sei festzustellen, dass ein Bescheid mit diesem Datum nicht an die Klägerin versandt worden sei. Insoweit sei ohne Belang, ob dieser, ausschließlich für die Verwaltungsakte bestimmte Druck, einen entsprechenden Vorbehalt enthalte.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum SG. Zur Begründung trug sie vor, die Rücknahme stelle für sie, im Alter von nunmehr fast 80, eine unzumutbare Härte dar. Nach fast 13 Jahren Rentenbezug seien sämtliche persönlichen Lebensverhältnisse auf diesen abgestellt. Durch die Rücknahme werde sie sozialhilfebedürftig. Damit habe sie ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse am Bestand des Rentenbewilligungsbescheides auch für die Zukunft. Durch die Rentenleistung sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Zwar schließe ein zulässiger Widerrufsvorbehalt von vornherein ein Vertrauen auf den Fortbestand des Verwaltungsaktes aus. Gerade deshalb dürfe eine laufende existenzbegründende Leistung, wie eine Rente, nicht für einen längeren Zeitraum unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung gezahlt werden. Dies würde eine Umgehung der Regeln über den Vertrauensschutz bedeuten. Die Leistung wäre dann als Vorschuss zu gewähren. Des Weiteren habe die Beklagte die Rechte aus dem erteilten Vorbehalt verwirkt. Nach den nach dem Bescheid ergangenen Rentenanpassungsbescheiden sei die Rente vorbehaltlos gewährt worden. Ein Ausschluss ihres Vertrauensschutzes komme ebenfalls nicht in Betracht. Dies gelte um so mehr, als der Beklagten bereits im Verwaltungsverfahren bekannt gewesen sei, dass sie zum Personenkreis des § 7 Abs. 2 BVFG gehöre. Sie habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig Angaben getätigt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Sie habe die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auch nicht infolge grober Fahrlässigkeit gekannt. Wenn selbst das SG und die Behörde die Rechtswidrigkeit des zugrunde liegenden Rentenbewilligungsbescheids im Neufeststellungsverfahren nicht erkannt hätten, könne sie dies erst recht nicht. Dies gelte insbesondere auch nachdem sie zur Übersendung von Unterlagen aufgefordert worden sei, die es so nicht mehr gegeben habe.

Gleichzeitig mit der Klage beantragte die Klägerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (S 8 R 846/06 ER). Mit Beschluss vom 04.05.2006 lehnte das SG diesen Antrag ab. Die Beschwerde wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Beschluss vom 11.07.2006 zurück (L 10 R 3036/06 ER-B).

Mit Urteil vom 16.11.2006, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 01.03.2007, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, der Bescheid vom 04.01.2006, mit dem die Beklagte ihren Rentenbewilligungsbescheid vom 23.01.1995 teilweise zurückgenommen habe, genüge den Anforderungen der anzuwendenden Regelungen des § 45 SGB X. Die Rentenbewilligung sei (von Anfang an) rechtswidrig gewesen. Die Klägerin habe, da sie keine Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt habe und ihre Beitragszeiten, die sie bei einem ausländischen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt habe, da sie als Ehegatte eines Spätaussiedlers nicht als Spätaussiedler anerkannt sei und somit nicht unter den privilegierten Personenkreis des FRG falle, nicht nach § 15 Abs. 1 FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Zeiten gleichstünden, keinen Anspruch auf Regelaltersrente. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X dürfe ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Ein den Vertrauensschutz ausschließender Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X liege hier entgegen den Ausführungen der Beklagten zwar nicht vor. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 23.01.1995 habe die Klägerin die Rechtswidrigkeit noch nicht gekannt und sie habe im der Leistungsbewilligung vorausgehenden Verwaltungsverfahren alle erforderlichen Angaben gemacht. Die nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB anzustellende Vertrauensabwägung erlaube jedoch die Rücknahme. Dass die Klägerin die Leistungen verbraucht habe, spiele bei einer Rücknahme der Rentenbewilligung ausschließlich für die Zukunft keine Rolle. Schutzwürdigkeit bestehe auch nicht deshalb, weil Vermögensdispositionen getroffen worden seien. Das jahrelange Einrichten auf die Rentenzahlung bedeute noch nicht eine konkrete Vermögensdisposition. Die Mietzinsverpflichtung genüge hierfür nicht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht deshalb, weil ein langer zeitlicher Abstand zwischen Bewilligung und Rücknahme liege. Die Beklagte habe den Vorbehalt einer Vertriebenen- bzw. Spätaussiedlereigenschaft deutlich gemacht. Schon aus diesem Grund habe die Klägerin keinen Anlass gehabt, ihre Lebensstellung auf eine dauerhafte Rentenleistung einzurichten. Mit der Ausstellung der Bescheinigung nach dem BVFG nur knapp vier Monate nach dem Rentenbescheid und angesichts des dort für sie und ihren Ehemann ausgewiesenen unterschiedlichen Statuts hätte es sich der Klägerin aufdrängen müssen, dass der weitere Bestand der Rente zumindest unsicher gewesen sei. Damit fehle es an einem objektiven Vertrauenstatbestand. Eine vorbehaltlose Rentenbewilligung mit Bescheid vom 09.11.1994 - wie von der Klägerin behauptet - sei nicht ersichtlich. In den Akten befinde sich nur ein Rentenbescheid vom 03.11.1994. Dieser sei jedoch nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten nicht abgesandt worden. Die fehlende Absendung werde insoweit bestätigt, als sich die AOK noch am 30.12.1994 bei der Beklagten nach einer Rentenbewilligung für die Klägerin erkundigt habe. Die späteren (Folge-)Bescheide hätten jeweils nur die Höhe der Rentenleistung betroffen. Sie hätten auf den Ausgangsbescheid Bezug genommen. Der Vorbehalt sei hierdurch nicht entfallen. Hinzu komme, dass in der Rentenbewilligung ein Dauerverwaltungsakt liege, bei dem allgemein ein erhöhtes öffentliches Rücknahmeinteresse bestehe. Auch bezüglich des Krankenversicherungsschutzes würden durch die Entscheidung der Beklagten keine unzumutbaren Folgen für die Klägerin herbeigeführt. Die Beklagte habe die erforderliche Ermessensprüfung auch durchgeführt. Anhaltspunkte dafür, dass sie ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, seien nicht ersichtlich.

Hiergegen hat die Klägerin am 19.03.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung weist sie noch einmal darauf hin, dass durch die gewährte Rentenleistung ein Vertrauenstatbestand, auch für die Zukunft, geschaffen worden sei. Zwar schließe ein zulässiger Widerrufsvorbehalt von vornherein ein Vertrauen auf den Fortbestand des Verwaltungsaktes aus. Eine laufende existenzbegründende Leistung wie eine Rente dürfe jedoch nicht unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung für einen längeren Zeitraum gezahlt werden. Dies würde eine Umgehung der Regeln über den Vertrauensschutz bedeuten. Die Leistung wäre dann als Vorschuss zu gewähren. Ein Ausschluss des Vertrauensschutzes komme nicht in Betracht. Sie habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig Angaben getätigt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Sie habe die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auch nicht infolge grober Fahrlässigkeit gekannt. Wenn selbst im Zusammenhang mit den Neufeststellungsverfahren und im vorangegangenen Klageverfahren die Rechtswidrigkeit des Rentenbewilligungsbescheides nicht erkannt worden sei, könne sie dies erst recht nicht. Aufgrund der nachfolgend erteilten Bescheide habe sie davon ausgehen dürfen, dass die Rente nunmehr vorbehaltlos gezahlt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. November 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. März 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf ihr bisheriges Vorbringen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten, die Akten des einstweiligen Rechtsschutzes S 8 R 846/06 ER und L 10 R 3036/06 ER-B und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die gesetzlichen Grundlagen für die Rücknahme eines Bescheides gemäß § 45 SGB X sowie die Rechtsgrundlagen für einen Anspruch auf Regelaltersrente insbesondere unter Berücksichtigung des FRG sind im Urteil des SG bzw. in den Bescheiden der Beklagten zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach § 32 Abs. 1 SGB X ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden darf, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Nach Abs. 2 des § 32 SGB X darf ein Verwaltungsakt unbeschadet des Abs. 1 nach pflichtgemäßem Ermessen u.a. mit einem Vorbehalt des Widerrufs erlassen werden (§ 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X).

In Ansehung dieser rechtlichen Gegebenheiten hat das SG richtigerweise angenommen, dass die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen und der Bescheid vom 23.01.1995 mit Bescheid vom 04.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2006 ab dem 01.02.2006 zurückgenommen werden konnte.

Bei dem Bescheid vom 23.01.1995 handelte es sich um einen Bescheid, der mit einem Vorbehalt versehen war. Die Gewährung von Rente stellt einen gebundenen Verwaltungsakt dar. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist der Anspruch gegeben. Damit richtet sich die Zulässigkeit der Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 1 SGB X. Nach § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Eine Zulassung durch Rechtsvorschrift besteht hier nicht. Der Vorbehalt soll jedoch sicherstellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Rentenbewilligung, hier Spätaussiedlereigenschaft und damit Anerkennung der FRG-Zeiten, erfüllt werden. Der Vorbehalt ist deshalb nicht zu beanstanden. Er stellt einen angemessenen Ausgleich zwischen den Alternativen entweder das Rentenbegehren abzulehnen oder zuzuerkennen dar (vgl. BSGE 20, 287). Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil hierdurch vor Abschluss der Sachverhaltsermittlungen Leistungen gewährt werden sollen. In diesen Fällen geht das Bundessozialgericht (BSG) zwar grundsätzlich davon aus, dass vorläufige Leistungen, Vorschüsse oder Vorwegzahlungen und damit nicht schon abschließende Leistungen unter Vorbehalt zu gewähren sind (BSGE 67, 104 ff.; 89, 62 ff.). Ausnahmen bestehen jedoch, wenn es um die Erfüllung geringfügiger tatbestandlicher Voraussetzungen geht. Als typischen Anwendungsfall sieht das BSG insoweit die Bewilligung einer Rente verbunden mit der Auflage, eine Lebensbescheinigung vorzulegen oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu melden (BSGE aaO; vgl. auch KassKomm-Krasney § 32 SGB X Rdnr. 4). Die Vorlage der Spätaussiedlerbescheinigung, die die Klägerin hier bereits beantragt hat und hinsichtlich derer sie versichert hat, sie nach Erhalt vorzulegen, ist diesen typischen Fällen gleichzustellen. Der Vorbehalt erfasst auch die nachfolgenden Anpassungs- und Neuberechnungsbescheide. Denn deren Regelungsgehalt erschöpft sich in der Anpassung der Leistungen entsprechend der jeweils gesetzlich festgelegten Erhöhung bzw. der Neubewertung (BSGE 84, 108 ff.). Nachdem die Spätaussiedlereigenschaft nicht vorliegt, ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt die Rentenbewilligung zurückzunehmen. Die Rücknahme beurteilt sich, da der Bescheid aufgrund der Rentenbewilligung begünstigend und auch anfänglich rechtswidrig war, weil mangels Vorliegen der Voraussetzungen des FRG kein Rentenanspruch bestand, nach § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit oder Zukunft aufgehoben werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist die Rücknahme eines solchen Verwaltungsaktes ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist hierbei in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen allerdings nicht berufen, soweit er 1. den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Ob hier die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorliegen, kann indessen dahingestellt bleiben, denn § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X sieht darüber hinaus vor, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 zurückgenommen werden kann, wenn der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. Hier liegt - wie ausgeführt - ein solcher Vorbehalt des Widerrufs vor. Die Beklagte hat der Klägerin Rente unter Beifügung des Zusatzes, dass die Rente unter Vorbehalt gezahlt werde, da der Vertriebenenausweis noch nicht vorliege, gewährt. Sie hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Rente, sollte der Ausweis nicht vorgelegt werden, neu berechnet werde. Durch den Verweis auf Abs. 2 des § 45 SGB X ist jedoch auch für diesen Fall klargestellt, dass eine Vertrauensabwägung anzustellen ist. Insoweit hat das SG in den Gründen seines Urteils, die sich der Senat insoweit zu eigen macht, in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass die von der Beklagten im Bescheid und Widerspruchsbescheid angestellten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden sind. Die Beklagte hat erkennen lassen, dass sie eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat und sie hat auch diejenigen Gesichtspunkte angegeben, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Die Rücknahme scheitert schließlich auch nicht an der Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X. Zwar sind seit der Bekanntgabe des Bescheids vom 23.01.1995 bei Erlass des Bescheids vom 04.01.2006 mehr als zehn Jahre vergangen. § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X sieht jedoch vor, dass in den Fällen des Satzes 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden kann, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Dies war hier der Fall. Die Rente wurde letztendlich bis März 2006 angewiesen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des in der Verwaltungsakte befindlichen Bescheids vom 03.11.1994. Dieser Bescheid wurde - worauf das SG wiederum zu Recht abgestellt hat - nicht an die Klägerin abgesandt und ihr somit nicht bekanntgegeben (§ 37 SGB X). Dies hat zur Folge, dass der Bescheid nicht wirksam wurde, denn Wirksamkeit tritt nach § 39 SGB X erst mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts an denjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, ein.

Die Beklagte hat damit in nicht zu beanstandender Weise unter Ausübung ihres Ermessens den ursprünglichen Rentenbescheid der Klägerin vom 23.01.1995 mit Bescheid vom 04.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2006 zurückgenommen.

Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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