L 1 SB 5797/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 4370/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SB 5797/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".

Der 1922 geborene Kläger hält sich jedenfalls seit Anfang des Jahres 2005 dauerhaft in M., Spanien, auf.

Mit Ausführungsbescheid vom 9. Mai 2005 erkannte das N. Landesamt für Soziales, Jugend und Familie, Außenstelle O., dem damals noch in D., N., wohnhaften Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 zu und stellte ab 10. Juni 2006 das Merkzeichen "G" fest. Gestützt wurde die Entscheidung auf Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Bescheid des Versorgungsamts B. vom 20. Juni 1969, Einzel-GdB 60), eine Lungenfunktionseinschränkung bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (Einzel-GdB 50), eine Herzleistungsminderung bei koronarer Herzerkrankung und Bluthochdruck, Ballonerweiterung, Reizleitungsstörung (Einzel-GdB 20).

Mit Schreiben vom 24. Mai 2005 führte der Kläger aus, ihm gehe es insbesondere um einen Ausweis zur Benutzung von Behindertenparkplätzen, so dass er davon ausgehe, versehentlich das Merkzeichen "G" anstelle des eigentlich erstrebten Merkzeichens "aG" beantragt zu haben. Er teilte dem Landesamt weiter mit, er müsse bis auf Weiteres in Spanien bleiben, wo er einen zweiten Wohnsitz habe und seit Jahren die Wintermonate wegen seiner Bronchialerkrankung verbringe. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, er sei derzeit nicht reisefähig. Beigefügt war das ärztliche Attest des in Spanien niedergelassenen Arztes Dr. S. (Orthopäde) vom 14. April 2005, der beschrieb, dass beim Kläger eine osteoporotische Wirbelkörperfraktur L 3 und L 4 ohne Hinterkantenbeteiligung vorliege. Der Kläger sei in seinem Gehvermögen stark eingeschränkt und müsse sich im Straßenverkehr überwiegend im Rollstuhl bewegen. In Anbe-tracht des hohen Alters und des deutlich reduzierten Allgemeinzustands könne trotz intensiver konservativer Therapie mit einer Verbesserung des Zustands nicht gerechnet werden.

Im Juli 2005 stellte der Kläger Formantrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" und teilte mit, sich weiterhin in Spanien aufhalten zu müssen, da er weiterhin nicht reise- und transportfähig sei.

Mit Bescheid vom 13. Januar 2006 lehnte das N. Landesamt die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, seine Gehfähigkeit sei auf das Schwerste eingeschränkt. Er benötige den Parkausweis dringend, da schon der zweimal wöchentlich erforderliche Besuch des Physiotherapeuten eine erhebliche Anstrengung für ihn bedeute und er deshalb auf einen Parkplatz vor der Praxis angewiesen sei.

Das N. Landesamt übersandte daraufhin die Akten dem Landratsamt K., Amt für Versorgung und Rehabilitation (VA), da der Kläger auch Auslandsversorgung nach dem BVG erhalte.

Mit Schreiben vom 5. Mai 2006 teilte das VA dem Kläger mit, dass er, nachdem er seinen Wohnsitz nach Spanien verlegt habe, nicht mehr zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) gehöre und ihm ein Ausweis daher nicht mehr zustehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da der Kläger seinen Wohnsitz mittlerweile nach Spanien verlegt habe und daher Rechte nach dem SGB IX nicht mehr in Anspruch nehmen könne.

Dagegen hat der Kläger am 17. Juni 2006 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, es sei nicht zutreffend, dass er seinen Wohnsitz nach Spanien verlegt habe. Er habe seit Jahren einen ersten Wohnsitz in Deutschland und wegen seiner Lungenerkrankung einen zweiten Wohnsitz in Spanien. Er benötige den Parkplatz, um seine Ärzte besser erreichen zu können. Der Erlangung eines spanischen Behindertenausweises stehe im Wege, dass er seinen ersten Wohnsitz in Deutschland habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger seinen Wohnsitz in Spanien habe, berücksichtige man insbesondere den Umstand, dass der Kläger seit Ende 2004 nicht reise- und transportfähig sei und deshalb dauerhaft in M. lebe. Auch sämtliche Post werde ins Ausland versandt; nicht zuletzt erhalte der Kläger auch Auslandsbezüge nach M. nach dem BVG. Darauf, dass er Kläger nach wie vor seinen Erstwohnsitz in Deutschland gemeldet habe, komme es deshalb nicht an, da maßgeblich die objektiven, tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten seien. Mit dem Wohnsitzwechsel nach Spanien verbunden sei gemäß §§ 2 Abs. 2, 116 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB IX auch der Umstand, dass die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen nicht mehr anzuwenden seien. Dies bedeute insbesondere, da für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" Tatbestandsvoraussetzung die Schwerbehinderteneigenschaft sei, dass das Merkzeichen "aG" nicht erteilt werden könne. Nicht verkannt werde, wenn man von einem Wohnsitz des Klägers im Ausland ausgehe, dass der Ausgangsbescheid von der unzuständigen Behörde erlassen worden sei. Eine Aufhebung des Verwaltungsakts allein wegen der Verletzung der örtlichen Zuständigkeit verbiete sich jedoch nach § 42 Satz 1 SGB X.

Gegen den am 24. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. November 2006 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag wiederholt.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Oktober 2006 sowie den Bescheid vom 13. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig, sie ist jedoch unbegründet, da die Klage des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig ist.

Das Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs ist zu verneinen, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde (BVerwGE 53, 134, 137; 75, 109, 113; 78, 85, 91; BSG SozR 3-7815 Art 1 § 3 Nr. 4; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Komm, 8. Auflage, RdNr. 16a vor § 51).

Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Kläger aus der begehrten Zuerkennung des Merkzeichens "aG" keine Vorteile im Inland hätte.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 (§ 69 Abs. 4 SGB IX).

Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung sind auf der Rückseite des Schwerbehindertenausweises das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.

Der Nachteilsausgleich "aG" und die Eintragung des Merkzeichens auf dem Ausweis steht demnach nur Schwerbehinderten zu, die außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften sind.

Die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" befreit den Behinderten von Beschränkungen des Haltens und Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete Parkmöglichkeiten. Darüber hinaus ist er als Halter eines Kraftfahrzeuges von der Kraftfahrzeugsteuer befreit (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz). Damit sind auch die mit der Zuerkennung des Merkzeichens umschriebenen Vergünstigungen abschließend erfasst.

Im vorliegenden Rechtsstreit konnte offen bleiben, ob aufgrund des bestandskräftig festgestellten GdB von 90 beim Kläger vom Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft auch für die Frage der Gewährung des Merkzeichens "aG" auszugehen ist oder ob - davon losgelöst - für die Gewährung einer - weiteren - Begünstigung, nämlich die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" allein auf die materiell-rechtlich bestehende Schwerbehinderteneigenschaft abzustellen ist. Denn grundsätzlich knüpft an das Bestehen der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX, § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG an und setzt demnach dem Wortlauf nach durchaus voraus, dass der schwerbehinderte Mensch seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Beschäftigung im Geltungsbereich des SGB IX hat. Während für die Frage, ob ein Anspruch auf Feststellung des GdB nach § 69 Abs. 1 SGB IX mittlerweile geklärt sein dürfte, dass dieser Anspruch auch schwerbehinderten Menschen mit Auslandswohnsitz zustehen kann (vgl. dazu zuletzt Sächsiches Landessozialgericht vom 21. Dezember 2005 - L 6 SB 5/04, veröffentlicht in Juris unter Verweis auf den ausführlich begründeten und in Breith 2003 S. 71 ff veröffentlichten Vergleichsvorschlag des BSG im Verfahren B 9 SB 8/01 R vom 27. Februar 2002; dazu auch Trenk-Hinterberger in jurisPR-SozR 5/2006 Anmerkung 5; vgl. auch den im Terminbericht des BSG Nr. 29/07 Ziff. 1 geschilderten Sachverhalt), ist für die Feststellung von Merkzeichen nach § 69 Abs. 4 SGB IX eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip nicht vorgesehen (dazu auch Sächs. LSG a.a.O.).

Gleichermaßen konnte offen bleiben, ob das Regierungspräsidium S. unter Berücksichtigung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG als "nächsthöhere Behörde" und damit als zuständige Behörde den angefochtenen Widerspruchsbescheid erlassen hat, da der Ausgangsverwaltungsakt vom N.Landesamt für Soziales, Jugend und Familie, Außenstelle O., und damit von der Behörde eines anderen Bundeslandes erlassen worden ist.

Denn jedenfalls mangelt es dem Kläger an einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Vorteil im Inland für den Fall, dass ihm das Merkzeichen "aG" zuerkannt würde und damit an dem Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Geltendmachung.

Der Kläger hat auf Rückfrage des Senats mitgeteilt, dass ihm im Inland zwar ein Kfz zur Verfügung steht. Dieses Fahrzeug ist jedoch auf seinen Sohn zugelassen.

Gemäß § 3 a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz ist das Halten von Kraftfahrzeugen aber nur von der Steuer befreit, solange das Fahrzeug auf die schwerbehinderte Personen zugelassen ist, die durch einen Ausweis im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder des Artikels 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 9. Juli 1979 (BGBl. I S. 989) mit dem Merkzeichen "H", "BI" oder "aG" nachweist, dass sie hilflos, blind oder außergewöhnlich gehbehindert ist. Es kommt deshalb für die Frage der Steuererleichterung nicht darauf an, dass dem Schwerbehinderten ein Fahrzeug zur Verfügung steht, das er nutzen kann (und in dem er die entsprechende Parkplakette anbringen kann), sondern dass es auch auf ihn zugelassen ist. Dies ist nach dem Vortrag des Klägers aber nicht der Fall, so dass ihm schon deshalb keine Steuererleichterungen nach dem Kraftfahrzeugesteuergesetz zukommen.

Ob die von ihm geltend gemachten Vergünstigungen in Spanien (Parken in der Nähe der Ärzte und Physiotherapeuten) tatsächlich bestehen und vor allem, ob diese an die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" durch eine deutsche Behörde geknüpft sind, konnte der Senat offen lassen. Ein Inlandsvorteil ist damit jedenfalls nicht verbunden.

Soweit sich der Kläger - sinngemäß - auf die Inanspruchnahme einer Ausnahmeregelung beruft, weist das Gericht nur ergänzend darauf hin, dass mit dieser Passage im Schreiben des VA vom 5. Mai 2006 nur allgemein darauf hingewiesen worden ist, dass in der Regel mit der Begründung eines Wohnsitzes oder ständigen Aufenthalts im Ausland keine Rechte nach dem SGB IX mehr zustehen. Soweit im Ausnahmefall, z.B. im Rahmen des § 69 Abs. 1 SGB IX, vom Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt unabhängige Entscheidungen getroffen werden können, muss dies durch das SGB IX selbst vorgesehen sein. Darüber hinaus gehende Ausnahme- oder Härteklauseln sieht das SGB IX nicht vor.

Nur ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass das Gericht nicht am angegriffenen Gesundheitszustand des Versicherten und seiner eingeschränkten Gehfähigkeit zweifelt. Darauf kam es jedoch bei der zu treffenden Entscheidung nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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