Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 1599/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1350/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Februar 2005 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 01. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juni 2003 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der Versicherung der E. K. vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 zu zahlen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob der Ehemann der am 2006 verstorbenen E. K. (im Folgenden: Versicherte) als Rechtsnachfolger Rente wegen Erwerbsminderung vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 beanspruchen kann.
Die am 1948 geborene Versicherte, die eine Berufsausbildung nicht durchlaufen hat, war von Mai 1965 bis Oktober 1973, unterbrochen durch die Geburt der beiden Töchter 1968 und 1973, als Kontoristin und vom 15. August bis Ende Oktober 1983 als Kassiererin beschäftigt ... Zum 15. Oktober 1990 nahm die Versicherte eine Beschäftigung bei der Post auf. Sie war nach einer etwa dreimonatigen Anlernzeit zunächst im Schalterbereich eingesetzt. Zum 14. Oktober 1997 wechselte sie als Telefonagentin zunächst in den Dienst am Postkundentelefon, ab 01. Juli 1999 am Kundentelefon mit Schwerpunkt Nachsendung. Sie wurde zuletzt nach Tarifgruppe Vc des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Post AG vergütet, in welche sie von Einstiegsgruppe VIII höhergestuft worden war. Sie wurde zum 31. August 2002 für dienstunfähig erklärt und bezog seit 01. September 2002 Versorgungsleistungen seitens der Deutschen Post AG.
Im Sommer 2000 trat ein Gesichtsfeldausfall im rechten Auge auf, der sich nach kürzeren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zunächst besserte. Im Folgenden wurde ein Aneurysma der Arteria carotis interna rechts festgestellt. Während eines Aufenthalts in der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität W. vom 27. Juli bis 23. August 2000 wurde insoweit eine Okklusion der Arteria carotis durchgeführt (Arztbrief des Prof. Dr. R. vom 23. August 2000). Bei einem weiteren Aufenthalt im Kreiskrankenhaus G. - Chirurgische Abteilung - wurde ein Impingement-Syndrom der linken Schulter diagnostiziert (Arztbrief des Dr. K. vom 27. Juni 2001). Eine Ende Mai 2001 auftretende dissoziative Gangstörung veranlasste zum Aufenthalt vom 19. bis 30. Juli 2001 in der Abteilung Neurologie des Zentrums für Psychiatrie We. (Arztbrief Chefarzt Dr. E. vom 06. August 2001). Die Verlegung in eine psychosomatische Klinik lehnte die Versicherte ab. Eine ambulante Untersuchung in der Universitätsklinik W. am 27. September 2001 verstärkte den Verdacht einer nicht organischen Herkunft der Gangstörung (Arztbrief des Prof. Dr. G. vom 02. Oktober 2001). Eine Untersuchung am 28. Februar 2002 in der Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums U. nannte ebenfalls eine funktionelle Gangstörung (Arztbrief des Privatdozent Dr. H. vom 04. März 2002). Im April 2002 wurden im Diakoniekrankenhaus S. H. (Arztbrief des Dr. D. vom 07. April 2002) die Schilddrüsenlappen links ganz und rechts teilweise entfernt. Nachdem ein Rheumatologe die Diagnose Fibromyalgie gestellt habe, wurde die Versicherte am 19. Juni 2002 in der Rheumasprechstunde des Universitätsklinikums T. vorgestellt (Arztbrief des Klinikoberarzt Dr. Ma. vom 24. Juni 2002). Ab diesem Zeitpunkt wurde, nachdem schon vom 31. Januar bis 11. Mai 2002 Arbeitsunfähigkeit bestanden hatte, diese durchgängig bescheinigt.
Am 26. Juni 2002 beantragte die Versicherte Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte (damals noch Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) zog das sozialmedizinische Gutachten des MDK Baden-Württemberg (Dr. L.) vom 17. April 2001 bei. Arzt für Innere Medizin S. fand in seinem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 16. August 2002 in Kenntnis der genannten Behandlungen auf seinem Fachgebiet keine Erkrankungen, abgesehen von niederem Blutdruck und erhöhten Cholesterinwerten. Leichte Arbeiten in Tagesschicht, auch als Telefonagentin, seien noch sechs Stunden und mehr möglich. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten, die mit Verantwortung für Personen und Maschinen, mit Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, mit gehäuftem Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten sowie mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten verbunden seien. Orthopäde Dr. B. nannte im Gutachten vom 22. August 2002 Beschwerden der Hals- und Lendenwirbelsäule bei Osteochondrose und Spondylosis, ferner den Zustand nach Operation der linken Schulter und einen Verdacht auf multiple Somatisierungsstörung. Auch dieser Gutachter hielt leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen, häufigem Heben und Tagen schwerer Gegenstände sowie Ersteigen von Treppen, Leitern oder Gerüsten sechs Stunden und mehr für möglich. Das empfohlene weitere Gutachten erstellte Psychiater Arnold unter dem 09. September 2002. Auffällig sei die Belastung durch die Fibromyalgie. Psychiatrisch bestehe eine unterschwellige depressive Belastungsreaktion, welcher die Versicherte jedoch entgegengearbeite. Eine weitere offenkundige eigenständige Reduktion der Belastungsfähigkeit sei nicht vorzufinden. Bei einer sechsstündigen Tätigkeit sei allenfalls Rücksicht zu nehmen auf leichte depressive Verstimmungsbereitschaft. Durch Bescheid vom 01. Oktober 2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die von den Gutachtern ermittelten Befunde ließen eine Tätigkeit im bisherigen Beruf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich zu.
