L 13 AL 3806/07 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 3806/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Bescheide der Beklagten vom 29. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 23. Juni 2006 wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger begehrten einstweiligen Rechtsschutz ist die Bestimmung des § 86 b Sozialgerichtsgesetz (SGG); dabei ermöglicht Abs. 1 a. a. O. in Anfechtungssachen u. a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage, während Abs. 2 a. a. O. den Fall der einstweiligen Anordnung in Vornahmesachen regelt. Das vorliegende Rechtsschutzverlangen ist unter die Bestimmung des § 86 b Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG zu fassen. Denn nach der Bestimmung des § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. In diesen Fällen entfalten die hiergegen gerichteten Rechtsbehelfe des Widerspruchs und der Anfechtungsklage nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass ein Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Rechtbehelfs ganz oder teilweise wiederherzustellen, statthaft ist (vgl. entsprechend zu Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B-; Beschlüsse vom 13. März 2007 - L 13 AS 211/07 ER-B- und vom 21. November 2006 - L 8 AS 4680/06 ER-B-, jeweils m. w. N. [juris]). Dass in § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 SGG die nach der Anordnung des Sofortvollzugs vom Belasteten erstrebte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung - im Gegensatz zu § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - nicht eigens aufgeführt ist, ist unschädlich, denn aus der ausdrücklichen Erwähnung einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in § 86 b Abs. 1 Satz 3 SGG ergibt sich, dass der Gesetzgeber auch bei Sofortvollzugsanordnungen einstweiligen Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat einräumen wollen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2003 - L 13 AL 2374/03 - [Juris]; Beschluss vom 19. Juni 2007 - L 7 AL 1572/07 ER-B-).

Die streitbefangene Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Verfügung vom 13. Juli 2007, welche sich ausdrücklich nur auf die in den Bescheiden vom 29. Juni 2005 angeordnete

Erstattung von Arbeitslosenhilfe, Unterhaltsgeld, Anschlussunterhaltsgeld und die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, soweit diese auf das Unterhaltsgeld und Anschluss- unterhaltsgeld entfallen, sich also insgesamt auf eine Erstattungsforderung in Höhe von 47.229,08 EUR, bezieht, genügt den formalen Anforderungen des § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG; das Interesse an der sofortigen Vollziehung ist hinreichend schriftlich begründet.

In der Sache hat der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung der ergangenen Rücknahme - und Erstattungsbescheide in dem Umfang, in dem im Bescheid vom 13. Juli 2007 die sofortige Vollziehung angeordnet worden ist. Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt vom Gericht eine eigene originäre Entscheidung und Abwägung der betroffenen Interessen, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Keller in Meyer - Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdn. 12 ff). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B- und vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4269/02 ER-B - [beide Juris]); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahren bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon Bundessozialgericht [BSG] BSGE 4, 151, 155; Keller in Meyer - Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 86 b Rdn. 12 c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f; NJW 2003, 1236 f; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, sodass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und dem SGB XII - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist; in dieser Beziehung hat das Vollzugsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtrelevanz - wiegen.

Die sonach gebotene Interessenabwägung führt hier zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Klägers. Denn bei der im Eilverfahren gebotenen, aber zugleich ausreichenden summarischen Prüfung bestehen aus den vom Sozialgericht Reutlingen (SG) im Urteil vom 19. April 2007 zutreffend dargestellten Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Berufungsverfahren (L 13 AL 2893/07) weiterhin angefochtenen Bescheide, soweit die Klage durch das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen abgewiesen wurde. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen 17. August 1994 bis 27. September 1998 unter 9. Mai 1999 bis 2. Juli 2000 keinen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) hatte; auch ein Anspruch auf Bewilligung von Unterhaltsgeld bzw. Anschlussunterhaltsgeld bestand nicht. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, dürfte davon auszugehen sein, dass zu Beginn des vorliegenden Bezugszeitraumes ab 17. August 1994 beim Kläger und seiner Ehefrau je ein getrenntes und ein gemeinsames Konto bei der TCMB mit insgesamt angelegten Beträgen von 1994 109.715,20 DM und sich jährlich steigernd bis schließlich zum 31. Dezember 2002 von 231.457,82 DM vorhanden waren (vgl. Bl. 311 bis 313 der Verwaltungsakte der Beklagten), welche die Bedürftigkeit zu Beginn des streitigen Bezugszeitraums ausschlossen. Auch in der Folgezeit dürfte der Kläger zu Unrecht Alhi bezogen haben; die in den ergangenen Bescheiden und insbesondere im Urteil des SG vom 19.April 2007 erfolgten schlüssigen Ausführungen zum weiteren Vermögensverlauf und der demzufolge entfallenden Bedürftigkeit bzw. zum Nichtbestehen der Anspruchsvoraussetzungen der ab 9. Mai 1999 bewilligten Alhi bzw. des Bezugs von Unterhaltsgeld vom 28. September 1998 bis 7. Februar 1999 unterliegen bei summarischer Prüfung keine Bedenken. Damit ist nach dem derzeitigen Stand mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Nichtbestehen eines Anspruchs auf Alhi bzw. auf Unterhaltsgeld während des gesamten streitigen Zeitraums auszugehen.

