L 7 AS 3929/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AS 5431/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3929/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. August 2007 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden, denen das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), sind zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 ZPO gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Mithin erforderlich ist sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund, die jedoch, gemessen an dem mit dem Antrag verfolgten Rechtsschutzziel (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 95; NVwZ 2005, 927), in einer Wechselbeziehung zueinander stehen, sodass sich die Anforderungen je nach dem zu erwartendem Maß des Erfolgs in der Hauptsache, der Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung oder der Schwere des drohenden Nachteils vermindern können (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z. B. Beschlüsse vom 4. Januar 2007 - L 7 SO 6235/06 ER-B - und vom 29. Januar 2007 - L 7 SO 5672/06 ER-B - (beide m.w.N.)). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72, vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide m.w.N.)). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Antrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. November 2006 - L 7 SO 5206/06 ER-B - und vom 28. Dezember 2006 - L 7 AS 6383/06 ER-B- (beide m.w.N.)).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das SG das Bestehen eines Anordnungsanspruchs verneint. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Auch nach Auffassung des Senats fehlt es an der Glaubhaftmachung einer weitergehenden Hilfebedürftigkeit der Antragsteller (Ast.) im streitbefangenen Zeitraum. Bei summarischer Prüfung besteht nach der gesetzlichen Vermutungsregelung eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) der Ast. zu 1 und Herrn M. , in welche die Ast. zu 2 und 3 über § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II einbezogen sind mit der Folge, dass gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II auch Herrn M. Einkommen bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen und zur Sicherung der Lebensunterhalts einzusetzen ist.

Durch das zum 1. August 2006 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706) ist der Begriff der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) teilweise neu gefasst worden. Danach gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - neben dem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten (Nr. 3 a) und dem nicht dauernd getrennt lebenden Lebenspartner (Nr. 3 b) - auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (Nr. 3 c). Dass die Neufassung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II n. F. - im Gegensatz zur früheren Fassung - den Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft nicht mehr explizit erwähnt, erfolgte ausweislich der Gesetzesmaterialien deswegen, weil hierdurch auch die Zuordnung von zwei in einer nicht eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Personen zu einer Bedarfsgemeinschaft ermöglicht werden sollte (vgl. BT-Drucks. 16/1410, S. 19). Auf der anderen Seite knüpft aber auch die Neufassung ersichtlich an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, wonach für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft die Bindungen der Partner so eng sein müssen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87BVerfGE 87, S. 234 ff., 265; Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 - (juris), vgl. auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in BVerwGE 98, 195 , 199; Bundessozialgericht (BSG) in BSGE 90, 90 , 98 f.). Ein substantieller Unterschied gegenüber der früheren Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II ist damit, was die Kriterien für das Vorliegen einer solchen Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft anbelangt, in der Neufassung nicht zu erkennen (vgl. zu diesen Kriterien die Senatsentscheidungen vom 31. Januar 2006 - L 7 AS 108/06 ER-B - und vom 21. September 2006 - L 7 SO 1110/06 - (jeweils juris)). So ist - auch weiterhin - bei Prüfung der Voraussetzungen nicht aussschlaggebend, ob ein Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, tatsächlich vorliegt (ebenso Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2007 - L 5 B 21/07 ER AS -, SG Reutlingen, Beschluss vom 18. Dezember 2006 - S 2 AS 4271/06 ER - (jeweils juris)). Eine Modifikation ergibt sich allerdings insoweit, als der Gesetzgeber mit der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II Tatbestände normiert hat, deren Vorliegen nach seinem Willen den Schluss auf das Bestehen einer solchen Gemeinschaft zulassen sollen (kritisch dazu Otto in Otto/Gurgel, Handbuch des Fachanwalts, Sozialrecht, Kap. 4 Rdnr. 26b).

Die Ast. zu 1 erfüllt den Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II, da sie - unstreitig - zumindest seit 15. April 2006 mit Herrn M. in einer gemeinsamen Wohnung wohnt. Darüber hinaus ist auch der Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 4 SGB II (Befugnis, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen) erfüllt. Dies ergibt sich, wie das SG zu Recht ausgeführt hat daraus, dass Herr M. selbst bereits zwei Mal die vollständige Zahlung der Leistungen nach dem SGB II auf das Konto der Ast. zu 1 veranlasst hat, seine erste Gehaltszahlung des neuen Arbeitgebers auf das Konto der Ast. zu 1 erfolgte und er im übrigen auch Verbindlichkeiten der Ast. zu 1 beim Quelle-Versand beglich. Damit wird der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet. Ob auch weitere Vermutungstatbestände wie das Versorgen von Kindern im Haushalt (§ 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II) erfüllt sind, ist nicht entscheidend, denn die Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II müssen nicht kumulativ vorliegen.

