L 7 AS 3646/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 2157/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3646/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers zu 2 wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Juni 2007 abgeändert und der Antragsgegner verpflichtet, ihm einstweilen für die Zeit vom 29. Mai bis 30. Juni 2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II gemäß der Bewilligung vom 8. Januar 2007 zu gewähren. Im übrigen werden die Beschwerden der Antragsteller zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner erstattet 1/6 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 2. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

Verfahrensbeteiligte ist nicht nur die vom Sozialgericht Reutlingen (SG) im Rubrum allein berücksichtigte Antragstellerin (Ast.) zu 1, sondern auch ihr Sohn, der Ast. zu 2. Der Beschluss des SG ist nach seinem Inhalt dahingehend auszulegen, dass er nicht nur über den Anspruch der Ast. zu 1, sondern zusätzlich über den Anspruch des Ast. zu 2 befunden hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist zumindest für eine Übergangszeit über die üblichen Auslegungskriterien hinaus zu fragen, wie das Gericht vernünftigerweise nach dem wahren Begehren hätte entscheiden müssen, es sei denn, die Entscheidung verneint ausdrücklich einen umfassenden Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - (juris)). Vorliegend geht es ersichtlich darum, dass die Ast. zu 1 nicht nur für sich Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, sondern auch für ihren zweieinhalbjährigen Sohn, der Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden der Antragstellerin (Ast.) zu 1 sowie des Ast. zu 2, der im Beschwerdeverfahren als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft in das Verfahren einbezogen wurde (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006, a.a.O.; ferner schon Senatsbeschluss vom 21. Juli 2006 - L 7 AS 2129/06 ER-B - (juris)), sind zulässig. Der Senat ist auch sonst an einer Sachentscheidung nicht gehindert, obgleich das SG im Beschluss vom 26. Juli 2007 allein dem Rechtsmittel der Ast. zu 1 nicht abgeholfen hat (vgl. § 174 Satz 1 1. Halbs. SGG); diese Entscheidung reicht indes aus, weil bei sachgerechter Auslegung der gestellten Anträge (vgl. § 123 SGG) auch der Ast. zu 2 von Anfang an in das Verfahren hätten einbezogen werden müssen. Die Beschwerden sind jedoch in der Sache nur teilweise begründet.

Rechtsgrundlage für den von den Ast. begehrten einstweiligen Rechtsschutz ist, was das SG übersehen hat, für die begehrte Leistungsgewährung der Ast. zu 1 vom 29. Mai bis 30. Juni 2007 die Bestimmung des § 86b Abs. 1 SGG, welche in Anfechtungssachen u.a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage regelt und vorrangig gegenüber einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist. Zwar hatten die Ast. mit ihrem am 29. Mai 2007 beim SG eingegangenen Antrag ausdrücklich nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist der gestellte Antrag indes sachdienlich auszulegen (vgl. § 123 SGG) und ggf. auch umzudeuten, um dem erkennbar gewordenen Rechtsschutzziel zum Erfolg zu verhelfen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2006 - L 7 SO 3313/06 ER-B - (juris); Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage, Rdnr. 8; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll,VwGO, 3. Aufl. § 80 Rdnr. 86, § 123 Rdnr. 49). Das vorliegende Rechtsschutzverlangen ist unter die Bestimmungen des § 86b Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG zu fassen. Denn durch den hier umstrittenen Aufhebungsbescheid vom 9. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2007 wird in die durch die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2007 erlangte Rechtsposition der Ast. zu 1 eingegriffen (Bewilligungsbescheid vom 8. Januar 2007). Da der Klage der Ast. zu 1 gegen den Bescheid vom 9. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2007 kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II; vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 Rdnr. 12), ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gerichtlichen Korrektur die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGG heranzuziehen; hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die von der Ast. zu 1 letztlich begehrte Auszahlung der Leistungen kann über den unselbstständigen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch des § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG erreicht werden (vgl. Krodel, a.a.O. Rdnr. 179; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b Rdnr. 10).

Für die Leistungsgewährung für den Ast. zu 2 für den gesamten streitigen Zeitraum und für die Ast. zu 1 für die Zeit ab 1. Juli 2007 kommt dagegen allein eine einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG in Betracht. Bezüglich des Ast. zu 2 ergibt sich dies daraus, dass der Aufhebungsbescheid nicht ihn betrifft, somit keine Anfechtungssituation vorliegt. Vielmehr besteht mangels Aufhebung der Leistungsbewilligung sein Anspruch aus der ursprünglichen Bewilligung fort (dazu unter 2.). Bezüglich des Zeitraums ab 1. Juli 2007 wurden vom Antragsgegner (Ag.) noch keine Leistungen bewilligt, so dass nicht in eine weitergehende Rechtsposition der Ast. eingegriffen wurde.

Ein Anspruch der Ast. zu 1 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (dazu unter 1.) besteht nicht, wohl aber ein Anspruch des Ast. zu 2 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für den Zeitraum 29. Mai bis 30. Juni 2007 (dazu unter 2.). Im übrigen hat das SG die Anträge zu Recht abgelehnt (dazu unter 3.).

1.) Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER - (juris); LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnrn. 12 ff.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B - und vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4269/02 ER-B - (beide juris)); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon BSG in BSGE 4, 151, 155; ferner Krodel, a.a.O., Rdnrn. 208 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, sodass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - a.a.O. und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 a.a.O.; Krodel, a.a.O., Rdnr. 205); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.

Die sonach gebotene Interessenabwägung führt nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Streitgegenständlich ist ausweislich des gestellten Antrags die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung ab 1. April 2007 durch den Bescheid vom 9. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2007. Es kann letztlich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens offen bleiben, ob die Aufhebung der Bewilligung mit Wirkung für die Zukunft ihre Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1, 2 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) oder § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X findet, ob also der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig war oder wegen späteren Eintritts des Herrn H. in die Bedarfsgemeinschaft erst nachträglich rechtswidrig wurde, da in beiden Fällen die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung ab 1. April 2007 erfüllt sind.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche Änderung, die den Verwaltungsakt rechtswidrig werden lässt, liegt vor, wenn die Änderung im Vergleich zur Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass dazu führt, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Bescheid nicht hätte erlassen dürfen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22; SozR 3-4100 § 103 Nr. 9 S. 46).

Welche Rechtsgrundlage tatsächlich zutrifft, kann hier dahin gestellt bleiben, da die §§ 45, 48 SGB X auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet sind (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 14) m.w.N.). Zwar steht die Rücknahmeentscheidung nach § 45 Abs. 1 SGB X - von dem hier möglicherweise nicht vorliegenden Ausnahmefall des § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X abgesehen - grundsätzlich im Ermessen des Leistungsträgers (Niesel in Niesel, SGB III, 3. Aufl., § 330 Rdnr. 24). Eine Ermessensbetätigung ist jedoch dann entbehrlich, wenn das Ermessen der Behörde dahingehend gebunden ist, dass nur eine einzige Entscheidung rechtmäßig ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1990 - 9b/7 RAr 30/89 - BSGE 67, 232; Kuntze in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, a.a.O., § 114 Rdnr. 7). Dies ist hier der Fall, denn § 9 Abs. 2 SGB II schreibt die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zwingend vor. Der Ag. hat daher die Anrechnung des Einkommens des Herrn H. vorzunehmen (dazu unten). Eine allein die Ast. zu 1 begünstigende abweichende Entscheidung kommt mit Blick auf die gebotene Gleichbehandlung aller Leistungsempfänger (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) nicht in Betracht (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 12. März 2007 - L 9 AS 33/06 - (juris)). Es ist insoweit auch unschädlich, dass sich die Beklagte allein auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt hat (vgl. BSGE 95, 176 (Rdnr. 14) m.w.N.). Die Voraussetzungen für eine Rücknahme bzw. Aufhebung mit Wirkung ab 1. April 2007 liegen hier vor. Die vor Erlass des Bescheids vom 9. März 2007 unterbliebene Anhörung (§ 24 SGB X) ist im Widerspruchsverfahren zulässigerweise nachgeholt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X), so dass es auf die Ausführungen des Ag. zur Zulässigkeit eines Verzichts auf die Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X nicht ankommt.

