Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 94/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 512/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. November 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger geltend gemachte Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit anzuerkennen sind.
Der 1947 geborene Kläger ist seit 1973 bei verschiedenen Arbeitgebern als Einschaler und angelernter Zimmermann tätig gewesen. Ab 19.11.2001 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und ist seit 19.05.2003 arbeitslos.
Am 25.11.2004 zeigte die frühere Bevollmächtigte des Klägers der S. Bauberufsgenossenschaft (im folgenden Beklagte), eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, unter Bezugnahme auf den Arztbrief des Röntgenologen Dr. B. vom 09.11.2004 und des Orthopäden Dr. Sp. vom 13.11.2004, in dem als Diagnose massive degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule genannt sind, eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers an.
Die Beklagte holte Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, den vorläufigen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik S., in D., vom 28.06.2002 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 31.05. bis 28.06.2002 (Diagnose: degenerative Wirbelsäulenerkrankung, Morbus Baastrup (Berührung der Dornfortsätze der Wirbelkörper), segmentale Instabilität bei L 4/5, Gonarthrose links, PHS (Periarthritis humero scapularis, Schultergelenkerkrankung) beidseits, Subluxation der zweiten und dritten Fingergrundgelenke beidseits, metabolisches Syndrom und therapiepflichtige arterielle Hypertonie) und ein Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK, K, vom 17.1.2005 - mit mehreren Arbeitsunfähigkeitszeiten u. a. wegen Gonarthrose, Kreuzschmerzen, Zervikalneuralgie, HWS-Syndrom - ein.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.02.2005 kam Dr. F. nach Auswertung der Unterlagen zu dem Ergebnis, weder eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule (HWS) durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter) noch die Berufskrankheit Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) lägen vor. Die Magnetresonanztomographie der HWS zeige schwere Veränderungen in Höhe der mittleren HWS mit deutlichen Bandscheibenhöhenminderungen. Die Aufnahme der LWS zeige keine erkennbare Bandscheibenprotrusion, jedoch höhergradige spondylotische und spondylarthrotische Veränderungen in allen Segmenten und ausgeprägte Spondylophytenbildung im thorakalen-lumbalen Übergangsbereich, dort fänden sich auch an der übrigen Brustwirbelsäule Schmorlsche Knorpelkörper. Eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 sei nicht weiter zu diskutieren, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen von dem angelernten Zimmerer nicht erreicht würden. Ein Schadensbild im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 sei an der LWS nicht vorhanden, ein primärer Bandscheibenschaden sei aus der Kernspintomographie nicht ersichtlich. Der Kläger sei Träger des metabolischen Syndroms mit schwerer Polyarthrose auch an anderen Körpergelenken. Mit Bescheid vom 14.04. 2005 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nrn. 2108 und 2109 und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 zurück.
Der Kläger hat am 05.01.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen das orthopädische Gutachten vom 19.09.2006 eingeholt. Der Sachverständige Dr. T. hat den beruflich bedingten Zusammenhang der von ihm diagnostizierten Veränderungen in der HWS und LWS des Klägers verneint. Davon ausgehend, dass die beruflichen Belastungen nicht isoliert auf einzelne Bewegungssegmente der Wirbelsäule einwirken, sondern prinzipiell alle Segmente der Lendenwirbelsäule mit von oben nach unten zunehmender Ausprägung betroffen seien, könne beim Kläger eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung der LWS nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Eine Bandscheibenprotrusion in der Etage L 4/5 und geringer auch in L 3/4 habe kein altersuntypisches Ausmaß, wie auch die anderen degenerativen Veränderungen der LWS im Altersdurchschnitt lägen. Der Schwerpunkt der degenerativen Veränderungen liege in der mittleren und unteren Brustwirbelsäule und im oberen Drittel der LWS. Nach unten hin komme es zu einer deutlichen Abnahme der degenerativen Veränderungen. Unabhängig davon liege eine Pseudospondylolisthesis (bewegungsunabhängig fixierte Verschiebung eines Wirbelkörpers nach Wirbelgleiten) bei L 4/5 sowie eine generalisierte über die gesamte Wirbelsäule verteilte Spondylarthrose vor. Die anatomische Bauvariante einer Pseudospondolylisthesis führe erfahrungsgemäß zu einer vorzeitigen Degeneration der Bandscheibe mit zunehmenden degenerativen Veränderungen auch in den kleinen Wirbelgelenken. Hinsichtlich