Mit ihrem Widerspruch machte die Versicherte vorrangig geltend, das Ausmaß der Fibromyalgie werde nicht berücksichtigt. Gehfähigkeit liege nicht vor. Inzwischen sei ein Grad der Behinderung von 50 sowie das Merkzeichen G festgestellt (Bescheid des Versorgungsamts H. vom 01. Oktober 2002). Im Befundbericht vom 13. Januar 2003 nannte Arzt für Orthopädie Dr. Ke. vorrangig eine Beweglichkeitseinschränkung der Lendenwirbelsäule sowie die nicht objektivierbare Gangstörung. Arzt Dr. Fr. nannte im Bericht vom 02. Januar 2003 eine primäre Fibromyalgie und ein chronisches Schmerzsyndrom. Es bestünden Einschränkungen beim Gehen und beim Heben und Tragen von selbst leichten Lasten. Schließlich nannte Facharzt für Allgemeinmedizin C. unter dem 09. Januar 2003 einen angegebenen Druckschmerz an allen Muskeln sowie die unklare Gehstörung. Arzt für Orthopädie/Rheumatologie Dr. Br. schloss sich im Gutachten vom 27. Februar 2003 unter Nennung der bekannten Befunde der Feststellung einer Fibromyalgie nicht an. Es bestehe eher eine depressive Somatisierungsstörung. Arbeit in wechselnder Körperhaltung oder überwiegendem Sitzen ohne Armhebung über die Waagerechte sei möglich. Die Widerspruchsstelle der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2003. Es bestehe weder teilweise noch volle Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit.
Mit der am 25. Juni 2003 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobenen Klage blieb die Versicherte dabei, Dr. Fr. habe den Eindruck schwerster Schmerzen und eingeschränkter Gehfähigkeit - mit einem Rollator - festgehalten. Die Gangstörung sei nicht willentlich verursacht. Haushaltstätigkeit sei kaum mehr möglich. Die Frage der Fibromyalgie sei weiter abzuklären. Die Versicherte legte auch einen Arztbrief des Sektionsleiters Prof. Dr. Se. von der Schmerzambulanz des Universitätsklinikums Ulm vom 18. Juni 2004 vor, in welchem eine Somatisierungsstörung sowie eine somatoforme Schmerzstörung mit schlechter Prognose genannt und als Therapieempfehlung zu einer stationären Psychotherapie mit anschließender ambulanter Fortsetzung geraten wurde.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das Sozialgericht hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Orthopäde Dr. Keller berichtete in der schriftlichen Zeugenaussage vom 06. November 2003 über Beschwerden der Lendenwirbelsäule und beider Schultern. Allgemeinarzt Dr. Fr. empfahl unter dem 13. November 2003 wiederum die Prüfung der Fibromyalgie. Internist Dr. Kl. konnte auf Grund des einmalig durchgeführten Belastungs-EKG keinen pathologischen Befund nennen (Aussage vom 13. November 2003). Die Deutsche Post AG Service Niederlassung Münster - nahm in der Auskunft vom 05. Februar 2004 zu tariflicher Eingruppierung, Arbeitsplatz und Zeiten der Arbeitsunfähigkeit Stellung.
Internist/Rheumatologe Dr. Mal., Chefarzt der F.-klinik B. B., erstattete das Gutachten vom 22. April 2004. Es liege eine chronische Schmerzerkrankung vor, die den formalen Kriterien der Fibromyalgie entspreche, jedoch mit ausgeprägter psychosomatischer Überlagerung im Sinne einer Somatisierungsstörung. Weiterhin fänden sich ein Zustand nach Okklusion der Arteria carotis, eine Erhöhung des Blutdrucks und der Blutfette (ohne sozialmedizinische Relevanz) sowie mäßiggradige degenerative und operativ korrigierte Veränderungen und Kalkablagerungen im Bereich der Schultergelenke. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Telefonagentin könne ca. acht Stunden täglich ausgeübt werden mit der Einschränkung, dass bei praktisch ausschließlich sitzender Tätigkeit die Gelegenheit gegeben sei, etwa alle 30 Minuten sich für etwa ein bis zwei Minuten durchzubewegen. Auch sonstige leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien noch ca. acht Stunden täglich durchführbar. Heben und Tragen sei noch bis zu zehn kg möglich. Die Leistungsfähigkeit im geistigen Bereich seien noch als relativ gut einzuschätzen. Für die Benutzung eines Gehwagens sei organpathologisch kein eindeutiger Grund vorhanden. Prof. Dr. Bi., Arzt für Neurologie und Psychiatrie am Zentrum für Psychiatrie Wi., erstattete das Gutachten vom 17. September 2004. Neben einem leichten Wirbelsäulensyndrom bestehe eine Dysthymie, also nur subjektiv empfundene chronische depressive Verstimmtheit, darüber hinaus auf psychiatrischem Fachgebiet keine Symptomatik von Krankheitswert. Ein Fibromyalgiesyndrom sei zu verneinen. Teilweise seien Simulationstendenzen erkennbar. Leichte bis vorübergehend mittelschwere Arbeiten seien im Rahmen eines vollen Arbeitstages zumutbar. Die freie Wegstrecke sei unter neurologischem Blickwinkel nicht eingeschränkt. Uneingeschränkt seien auch die geistigen Funktionen.