Die Leistungsbewilligung ist bei der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtswidrig, denn die Ast. zu 1 hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form der hier streitigen Kosten der Unterkunft und Heizung, da es an der Hilfebedürftigkeit fehlt. Es besteht eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 SGB II mit Herrn H. mit der Folge, dass gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II auch dessen Einkommen bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen und zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen ist. Der Senat geht davon aus, dass die Bedarfsgemeinschaft jedenfalls zum Zeitpunkt des Hausbesuchs durch den Sozialermittlungsdienst des Ag. im Februar 2007 schon bestanden hat, wobei zahlreiche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass dies auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Fall war. Dies ist jedoch ggf. der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Ebenso ist im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu erwägen, ob die Verfahren gegen den Ag. und die Bundesagentur für Arbeit (S 6 AS 2159/07 und S 6 AS 2035/07) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung nach § 113 Abs. 1 SGG verbunden werden, denn über die Frage der Einkommensanrechnung und damit der Hilfebedürftigkeit kann auch bei gespaltener Trägerschaft, wenn auch nicht rechtlich, so doch logisch notwendigerweise nur einheitlich entschieden werden. Insoweit hat das BSG in seinem Urteil vom 29. März 2007 (B 7b AS 2/06 R - (juris)) auch eine unechte notwendige Beiladung für zulässig erachtet.

Durch das zum 1. August 2006 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706) ist der Begriff der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) teilweise neu gefasst worden. Danach gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - neben dem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten (Nr. 3 a) und dem nicht dauernd getrennt lebenden Lebenspartner (Nr. 3 b) - auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (Nr. 3 c). Dass die Neufassung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II n. F. - im Gegensatz zur früheren Fassung - den Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft nicht mehr explizit erwähnt, erfolgte ausweislich der Gesetzesmaterialien deswegen, weil hierdurch auch die Zuordnung von zwei in einer nicht eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Personen zu einer Bedarfsgemeinschaft ermöglicht werden sollte (vgl. BT-Drucks. 16/1410, S. 19). Auf der anderen Seite knüpft aber auch die Neufassung ersichtlich an die Rechtsprechung des BVerfG an, wonach für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft die Bindungen der Partner so eng sein müssen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87BVerfGE 87, S. 234 ff., 265; Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 - (juris), vgl. auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in BVerwGE 98, 195 , 199; Bundessozialgericht (BSG) in BSGE 90, 90 , 98 f.). Ein substantieller Unterschied gegenüber der früheren Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II ist damit, was die Kriterien für das Vorliegen einer solchen Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft anbelangt, in der Neufassung nicht zu erkennen (vgl. zu diesen Kriterien die Senatsentscheidungen vom 31. Januar 2006 - L 7 AS 108/06 ER-B - und vom 21. September 2006 - L 7 SO 1110/06 - (jeweils juris)). So ist - auch weiterhin - bei Prüfung der Voraussetzungen nicht ausschlaggebend, ob ein Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, tatsächlich vorliegt (ebenso Senatsbeschluss vom 22. März 2007 - L 7 AS 640/07 ER-B - (juris); Senatsurteil vom 14. Juni 2007 - L 7 AS 2716/06 - (juris); LSG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2007 - L 5 B 21/07 ER AS - (juris); SG Reutlingen, Beschluss vom 18. Dezember 2006 - S 2 AS 4271/06 ER - (juris)). Eine Modifikation ergibt sich allerdings insoweit, als der Gesetzgeber mit der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II Tatbestände normiert hat, deren Vorliegen nach seinem Willen den Schluss auf das Bestehen einer solchen Gemeinschaft zulassen sollen (kritisch dazu Otto in Otto/Gurgel, Handbuch des Fachanwalts, Sozialrecht, Kap. 4 Rdnr. 26b).