der Halswirbelsäule sei aus den dokumentierten Angaben keine, die Halswirbelsäule gefährdende Tätigkeit mit Tragen von Lasten auf der Schulter, wie es z. B. für die Fleischträger beschrieben worden sei, ersichtlich. Das gelegentliche Tragen von Balken oder Einschalungsmaterial auf der Schulter erreiche nicht die vergleichbare ungewöhnliche anhaltende Belastungen der Fleischträger im Schlachthof. Doch unterstellt, diese arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen vor, sei eine bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS im eigentlichen Sinne bisher nicht diskutiert worden. Die kernspintomographisch nachgewiesene Bandscheibenprotrusion ohne Einengung des Spinalkanals in den Segmenten C 5 bis C 7 sowie die verstärkte Spondylarthrose erreichten kein altersuntypisches Ausmaß. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden seitens der Nacken-Schulterregion seien auf den röntgenologischen und kernspintomographisch wie auch klinisch zu erhebenden Befund zurückzuführen, eine schwerpunktmäßige Schädigung der Halswirbelsäule im Vergleich zu den übrigen Abschnitten der Rumpfwirbelsäule liege aber nicht vor. Es bestehe eine annähernd gleich zu gewichtende degenerative Veränderung in allen Segmenten der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule.
Mit Urteil vom 09.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich in den Entscheidungsgründen auf die Ausführungen im Gutachten von Dr. T. gestützt. Substantiierte Einwendungen gegen das Gutachten seien von Klägerseite nicht vorgebracht worden. Das Bestehen anlagebedingter Veränderungen sei unabhängig davon, ob in der Familie derzeit derartige Erkrankungen aufgetreten seien. Die die arbeitstechnischen Voraussetzungen betreffenden Einwendungen könnten außer Betracht bleiben, da der Sachverständige Dr. T. diese unterstellt habe, aber aus medizinischen Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die beruflich verursachten Verschleißänderungen auszuschließen sei.
Gegen das dem Kläger am 28.12.2006 zugestellten Urteil hat er am Montag, dem 29.01.2007 Berufung eingelegt mit der Begründung, er habe 29 Jahre lang als Zimmermann bei einer kleinen Baufirma gearbeitet und schwer tragen und heben müssen. Dadurch habe er körperliche Schäden erlitten. Der Meinung des Sachverständige Dr. T. sei er nicht, da gewisse körperliche Schäden nicht einfach so auftreten könnten
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.11.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 14.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids 14.12.2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, seine Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 22.06.2007 ist das Gutachten von Dr. T. erörtert und auf die im August 2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe hingewiesen worden.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat in der Sache entscheiden können, da die Berufung des Klägers nicht zurückgenommen worden ist und das Verfahren damit nicht beendet war. Die im Erörterungstermin abgegebene Erklärung des zwar ein gutes umgangssprachliches Deutsch sprechenden Klägers hat dieser unmittelbar nach der Protokollierung dahingehend erläutert, dass keine Rücknahme und keine Bestätigung einer Rücknahme gemeint gewesen ist. Der Senat ist unter Berücksichtigung, dass dem im Übrigen sprachlich nicht gewandten Kläger die formalen Umstände eines Gerichtstermins nicht vertraut sind und auch die im Termin anwesende Beklagtenvertreterin nach dem Verfahrensablauf einen Irrtum auf der Seite der Erklärungsempfänger für nahe liegend angesehen hat, davon überzeugt, dass der Kläger nach objektivem Verständnis keine Berufungsrücknahme erklärt hat.
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit und Gewährung von Entschädigungsleistungen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der derzeit u.a. folgende als Berufskrankheiten anerkannte Krankheiten aufgeführt sind:
Nr. 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Nr. 2109 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Eine Leistungspflicht wegen einer Berufskrankheit besteht - von einer MdE von wenigstens 20 v.H. abgesehen - nur dann, wenn die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und durch die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden ist (haftungsausfüllende Kausalität). Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch hier die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Schädigung und die Krankheit gehören, erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9/A 26). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
Nach diesen Grundsätzen ist die haftungsausfüllende Kausalität der geltend gemachten Berufskrankheiten nicht im rechtlich gebotenen Grade wahrscheinlich. Eine Feststellung als Berufskrankheit scheidet aus.
Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten von Dr. T., der die Bewertungskriterien für seine Zusammenhangsbeurteilung für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat. Diese Kriterien stehen auch im Einklang mit den unter dem 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinischen Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule"(Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff) und entsprechen zur Überzeugung des Senats daher der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft. Darin wird, worauf Dr. T. auch maßgeblich abgestellt hat, als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss, gefordert (vgl. Konsensempfehlungen a. a. O., S. 216) und - bei Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen - eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule als eher für einen Ursachenzusammenhang der beruflichen Belastung sprechenden beurteilt (Konsensempfehlungen a. a. O.). Im Rahmen des Erörterungstermins ist auf eine Übereinstimmung der Kriterien von Dr. T. mit denen der Konsensempfehlungen auch ausdrücklich hingewiesen worden. Dies ergibt sich auch aus dem Gutachten von Dr. T., der auf die entsprechenden Hinweise und Bekanntgabe der Beurteilungskriterien im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung des Hessischen Sozialministeriums unter Leitung des Landesgewerbearztes Prof. Dr. B.-A. verweist, der auch Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe und Mitverfasser der Konsensempfehlungen ist. Die im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Untersuchungsbefunde und Schlussfolgerungen von Dr. T. waren für den Senat daher überzeugend, weshalb der Senat ebenso wie das Sozialgericht eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers nicht als wesentlich mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängend beurteilt.
Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nr. 2109 sind die im Tatbestand wiedergegebenen Ausführungen von Dr. T. für den Senat ebenfalls überzeugend. Sie entsprechen den bereits bislang geltenden Bewertungskriterien, die sich auch in der Konsensempfehlung zur Berufskrankheit Nr. 2108 widerspiegelt. Der Senat hat deshalb auch keine Zweifel an der diesbezüglichen Zusammenhangsbeurteilung des Sachverständigen Dr. T. und macht sich diese ebenso wie das Sozialgericht zu eigen. Die haftungsausfüllende Kausalität der Beschwerden der Halswirbelsäule des Klägers mit der beruflichen Tätigkeit ist nicht wahrscheinlich.
Damit hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Rente aufgrund der geltend gemachten Berufskrankheiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger geltend gemachte Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit anzuerkennen sind.
Der 1947 geborene Kläger ist seit 1973 bei verschiedenen Arbeitgebern als Einschaler und angelernter Zimmermann tätig gewesen. Ab 19.11.2001 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und ist seit 19.05.2003 arbeitslos.
Am 25.11.2004 zeigte die frühere Bevollmächtigte des Klägers der S. Bauberufsgenossenschaft (im folgenden Beklagte), eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, unter Bezugnahme auf den Arztbrief des Röntgenologen Dr. B. vom 09.11.2004 und des Orthopäden Dr. Sp. vom 13.11.2004, in dem als Diagnose massive degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule genannt sind, eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers an.
Die Beklagte holte Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, den vorläufigen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik S., in D., vom 28.06.2002 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 31.05. bis 28.06.2002 (Diagnose: degenerative Wirbelsäulenerkrankung, Morbus Baastrup (Berührung der Dornfortsätze der Wirbelkörper), segmentale Instabilität bei L 4/5, Gonarthrose links, PHS (Periarthritis humero scapularis, Schultergelenkerkrankung) beidseits, Subluxation der zweiten und dritten Fingergrundgelenke beidseits, metabolisches Syndrom und therapiepflichtige arterielle Hypertonie) und ein Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK, K, vom 17.1.2005 - mit mehreren Arbeitsunfähigkeitszeiten u. a. wegen Gonarthrose, Kreuzschmerzen, Zervikalneuralgie, HWS-Syndrom - ein.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.02.2005 kam Dr. F. nach Auswertung der Unterlagen zu dem Ergebnis, weder eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule (HWS) durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter) noch die Berufskrankheit Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) lägen vor. Die Magnetresonanztomographie der HWS zeige schwere Veränderungen in Höhe der mittleren HWS mit deutlichen Bandscheibenhöhenminderungen. Die Aufnahme der LWS zeige keine erkennbare Bandscheibenprotrusion, jedoch höhergradige spondylotische und spondylarthrotische Veränderungen in allen Segmenten und ausgeprägte Spondylophytenbildung im thorakalen-lumbalen Übergangsbereich, dort fänden sich auch an der übrigen Brustwirbelsäule Schmorlsche Knorpelkörper. Eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 sei nicht weiter zu diskutieren, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen von dem angelernten Zimmerer nicht erreicht würden. Ein Schadensbild im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 sei an der LWS nicht vorhanden, ein primärer Bandscheibenschaden sei aus der Kernspintomographie nicht ersichtlich. Der Kläger sei Träger des metabolischen Syndroms mit schwerer Polyarthrose auch an anderen Körpergelenken. Mit Bescheid vom 14.04. 2005 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nrn. 2108 und 2109 und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 zurück.
Der Kläger hat am 05.01.2006 beim Sozialgericht Karlsruhe Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen das orthopädische Gutachten vom 19.09.2006 eingeholt. Der Sachverständige Dr. T. hat den beruflich bedingten Zusammenhang der von ihm diagnostizierten Veränderungen in der HWS und LWS des Klägers verneint. Davon ausgehend, dass die beruflichen Belastungen nicht isoliert auf einzelne Bewegungssegmente der Wirbelsäule einwirken, sondern prinzipiell alle Segmente der Lendenwirbelsäule mit von oben nach unten zunehmender Ausprägung betroffen seien, könne beim Kläger eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung der LWS nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Eine Bandscheibenprotrusion in der Etage L 4/5 und geringer auch in L 3/4 habe kein altersuntypisches Ausmaß, wie auch die anderen degenerativen Veränderungen der LWS im Altersdurchschnitt lägen. Der Schwerpunkt der degenerativen Veränderungen liege in der mittleren und unteren Brustwirbelsäule und im oberen Drittel der LWS. Nach unten hin komme es zu einer deutlichen Abnahme der degenerativen Veränderungen. Unabhängig davon liege eine Pseudospondylolisthesis (bewegungsunabhängig fixierte Verschiebung eines Wirbelkörpers nach Wirbelgleiten) bei L 4/5 sowie eine generalisierte über die gesamte Wirbelsäule verteilte Spondylarthrose vor. Die anatomische Bauvariante einer Pseudospondolylisthesis führe erfahrungsgemäß zu einer vorzeitigen Degeneration der Bandscheibe mit zunehmenden degenerativen Veränderungen auch in den kleinen Wirbelgelenken. Hinsichtlich der Halswirbelsäule sei aus den dokumentierten Angaben keine, die Halswirbelsäule gefährdende Tätigkeit mit Tragen von Lasten auf der Schulter, wie es z. B. für die Fleischträger beschrieben worden sei, ersichtlich. Das gelegentliche Tragen von Balken oder Einschalungsmaterial auf der Schulter erreiche nicht die vergleichbare ungewöhnliche anhaltende Belastungen der Fleischträger im Schlachthof. Doch unterstellt, diese arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen vor, sei eine bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS im eigentlichen Sinne bisher nicht diskutiert worden. Die kernspintomographisch nachgewiesene Bandscheibenprotrusion ohne Einengung des Spinalkanals in den Segmenten C 5 bis C 7 sowie die verstärkte Spondylarthrose erreichten kein altersuntypisches Ausmaß. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden seitens der Nacken-Schulterregion seien auf den röntgenologischen und kernspintomographisch wie auch klinisch zu erhebenden Befund zurückzuführen, eine schwerpunktmäßige Schädigung der Halswirbelsäule im Vergleich zu den übrigen Abschnitten der Rumpfwirbelsäule liege aber nicht vor. Es bestehe eine annähernd gleich zu gewichtende degenerative Veränderung in allen Segmenten der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule.
Mit Urteil vom 09.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich in den Entscheidungsgründen auf die Ausführungen im Gutachten von Dr. T. gestützt. Substantiierte Einwendungen gegen das Gutachten seien von Klägerseite nicht vorgebracht worden. Das Bestehen anlagebedingter Veränderungen sei unabhängig davon, ob in der Familie derzeit derartige Erkrankungen aufgetreten seien. Die die arbeitstechnischen Voraussetzungen betreffenden Einwendungen könnten außer Betracht bleiben, da der Sachverständige Dr. T. diese unterstellt habe, aber aus medizinischen Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die beruflich verursachten Verschleißänderungen auszuschließen sei.
Gegen das dem Kläger am 28.12.2006 zugestellten Urteil hat er am Montag, dem 29.01.2007 Berufung eingelegt mit der Begründung, er habe 29 Jahre lang als Zimmermann bei einer kleinen Baufirma gearbeitet und schwer tragen und heben müssen. Dadurch habe er körperliche Schäden erlitten. Der Meinung des Sachverständige Dr. T. sei er nicht, da gewisse körperliche Schäden nicht einfach so auftreten könnten
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.11.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 14.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids 14.12.2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, seine Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 22.06.2007 ist das Gutachten von Dr. T. erörtert und auf die im August 2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe hingewiesen worden.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat in der Sache entscheiden können, da die Berufung des Klägers nicht zurückgenommen worden ist und das Verfahren damit nicht beendet war. Die im Erörterungstermin abgegebene Erklärung des zwar ein gutes umgangssprachliches Deutsch sprechenden Klägers hat dieser unmittelbar nach der Protokollierung dahingehend erläutert, dass keine Rücknahme und keine Bestätigung einer Rücknahme gemeint gewesen ist. Der Senat ist unter Berücksichtigung, dass dem im Übrigen sprachlich nicht gewandten Kläger die formalen Umstände eines Gerichtstermins nicht vertraut sind und auch die im Termin anwesende Beklagtenvertreterin nach dem Verfahrensablauf einen Irrtum auf der Seite der Erklärungsempfänger für nahe liegend angesehen hat, davon überzeugt, dass der Kläger nach objektivem Verständnis keine Berufungsrücknahme erklärt hat.
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit und Gewährung von Entschädigungsleistungen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der derzeit u.a. folgende als Berufskrankheiten anerkannte Krankheiten aufgeführt sind:
Nr. 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Nr. 2109 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Eine Leistungspflicht wegen einer Berufskrankheit besteht - von einer MdE von wenigstens 20 v.H. abgesehen - nur dann, wenn die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und durch die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden ist (haftungsausfüllende Kausalität). Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch hier die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Schädigung und die Krankheit gehören, erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9/A 26). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
Nach diesen Grundsätzen ist die haftungsausfüllende Kausalität der geltend gemachten Berufskrankheiten nicht im rechtlich gebotenen Grade wahrscheinlich. Eine Feststellung als Berufskrankheit scheidet aus.
Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten von Dr. T., der die Bewertungskriterien für seine Zusammenhangsbeurteilung für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat. Diese Kriterien stehen auch im Einklang mit den unter dem 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinischen Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule"(Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff) und entsprechen zur Überzeugung des Senats daher der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft. Darin wird, worauf Dr. T. auch maßgeblich abgestellt hat, als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss, gefordert (vgl. Konsensempfehlungen a. a. O., S. 216) und - bei Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen - eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule als eher für einen Ursachenzusammenhang der beruflichen Belastung sprechenden beurteilt (Konsensempfehlungen a. a. O.). Im Rahmen des Erörterungstermins ist auf eine Übereinstimmung der Kriterien von Dr. T. mit denen der Konsensempfehlungen auch ausdrücklich hingewiesen worden. Dies ergibt sich auch aus dem Gutachten von Dr. T., der auf die entsprechenden Hinweise und Bekanntgabe der Beurteilungskriterien im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung des Hessischen Sozialministeriums unter Leitung des Landesgewerbearztes Prof. Dr. B.-A. verweist, der auch Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe und Mitverfasser der Konsensempfehlungen ist. Die im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Untersuchungsbefunde und Schlussfolgerungen von Dr. T. waren für den Senat daher überzeugend, weshalb der Senat ebenso wie das Sozialgericht eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers nicht als wesentlich mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängend beurteilt.
Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nr. 2109 sind die im Tatbestand wiedergegebenen Ausführungen von Dr. T. für den Senat ebenfalls überzeugend. Sie entsprechen den bereits bislang geltenden Bewertungskriterien, die sich auch in der Konsensempfehlung zur Berufskrankheit Nr. 2108 widerspiegelt. Der Senat hat deshalb auch keine Zweifel an der diesbezüglichen Zusammenhangsbeurteilung des Sachverständigen Dr. T. und macht sich diese ebenso wie das Sozialgericht zu eigen. Die haftungsausfüllende Kausalität der Beschwerden der Halswirbelsäule des Klägers mit der beruflichen Tätigkeit ist nicht wahrscheinlich.
Damit hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Rente aufgrund der geltend gemachten Berufskrankheiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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