Auch im Übrigen unterliegen die angegriffenen Bescheide bei summarischer Prüfung keinen durchgreifenden Bedenken. Das gilt namentlich hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach der Überzeugung des Senats hat sich der Kläger insoweit zumindest grob fahrlässig i. S. der Nr. 2 verhalten. Eine grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X anzunehmen, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Verlangt wird eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem außergewöhnlich hohen Ausmaße, das heißt eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung; es müssen schon

einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere an der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2). Missachtet der Begünstigte die klaren und eindeutigen Hinweise im Bescheid oder im Merkblatt und konnte er dies nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand erkennen, so begründet dies im Regelfall, wenn nicht gar Kenntnis, so zumindest grobe Fahrlässigkeit (vgl. BSGE 44, 264, 273).

Hiervon ausgehend hat der Kläger - schon entgegen der klaren und unmissverständlichen Fragestellung in den jeweiligen Antragformularen- unrichtige Angaben bezüglich seiner und der Vermögensverhältnisse seiner Ehefrau gemacht, indem jeweils das Vorhandensein von Vermögen verneint wurde. Dabei musste es ihm - unter Zugrundelegung der eindeutigen Fragestellung - auch aufgrund der ihm eingeräumten eigenen rechtlichen Wertung ( vgl. BSGE 42, 184, 188; BSGE 47, 28, 33; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 6) - ohne weitere Überlegung klar sein, was berücksichtigungsfähiges Vermögen ist bzw. dass zu den anzugebenden Vermögenswerten nicht nur die im Inland sondern auch die im Ausland gehören. Soweit sich der Kläger auf sprachliche Defizite im Verständnis der Antragsformulare und der dortigen Fragestellung beruft, ist dem SG darin zu folgen, dass er sich entgegenhalten lassen muss, dass er seine Erklärungen dennoch abgegeben hat, offensichtlich ohne Rückfrage bei der Beklagten zu halten. Somit handelte er zumindest grob fahrlässig. Unabhängig von seiner angeblichen eigenen Einschätzungen der Rechtslage hätte der Kläger alleine aufgrund des Umstandes, dass auf seinen Namen und den Namen seiner Ehefrau Konten geführt wurden, der Beklagten gegenüber auf das Vorhandensein dieser Konten hinweisen müssen (vgl. BSG vom 13. September 2006 - B 11 AL 19/06 R). Dabei fällt es auch ins Gewicht, dass es sich der Höhe nach nicht um zu vernachlässigendes Vermögen handelte sondern dass angesichts der Lebensverhältnisse des Klägers und seiner Ehefrau sehr hohe Beträge verschwiegen wurden.

Nach allem dürfte dem Kläger ein - den Vertrauensschutz ausschließendes - Fehlverhalten im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorzuwerfen sein; § 330 Abs. 2 SGB III schreibt unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes im Umfang seiner Rechtswidrigkeit zwingend vor. Die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten

Fristen sind eingehalten. Der Kläger dürfte daher nach § 50 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III verpflichtet sein, die im streitbefangenen Zeitraum überzahlten Leistungen (Alhi und Unterhaltsgeld nebst entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bezogen auf das Unterhaltsgeld) zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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