Die Ast. zu 1 und Herr H. erfüllen jedenfalls den Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 2 SGB II, da sie mit einem gemeinsamen Kind, dem Ast. zu 2 zusammen leben. Ob auch der Vermutungstatbestand der Nr. 1 (länger als ein Jahr zusammenleben) erfüllt ist, ist damit nicht entscheidend, denn die Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II müssen nicht kumulativ vorliegen. Damit wird der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet. Nicht maßgeblich ist, dass Herr H. seinen Hauptwohnsitz in D.-K. und einen Nebenwohnsitz in O. bei einem Arbeitskollegen angemeldet hat. Denn für das Merkmal des Zusammenlebens kommt es nicht auf melderechtliche Erklärungen an, sondern auf den tatsächlichen Lebensmittelpunkt der Betreffenden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG schließt sich der Senat insoweit dessen Einschätzung an, dass Herr H. den wesentlichen Teil seiner freien Zeit zusammen mit den Ast. in deren Wohnung verbringt. Dieser hat selbst angegeben, sich an zwei bis drei Tagen in der Woche sowie an den Wochenenden, an denen er nicht nach K. fahre, dort aufzuhalten und auch zu übernachten. Zudem verfügt sein Arbeitskollege, der ihn offiziell als Untermieter aufgenommen hat, lediglich über eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 58,71 qm und die Pauschale von 50,00 EUR, die Herr H. nachweislich monatlich entrichtet, lässt sich angesichts der Gesamtmiete von 325,00 EUR nicht mit einer tatsächlichen ständigen Nutzung als Untermieter in Einklang bringen. Auch im Rahmen des Hausbesuchs durch den Mitarbeiter des Sozialermittlungsdienstes Herrn L wurde Herr H. bei den Ast. angetroffen, beim gemeinsamen Frühstück. Schließlich hat er auch früher schon amtliche Post an die Anschrift der Ast. schicken lassen, wie der Bescheid des Trink- und Abwasserzweckverbands D.-K. vom 27. Dezember 2006 belegt (Bl. 106 der Leistungsakte). Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Ast. ist dies durchaus ein Indiz dafür, dass Herr H. unter der Anschrift der Ast. tatsächlich wohnt. Das Argument, dass bei dem Arbeitskollegen nur ein Briefkasten vorhanden sei, gilt ebenso für die Ast., auch dort wurde die Post an "H. bei P. " adressiert, so dass nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund eine Zusendung über die Ast. sicherer sein sollte. Ebenso stellt der Aktenvermerk des Einwohnermeldeamts O. vom 1. März 2006, wonach Herr H. angegeben habe, sich nicht am Wohnsitz seiner Freundin anmelden zu wollen, da diese Sozialhilfe beziehe und keine Einschränkungen wolle, ein starkes Indiz dar (Bl. 114 Leistungsakte). Soweit diese Einlassungen nunmehr bestritten werden, ist dies nicht glaubhaft. Der Mitarbeiter auf dem Einwohnermeldeamt kann ohne entsprechende Mitteilungen des Herrn H. von den niedergelegten Angaben überhaupt keine Kenntnis gehabt haben. Damit ist der Vermutungstatbestand erfüllt.

Allerdings ist die Annahme einer Einstehensgemeinschaft nicht unwiderleglich. Dies hat auch im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 3a SGB II zu gelten, wobei das Vorliegen eines "Vermutungstatbestandes" nach Absatz 3a allerdings eine Beweislasterschwernis zu Lasten des Anspruchstellers bewirkt (die Gesetzesbegründung spricht sogar von einer "Beweislastumkehr", BT-Drucks. 16/1410 S. 19, vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 22. März 2007, a.a.O.; Spellbrink, NZS 2007, 121, 126 f.). Welche Anforderungen im Einzelnen zur Widerlegung einer der Vermutungsvarianten erfüllt sein müssen, bedarf indessen anlässlich des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Jedenfalls kann die schlichte Erklärung, nicht in Verantwortungsgemeinschaft zu leben, nicht genügen (vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks. 16/1410, S. 19; Senatsbeschluss vom 22. März 2007, a.a.O.; SG Reutlingen, Beschluss vom 18. Dezember 2006 - S 2 AS 4271/06 ER -; SG Leipzig, Beschluss vom 7. November 2006 - S 19 AS 1571/06 ER -; SG Schleswig, Beschluss vom 28. November 2006 - S 1 AS 1061/06 ER - (jeweils juris)). Es ist vielmehr Sache des Hilfebedürftigen, plausible Gründe darzulegen, die gegebenenfalls bewiesen sein müssen, dass keiner der in § 7 Abs 3a SGB II aufgeführten Sachverhalte vorliegt oder dass die Vermutung durch andere Umstände entkräftet wird (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2007 - L 13 AS 3747/06 ER-B - (juris); vgl. entsprechend zur Rechtslage vor Einfügung des § 7 Abs. 3a SGB II Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. Juni 2005 - L 11 B 226/05 AS ER - (juris)). Mit Blick darauf, dass eine derartige Verantwortungsgemeinschaft rechtlich nicht verfestigt ist und aus ihr keine zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche entstehen und weil sie auch jederzeit von den Beteiligten aufgelöst werden kann, sind hierfür - wie generell bei der Ermittlung der Bedürftigkeit als Voraussetzung existenzsichernder Leistungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 -) - allerdings nur zeitnahe Umstände und Indizien von Belang und nicht solche aus zurückliegenden Zeiträumen (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2006 - L 7 AS 1704/06 ER -; vgl. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER -, FEVS 57, 42).

Hiervon ausgehend ist die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft der Ast. zu 1 mit Herrn H. zumindest seit dem Zeitpunkt des Hausbesuchs im Februar 2007 nicht widerlegt. Zunächst ist die mehrjährige Dauer der Beziehung zwischen der Ast. zu 1 und Herrn H. zu berücksichtigen, die seit dem Jahr 2003 besteht und aus welcher der am 25. Januar 2005 geborene Ast. zu 2 hervorgegangen ist und das zweite Kind unterwegs ist. Dies spricht bereits für eine erhebliche Verfestigung der Beziehung. Hinzu kommt, dass Herr H. die Ast. zu 1 auch in einer Unfallversicherung als Bezugsberechtigte im Todesfall vorgesehen hat. Seine Erklärung, dass er sonst niemanden habe, erscheint schon angesichts seiner familiären Verhältnisse wenig plausibel. Darüber hinaus kauft Herr H. gelegentlich Lebensmittel für die Ast. sowie Kleidung oder Schuhe für den Ast. zu 2, die Ast. zu 1 wäscht seine Wäsche mit. Soweit diese, dem Mitarbeiter des Ag. Herrn L. gegenüber gemachten Angaben nunmehr bestritten werden, erscheint dies nicht glaubhaft. Zwar verfügen die Ast. zu 1 und Herr H. über eigene Konten, auf die sie nach eigenen Angaben wechselseitig keinen Zugriff haben. Diesem Indiz kann jedoch keine entscheidende Bedeutung zugemessen werden, da auch unter Eheleuten ein gemeinsames Konto nicht allgemein üblich ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 2. Dezember 2005 - L 8 AS 4496/05 ER-B - und 31. Mai 2007 - L 7 AS 2485/07 ER -). Von einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung kann nach alledem im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht die Rede sein.

Unter Zugrundelegung einer somit anzunehmenden Bedarfsgemeinschaft zwischen der Ast. zu 1 und Herrn H. , in welche der Ast. zu 2 über die Bestimmung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II einbezogen ist, liegt Bedürftigkeit der Ast. nach § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB II nicht vor. Herr H. verfügt über ein Bruttoeinkommen in Höhe von 2.794,72 EUR, netto 1.760,71 EUR. Hiervon sind nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II abzusetzen Versicherungsbeiträge, wobei hier von 30,00 EUR pauschal für die privaten Versicherungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei Arbeitslosengeld II vom 20. Oktober 2004 - BGBl. I S. 2622 - (Alg II-V)) zuzüglich 46,17 EUR für die Kfz-Haftpflicht ausgegangen wird (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R - (juris)), und ferner Werbungskosten nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II in Höhe des Pauschbetrags von 15,33 EUR nach § 3 Abs. 1 Nr. 3a Alg II-V sowie - hier zu Gunsten der Ast. trotz Angabe, dass mit einem Kollegen gefahren wird - Fahrtkosten zur Arbeitsstelle (12 km x 22 Tage x 0,2 EUR = 52,80 EUR; vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3b Alg II-V) abzuziehen. Weiter sind abzusetzen der Freibetrag nach §§ 11 Abs. 2 Nr. 6, 30 SGB II in Höhe von 210,00 EUR und die Unterhaltszahlungen für Sandro in Höhe von 180,00 EUR. Insgesamt ergeben sich somit Abzüge in Höhe von 534,30 EUR, so dass ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 1.226,41 EUR verbleibt. Dem steht gegenüber ein Bedarf in Höhe von maximal 1.221,00 EUR (Regelleistung 2 x 311,00 EUR, Sozialgeld 207,00 EUR, Kosten der Unterkunft und Heizung höchstens 392,00 EUR), welcher aus dem Einkommen des Herrn H. gedeckt werden kann. Dabei wurde die Frage nicht geprüft, ob das Haus des Herrn H. in Kirchhain ebenfalls zur Bedarfsdeckung zu verwerten ist oder geschütztes Vermögen i.S.v. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II darstellt. Das für den Ast. zu 2 erbrachte Kindergeld ist bei der vorstehenden Berechnung ebenfalls noch nicht berücksichtigt. Weitere Absetzungen vom Einkommen, etwa aufgrund von Kreditverbindlichkeiten, sind nicht vorzunehmen, denn die Aufzählung der möglichen Absetzungen in § 11 Abs. 2 SGB II ist dem Wortlaut nach abschließend (Brühl in Münder, LPK-SGB II, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 43). Dabei verkennt der Senat nicht, dass diese Regelung gerade unter Zugrundelegung der mit der gesetzlichen Neuregelung zum 1. August 2006 verbundenen Erweiterung der Bedarfsgemeinschaft und den damit verbundenen weit reichenden finanziellen Einstandspflichten (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II) zu Härten auf Seiten einer Person führen kann, die bei isolierter Betrachtung nicht hilfebedürftig wäre und nunmehr gehalten ist, ihr Einkommen für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen mit der Folge, dass sie dadurch möglicherweise andere Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann (hierzu Münder, a.a.O., Rdnr. 12 m.w.N.). Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Konzeption bestehen jedenfalls in der Konstellation der "funktionierenden Bedarfsgemeinschaft" nicht (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - (juris); Senatsbeschluss vom 22. März 2007, a.a.O.). Eine hiervon abweichende Konstellation, in welcher einzusetzendes Einkommen den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft vorenthalten wird, ist nicht glaubhaft gemacht.

Die Ast. zu 1 kann keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Für den Fall, dass die Verantwortungsgemeinschaft schon bei Erlass der Bewilligung im Dezember 2006 bestand, muss sie sich entgegen halten lassen, dass ihr Vertrauen in den Bestand des Bewilligungsbescheids bei Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Da die Bewilligung vorliegend nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wurde, stellt sich die Frage des Verbrauchs der Leistungen oder entsprechender Vermögensdispositionen nicht (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf die Frage, ob die Ast. zu 1 insoweit auch bösgläubig i.S.v. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X war, kommt es daher nicht an. § 48 SGB X sieht bei einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft eine Vertrauensschutzprüfung ohnehin nicht vor (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X Rdnr. 34).

Angesichts dessen erscheint die Rechtsverfolgung in der Hauptsache wenig aussichtsreich.

2.) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf BVerfG NVw Z 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Ast. vorzunehmen (vgl. schon Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris) unter Hinweis auf BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; ferner Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 2. Auflage, § 123 Rdnrn. 79, 96, 100; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O., Rdnrn. 15, 25). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., Rdnr. 78; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O., Rdnr. 62 (alle m.w.N.)). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O.; Krodel, a.a.O., Rdnr. 259 (alle m.w.N.)).

Betreffend den Ast. zu 2 ist für die Zeit vom 29. Mai bis 30. Juni 2007 ein Anordnungsanspruch vorhanden, denn er ist aus dem Bewilligungsbescheid vom 8. Januar 2007 unmittelbar berechtigt, die dort gewährten Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Eine Aufhebungsentscheidung ihm gegenüber lässt sich dem Bescheid vom 9. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2007 nicht entnehmen. Denn dieser Bescheid ist allein an die Ast. zu 1 als Adressatin gerichtet, auch aus der getroffenen Regelung im Bescheid "den Bescheid vom 8. Januar 2007 heben wir hiermit ab 1. April 2007 gemäß § 48 SGB X auf" lässt sich nicht entnehmen, dass eine Bewilligung anderen Personen als der Ast. zu 1 gegenüber aufgehoben werden soll, wie dies beispielsweise aus einem Zusatz "Bewilligung für Sie und die von Ihnen gesetzlich vertretenen, minderjährigen, mit Ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder X und Y" ersichtlich wäre. Ansprüche nach dem SGB II sind jedoch Individualansprüche der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, Leistungen dürfen daher nicht der Bedarfsgemeinschaft als solcher gewährt werden, sondern nur den jeweiligen Mitgliedern (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - a.a.O.). Umgekehrt muss auch die Aufhebung oder Rücknahme der Bewilligung gegenüber jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erfolgen. Der Ag. hat die Leistungsbewilligung hier jedoch allein der Ast. zu 1 gegenüber zurückgenommen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 38 SGB II, der nur eine gesetzliche Vermutung normiert, wonach der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für eine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Person zu beantragen und entgegen zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, a.a.O.; LSG Hessen, Urteil vom 12. März 2007, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. August 2006 - L 5 B 549/06 AS ER - (juris)). Eine weitergehende Rechtswirkung lässt sich § 38 SGB II schon nach seinem Wortlaut nicht entnehmen. Bescheide, die Leistungen für minderjährige Kinder wie den Ast. zu 2 aufheben, sind zwar an die jeweiligen gesetzlichen Vertreter, hier die Ast. zu 1 zu adressieren, vorliegend scheitert jedoch die wirksame Aufhebung gegenüber dem Ast. zu 2 daran, dass sich dem Bescheid vom 9. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2007 eine entsprechende Regelung auch im Wege der Auslegung nicht entnehmen lässt, denn er enthält, wie bereits ausgeführt, keinerlei Anhaltspunkte, dass die Leistungsbewilligung auch dem Ast. zu 2 gegenüber aufgehoben werden sollte. Ein entsprechender Verfügungssatz im Bescheid wäre jedoch erforderlich gewesen (vgl. Gerlach, ZfF 2007, 121, 127). Für die aufgrund des gestellten Antrag maßgebliche Zeit ab 29. Mai 2007 ist der Ag. daher einstweilen verpflichtet, dem Ast. zu 2 die bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums am 30. Juni 2007 bewilligten Leistungen zu gewähren.

Es besteht im Rahmen der existenzsichernden Leistungen des SGB II auch ein Anordnungsgrund. In diesem Zusammenhang kommt dem verfassungsrechtlichen Gebot der Menschenwürde besondere Bedeutung zu (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2006 - L 7 AS 108/06 ER-B - (juris)).

3.) Bezogen auf den geltend gemachten Anspruch der Ast. für die Zeit ab 1. Juli 2007 ist schon ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, wobei auf die unter 1.) gemachten Ausführungen zum Fehlen eines Leistungsanspruchs mangels Bedürftigkeit verwiesen werden kann. Auch unter Anwendung der ab 1. Juli 2007 erhöhten Leistungssätze reicht das Einkommen des Herrn H. zur Deckung des Bedarfs der Bedarfsgemeinschaft aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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