L 6 SB 53/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 1230/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 53/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ab welchem Zeitpunkt beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) festzustellen ist.

Bei dem 1948 geborenen Kläger war mit bestandskräftig gewordenem Teil-Abhilfebescheid vom 03. Juli 2002 ein GdB von 40 seit 27. November 2001 festgestellt. Versorgungsärztlicherseits waren die dabei zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 30, Diabetes mellitus mit einem Teil-GdB von 20 und Sehminderung mit einem Teil-GdB von 10 bewertet worden.

Am 13. November 2003 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Ulm (VA) die Erhöhung des GdB und machte geltend, die Halswirbelsäulen(HWS)-Beschwerden hätten sich verschlimmert; neu aufgetreten seien starke Beschwerden im linken Arm und im ganzen rechten Bein. Das VA wandte sich an den Arzt für Orthopädie Dr. F., der Angaben über das aktuelle Krankheitsgeschehen jedoch nicht machen konnte, weil der Kläger sich zuletzt im April 2001 vorgestellt habe. Aus der Abteilung und Poliklinik für Orthopädie des Universitätsklinikums U. zog das VA den Arztbrief vom 09. Dezember 2003 über die ambulante Vorstellung am 26. November 2003 bei. Dr. M. kam in seiner danach veranlassten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13. Januar 2004 zu dem Ergebnis, dass eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sei. Mit Bescheid vom 16. Januar 2004 lehnte das VA die Neufeststellung des GdB daraufhin mit der Begründung ab, dass eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes und der damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht eingetreten sei. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger den vorläufigen Entlassungsbericht der Orthopädischen Abteilung des Rehabilitationskrankenhauses U. vom 03. Februar 2004 über die stationäre Behandlung vom 28. Januar bis 03. Februar 2004 vor und machte geltend, das in diesem Bericht angegebene sub¬acromiale Impingement sowie die SLAP-Läsion Grad III der linken Schulter sei unberücksichtigt geblieben. In der daraufhin veranlassten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24. März 2004 führte Dr. H. aus, der GdB sei angemessen bewertet. Sofern nach dem therapeutischen Eingriff vom Januar 2004 auch im August 2004 noch eine Funktionseinbuße vorliegen sollte, sei diese dann anhand eines aktuellen Befundes zu bewerten. Mit Widerspruchsbescheid vom 01. April 2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 28. April 2004 erhob der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage und verwies zur Begründung zunächst auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren. In der Folgezeit machte er geltend, im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) sei ein weiterer Bandscheibenvorfall eingetreten und die Problematik von seiten der HWS habe keine Besserung erfahren. Im Übrigen liege eine Schwerhörigkeit vor, die mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten sei, sowie ein Tinnitus, der gleichermaßen einen Teil-GdB von 10 rechtfertige. Mit den weiteren, auch von dem Beklagten zwischenzeitlich berücksichtigten Werten von jeweils 10 für eine Polyneuropathie und eine Prostatahyperplasie mit leichten Miktionsstörungen müsse vom Erreichen der Schwerbehinderteneigenschaft ausgegangen werden. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. B. vom 30. Dezember 2004 und des Arztes D. vom 16. August 2005 entgegen. Danach könnten als neue Behinderungen zwar eine Polyneuropathie, eine Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen sowie eine Entleerungsstörung der Harnblase, die jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten seien, Berücksichtigung finden, der Gesamt-GdB erhöhe sich dadurch aber nicht. Das SG hörte Dr. F. unter dem 09. Juni 2004 und 23. September 2005, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. unter dem 28. Juni 2004, Prof. Dr. P. unter dem 16. September 2004, den Allgemeinmediziner S. unter dem 24. September 2004, die Fachärztin für Hals-, Nasen-, Ohrenheikunde Dr. B.-C. unter dem 07. April 2005 sowie den Arzt für Urologie Dr. S. (Eingang: 17. Mai 2005) schriftlich als sachverständige Zeugen. Mit Urteil vom 24. Oktober 2005 wies es die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers hätten sich im Vergleich zu dem Bescheid vom 03. Juli 2002 nicht derart wesentlich verschlimmert, dass nunmehr ein höherer GdB festzustellen sei. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 20. Dezember 2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Am 04. Januar 2006 hat der Kläger dagegen beim SG Berufung eingelegt und sich auf die Auskunft des Dr. F. vom 23. September 2005 berufen, der auf orthopädischem Fachgebiet einen Teil-GdB von mindestens 40 angesetzt habe. Nach Vorlage des Seitens des Senats veranlassten orthopädischen Gutachtens des Dr. S., der den Gesamt-GdB wegen einer zusätzlich berücksichtigten Nervenwurzelläsion rechts mit muskulärer Schwäche des rechten Beines mit 50 eingeschätzt hatte, und Abgabe eines Teilanerkenntnisses durch den Beklagten, wonach der GdB seit 01. Mai 2006 50 betrage, nahm der Kläger das Anerkenntnis hinsichtlich der Bewertung des GdB an, nicht jedoch hinsichtlich des Zeitpunkts der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Insoweit machte er geltend, der Gesamt-GdB müsse bereits sei November 2003 mit 50 bewertet werden, wie dies von dem Sachverständigen Dr. S. auf Seite 19 seines orthopädischen Gutachtens ausdrücklich ausgeführt sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Teilanerkenntnisses vom 20. Dezember 2006 zu verurteilen, den GdB von 50 bereits ab November 2003 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung über das Teilanerkenntnis hinaus zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass im Bereich der Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule die über die bisherigen Funktionsbeeinträchtigungen hinaus neu zu berücksichtigenden Nervenwurzelreizerscheinungen durch die von dem Sachverständigen Dr. S. beschriebenen deutlich ausgeprägte Fußsenker-, Zehensenker- und Großzehenparese rechts nunmehr mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten seien. Allerdings sei diese weitere Gesundheitsstörung erst seit dem 22. Mai 2006 nachgewiesen. Soweit der Sachverständige Dr. S. den GdB von 50 bereits seit November 2003 befürwortet habe, entbehre diese Beurteilung einer nachvollziehbaren Grundlage, da bis dahin nur eine leichte Fußheberschwäche rechts beschrieben gewesen sei. Dr. S. habe sich mit dieser Beurteilung auf der letzten Seite seines Gutachtens aber auch selbst in Widerspruch gesetzt, indem er dort ausgeführt habe, dass der GdB von 50 erst ab Februar 2004 zu befürworten sei, weil der jetzt bestehende Kraftverlust der Fußsenker erst nach dem 16. Januar 2004 eingetreten sei. Ab Februar 2004 lasse sich die höhere Feststellung mit dieser Begründung aber gleichfalls nicht rechtfertigen, da der aktuelle Befund erst am 22. Mai 2006 erhoben worden sei. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, die seit 2003 bestünden, begründeten für sich allein nicht die Annahme, dass die aktuell beschriebene neurologische Symptomatik im gleichen Ausmaß auch bereits ab Februar 2004 vorgelegen habe. Demnach betrage der GdB 50, und zwar ab 01. Mai 2006 (Teilanerkenntnis vom 20. Dezember 2006).

Die frühere Berichterstatterin des Verfahrens hat das aufgrund ambulanter Untersuchung vom 22. Mai 2006 von dem Facharzt für Orthopädie Dr. S. erstattete Gutachten erhoben, in dem dieser den Gesamt-GdB zunächst ab November 2003 mit 50 eingeschätzt und dies damit begründet hat, dass die höhere Bewertung im Wesentlichen aus der jetzt erstmals vorgenommenen Berücksichtigung der Nervenwurzelläsion rechts mit muskulärer Schwäche des rechten Beines resultiere. Im Folgenden hat er bezüglich dieser neuen Funktionsbeeinträchtigung dann ausgeführt, die fachneurologische Untersuchung des Dr. K. am 16. Januar 2004 habe eine leichte Fußheberschwäche rechts nachgewiesen, wobei die jetzt bestehende deutliche Fußsenkerschwäche in diesem Bericht nicht beschrieben sei. Damit sei davon auszugehen, dass der jetzt bestehende Kraftverlust der Fußsenker erst nach dem 16. Januar 2004 eingetreten sei. Somit sei der GdB von 50 erst ab Februar 2004 zuzuerkennen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist über das angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten hinaus jedoch nicht begründet.

Der Beklagte ist bei Abgabe des Teilanerkenntnisses mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2006 zutreffend davon ausgegangen, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht bereits vor dem 01. Mai 2006 gerechtfertigt ist, insbesondere nicht bereits seit dem Zeitpunkt des Eingangs des Neufeststellungsantrags beim VA am 13. November 2003, wie der Kläger meint. Zwar hat er seinen seinerzeitigen Antrag auf Erhöhung des GdB bereits mit starken Beschwerden im ganzen rechten Bein begründet, doch ist nicht feststellbar, dass die von der Wirbelsäulenerkrankung ausgehenden Nervenwurzelreizerscheinungen, die nunmehr einen Teil-GdB von 40 rechtfertigen, bereits zu diesem Zeitpunkt so schwerwiegend waren, dass für den Bereich der von der Wirbelsäule ausgehenden Einschränkungen schon seinerzeit dieser Teil-GdB von 40 gerechtfertigt war und damit die Gesamtheit der Funktionsbeeinträchtigungen schon die Schwerbehinderteneigenschaft begründet hätte.

Den aktenkundigen Unterlagen lassen sich nämlich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die von dem Sachverständigen Dr. S. am 22. Mai 2006 objektivierten Befunde, die die Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 gerechtfertigt haben, in der beschriebenen Ausprägung (Fußsenker-, Zehensenker- und Großzehensenkerparese rechts Kraftgrad 2/5) bereits im November 2003 vorgelegen haben. Im Entlassungsbericht der Klinik für Physikalische und Medizinische Rehabilitation im Rehabilitationskrankenhaus U., wo der Kläger vom 26. November bis 21. Dezember 2001 eine stationäre medizinische Rehabilitation in Anspruch genommen hat, wurde insoweit zwar bereits ein neurologischer Befund erhoben, doch handelte es sich lediglich um eine leichte Fußsenkerschwäche, von der keine wesentliche Auswirkung auf den Gesamt-GdB ausgeht. Auch anlässlich verschiedener ärztlicher Untersuchungen nach Antragstellung in den Jahren 2003, 2004 und 2005 wurden keine entsprechend schwerwiegende Befunde erhoben. Auch Dr. K. erhob ausweislich seiner Auskunft gegenüber dem SG vom 28. Juni 2004 und seines Arztbriefs vom 23. Januar 2004 anlässlich seiner neurologischen Untersuchung am 16. Januar 2004 lediglich eine leichte Fußheberschwäche rechts. Hiernach hat sich der Kläger im März und Mai 2004 sowie im September 2005 noch bei Dr. F. vorgestellt, der im Rahmen seiner Auskünfte als sachverständiger Zeuge vom 09. Juni 2004 und 23. September 2005 jedoch gleichfalls keine Beeinträchtigungen der von dem Sachverständigen Dr. S. beschriebenen Art erwähnt hat. Zwar ist zu vermuten, dass sich die Situation, was die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines anbelangt, nicht erst akut im Zusammenhang mit der gutachtlichen Untersuchung bei dem gerichtlichen Sachverständigen auf das von diesem beschriebene Ausmaß verschlechtert hat. Es dürfte sich insoweit vielmehr um eine fortschreitende Verschlimmerung gehandelt haben, wofür die von Dr. S. beschriebene deutliche Volumenreduktion der Oberschenkelmuskulatur rechts im Vergleich zu links spricht, was auf einen Mindergebrauch hinweist. Allerdings sieht der Senat auch keine hinreichenden Ansatzpunkte, aufgrund derer man einen Zeitpunkt bestimmen könnte, zu dem die von Dr. S. am Untersuchungstag objektivierten Beeinträchtigungen bereits das beschrieben Ausmaß erreicht haben könnten. Soweit Dr. S. in seinem Gutachten als Zeitpunkt der Verschlechterung den Monat Februar 2004 bezeichnet hat, hat der Beklagte die insoweit herangezogene Begründung zutreffend als nicht schlüssig bezeichnet. Denn die entsprechende Schädigung muss nicht deshalb bereits ab Februar 2004 vorgelegen haben, weil sie am 16. Januar 2004 noch nicht festzustellen gewesen ist und daher erst nach diesem Zeitpunkt aufgetreten sein muss. Der Umstand, dass sie zum Untersuchungszeitpunkt bei Dr. K. im Januar 2004 noch nicht zu objektiven war, bedeutet nicht, dass sie dann aber unmittelbar nach der entsprechenden Untersuchung noch im Januar oder Februar 2004 auch tatsächlich eingetreten ist.

Da nach alledem der Zeitpunkt, zu dem die angesprochenen Störungen bereits ein Ausmaß erreicht hatten, das den höheren GdB von 50 gerechtfertigt hat, nicht festzustellen ist, konnte der höhere GdB von 50, dessen Grundlage erst durch die Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. S. objektiviert wurde, auch nicht bereits vor dem von dem Beklagten zugrunde gelegten Zeitpunkt, dem 01. Mai 2006 festgestellt werden.

Die über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinausgehende Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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