L 8 AS 1565/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 1046/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 1565/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 08. März 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen die von der Antragsgegnerin in mehreren Bescheiden angeordnete Absenkung des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2007.

Die Antragsteller leben in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und erhalten seit einiger Zeit Leistungen von der Antragsgegnerin nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Soweit sich dies den von der Antragsgegnerin vorgelegten Akten entnehmen lässt, verfügen sie weder über Einkommen noch über Vermögen. Mit insgesamt 8 Bescheiden, die unter dem Datum vom 14.12.2007 ergangen sind und die alle an den Antragsteller zu 1 adressiert waren, senkte die Antragsgegnerin das den Antragstellern bewilligte Arbeitslosengeld II gemäß § 31 SGB II ab und zahlte den Antragstellern für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 monatlich insgesamt nur 64,00 EUR aus. In 5 Bescheiden erfolgte die Absenkung des der Antragstellerin zu 2 zustehenden Anspruchs, in 3 Bescheiden war der Anspruch des Antragstellers zu 1 betroffen. Gegen sämtliche Bescheide legten die Antragsteller Widerspruch ein. Auf Antrag der Antragsteller ordnete das Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit Beschluss vom 14.02.2007 (S 7 AS 686/07 ER) die aufschiebende Wirkung der Widersprüche bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides an. Die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin wies mit 8 Widerspruchsbescheiden vom 20.02.2007 die Widersprüche der Antragsteller als unbegründet zurück. Alle 8 Widerspruchsbescheide waren ebenfalls an den Antragsteller zu 1 adressiert; sie sind dem Antragsteller zu 1 am 28.02.2007 zugegangen.

Gegen einen der Widerspruchsbescheide erhoben die Antragsteller Klage beim SG am 23.03.2007 (S 7 AS 1482/07), gegen die anderen sieben Widerspruchsbescheide am 29.03.2007 (S 7 AS 1580/07). Die Klagen gegen die sieben Widerspruchsbescheide wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 23.05.2007 wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig ab, das Verfahren in Bezug auf den einen Widerspruchsbescheid ist noch anhängig.

Bereits am 01.03.2007 hatten die Antragsteller beim SG erneut einstweiligen Rechtsschutz beantragt (S 7 AS 1046/07 ER). Das SG hat mit Beschluss vom 08.03.2007 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 14.12.2006 "über die Bekanntgabe der Widerspruchsbescheide vom 20.02.2007 hinaus angeordnet, soweit die Leistung um mehr als 20 vH abgesenkt wurde." Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin am 23.03.2007 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

II.

Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Widerspruch der Antragsteller gegen den Absenkungsbescheid vom 20.09.2006 nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Zwar haben nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Da Widerspruch und Klage nur aufschiebende Wirkung besitzen können, wenn Entscheidungen der Leistungsträger mit einem bloßen Anfechtungsbegehren angegangen werden, kommen lediglich Aufhebungsentscheidungen nach den §§ 45ff SGB X i.V.m. § 40 SGB II und Entscheidungen über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld gemäß den §§ 31, 32 SGB II in Betracht (st Rpsr des Senats, vgl. Beschluss vom 16.02.2007 - L 8 AS 268/07 ER-B - ; Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 RdNr. 12).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (kritisch hierzu Eicher a.a.O. § 39 RdNr. 3). Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung (Eicher a.a.O. RdNr. 2) kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, RdNr. 195).

Fünf der genannten Bescheide sind wahrscheinlich schon deshalb rechtswidrig, weil sie nicht wirksam bekannt gegeben worden sind. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Da das SGB II nach der Rechtsprechung des BSG und der einhelligen Ansicht in der juristischen Literatur keinen Anspruch der Bedarfsgemeinschaft kennt, sondern Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (BSG 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R -), muss ein Bescheid, mit dem ein früherer Leistungsbescheid teilweise aufgehoben wird, zumindest (auch) den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bekannt gegeben werden, deren Anspruch betroffen ist. Dies ist hier nicht geschehen. Sowohl die Bescheide vom 14.12.2007 als auch die Widerspruchsbescheide vom 20.02.2007 waren ausschließlich an den Antragsteller zu 1 adressiert. Eine Bekanntgabe an die - in fünf Fällen - von der Änderung betroffene Antragstellerin zu 2 ist nicht erfolgt. Zwar wird nach § 38 SGB II vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Das Entgegennehmen eines Bescheides, mit dem früher gewährte Leistungen ganz oder teilweise entzogen werden, hängt aber nicht mehr mit der Antragstellung zusammen. Daher dürfte es an einer wirksamen Bekanntgabe gegenüber der Antragstellerin zu 2 fehlen.

Dies hat außerdem zur Folge, dass in diesen Fällen die Frist für ein Rechtsmittel nicht zu laufen begonnen hat und die Klage deshalb vom SG wohl zu Unrecht als unzulässig abgewiesen worden ist. Zwar kann vor Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes grundsätzlich keine Klage erhoben werden, dies dürfte aber nicht für Fälle der vorliegenden Art gelten, in denen die Beklagte tatsächlich Bescheide erlassen hat, diese aber gegenüber dem Betroffenen nicht wirksam bekannt gegeben worden sind. Die Antragstellerin zu 2 muss die Möglichkeit haben, derartige Bescheide anzufechten, um auch den Anschein, dass die Bescheide wirksam erlassen worden sind, zu beseitigen. Auch wird nicht verkannt, dass sich die Antragstellerin zu 2 nicht auf eine ihr gegenüber unterbliebene Bekanntgabe der angefochtenen Bescheide berufen hat. Ob dadurch dieser Fehler unter dem Gesichtpunkt der Verwirkung unbeachtlich ist, muss aber einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Im Übrigen ist die Klage möglicherweise auch in den Fällen nicht verfristet, in denen der Antragsteller zu 1 betroffen ist. Denn nach dem vom Antragsteller zu 1 vorgelegten Einlieferungsbeleg (Bl. 33 der SG-Akte S 7 AS 1580/07) hat er die Klagen am 27.03.2007 (nicht wie von ihm vorgetragen am 28.03.2007) zur Post gegeben. Die Klärung, ob der Antragsteller zu 1 mit einem Zugang am 28.03.2007 - und damit noch innerhalb der Klagefrist - rechnen durfte, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die materiell-rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Absenkung von Leistungen unter dem Vorwurf mehrerer Pflichtverletzungen sind in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, sodass die Erfolgsaussichten einer Klage als offen betrachtet werden müssen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze anzuwenden (Krodel aaO RdNr. 205). Danach sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (st. Rspr des BVerfG; vgl. BVerfG NJW 2003, 2598, 2599 m.w.N.). Diese Abwägung fällt zugunsten der Antragsteller aus, weil die Nachteile, die diese hätten, wenn die aufschiebende Wirkung der Widersprüche im vom SG bestimmten Umfang keinen Bestand hätte, ihre Klage später aber Erfolg hätte, schwerer wiegen als die Folgen, die die Antragsgegnerin zu tragen hat, wenn die aufschiebende Wirkung der Widersprüche nicht angeordnet werden würde, die Klage aber keinen Erfolg hätte. Dabei berücksichtigt der Senat, dass den Antragstellern von Januar bis März 2007 jeweils nur insgesamt 64,- EUR pro Monat zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung standen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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