Durch Urteil vom 24. Februar 2005 wies das SG die Klage ab. Gestützt auf die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten kam es zum Ergebnis, dass die Versicherte ihren bisherigen Beruf als Telefonagentin weiter ausüben könne. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Versicherten am 04. März 2005 zugestellte Urteil hat die Versicherte am 04. April 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie hat unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Internisten - Psychotherapie - Dr. Kö. vom 29. März 2005 und des Berichts der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Wa. vom 20. April 2005, beide S.-klinik B. S., in der die Versicherte vom 21. Februar bis 20. April 2005 stationär behandelt worden ist, geltend gemacht, die psychosomatische Erkrankung sei noch von keinem Sachverständigen erkannt und gewürdigt worden. Laut vorläufigem Arztbrief des Diakoniekrankenhauses S. H. hat sich die Versicherte vom 27. November bis 03. Dezember 2005 nach Diagnose eines primären Pankreaskopftumors dort aufgehalten. Nach dem Tod der Versicherten am 26. März 2006 hat der Kläger als Sonderrechtsnachfolger den Rechtsstreit fortgeführt. Er hat weiter vorgetragen, eine psychosomatische Behandlung der versicherten sei nicht mehr erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juni 2003 zu verurteilen, Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat einen Leistungsfall der Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit vom 27. November 2005 anerkannt, die Zahlung einer Rente jedoch abgelehnt, weil zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt seien, da die rentenrechtlichen Zeiten mit 31. August 2002 geendet hätten. Dem Gutachten nach Aktenlage Prof. Dr. Se. vom 20. Februar 2007 (vgl. hierzu im Folgenden) könne nicht gefolgt werden, nachdem über viele Jahre die Möglichkeiten einer guten und fachgerechten Behandlung aufgezeigt worden seien. Die Befindlichkeitsstörungen seien einer Behandlung gut zugänglich gewesen.
Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Sc.-K. hat als sachverständige Zeugin unter dem 17. Mai 2006 über sieben Therapiesitzungen vom 24. Mai bis 14. November 2005 berichtet; zuletzt seien massivste Schmerzen geklagt worden. Die Ärztin hat auch den Arztbrief des Prof. Dr. Kr., D.-krankenhaus S. H., vom 25. November 2005 über die dortige Diagnostik der somatoformen Schmerzstörung am 21. November 2005 beigefügt.
Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie, Psychoanalyse Dr. Se., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Krankenhaus B., hat das Gutachten nach Aktenlage vom 20. Februar 2007 erstattet. Er hat eine anhaltend somatoformen Schmerzstörung und eine dissoziative Bewegungsstörung diagnostiziert. Dem Arztbrief Prof. Dr. See. vom 18. Juni 2004 sei fehlende psychische Belastbarkeit zu entnehmen. Dieser Auffassung, die auch Dr. Kö. geäußert habe, sei zu folgen. Die Versicherte sei bereits 2002 den emotionalen Belastungen ihrer Tätigkeit nicht mehr gewachsen gewesen und habe möglicherweise mit einer Zunahme der Schmerzsymptomatik reagiert.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Rentenakten der Beklagten (63 050548 M 500) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers als Sonderrechtsnachfolger (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB I) ist begründet. Der am 26. März 2006 verstorbenen Versicherten hat Rente wegen voller Erwerbsminderung noch vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 zugestanden.
Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Nach der weiterhin anerkannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur "konkreten Betrachtungsweise" (Beschlüsse des Großen Senats BSGE 30, 167; 43, 75) schlägt die teilweise Erwerbsminderung in die volle durch, wenn ein Arbeitsplatz tatsächlich nicht innegehabt wird und der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeit verschlossen ist.
Nicht im Streit hat gestanden, dass die Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte und mit der Diagnose der Krebserkrankung und dem Beginn des stationären Aufenthalts im D.-krankenhaus S. H. am 27. November 2005 voll erwerbsgemindert gewesen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind allerdings die so genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) nicht erfüllt. Beitragszeiten sind bis 31. August 2002 nachgewiesen. Selbst wenn wenige Wochen zurückgerechnet würde, reicht dies nicht aus, diese Drei-Fünftel-Belegung mit rentenrechtlichen Zeiten in den letzten fünf Jahren zu erfüllen. Die Beitragszeit aus der Beschäftigung bei der Post hat mit 31. August 2002 geendet. Die Versicherte hat anschließend die Versorgungsleistung der Post in Anspruch genommen. Rentenrechtliche Zeiten gegenüber der Beklagten wie etwa der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit (Streckungszeiten, vgl. im Einzelnen § 43 Abs. 4 SGB VI) wurden nach dem 31. August 2002 nicht mehr zurückgelegt.
Ein Leistungsfall der Erwerbsminderung hat also spätestens im September 2004 vorliegen und sodann durchgängig bestehen müssen. Dies ist aus den im Folgenden darzulegenden Gründen zu bejahen. Der Senat ist aufgrund der Beweiserhebungen im Berufungsverfahren zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Post mit August 2002 anzunehmen ist.
Bei der Versicherten bestanden eine Somatisierungsstörung mit Leitsymptom Schmerz, eine dissoziative Bewegungsstörung; ein Zustand nach Okkulusion eines Aneurysma, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein degeneratives Rotatorenmanschettensyndrom beidseits sowie Fingerpolyarthrosen der Hände. Diese Diagnosen sind der zusammenfassenden Beurteilung im Gutachten nach Aktenlage des Leitenden Arztes Dr. Se. vom 20. Februar 2007 zu entnehmen. Diese Diagnosen ergeben sich auch aus den zahlreichen Arztbriefen der behandelnden Ärzte.
Der Senat schließt sich der Beurteilung des Leistungsvermögens durch Dr. Se. in dessen Gutachten an und hält die kurz gefassten Einwendungen der Beklagten hiergegen (Schriftsatz vom 25. April 2007) nicht für durchschlagend. Der Senat hält die Beurteilung des Dr. Se. für überzeugend, weil Dr. Se. - im Gegensatz zu den Ärzten, die in Verwaltungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahren Gutachten erstattet haben - die Befunde der ab 21. Februar 2005 erfolgten stationären Behandlung vorlagen. Die Beurteilung ist gestützt auf den Bericht des Prof. Dr. See. (zusammen mit Psychotherapeut Mo.) von der Schmerzambulanz des Universitätsklinikums Ulm vom 28. Juni 2004 und den Bericht der Chefärztin Dr. Wa. (unterschrieben nur von Internist/Psychotherapie Dr. Kö.) von der S.-klinik B. S. vom 20. April 2005 über die dort vom 21. Februar 2005 bis 20. April 2005 erfolgte stationäre Behandlung. Prof. Dr. See. beschreibt ein Ganzkörperschmerzsyndrom als generalisiertes und chronifiziertes Symptom der Somatisierungsstörung. Eingehend beschrieben wird der Befund auch im Bericht der S.-klinik. Die Schmerzen wurden seitens der Versicherten als wahnsinnig und quälend beschrieben. Es bestand eine gravierende Bindungsunsicherheit mit daraus resultierender Einschränkung in der Verarbeitung von psychosozialem Stress und Affekten. Die stationäre Behandlung ab 21. Februar 2005 war die erste psychosomatische Behandlung. Zuvor lehnte die Versicherte entsprechende Empfehlungen, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen, ab (Arztbrief des Dr. E. vom 06. August 2001). Auch Prof. Dr. See. sprach als Therapieempfehlung eine dringende stationäre Psychotherapie mit anschließender ambulanter Fortsetzung aus. Die ab 21. Februar 2005 erfolgte stationäre Behandlung nahm die Versicherte auf Empfehlung des Prof. Dr. See. auf, was den Schluss zulässt, dass es Prof. Dr. See. gelang, die Versicherte von der Notwendigkeit einer entsprechenden Behandlung zu überzeugen.
Deshalb kann der Senat seiner Entscheidung nicht die Gutachten des Dr. Mal. vom 22. April 2004 und des Prof. Dr. Biedert vom 17. September 2004 zugrunde legen. Dr. Mal. hat im Übrigen eine ausgeprägte psychosomatische Problematik eingeräumt, die allerdings von der Versicherten erneut negiert worden war. Auch er wollte ein günstiges Ergebnis einer speziell psychosomatischen Betrachtungsweise nicht ausschließen. Prof. Dr. Bi. nimmt eine rein subjektiv empfundene negativ-getönte Befindlichkeit an, was den Angaben der nach Erstellung seines Gutachtens in Anspruch genommenen Ärzte und Therapeuten sichtlich widerspricht. Die zuletzt in der Beschäftigung bei der Post aufgetretenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und die Zurruhesetzung zum 31. August 2002 lassen die Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar erscheinen, auch diese letzte Tätigkeit hätte weiter und bis zum Zeitpunkt der Begutachtung ausgeübt werden können. Dass hirnorganische Beeinträchtigungen oder depressive Symptome nicht vorliegen, hindert den Ausschluss einer nennenswerten quantitativen Erwerbstätigkeit nicht.
Die Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten des Dr. Se. im Schriftsatz vom 25. April 2007 vermögen nicht durchzudringen. Dass sich die Versicherte einer fachspezifischen Behandlung verschlossen hat, obwohl ihr über viele Jahre die Möglichkeiten einer guten und fachgerechten Behandlung aufgezeigt worden seien, hindert die Erwerbsminderung nicht. Wird eine zur Besserung des Krankheitsbildes erfolgversprechend erscheinende Behandlung verweigert oder abgelehnt, kann der Leistungsträger gemäß den Vorschriften der §§ 63, 66 SGB I zu einer Heilbehandlung - insbesondere einer Rehabilitationsleistung - nötigen, mit der Sanktion, die Leistung - hier die Rente - bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise zu versagen oder zu entziehen. Zur Ablehnung der Rentengewährung bei vorhandener Erwerbsminderung berechtigt die Verweigerungshaltung nicht. Nach alledem ist festzustellen, dass die Versicherte bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Post im August 2002 durchgängig voll erwerbsgemindert war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Gründe zur Zulassung der Revision bestehen nicht.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob der Ehemann der am 2006 verstorbenen E. K. (im Folgenden: Versicherte) als Rechtsnachfolger Rente wegen Erwerbsminderung vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 beanspruchen kann.
