L 10 R 4308/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 5327/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4308/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.06.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1950 in Kroatien geborene Kläger machte nach seinen Angaben in Kroatien eine Lehre als Schreiner und arbeitete nach seiner Einreise nach Deutschland im Jahr 1973 zunächst im Wesentlichen als Schreiner in der industriellen Fertigung, danach seit 1980 in einer Baufirma als Verfuger. Ab 01.10.1987 machte er sich als Verfuger selbständig und entrichtete freiwillige Beiträge an die Beklagte bis zum 31.12.2004. Den Betrieb führt seit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Dezember 2004 der Sohn weiter.

Am 14.07.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, er habe gesundheitliche Beschwerden an der Wirbelsäule und an den Hüften.

Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. Schl., der eine Hüftgelenksarthrose beidseits mit Belastungsschmerzen, Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen der mittleren und unteren Lendenwirbelsäule (LWS) ohne Funktionseinschränkung und ohne lokalen Wurzelreizzustand diagnostizierte. Leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne häufige Stoßbelastungen auf die Beine, längeres Gehen in unebenem Gelände, häufiges Besteigen von Leitern und Gerüsten, häufiges Knien/Hocken, lange Wirbelsäulenzwangshaltung sowie ausschließlich stehende und gehende Arbeiten seien sechs Stunden und mehr zumutbar. Das Gehvermögen sei auf Grund der Hüfterkrankung in gewissem Umfang eingeschränkt, jedoch seien Gehstrecken im Bereich von zumindest 1 Kilometer weiterhin möglich. Im Übrigen sei der Kläger mit dem Pkw weiterhin mobil. Als körperlich arbeitender Verfuger könne der Kläger nur noch drei bis unter sechs Stunden tätig sein.

Mit Bescheid vom 21.11.2005/Widerspruchsbescheid vom 19.12.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne der Kläger zwar nicht mehr den angelernten Beruf als Verfuger ausüben, er könne jedoch eine zumutbare Verweisungstätigkeit als Pförtner, Briefsortierer oder Montierer von Kleinteilen verrichten.

Dagegen hat der Kläger am 28.12.2005 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.

Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte, Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. I. und den Chirurg Dr. Sche., schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. I. hat den Schwerpunkt der Erkrankung auf orthopädischem bzw. chirurgischem Fachgebiet gesehen und eine Tätigkeit als Verfuger wegen des degenerativen LWS-Syndroms nicht mehr für möglich gehalten. Arbeiten als Pförtner oder Sortierer seien vollschichtig zumutbar soweit sie nicht mit Zwangshaltungen und Zugluft verbunden seien. Dr. Sche. hat angegeben, der Kläger sei seit September 2004 im Wesentlichen wegen eines schweren BWS- und LWS-Syndroms, wegen einer beidseitigen Hüftgelenksarthrose, einer Periarthropathie Humerus scarpularis beidseits sowie wegen eines Tennisellenbogens in Behandlung. Als Verfuger könne der Kläger nicht mehr arbeiten. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung (Pförtner) seien noch vier bis sechs Stunden täglich zumutbar, nicht dagegen eine Tätigkeit als Montierer oder Sortierer wegen der Entzündung im Bereich beider Schultergelenke sowie des rechten Ellenbogengelenkes.

Mit Urteil vom 22.06.2006 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, insbesondere auch nicht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufungsunfähigkeit. Nach dem Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts sei der Kläger nicht als Facharbeiter, sondern allenfalls als angelernter Arbeiter des oberen Bereiches, d. h. als Arbeiter mit einer Anlernzeit von bis zu zwei Jahren einzustufen. Maßgeblich hierfür sei die zuletzt von ihm ausgeführte versicherungspflichtige Tätigkeit des Verfugers. Die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte sei ihm sozial und auch medizinisch zumutbar. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Dr. Schl. als auch aus der Äußerung von Dr. Sche.

Gegen das (am 14.08.2006 zugestellte) Urteil hat der Kläger am 24.07.2006 Berufung eingelegt mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er leide jetzt noch zusätzlich an einer Schwerhörigkeit mit Tinnitus sowie an Schlaflosigkeit bzw. Atemschwierigkeiten. Er hat die Arztbriefe des HNO-Arztes Dr. E. und von Prof. Dr. He., Chefarzt des Schlafmedizinischen Zentrums an der T. Klinik H., einen weiteren Befundbericht von Dr. Sche. sowie ein Attest des Dr. I. vorgelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.06.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat das Gutachten des Orthopäden Dr. H. eingeholt. Er hat im Wesentlichen ein Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen ohne Anhalt für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallserscheinungen diagnostiziert, eine Fehlhaltung der Brustwirbelsäule ohne Funktionsdefizit, eine mäßig ausgeprägte Arthrose beider Hüftgelenke, ein Rotatorenmanschettensyndrom beider Schultergelenke, eine Epicondylopathia humero-radialis rechts bei Zustand nach operativer Revision und Wundheilungsstörung sowie Senk-Spreizfüße. Er hat zusammenfassend ausgeführt, als Verfuger könne der Kläger nicht mehr arbeiten. Leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, nicht in der Hocke und im Knien bzw. in statisch einseitiger ungünstiger Körperhaltung, ohne ständige Armvorhalte bzw. Überkopfarbeiten, ständigem kraftvollen Gebrauch der rechten Hand, ständiges Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten bzw. unter Kälte, Nässe oder Zuglufteinwirkung mit zwischenzeitlichem Stehen und Umhergehen könnten jedoch mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte Dr. E., Dr. Sche., den Facharzt für Psychiatrie H. sowie Dr. J., Oberarzt der Orthopädischen Klinik an den St. V.-Kliniken K., schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. E. hat trotz der von ihm erhobenen Hörverschlechterung mit Ohrgeräuschen die Verrichtung einer körperlich leichten Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich für zumutbar gehalten. Dr. Sche. hat lediglich noch eine Tätigkeit von vier Stunden für zumutbar gehalten. Der Psychiater H. hat angegeben, der Kläger habe sich erstmalig am 01.02.2007 vorgestellt und über einen seit zwei Jahren bestehenden Tinnitus mit Schlafstörungen sowie einen Erschöpfungszustand geklagt. Die Dauer der täglichen Leistungsfähigkeit könne er auf Grund der kurzen Behandlungsdauer noch nicht sicher beurteilen, er schätze jedoch die Arbeitsfähigkeit bezüglich leichter Arbeit auf unter sechs Stunden ein. Dr. J. hat berichtet, beim Kläger liege eine Hüftgelenksarthrose rechts stärker als links vor. Für den 14.09.2007 sei die endoprothetische Versorgung des rechten Hüftgelenkes terminiert. Bezüglich beider Hüftgelenke könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, nicht in der Hocke und im Knien, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Gehen auf unebenem Boden sowie ohne überwiegendes Gehen und Stehen sechs Stunden und mehr ausführen.

Der Senat hat das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. eingeholt. Er hat eine somatoforme Schmerzstörung und eine Anpassungsstörung diagnostiziert. Der neurologische Status sei unauffällig. Die Behandlung des Schlaf-Apnoe-Syndroms mit einer Atemmaske sei effektiv. Der chronische Tinnitus habe zu einer somatoformen Schmerzstörung geführt. Leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeit unter Zeitdruck und Arbeit mit erhöhter Eigenverantwortung ohne Einsatz an gefährdenden Maschinen und ohne langfristige Überwachungsaufgaben sowie ohne Führen eines Kraftfahrzeugs seien sechs Stunden und mehr täglich zumutbar.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente (§§ 43, 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -) wiedergegeben und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig ausüben und zumutbar auf die Tätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte verwiesen werden kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Zu Korrigieren sind die Ausführungen des SG hinsichtlich der zumutbaren Verweisungstätigkeit. So genannte obere Angelernte können nicht auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, sofern sie nicht allereinfachster Art sind. Sie können vielmehr nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, die sich durch Qualitätsmerkmale, z.B. das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen, wobei mindestens eine solche Verweisungstätigkeit konkret zu bezeichnen ist (BSG, Urteil vom 29. März 1994, 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Mit der Tätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte ist eine solche Verweisungstätigkeit benannt.

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren sowie die Ermittlungen des Senats auszuführen: Auch die Begutachtung durch Dr. H. hat ergeben, dass dem Kläger leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit verschiedenen qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich zumutbar sind. Die von Dr. H. genannten qualitativen Einschränkungen, nämlich keine Tätigkeiten in der Hocke und im Knien bzw. statisch einseitiger ungünstiger Körperhaltung, Arbeiten ohne andauernde Armvorhalte bzw. Überkopfarbeiten und ohne ständiges Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten bzw. unter Kälte, Nässe oder Zuglufteinwirkungen, Tätigkeiten mit ständigem Heben von mehr als 10 kg sowie mit dem ständigen kraftvollen Gebrauch der rechten Hand werden bei der Tätigkeit eines Pförtners nicht gefordert. Auch aus dem überzeugenden Gutachten von Dr. D. vom 19.04.2007 ergibt sich, dass der Kläger noch leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeit unter Zeitdruck und mit erhöhter Eigenverantwortung sowie ohne die Führung oder Überwachung von potentiell gefährdenden Maschinen, ohne berufliches Führen eines Kraftfahrzeugs und ohne langfristige Überwachungsaufgaben sechs Stunden und mehr täglich verrichten kann. Auch diese qualitativen Einschränkungen lassen eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte zu. Weiter ergibt sich aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. J. vom 05.07.2007, der eine Hüftgelenksarthrose rechts stärker als links diagnostiziert hat, bezüglich der Hüftgelenke keine zeitliche tägliche Leistungseinschränkung. Dem Kläger sind lediglich Arbeiten in der Hocke und im Knien, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Gehen auf unebenem Boden sowie überwiegendes Gehen und Stehen nicht mehr zumutbar. Auch diese qualitativen Leistungseinschränkungen schließen eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte nicht aus. Weiter hat Dr. E. auf Grund der Beschwerden des Klägers auf hno-ärztlichem Gebiet die Verrichtung einer körperlich leichten Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich für zumutbar gehalten. Nicht zu folgen vermag der Senat der Auffassung des Psychiaters H. in dessen sachverständiger Zeugenaussage vom März 2007, der Kläger könne leichte Tätigkeiten nur noch unter sechs Stunden täglich ausüben. Zum einen weist dieser selbst darauf hin, dass er die tägliche Leistungsfähigkeit des Klägers auf Grund der kurzen Behandlungsdauer noch nicht sicher beurteilen kann, zum anderen ist dessen Auffassung durch das überzeugende Gutachten von Dr. D. widerlegt. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat weiter den Ausführungen von Dr. Sche. in dessen Aussage vom 26.02.2007, der lediglich noch eine Tätigkeit von vier Stunden für zumutbar hält. Denn Dr. H. hat die von Dr. Sche. mitgeteilten Befunde in seinem überzeugenden Gutachten bereits berücksichtigt und bezüglich der Beschwerden an den Hüftgelenken mit der Erforderlichkeit einer endoprothetischen Versorgung des rechten Hüftgelenks gibt Dr. J. unter dem 05.07.2007 an, der Kläger könne bezüglich beider Hüftgelenke unter Beachtung qualitativer Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr täglich tätig sein. Weiter ist die Wegefähigkeit des Klägers zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. So hat Dr. H. die Zurücklegung einer Wegstrecke von mehr als 500 m in knapp 20 Minuten viermal täglich sowie das Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln zweimal täglich als möglich angesehen. Auch Dr. J. hat angegeben, das Zurücklegen einer Wegstrecke von viermal 500 m täglich scheine noch möglich zu sein, ebenso die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved