Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 1272/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 4300/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1964 geborene Kläger meldete sich am 17. Januar 2001 beim Arbeitsamt L. (jetzt: Agentur für Arbeit; AA) arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor war er seit 17. Dezember 1992 bei der D. P. AG beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis wurde seitens der Arbeitgeberin am 6. Juli 2001 mit Wirkung zum 1. Dezember 2001 gekündigt. Der Kläger war seit 23. November 1999 arbeitsunfähig; bis 24. Mai 2001 bezog er Krankengeld von der Betriebskrankenkasse P. in F ... Für die Zeit vom 1. bis 31. Juli 2001 gewährte ihm das Landratsamt O., Außenstelle L. - Kreissozialamt - Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 1265,00 DM. Im Antrag auf Alg gab der Kläger an, seine Vermittlungsfähigkeit sei aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt. Am 27. September 2001 ließ das AA von Arbeitsamtsärztin MedDirin. Dr. K. ein Gutachten nach Aktenlage über den Kläger erstatten. Diese führte aus, der Kläger könne mittelschwere Arbeiten ohne gesteigerten Zeitdruck vollschichtig verrichten. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 bewilligte das AA dem Kläger ab 17. Juli 2001 für die Dauer von 360 Tage Alg in Höhe von wöchentlich 470,05 DM (Bemessungsentgelt gerundet 1110; Leistungsgruppe B; Kindermerkmal 1). Das Gutachten von MedDirin. Dr. K. wurde dem Kläger am 2. November 2001 eröffnet und dessen Inhalt besprochen. Der Kläger erklärte hierzu, er halte das Gutachten für nicht nachvollziehbar und wolle zunächst mit seinem Anwalt Rücksprache nehmen. Nach Belehrung über die Rechtsfolgen gab der Kläger am 8. November 2001 die schriftliche Erklärung ab, er sei nicht bereit, im Rahmen des Arbeitsamtsgutachtens jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Mit Bescheid vom 8. November 2001 hob das AA die Entscheidung über die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 8. November 2001 auf. Der Bescheid wurde dem Kläger am selben Tag persönlich ausgehändigt. Zur Begründung seines am 7. Dezember 2001 erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, er sei nicht damit einverstanden, dass sein Gesundheitszustand lediglich nach Aktenlage beurteilt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2002 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch zurück.
Mit der am 26. April 2002 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter Hinweis auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren weiter verfolgt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die dem Gutachten vom 27. September 2001 zugrunde liegenden ärztlichen Befunde vorgelegt. Mit Gerichtsbescheid vom 2. Januar 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es dargelegt, der Kläger sei nicht bereit gewesen, eine ihm zumutbare vollschichtige Arbeit auszuführen. Insbesondere aus dem Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 7. Februar 2001 ergebe sich, dass beim Kläger keine eine vollschichtige Tätigkeit ausschließenden Gesundheitsstörungen vorliegen.
Gegen den ihm am 16. Januar 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, dem 17. Februar 2003 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt (Az. L 13 AL 549/03). Er sei seit einem Arbeitsunfall im November 1999 krankgeschrieben. Die Vorgehensweise der Sachbearbeiterin der Beklagten habe ihm keine Wahl gelassen; er habe deshalb die Erklärung vom 8. November 2001 unterschreiben müssen. Er halte es nach wie vor nicht für nachvollziehbar, dass MedDirin. Dr. K. ihr Gutachten lediglich nach Aktenlage erstattet habe. Dieses stehe darüber hinaus im Widerspruch zur Einschätzung der Berufsgenossenschaft; diese habe der Personalabteilung seines letzten Arbeitgebers dringend geraten, ihn in den Innendienst zu versetzen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Januar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend.
Mit Beschluss vom 14. Februar 2006 ist im Hinblick auf das beim LSG anhängige Berufungsverfahren betreffend die Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (L 7 R 5593/04) das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Am 24. August 2006 ist das Verfahren vom Kläger wieder aufgenommen worden (Az. L 13 AL 4300/06).
Wegen der weiteren Darstellungen des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG (S 3 AL 1272/02), die Berufungsakten des Senats (L 13 AL 543/03 und L 13 AL 4300/06) sowie die beigezogenen Akten der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, die beigezogenen Akten des SG (S 6 RJ 3010/02) und des LSG (L 7 R 5593/04) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die gemäß § 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist auch sonst zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Gegenstand der Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist der die Bewilligung von Alg (Bewilligungsbescheid vom 10. Oktober 2001) mit Wirkung ab 8. November 2001 aufhebende Bescheid der Beklagten vom 8. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2002. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Aufhebungsbescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll u. a. mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Satz 2 Nr. 4). Die Bestimmung des § 330 Abs. 3 SGB III modifiziert § 48 SGB X wie folgt: Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 10. Oktober 2001 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Bundessozialgericht (BSG) BSGE 66, 134 , 136). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist darin zu sehen, dass mit der seitens des Klägers am 8. November 2001 abgegebenen Erklärung, dass er nicht bereit sei, im Rahmen des von MedDirin. Dr. K. erstatteten Arbeitsamtsgutachtens vom 27. September 2001 jede zumutbare Arbeit anzunehmen, der Kläger den Vermittlungsbemühungen des AA nicht mehr zur Verfügung gestanden und deshalb auch keine Anspruch auf Alg (mehr) gehabt hat. Ab diesem Zeitpunkt stimmte die Leistungsbewilligung mit dem materiellen Recht nicht mehr überein.
Anspruch auf Alg haben gemäß § 117 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim AA arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Die Arbeitslosigkeit setzt dabei neben der Beschäftigungslosigkeit voraus, dass der Arbeitsnehmer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Diese Beschäftigungssuche hat nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III unter anderem zur Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung steht, d.h. er muss arbeitsfähig und entsprechend seiner Arbeitsfähigkeit auch arbeitsbereit sein (§ 119 Abs. 2 SGB III).
Diese Voraussetzung haben im Fall des Klägers ab 8. November 2001 nicht (mehr) vorgelegen. Der Kläger war spätestens ab 8. November 2001 nicht bereit, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende und dem von MedDirin. Dr. K. festgestellten positiven Leistungsbild entsprechende Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben. Dies steht fest aufgrund seiner gegenüber dem AA abgegebenen schriftlichen Erklärung vom 8. November 2001. Dass deren Inhalt unzutreffend sein soll, hat der Kläger nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Tatsächlich war der Kläger, wie von MedDirin. Dr. K. aus den ihr vorliegenden Befundunterlagen nachvollziehbar und schlüssig gefolgert, in der Lage, mitttelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck vollschichtig zu verrichten. Für den Senat besteht kein Anlass an der Richtigkeit der Beurteilung von MedDirin. Dr. K. zu zweifeln. Solche Zweifel sind auch nicht deshalb begründet, weil das Gutachten vom 27. September 2001 nach Aktenlage ohne Untersuchung des Klägers erstattet wurde. Eine solche wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen wären, dass bei einer solchen Untersuchung Befunde hätten erhoben werden könne, die nicht bereits in den MedDirin. Dr. K. vorliegenden Befundunterlagen dokumentiert sind. Anhaltspunkte hierfür sind jedoch weder nach Aktenlage ersichtlich, noch hat der Kläger Entsprechendes vorgetragen. Sein Vortrag, die zuständige Berufsgenossenschaft habe sich für eine Versetzung in den Innendienst ausgesprochen, spricht im Gegenteil dafür, dass tatsächlich noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestanden hat. Auch durch das Ergebnis des Rechtsstreits gegen die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg wird die Richtigkeit der Leistungsbeurteilung durch MedDirin. Dr. K. bestätigt. Das SG hat den beklagten Rentenversicherungsträger mit Urteil vom 21. Oktober 2004 (S 6 RJ 3010/02) verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem am 1. Juli 2003 eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2004 bis 31. März 2006 zu gewähren. Im Verlauf des anschließenden Berufungsverfahrens vor dem LSG (L 7 R 5593/04) hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente über den 31. März 2006 hinaus bis 30. September 2009 anerkannt. Die darüber hinaus gehende Berufung des Klägers hat das LSG mit Urteil vom 15. Dezember 2006 zurückgewiesen. Die in diesem Urteil getroffenen Feststellungen macht sich der erkennende Senat aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen und nimmt auf diese zur weiteren Begründung ergänzend Bezug. Die seitens des Klägers beim BSG eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist mit Beschluss vom 26. Januar 2007 als unzulässig verworfen worden (B 13 R 33/07 B). Damit steht fest, dass vor dem 1. Juli 2003, also auch am 8. November 2001 eine relevante Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens noch nicht vorgelegen hat. Der Kläger stand demzufolge ab dem 8. November 2001 den Vermittlungsbemühungen des AA nicht zur Verfügung.
Die Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligung mit Wirkung ab 8. November 2001 aufzuheben, denn der Klägerin hätte angesichts der erfolgten Rechtsfolgenbelehrung, wissen müssen, dass aufgrund seines Verhaltens die Verfügbarkeit und damit sein Anspruch auf Alg weggefallen ist. Sofern sie dies nicht gewusst hat, beruht dies allein darauf, dass er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Eine solche grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung hohen Ausmaßes voraus, die das gewöhnliche Maß von Fahrlässigkeit erheblich überschreitet. Ganz naheliegende Überlegungen müssen nicht angestellt worden sein (vgl. zum subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auch im Hinblick auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie das Einsichtsvermögen des Betroffenen insbesondere BSGE SozR 5870 § 13 Nr. 2). Dass der Kläger über die Rechtsfolgen seiner Erklärung belehrt worden ist, hat er selbst mit seiner Erlärung vom 8. November 2001 unterschriftlich bestätigt. Dass ihm die Relevanz seines Verhaltens durchaus bewusst war, belegt auch der Umstand, dass er nach der am 2. November 2001 erfolgten Erörterung des Gutachtens von MedDirin. Dr. K. zunächst einen Rechtsanwalt konsultieren wollte. Deshalb musste ihm bewusst sein, dass der Anspruch auf Alg wegfallen würde, wenn sie sich nicht im Rahmen des mit Gutachten vom 27. September 2001 festgestellten positiven Leistungsbildes den Vermittlungsbemühungen des AA zur Verfügung stellt.
Die Anhörung des Klägers ist wirksam nachgeholt worden. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern; nach Abs. 2 der Vorschrift kann davon nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend (vgl. insoweit BSG SozR 1200 § 34 Nr. 2; BSG SozR 1200 § 34 Nr. 9) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. Die Beklagte hat den Kläger vor Erlass des Bescheids vom 8. November 2001 zwar nicht angehört. Es kann offenbleiben, ob sie hiervon gemäß § 24 Abs. 2 SGB X hat absehen dürfen; denn ein Verfahrensfehler ist jedenfalls nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden, weil der Bescheid vom 8. November 2001 die aus Sicht des AA erheblichen und im Verwaltungsverfahren unverändert gebliebenen Tatsachen mitgeteilt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1964 geborene Kläger meldete sich am 17. Januar 2001 beim Arbeitsamt L. (jetzt: Agentur für Arbeit; AA) arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor war er seit 17. Dezember 1992 bei der D. P. AG beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis wurde seitens der Arbeitgeberin am 6. Juli 2001 mit Wirkung zum 1. Dezember 2001 gekündigt. Der Kläger war seit 23. November 1999 arbeitsunfähig; bis 24. Mai 2001 bezog er Krankengeld von der Betriebskrankenkasse P. in F ... Für die Zeit vom 1. bis 31. Juli 2001 gewährte ihm das Landratsamt O., Außenstelle L. - Kreissozialamt - Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 1265,00 DM. Im Antrag auf Alg gab der Kläger an, seine Vermittlungsfähigkeit sei aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt. Am 27. September 2001 ließ das AA von Arbeitsamtsärztin MedDirin. Dr. K. ein Gutachten nach Aktenlage über den Kläger erstatten. Diese führte aus, der Kläger könne mittelschwere Arbeiten ohne gesteigerten Zeitdruck vollschichtig verrichten. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 bewilligte das AA dem Kläger ab 17. Juli 2001 für die Dauer von 360 Tage Alg in Höhe von wöchentlich 470,05 DM (Bemessungsentgelt gerundet 1110; Leistungsgruppe B; Kindermerkmal 1). Das Gutachten von MedDirin. Dr. K. wurde dem Kläger am 2. November 2001 eröffnet und dessen Inhalt besprochen. Der Kläger erklärte hierzu, er halte das Gutachten für nicht nachvollziehbar und wolle zunächst mit seinem Anwalt Rücksprache nehmen. Nach Belehrung über die Rechtsfolgen gab der Kläger am 8. November 2001 die schriftliche Erklärung ab, er sei nicht bereit, im Rahmen des Arbeitsamtsgutachtens jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Mit Bescheid vom 8. November 2001 hob das AA die Entscheidung über die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 8. November 2001 auf. Der Bescheid wurde dem Kläger am selben Tag persönlich ausgehändigt. Zur Begründung seines am 7. Dezember 2001 erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, er sei nicht damit einverstanden, dass sein Gesundheitszustand lediglich nach Aktenlage beurteilt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2002 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch zurück.
Mit der am 26. April 2002 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter Hinweis auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren weiter verfolgt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die dem Gutachten vom 27. September 2001 zugrunde liegenden ärztlichen Befunde vorgelegt. Mit Gerichtsbescheid vom 2. Januar 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es dargelegt, der Kläger sei nicht bereit gewesen, eine ihm zumutbare vollschichtige Arbeit auszuführen. Insbesondere aus dem Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 7. Februar 2001 ergebe sich, dass beim Kläger keine eine vollschichtige Tätigkeit ausschließenden Gesundheitsstörungen vorliegen.
Gegen den ihm am 16. Januar 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, dem 17. Februar 2003 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt (Az. L 13 AL 549/03). Er sei seit einem Arbeitsunfall im November 1999 krankgeschrieben. Die Vorgehensweise der Sachbearbeiterin der Beklagten habe ihm keine Wahl gelassen; er habe deshalb die Erklärung vom 8. November 2001 unterschreiben müssen. Er halte es nach wie vor nicht für nachvollziehbar, dass MedDirin. Dr. K. ihr Gutachten lediglich nach Aktenlage erstattet habe. Dieses stehe darüber hinaus im Widerspruch zur Einschätzung der Berufsgenossenschaft; diese habe der Personalabteilung seines letzten Arbeitgebers dringend geraten, ihn in den Innendienst zu versetzen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Januar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und das Urteil des SG für zutreffend.
Mit Beschluss vom 14. Februar 2006 ist im Hinblick auf das beim LSG anhängige Berufungsverfahren betreffend die Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (L 7 R 5593/04) das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Am 24. August 2006 ist das Verfahren vom Kläger wieder aufgenommen worden (Az. L 13 AL 4300/06).
Wegen der weiteren Darstellungen des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG (S 3 AL 1272/02), die Berufungsakten des Senats (L 13 AL 543/03 und L 13 AL 4300/06) sowie die beigezogenen Akten der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, die beigezogenen Akten des SG (S 6 RJ 3010/02) und des LSG (L 7 R 5593/04) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die gemäß § 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist auch sonst zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Gegenstand der Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist der die Bewilligung von Alg (Bewilligungsbescheid vom 10. Oktober 2001) mit Wirkung ab 8. November 2001 aufhebende Bescheid der Beklagten vom 8. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2002. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Aufhebungsbescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll u. a. mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Satz 2 Nr. 4). Die Bestimmung des § 330 Abs. 3 SGB III modifiziert § 48 SGB X wie folgt: Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 10. Oktober 2001 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Bundessozialgericht (BSG) BSGE 66, 134 , 136). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist darin zu sehen, dass mit der seitens des Klägers am 8. November 2001 abgegebenen Erklärung, dass er nicht bereit sei, im Rahmen des von MedDirin. Dr. K. erstatteten Arbeitsamtsgutachtens vom 27. September 2001 jede zumutbare Arbeit anzunehmen, der Kläger den Vermittlungsbemühungen des AA nicht mehr zur Verfügung gestanden und deshalb auch keine Anspruch auf Alg (mehr) gehabt hat. Ab diesem Zeitpunkt stimmte die Leistungsbewilligung mit dem materiellen Recht nicht mehr überein.
Anspruch auf Alg haben gemäß § 117 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim AA arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Die Arbeitslosigkeit setzt dabei neben der Beschäftigungslosigkeit voraus, dass der Arbeitsnehmer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Diese Beschäftigungssuche hat nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III unter anderem zur Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung steht, d.h. er muss arbeitsfähig und entsprechend seiner Arbeitsfähigkeit auch arbeitsbereit sein (§ 119 Abs. 2 SGB III).
Diese Voraussetzung haben im Fall des Klägers ab 8. November 2001 nicht (mehr) vorgelegen. Der Kläger war spätestens ab 8. November 2001 nicht bereit, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende und dem von MedDirin. Dr. K. festgestellten positiven Leistungsbild entsprechende Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben. Dies steht fest aufgrund seiner gegenüber dem AA abgegebenen schriftlichen Erklärung vom 8. November 2001. Dass deren Inhalt unzutreffend sein soll, hat der Kläger nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Tatsächlich war der Kläger, wie von MedDirin. Dr. K. aus den ihr vorliegenden Befundunterlagen nachvollziehbar und schlüssig gefolgert, in der Lage, mitttelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck vollschichtig zu verrichten. Für den Senat besteht kein Anlass an der Richtigkeit der Beurteilung von MedDirin. Dr. K. zu zweifeln. Solche Zweifel sind auch nicht deshalb begründet, weil das Gutachten vom 27. September 2001 nach Aktenlage ohne Untersuchung des Klägers erstattet wurde. Eine solche wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen wären, dass bei einer solchen Untersuchung Befunde hätten erhoben werden könne, die nicht bereits in den MedDirin. Dr. K. vorliegenden Befundunterlagen dokumentiert sind. Anhaltspunkte hierfür sind jedoch weder nach Aktenlage ersichtlich, noch hat der Kläger Entsprechendes vorgetragen. Sein Vortrag, die zuständige Berufsgenossenschaft habe sich für eine Versetzung in den Innendienst ausgesprochen, spricht im Gegenteil dafür, dass tatsächlich noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestanden hat. Auch durch das Ergebnis des Rechtsstreits gegen die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg wird die Richtigkeit der Leistungsbeurteilung durch MedDirin. Dr. K. bestätigt. Das SG hat den beklagten Rentenversicherungsträger mit Urteil vom 21. Oktober 2004 (S 6 RJ 3010/02) verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem am 1. Juli 2003 eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2004 bis 31. März 2006 zu gewähren. Im Verlauf des anschließenden Berufungsverfahrens vor dem LSG (L 7 R 5593/04) hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente über den 31. März 2006 hinaus bis 30. September 2009 anerkannt. Die darüber hinaus gehende Berufung des Klägers hat das LSG mit Urteil vom 15. Dezember 2006 zurückgewiesen. Die in diesem Urteil getroffenen Feststellungen macht sich der erkennende Senat aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen und nimmt auf diese zur weiteren Begründung ergänzend Bezug. Die seitens des Klägers beim BSG eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist mit Beschluss vom 26. Januar 2007 als unzulässig verworfen worden (B 13 R 33/07 B). Damit steht fest, dass vor dem 1. Juli 2003, also auch am 8. November 2001 eine relevante Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens noch nicht vorgelegen hat. Der Kläger stand demzufolge ab dem 8. November 2001 den Vermittlungsbemühungen des AA nicht zur Verfügung.
Die Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligung mit Wirkung ab 8. November 2001 aufzuheben, denn der Klägerin hätte angesichts der erfolgten Rechtsfolgenbelehrung, wissen müssen, dass aufgrund seines Verhaltens die Verfügbarkeit und damit sein Anspruch auf Alg weggefallen ist. Sofern sie dies nicht gewusst hat, beruht dies allein darauf, dass er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Eine solche grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung hohen Ausmaßes voraus, die das gewöhnliche Maß von Fahrlässigkeit erheblich überschreitet. Ganz naheliegende Überlegungen müssen nicht angestellt worden sein (vgl. zum subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auch im Hinblick auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie das Einsichtsvermögen des Betroffenen insbesondere BSGE SozR 5870 § 13 Nr. 2). Dass der Kläger über die Rechtsfolgen seiner Erklärung belehrt worden ist, hat er selbst mit seiner Erlärung vom 8. November 2001 unterschriftlich bestätigt. Dass ihm die Relevanz seines Verhaltens durchaus bewusst war, belegt auch der Umstand, dass er nach der am 2. November 2001 erfolgten Erörterung des Gutachtens von MedDirin. Dr. K. zunächst einen Rechtsanwalt konsultieren wollte. Deshalb musste ihm bewusst sein, dass der Anspruch auf Alg wegfallen würde, wenn sie sich nicht im Rahmen des mit Gutachten vom 27. September 2001 festgestellten positiven Leistungsbildes den Vermittlungsbemühungen des AA zur Verfügung stellt.
Die Anhörung des Klägers ist wirksam nachgeholt worden. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern; nach Abs. 2 der Vorschrift kann davon nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend (vgl. insoweit BSG SozR 1200 § 34 Nr. 2; BSG SozR 1200 § 34 Nr. 9) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. Die Beklagte hat den Kläger vor Erlass des Bescheids vom 8. November 2001 zwar nicht angehört. Es kann offenbleiben, ob sie hiervon gemäß § 24 Abs. 2 SGB X hat absehen dürfen; denn ein Verfahrensfehler ist jedenfalls nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden, weil der Bescheid vom 8. November 2001 die aus Sicht des AA erheblichen und im Verwaltungsverfahren unverändert gebliebenen Tatsachen mitgeteilt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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