Die am 1948 geborene Versicherte, die eine Berufsausbildung nicht durchlaufen hat, war von Mai 1965 bis Oktober 1973, unterbrochen durch die Geburt der beiden Töchter 1968 und 1973, als Kontoristin und vom 15. August bis Ende Oktober 1983 als Kassiererin beschäftigt ... Zum 15. Oktober 1990 nahm die Versicherte eine Beschäftigung bei der Post auf. Sie war nach einer etwa dreimonatigen Anlernzeit zunächst im Schalterbereich eingesetzt. Zum 14. Oktober 1997 wechselte sie als Telefonagentin zunächst in den Dienst am Postkundentelefon, ab 01. Juli 1999 am Kundentelefon mit Schwerpunkt Nachsendung. Sie wurde zuletzt nach Tarifgruppe Vc des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Post AG vergütet, in welche sie von Einstiegsgruppe VIII höhergestuft worden war. Sie wurde zum 31. August 2002 für dienstunfähig erklärt und bezog seit 01. September 2002 Versorgungsleistungen seitens der Deutschen Post AG.
Im Sommer 2000 trat ein Gesichtsfeldausfall im rechten Auge auf, der sich nach kürzeren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zunächst besserte. Im Folgenden wurde ein Aneurysma der Arteria carotis interna rechts festgestellt. Während eines Aufenthalts in der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität W. vom 27. Juli bis 23. August 2000 wurde insoweit eine Okklusion der Arteria carotis durchgeführt (Arztbrief des Prof. Dr. R. vom 23. August 2000). Bei einem weiteren Aufenthalt im Kreiskrankenhaus G. - Chirurgische Abteilung - wurde ein Impingement-Syndrom der linken Schulter diagnostiziert (Arztbrief des Dr. K. vom 27. Juni 2001). Eine Ende Mai 2001 auftretende dissoziative Gangstörung veranlasste zum Aufenthalt vom 19. bis 30. Juli 2001 in der Abteilung Neurologie des Zentrums für Psychiatrie We. (Arztbrief Chefarzt Dr. E. vom 06. August 2001). Die Verlegung in eine psychosomatische Klinik lehnte die Versicherte ab. Eine ambulante Untersuchung in der Universitätsklinik W. am 27. September 2001 verstärkte den Verdacht einer nicht organischen Herkunft der Gangstörung (Arztbrief des Prof. Dr. G. vom 02. Oktober 2001). Eine Untersuchung am 28. Februar 2002 in der Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums U. nannte ebenfalls eine funktionelle Gangstörung (Arztbrief des Privatdozent Dr. H. vom 04. März 2002). Im April 2002 wurden im Diakoniekrankenhaus S. H. (Arztbrief des Dr. D. vom 07. April 2002) die Schilddrüsenlappen links ganz und rechts teilweise entfernt. Nachdem ein Rheumatologe die Diagnose Fibromyalgie gestellt habe, wurde die Versicherte am 19. Juni 2002 in der Rheumasprechstunde des Universitätsklinikums T. vorgestellt (Arztbrief des Klinikoberarzt Dr. Ma. vom 24. Juni 2002). Ab diesem Zeitpunkt wurde, nachdem schon vom 31. Januar bis 11. Mai 2002 Arbeitsunfähigkeit bestanden hatte, diese durchgängig bescheinigt.
Am 26. Juni 2002 beantragte die Versicherte Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte (damals noch Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) zog das sozialmedizinische Gutachten des MDK Baden-Württemberg (Dr. L.) vom 17. April 2001 bei. Arzt für Innere Medizin S. fand in seinem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 16. August 2002 in Kenntnis der genannten Behandlungen auf seinem Fachgebiet keine Erkrankungen, abgesehen von niederem Blutdruck und erhöhten Cholesterinwerten. Leichte Arbeiten in Tagesschicht, auch als Telefonagentin, seien noch sechs Stunden und mehr möglich. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten, die mit Verantwortung für Personen und Maschinen, mit Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, mit gehäuftem Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten sowie mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten verbunden seien. Orthopäde Dr. B. nannte im Gutachten vom 22. August 2002 Beschwerden der Hals- und Lendenwirbelsäule bei Osteochondrose und Spondylosis, ferner den Zustand nach Operation der linken Schulter und einen Verdacht auf multiple Somatisierungsstörung. Auch dieser Gutachter hielt leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen, häufigem Heben und Tagen schwerer Gegenstände sowie Ersteigen von Treppen, Leitern oder Gerüsten sechs Stunden und mehr für möglich. Das empfohlene weitere Gutachten erstellte Psychiater Arnold unter dem 09. September 2002. Auffällig sei die Belastung durch die Fibromyalgie. Psychiatrisch bestehe eine unterschwellige depressive Belastungsreaktion, welcher die Versicherte jedoch entgegengearbeite. Eine weitere offenkundige eigenständige Reduktion der Belastungsfähigkeit sei nicht vorzufinden. Bei einer sechsstündigen Tätigkeit sei allenfalls Rücksicht zu nehmen auf leichte depressive Verstimmungsbereitschaft. Durch Bescheid vom 01. Oktober 2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die von den Gutachtern ermittelten Befunde ließen eine Tätigkeit im bisherigen Beruf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich zu.
Mit ihrem Widerspruch machte die Versicherte vorrangig geltend, das Ausmaß der Fibromyalgie werde nicht berücksichtigt. Gehfähigkeit liege nicht vor. Inzwischen sei ein Grad der Behinderung von 50 sowie das Merkzeichen G festgestellt (Bescheid des Versorgungsamts H. vom 01. Oktober 2002). Im Befundbericht vom 13. Januar 2003 nannte Arzt für Orthopädie Dr. Ke. vorrangig eine Beweglichkeitseinschränkung der Lendenwirbelsäule sowie die nicht objektivierbare Gangstörung. Arzt Dr. Fr. nannte im Bericht vom 02. Januar 2003 eine primäre Fibromyalgie und ein chronisches Schmerzsyndrom. Es bestünden Einschränkungen beim Gehen und beim Heben und Tragen von selbst leichten Lasten. Schließlich nannte Facharzt für Allgemeinmedizin C. unter dem 09. Januar 2003 einen angegebenen Druckschmerz an allen Muskeln sowie die unklare Gehstörung. Arzt für Orthopädie/Rheumatologie Dr. Br. schloss sich im Gutachten vom 27. Februar 2003 unter Nennung der bekannten Befunde der Feststellung einer Fibromyalgie nicht an. Es bestehe eher eine depressive Somatisierungsstörung. Arbeit in wechselnder Körperhaltung oder überwiegendem Sitzen ohne Armhebung über die Waagerechte sei möglich. Die Widerspruchsstelle der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2003. Es bestehe weder teilweise noch volle Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit.
Mit der am 25. Juni 2003 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobenen Klage blieb die Versicherte dabei, Dr. Fr. habe den Eindruck schwerster Schmerzen und eingeschränkter Gehfähigkeit - mit einem Rollator - festgehalten. Die Gangstörung sei nicht willentlich verursacht. Haushaltstätigkeit sei kaum mehr möglich. Die Frage der Fibromyalgie sei weiter abzuklären. Die Versicherte legte auch einen Arztbrief des Sektionsleiters Prof. Dr. Se. von der Schmerzambulanz des Universitätsklinikums Ulm vom 18. Juni 2004 vor, in welchem eine Somatisierungsstörung sowie eine somatoforme Schmerzstörung mit schlechter Prognose genannt und als Therapieempfehlung zu einer stationären Psychotherapie mit anschließender ambulanter Fortsetzung geraten wurde.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das Sozialgericht hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Orthopäde Dr. Keller berichtete in der schriftlichen Zeugenaussage vom 06. November 2003 über Beschwerden der Lendenwirbelsäule und beider Schultern. Allgemeinarzt Dr. Fr. empfahl unter dem 13. November 2003 wiederum die Prüfung der Fibromyalgie. Internist Dr. Kl. konnte auf Grund des einmalig durchgeführten Belastungs-EKG keinen pathologischen Befund nennen (Aussage vom 13. November 2003). Die Deutsche Post AG Service Niederlassung Münster - nahm in der Auskunft vom 05. Februar 2004 zu tariflicher Eingruppierung, Arbeitsplatz und Zeiten der Arbeitsunfähigkeit Stellung.
Internist/Rheumatologe Dr. Mal., Chefarzt der F.-klinik B. B., erstattete das Gutachten vom 22. April 2004. Es liege eine chronische Schmerzerkrankung vor, die den formalen Kriterien der Fibromyalgie entspreche, jedoch mit ausgeprägter psychosomatischer Überlagerung im Sinne einer Somatisierungsstörung. Weiterhin fänden sich ein Zustand nach Okklusion der Arteria carotis, eine Erhöhung des Blutdrucks und der Blutfette (ohne sozialmedizinische Relevanz) sowie mäßiggradige degenerative und operativ korrigierte Veränderungen und Kalkablagerungen im Bereich der Schultergelenke. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Telefonagentin könne ca. acht Stunden täglich ausgeübt werden mit der Einschränkung, dass bei praktisch ausschließlich sitzender Tätigkeit die Gelegenheit gegeben sei, etwa alle 30 Minuten sich für etwa ein bis zwei Minuten durchzubewegen. Auch sonstige leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien noch ca. acht Stunden täglich durchführbar. Heben und Tragen sei noch bis zu zehn kg möglich. Die Leistungsfähigkeit im geistigen Bereich seien noch als relativ gut einzuschätzen. Für die Benutzung eines Gehwagens sei organpathologisch kein eindeutiger Grund vorhanden. Prof. Dr. Bi., Arzt für Neurologie und Psychiatrie am Zentrum für Psychiatrie Wi., erstattete das Gutachten vom 17. September 2004. Neben einem leichten Wirbelsäulensyndrom bestehe eine Dysthymie, also nur subjektiv empfundene chronische depressive Verstimmtheit, darüber hinaus auf psychiatrischem Fachgebiet keine Symptomatik von Krankheitswert. Ein Fibromyalgiesyndrom sei zu verneinen. Teilweise seien Simulationstendenzen erkennbar. Leichte bis vorübergehend mittelschwere Arbeiten seien im Rahmen eines vollen Arbeitstages zumutbar. Die freie Wegstrecke sei unter neurologischem Blickwinkel nicht eingeschränkt. Uneingeschränkt seien auch die geistigen Funktionen.
Durch Urteil vom 24. Februar 2005 wies das SG die Klage ab. Gestützt auf die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten kam es zum Ergebnis, dass die Versicherte ihren bisherigen Beruf als Telefonagentin weiter ausüben könne. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Versicherten am 04. März 2005 zugestellte Urteil hat die Versicherte am 04. April 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie hat unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Internisten - Psychotherapie - Dr. Kö. vom 29. März 2005 und des Berichts der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Wa. vom 20. April 2005, beide S.-klinik B. S., in der die Versicherte vom 21. Februar bis 20. April 2005 stationär behandelt worden ist, geltend gemacht, die psychosomatische Erkrankung sei noch von keinem Sachverständigen erkannt und gewürdigt worden. Laut vorläufigem Arztbrief des Diakoniekrankenhauses S. H. hat sich die Versicherte vom 27. November bis 03. Dezember 2005 nach Diagnose eines primären Pankreaskopftumors dort aufgehalten. Nach dem Tod der Versicherten am 26. März 2006 hat der Kläger als Sonderrechtsnachfolger den Rechtsstreit fortgeführt. Er hat weiter vorgetragen, eine psychosomatische Behandlung der versicherten sei nicht mehr erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juni 2003 zu verurteilen, Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat einen Leistungsfall der Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit vom 27. November 2005 anerkannt, die Zahlung einer Rente jedoch abgelehnt, weil zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt seien, da die rentenrechtlichen Zeiten mit 31. August 2002 geendet hätten. Dem Gutachten nach Aktenlage Prof. Dr. Se. vom 20. Februar 2007 (vgl. hierzu im Folgenden) könne nicht gefolgt werden, nachdem über viele Jahre die Möglichkeiten einer guten und fachgerechten Behandlung aufgezeigt worden seien. Die Befindlichkeitsstörungen seien einer Behandlung gut zugänglich gewesen.
Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Sc.-K. hat als sachverständige Zeugin unter dem 17. Mai 2006 über sieben Therapiesitzungen vom 24. Mai bis 14. November 2005 berichtet; zuletzt seien massivste Schmerzen geklagt worden. Die Ärztin hat auch den Arztbrief des Prof. Dr. Kr., D.-krankenhaus S. H., vom 25. November 2005 über die dortige Diagnostik der somatoformen Schmerzstörung am 21. November 2005 beigefügt.
Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie, Psychoanalyse Dr. Se., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Krankenhaus B., hat das Gutachten nach Aktenlage vom 20. Februar 2007 erstattet. Er hat eine anhaltend somatoformen Schmerzstörung und eine dissoziative Bewegungsstörung diagnostiziert. Dem Arztbrief Prof. Dr. See. vom 18. Juni 2004 sei fehlende psychische Belastbarkeit zu entnehmen. Dieser Auffassung, die auch Dr. Kö. geäußert habe, sei zu folgen. Die Versicherte sei bereits 2002 den emotionalen Belastungen ihrer Tätigkeit nicht mehr gewachsen gewesen und habe möglicherweise mit einer Zunahme der Schmerzsymptomatik reagiert.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Rentenakten der Beklagten (63 050548 M 500) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers als Sonderrechtsnachfolger (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB I) ist begründet. Der am 26. März 2006 verstorbenen Versicherten hat Rente wegen voller Erwerbsminderung noch vom 01. September 2002 bis 31. März 2006 zugestanden.
Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Nach der weiterhin anerkannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur "konkreten Betrachtungsweise" (Beschlüsse des Großen Senats BSGE 30, 167; 43, 75) schlägt die teilweise Erwerbsminderung in die volle durch, wenn ein Arbeitsplatz tatsächlich nicht innegehabt wird und der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeit verschlossen ist.
Nicht im Streit hat gestanden, dass die Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte und mit der Diagnose der Krebserkrankung und dem Beginn des stationären Aufenthalts im D.-krankenhaus S. H. am 27. November 2005 voll erwerbsgemindert gewesen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind allerdings die so genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) nicht erfüllt. Beitragszeiten sind bis 31. August 2002 nachgewiesen. Selbst wenn wenige Wochen zurückgerechnet würde, reicht dies nicht aus, diese Drei-Fünftel-Belegung mit rentenrechtlichen Zeiten in den letzten fünf Jahren zu erfüllen. Die Beitragszeit aus der Beschäftigung bei der Post hat mit 31. August 2002 geendet. Die Versicherte hat anschließend die Versorgungsleistung der Post in Anspruch genommen. Rentenrechtliche Zeiten gegenüber der Beklagten wie etwa der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit (Streckungszeiten, vgl. im Einzelnen § 43 Abs. 4 SGB VI) wurden nach dem 31. August 2002 nicht mehr zurückgelegt.
Ein Leistungsfall der Erwerbsminderung hat also spätestens im September 2004 vorliegen und sodann durchgängig bestehen müssen. Dies ist aus den im Folgenden darzulegenden Gründen zu bejahen. Der Senat ist aufgrund der Beweiserhebungen im Berufungsverfahren zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Post mit August 2002 anzunehmen ist.
Bei der Versicherten bestanden eine Somatisierungsstörung mit Leitsymptom Schmerz, eine dissoziative Bewegungsstörung; ein Zustand nach Okkulusion eines Aneurysma, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein degeneratives Rotatorenmanschettensyndrom beidseits sowie Fingerpolyarthrosen der Hände. Diese Diagnosen sind der zusammenfassenden Beurteilung im Gutachten nach Aktenlage des Leitenden Arztes Dr. Se. vom 20. Februar 2007 zu entnehmen. Diese Diagnosen ergeben sich auch aus den zahlreichen Arztbriefen der behandelnden Ärzte.
Der Senat schließt sich der Beurteilung des Leistungsvermögens durch Dr. Se. in dessen Gutachten an und hält die kurz gefassten Einwendungen der Beklagten hiergegen (Schriftsatz vom 25. April 2007) nicht für durchschlagend. Der Senat hält die Beurteilung des Dr. Se. für überzeugend, weil Dr. Se. - im Gegensatz zu den Ärzten, die in Verwaltungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahren Gutachten erstattet haben - die Befunde der ab 21. Februar 2005 erfolgten stationären Behandlung vorlagen. Die Beurteilung ist gestützt auf den Bericht des Prof. Dr. See. (zusammen mit Psychotherapeut Mo.) von der Schmerzambulanz des Universitätsklinikums Ulm vom 28. Juni 2004 und den Bericht der Chefärztin Dr. Wa. (unterschrieben nur von Internist/Psychotherapie Dr. Kö.) von der S.-klinik B. S. vom 20. April 2005 über die dort vom 21. Februar 2005 bis 20. April 2005 erfolgte stationäre Behandlung. Prof. Dr. See. beschreibt ein Ganzkörperschmerzsyndrom als generalisiertes und chronifiziertes Symptom der Somatisierungsstörung. Eingehend beschrieben wird der Befund auch im Bericht der S.-klinik. Die Schmerzen wurden seitens der Versicherten als wahnsinnig und quälend beschrieben. Es bestand eine gravierende Bindungsunsicherheit mit daraus resultierender Einschränkung in der Verarbeitung von psychosozialem Stress und Affekten. Die stationäre Behandlung ab 21. Februar 2005 war die erste psychosomatische Behandlung. Zuvor lehnte die Versicherte entsprechende Empfehlungen, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen, ab (Arztbrief des Dr. E. vom 06. August 2001). Auch Prof. Dr. See. sprach als Therapieempfehlung eine dringende stationäre Psychotherapie mit anschließender ambulanter Fortsetzung aus. Die ab 21. Februar 2005 erfolgte stationäre Behandlung nahm die Versicherte auf Empfehlung des Prof. Dr. See. auf, was den Schluss zulässt, dass es Prof. Dr. See. gelang, die Versicherte von der Notwendigkeit einer entsprechenden Behandlung zu überzeugen.
Deshalb kann der Senat seiner Entscheidung nicht die Gutachten des Dr. Mal. vom 22. April 2004 und des Prof. Dr. Biedert vom 17. September 2004 zugrunde legen. Dr. Mal. hat im Übrigen eine ausgeprägte psychosomatische Problematik eingeräumt, die allerdings von der Versicherten erneut negiert worden war. Auch er wollte ein günstiges Ergebnis einer speziell psychosomatischen Betrachtungsweise nicht ausschließen. Prof. Dr. Bi. nimmt eine rein subjektiv empfundene negativ-getönte Befindlichkeit an, was den Angaben der nach Erstellung seines Gutachtens in Anspruch genommenen Ärzte und Therapeuten sichtlich widerspricht. Die zuletzt in der Beschäftigung bei der Post aufgetretenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und die Zurruhesetzung zum 31. August 2002 lassen die Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar erscheinen, auch diese letzte Tätigkeit hätte weiter und bis zum Zeitpunkt der Begutachtung ausgeübt werden können. Dass hirnorganische Beeinträchtigungen oder depressive Symptome nicht vorliegen, hindert den Ausschluss einer nennenswerten quantitativen Erwerbstätigkeit nicht.
Die Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten des Dr. Se. im Schriftsatz vom 25. April 2007 vermögen nicht durchzudringen. Dass sich die Versicherte einer fachspezifischen Behandlung verschlossen hat, obwohl ihr über viele Jahre die Möglichkeiten einer guten und fachgerechten Behandlung aufgezeigt worden seien, hindert die Erwerbsminderung nicht. Wird eine zur Besserung des Krankheitsbildes erfolgversprechend erscheinende Behandlung verweigert oder abgelehnt, kann der Leistungsträger gemäß den Vorschriften der §§ 63, 66 SGB I zu einer Heilbehandlung - insbesondere einer Rehabilitationsleistung - nötigen, mit der Sanktion, die Leistung - hier die Rente - bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise zu versagen oder zu entziehen. Zur Ablehnung der Rentengewährung bei vorhandener Erwerbsminderung berechtigt die Verweigerungshaltung nicht. Nach alledem ist festzustellen, dass die Versicherte bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Post im August 2002 durchgängig voll erwerbsgemindert war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Gründe zur Zulassung der Revision bestehen nicht.
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