Allerdings ist die Annahme einer solchen Einstehensgemeinschaft nicht unwiderleglich. Dies hat auch im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 3a SGB II zu gelten, wobei das Vorliegen eines "Vermutungstatbestandes" nach Absatz 3a allerdings eine Beweislasterschwernis zu Lasten des Anspruchstellers bewirkt (die Gesetzesbegründung spricht sogar von einer "Beweislastumkehr", vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 19). Welche Anforderungen im Einzelnen zur Widerlegung einer der Vermutungsvarianten erfüllt sein müssen, bedarf indessen anlässlich des vorliegenden Eilverfahrens keiner Entscheidung. Jedenfalls kann die schlichte Erklärung, nicht in Verantwortungsgemeinschaft zu leben, wie sie sich aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Schreiben des Herrn M. vom 15. August 2007 ergibt, nicht genügen (vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucksache 16/1410, S. 19 und Beschluss des Senats vom 20. März 2007 - L 7 AS 640/07 ER-B - (juris)). Es ist vielmehr Sache des Hilfebedürftigen, plausible Gründe darzulegen, die gegebenenfalls bewiesen sein müssen, dass keiner der in § 7 Abs. 3a SGB II aufgeführten Sachverhalte vorliegt oder dass die Vermutung durch andere Umstände entkräftet wird (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2007 - L 13 AS 3747/06 ER-B -, (juris); vgl. entsprechend zur Rechtslage vor Einfügung des § 7 Abs. 3a SGB II Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. Juni 2005 - L 11 B 226/05 AS ER - (juris)) bzw. dass das Zusammenwohnen (nunmehr) als reine Zweck- oder Wohngemeinschaft einzustufen ist; soweit es um die Aufhebung der eheähnlichen Gemeinschaft geht, wird diese allerdings in der Lebensrealität regelmäßig mit der Auflösung der Wohngemeinschaft verbunden sein (BVerfG, a.a.O.). Mit Blick darauf, dass die eheähnliche Gemeinschaft rechtlich nicht verfestigt ist und aus ihr keine zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche entstehen und weil sie auch jederzeit von den Beteiligten aufgelöst werden kann, sind hierfür - wie generell bei der Ermittlung der Bedürftigkeit als Voraussetzung existenzsichernder Leistungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 -) - allerdings nur zeitnahe Umstände und Indizien von Belang und nicht solche aus zurückliegenden Zeiträumen (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2006 - L 7 AS 1704/06 ER -; vgl. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER -, FEVS 57, 42).

Hiervon ausgehend ist die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft der Ast. zu 1 mit Herrn M. nicht widerlegt; es sprechen vielmehr zahlreiche gewichtige Indizien für deren Bestätigung. Wegen der weiteren Begründung wird hierzu zur Vermeidung von Wiederholungen auf die überzeugenden Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG entsprechend). Ergänzend hierzu ist auszuführen, dass die Ast. zu 1 im Fortzahlungsantrag vom 5. April 2006 selbst zu Änderungen in den persönlichen Verhältnissen angegeben hat, ab 15. April 2006 mit einem Partner in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben, wobei sie handschriftlich ergänzte, ihr Freund ziehe in ihre Wohnung. Herr M. selbst hatte schon anlässlich einer Außendienstüberprüfung im Oktober 2005 die Ast. zu 1 als seine Freundin bezeichnet. Soweit er sie in seinem Schreiben vom 15. August 2007 nunmehr als Mitbewohnerin bezeichnet und sich bezüglich des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft "von den falschen Anschuldigungen der Arge distanziert", erscheinen diese Ausführungen zweckgerichtet im Rahmen des Verfahrens und nicht glaubhaft. Keine andere Beurteilung ergibt sich ebenso aus dem Vorbringen der Ast. zu 1, es gebe kein gemeinsames Konto. Diesem Indiz kann keine entscheidende Bedeutung zugemessen werden, da auch unter Eheleuten ein gemeinsames Konto nicht allgemein üblich ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 2. Dezember 2005 - L 8 AS 4496/05 ER-B und 31. Mai 2007 - L 7 AS 2485/07 ER -). Von einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung kann nach alledem im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz nicht die Rede sein.

Unter Zugrundelegung einer somit voraussichtlich anzunehmenden Bedarfsgemeinschaft lässt sich eine weitergehende Bedürftigkeit nach § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II als im angefochtenen Bescheid vom 21. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2007 bei der im Eilverfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nicht feststellen. Fehler bei der Einkommensanrechnung des Herrn M. sind nicht ersichtlich. Soweit dieser im Schreiben vom 15. August 2007 auf seine zwei Kinder aus der geschiedenen Ehe verweist, hat er noch nicht einmal vorgetragen, dass er diesen auch Unterhalt zahlt. Nur tatsächliche Aufwendungen können jedoch nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II vom Einkommen abgesetzt werden. Unter diesen Umständen ist auch eine weitere Sachverhaltsaufklärung dem beim SG anhängigen Hauptsacheverfahren vorzubehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved