L 1 SB 6447/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 1310/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SB 6447/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. November 2005 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 70 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".

Bei dem 1945 geborenen Kläger war ab 22. Oktober 1997 ein GdB von 60 festgestellt worden, dem als Behinderungen eine eingeschränkte Wirbelsäulenbeweglichkeit und Atemnot (Teil-GdB 30), eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit (Teil-GdB 20), Funktionseinschränkungen im Bereich des Hüftgelenks (Teil-GdB 20), Sensibilitätsstörungen im Bereich der oberen Gliedmaßen (Teil-GdB 10), eine koronare Herzkrankheit mit abgelaufenem Infarkt und Bluthochdruck (Teil-GdB 20) zugrunde lagen (Bescheid vom 12. Januar 1998).

Im Juni 2004 stellte er beim Versorgungsamt R. (VA) einen Verschlimmerungsantrag, den er mit Herzinfarkt und sehr schlimmem Herzleiden begründete und beantragte zugleich die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B", "aG", "H" und "RF". Beigefügt war der Arztbrief des Universitätsklinikums T. vom 20. Mai 2004, der von einem akuten Inferiorlateralinfarkt am 18. Mai 2004 berichtete.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme lehnte das VA den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 14. September 2004 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei den festgestellten Behinderungen eine wesentliche Verschlimmerung nicht eingetreten sei und auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Merkzeichens nicht gegeben seien.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und legte den Bericht über die Herzkathederuntersuchung vom 18. Mai 2004 ergänzend vor. In der vä Stellungnahme vom 6. Oktober 2004 wurden als Behinderungen eine koronare Herzkrankheit, abgelaufene Herzinfarkte, Bluthochdruck, Angina pectoris (Teil-GdB 50), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Wirbelsäulenverformung (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks (Teil-GdB 20), Adipositas permagna (Teil-GdB 20), Gebrauchseinschränkung beider Arme (Teil-GdB 10) und Entleerungsstörung der Harnblase (Teil-GdB 10) als Behinderungen formuliert, ein Gesamt-GdB von 70 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vorgeschlagen.

Im Teil-Abhilfebescheid vom 3. März 2005 half die Beklagte daraufhin dem Widerspruch teilweise unter Zuerkennung eines GdB von 70 sowie des Merkzeichens "G" ab. Nachdem der Kläger an seinem Widerspruch mit dem Ziel festhielt, das Merkzeichen "aG" sowie einen höheren GdB als 70 zuerkannt zu bekommen, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2005 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 25. April 2005 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgebracht, vor allem die Harnentleerungsstörung bedinge, dass er notfalls möglichst umgehend einen Behindertenparkplatz ansteuern können müsse, um seine Blase entleeren zu können. Der Kläger legte ergänzend den Arztbrief des Chirurgen B. vom 18. Mai 2005 vor. Das SG hat die behandelnden Ärzte, den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Dr. P. und den Arzt für Chirurgie Dr. T. als sachverständige Zeugen befragt. Dr. Dr. P. hat ausgeführt, er schließe sich der Bewertung durch den Versorgungsärztlichen Dienst (vä Stellungnahme im Widerspruchsverfahren) an und erachte die Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule, Bandscheiben und der Adipositas eher als überbewertet an. Der Facharzt für Unfallchirurgie Dr. A. hat für Dr. T. Stellung genommen und mitgeteilt, auf seinem Fachgebiet liege als wesentliche Funktionsstörung eine mittelschwere Coxarthrose rechts vor, die mit einem Teil-GdB von 20 zutreffend bewertet sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. November 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass auch nach Auskunft der behandelnden Ärzte von einer zutreffenden Beurteilung der Funktionseinschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet auszugehen sei. Auch eine Höherbewertung der Herzkrankheit sei nach dem Bericht des K.-hospitals vom 19. Juli 2004, wonach auf dem Fahrradergometer eine Belastung von 125 Watt nur wegen muskulärer Erschöpfung ohne Hinweise auf eine Belastungskoronarinsuffizienz abgebrochen werden musste, nicht geboten. Das Merkzeichen "aG" könne ebenfalls nicht zuerkannt werden, da die Gehfähigkeit nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. Soweit er wegen der Blasenentleerungsstörung das Merkzeichen "aG" begehre, könne dies den Anforderungen an das Vorliegen des Merkzeichens "aG" nicht gleichgestellt werden.

Gegen den am 28. November 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25. Dezember 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, er sei (mittlerweile) in seiner Gehfähigkeit auf das schwerste eingeschränkt, da er ständig damit rechnen müsse, zusammen zu brechen und völlig ausgelaugt sei. Er sei wegen der Arztbesuche auf einen Behindertenparkplatz angewiesen. Der erlittene zweite Herzinfarkt berge ein erhöhtes Risiko in sich, den dritten Herzinfarkt überlebe man regelmäßig nicht. Er müsse auch das Blutverdünnungsmittel Markuma nehmen, was eine ständige Blutkontrolle erfordere. Jeder längere Weg sei auch gefährlich, da er verbluten könne.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. November 2005 sowie den Bescheid vom 14. September 2004 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheids vom 3. März 2005, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, einen GdB von 100 sowie das Merkzeichen "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 2. April 2007 hat der Senat den Kläger u.a. mit Hinweis auf die Möglichkeit der Einholung eines Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darauf hingewiesen, dass keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen beabsichtigt seien. Frist zur Stellungnahme und zum Antrag nach § 109 SGG wurde zum 30. April 2007 gesetzt. Mit Telefax vom 27. Juni 2007 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Antrag nach § 109 SGG gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Weder ist ein höherer GdB als 70 noch das Merkzeichen "aG" festzustellen. Unstreitig ist in den maßgebenden Verhältnissen, die dem bestandskräftigen Bescheid vom 12. Januar 1998 zugrunde lagen, eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten, die aber mit den angefochtenen Bescheiden rechtlich zutreffend berücksichtigt ist.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.

Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).

Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).

Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall des Klägers der GdB von 70 zutreffend von der Beklagten festgestellt worden.

Soweit die koronare Herzerkrankung mit zwei abgelaufenen Herzinfarkten, Bluthochdruck, Angina pectoris als Behinderungen festgestellt sind, sind diese mit einem GdB von 50 zutreffend bewertet.

Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz Teil 2 SGB IX (AP) Nr. 26.9 S. 71 ff werden Krankheiten des Herzens (Herzklappenfehler, koronare Herzkrankheit, Kardiomyopathien, angeborene Herzfehler u.a.) ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z.B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung mit einem GdB von 0 – 10, mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten) mit einem GdB von 20 – 40 und mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) mit einem GdB von 50 bis 70 und mit gelegentlich auftretenden vorübergehenden schweren Dekompensationserscheinungen mit einem GdB von 80 und erst mit einer Leistungsbeeinträchtigung bereits in Ruhe (Ruheinsuffizienz, z.B. auch bei fixierter pulmonaler Hypertonie) mit einem GdB von 90 – 100 bewertet. Liegen weitere objektive Parameter zur Leistungsbeurteilung vor, sind diese entsprechend zu berücksichtigen. Notwendige körperliche Leistungsbeschränkungen (z.B. bei höhergradiger Aortenklappenstenose, hypertrophischer obstruktiver Kardiomyopathie) sind wie Leistungsbeeinträchtigungen zu bewerten. Nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen (z.B.Ballondilatation) ist der GdB/MdE-Grad von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Bei Herzklappenprothesen ist der GdB/MdE-Grad nicht niedriger als 30 zu bewerten; dieser Wert schließt eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien ein. Nach einem Herzinfarkt ist die GdB/MdE-Bewertung von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig.

Wie den aktenkundigen Arztbriefen nach dem zweiten Herzinfarkt des Klägers im August 2004 und den Ausführungen der behandelnden Ärzte entnommen werden kann, kann beim Kläger zwar von Leistungseinschränkungen schon bei leichter alltäglicher Belastung ausgegangen werden (auch wenn bei einer Ergometerbelastung von 125 Watt ohne Ausbelastung die körperliche Leistungsfähigkeit an sich höher bewertet werden könnte), es liegen aber jedenfalls keine Dekompensationserscheinungen oder Leistungsbeeinträchtigungen bereits in Ruhe vor, die einen höheren GdB als 50 insoweit rechtfertigen könnten.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Bluthochdruckerkrankung, die zu keiner Höherbewertung des GdB führt. Hypertonie (Bluthochdruck) in leichter Form ohne oder mit nur geringer Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) rechtfertigt nämlich lediglich einen GdB von 0 – 10 (AP Nr. 26.9 S. 75).

Hinweise auf eine Belastungskoronarinsuffizienz liegen auch unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte oder des Berichts des K.-hospitals, auf den das SG zutreffend hingewiesen hat, nicht vor und wurden auch nicht vorgetragen.

Wirbelsäulenschäden werden nach den AP Nr. 26.18 S. 116 ff ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0 bewertet, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 20 und erst Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 30 bewertet.

Weder den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen noch der Auskunft der behandelnden Ärzte, insbesondere des behandelnden Orthopäden, kann entnommen werden, dass beim Kläger schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vorliegen, die es rechtfertigen würden, die Behinderungen mit einem höheren GdB als 20 zu bewerten.

Soweit der Kläger Beschwerden im Bereich des rechten Hüftgelenks vorbringt, wird nach den AP Nr. 26.18 S. 124 ff eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig mit einem GdB von 10 – 20 und beidseitig mit einem GdB von 20 bis 30 bewertet. Bei einer Einschränkung mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-30-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) ist bei einseitiger Einschränkung ein GdB von 30, bei beidseitiger Einschränkung ein GdB von 50 gerechtfertigt.

Dr. A. hat die Funktionalität der rechten Hüfte als gut beschrieben und Bewegungsausmaße für Extension/Flexion von 0-0-140 mitgeteilt, was einer Bewegungseinschränkung geringen Grades entspricht und deshalb mit einem GdB von 20 ausreichend bewertet ist. Die vom Kläger geschilderten erheblichen Beeinträchtigungen im Bereich der Hüfte, die auch gegenüber Dr. A. / Dr. T. geschildert worden sind, sind nicht objektivierbar und durch keine medizinischen Befunde belegt.

Die beim Kläger bestehende Adipositas permagna wurde vom Beklagten mit einem Teil-GdB von 10 bei der Bemessung des Gesamt-GdB ausreichend berücksichtigt. An sich bedingt die Adipositas bzw. alimentäre Fettsucht allein (AP Nr. 26.15 S. 99) keinen GdB/MdE-Grad. Nur Folge- und Begleitschäden (insbesondere am kardiopulmonalen System oder am Stütz- und Bewegungsapparat) können die Annahme eines GdB/MdE-Grades begründen. Insoweit hat der Beklagte den durch die Fettsucht bedingten Folgeerkrankungen im Bereich des Herz-Kreislaufsystems und des Bewegungsapparats mit einem Teil-GdB von 10 Rechnung getragen.

Harnentleerungsstörungen werden nach den AP Nr. 26.12 S. 90 als Entleerungsstörungen der Blase (auch durch Harnröhrenverengung) leichten Grades (z.B. geringe Restharnbildung, längeres Nachträufeln) mit einem GdB von 10, stärkeren Grades (z.B. Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erhebliche Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen) mit einem GdB von 20 – 40 bewertet. Harninkontinenz wird als relative mit leichtem Harnabgang bei Belastung (z.B. Streßinkontinenz Grad I) mit einem GdB von 0 – 10, bei Harnabgang tags und nachts (z.B. Streßinkontinenz Grad II-III) mit einem GdB von 20 – 40 bewertet. Auch wenn keiner der behandelnden Ärzte die vom Kläger geltend gemachte Harnentleerungsstörung bestätigt hat, hat der Beklagte diese weiterhin mit einem Teil-GdB von 10 bemessen und ihre Existenz nach dem Vortrag des Klägers unterstellt. Jedenfalls kann aber aus dem fehlenden Hinweis der Ärzte bei ihrer Befragung nach den Erkrankungen des Klägers unzweifelhaft geschlossen werden, dass die Harnentleerungsstörung nicht in einem solchen Ausmaß vorliegt, dass von einer Harnentleerungsstörung stärkeren Grades oder gar einer Stressinkontinenz Grad II bis III ausgegangen werden könnte, die einen höheren GdB als 10 rechtfertigen kann.

Die Gebrauchseinschränkung beider Arme ist nach den AP 26.18 S. 119 mit einem Teil-GdB von 10 ebenfalls zutreffend und ausreichend bewertet.

Bei Teil-GdB Werten von 50, 30, zweimal 20 und zweimal 10 ist im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Leiden und ihrer funktionellen Auswirkungen der Gesamt-GdB mit 70 zutreffend festgestellt.

Dem Kläger steht auch der Nachteilsausgleich "aG" nicht zu.

Der Nachteilsausgleich "aG" steht nur Schwerbehinderten zu, die außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften sind.

Die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" befreit den Behinderten von Beschränkungen des Haltens und Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete Parkmöglichkeiten. Darüber hinaus ist er als Halter eines Kraftfahrzeuges von der Kraftfahrzeugsteuer befreit (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz). Nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (vgl. BAnz 1976 Nr. 142 vom 31.07.1976 , S. 3. ff) sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

Nach den AP sind als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz anzusehen (S. 140), was insoweit einen GdB von mindestens 80 voraussetzt (S. 72). Nach den AP ist von einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur dann auszugehen, wenn die Fortbewegung auf das Schwerste eingeschränkt ist (Abschnitt 31 Abs. 4; vgl. auch BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nrn. 11, 18). Der begünstigte Personenkreis ist daher eng zu fassen, weil eine Ausweitung desselben die Verknappung des ortsnahen Parkraums - der im übrigen nicht beliebig vermehrbar ist - nach sich ziehen würde, wodurch dem gesamten begünstigten Personenkreis letztlich eine längere Wegstrecke zugemutet würde (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 28). Deshalb ist ein Betroffener mit der Gruppe der in der Verwaltungsvorschrift beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen nur gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Vorschrift ausdrücklich aufgeführten Schwerbehinderten oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Der vollständige Verlust des Gehvermögens ist daher nicht zu fordern. Das Restgehvermögen muss aber so weit eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BSG, Urteil vom 10.12.2002 -B 9 SB 7/01 R). Einen exakten Beurteilungsmaßstab zur Abgrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises nach dem gesteigerten Energieaufwand beim Gehen gibt es nicht. Das BSG hält eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke hierfür grundsätzlich nicht für tauglich. Die mögliche Weglänge bis zu den ersten auftretenden Zeichen der Erschöpfung ist aber ein gewichtiges Indiz für die Beurteilung des Restgehvermögens (vgl. BSG vom 10.12.2002 zu einer Gehpause wegen Erschöpfung nach 30 Metern). Aus dem Gebot, den begünstigten Personenkreis eng zu fassen, hat der 6. Senat des Landessozialgerichts in ständiger Rechtsprechung (vgl. stellvertretend Urteil vom 27.09.2001 - L 6 SB 1340/00 mwN) abgeleitet, dass die Sonderparkplätze in der Nähe von Behörden, anderen öffentlichen Einrichtungen oder Kliniken sowie die Sonderparkrechte vor Wohnungen und Arbeitsstätten denjenigen vorbehalten bleiben sollen, denen nur noch Wegstrecken zumutbar sind, die sie von diesen Sonderparkplätzen aus üblicherweise bis zum Eingang des zu erreichenden Gebäudes zurücklegen können. Solche Wegstrecken in die Eingangsbereiche der betreffenden Gebäude betragen in der Regel unter 100 m (vgl. LSG aaO; ebenso der 11. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 19.03.2002 - L 11 SB 942/01). Die Fähigkeit des Behinderten, Wegstrecken über 100 Meter ohne Erholungspausen und Zeichen der Überanstrengung in angemessener Zeit zurücklegen zu können, erachtet der Senat unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 10.12.2002 in Fortentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung als gewichtiges Indiz für ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Beim Kläger liegt auf internistischem Fachgebiet keine Erkrankung vor, die für sich genommen einen GdB von 80 rechtfertigt und damit die Annahme eines extrem limitierten Restgehvermögens im Sinne des Merkzeichens "aG" schon aus internistischen Gesichtspunkten rechtfertigen kann. Vielmehr spricht vieles dafür, dass etwas mehr Bewegung zur Reduktion der erheblichen Fettsucht und damit einer Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit bzw. Abnahme der Beschwerden führen würde.

Entsprechendes gilt für die Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet. Weder die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers noch die eher geringfügigen funktionellen Einschränkungen im Bereich der rechten Hüfte lassen die Annahme zu, dass die Gehfähigkeit des Klägers auf das Schwerste eingeschränkt ist und er sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen könnte. Auch in der Gesamtbetrachtung der internistischen und orthopädischen funktionellen Einschränkungen kommt die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" daher nicht in Betracht.

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 26. Juni 2007 den Antrag gestellt hat, Prof. Dr. W. als Arzt seines Vertrauens nach § 109 Abs. 1 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen, war dieser Antrag als verspätet abzulehnen.

Gemäß § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Von grober Nachlässigkeit ist auszugehen, wenn jede zur sorgfältigen Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen worden ist, wenn gerade nicht getan wird, was jedem einleuchten muss. Danach ist von einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten zu verlangen, dass er den Antrag nach § 109 SGG in angemessener Frist stellt, wenn das Gericht zu erkennen gibt, dass es keine weiteren Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen durchzuführen beabsichtigt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage 2005, § 109 SGG Rz. 11 mwN). Ohne richterliche Fristsetzung ist ein Antrag binnen eines Monats noch in angemessener Frist gestellt (Meyer-Ladewig a.a.O.).

Das Gericht hat mit der Verfügung vom 2. April 2007 darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht keine Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidungen bestehen und weitere Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind. Ausdrücklich wurde auf die Möglichkeit, ein Gutachten nach § 109 SGG zu beantragen, hingewiesen. In der hierfür und für die Stellungnahme gesetzten Frist bis 30. April 2007 hat sich der Kläger jedoch nicht geäußert. Der erst am 27. Juni 2007 bei Gericht eingegangene Antrag war daher aus grober Nachlässigkeit nicht in angemessener Frist gestellt und seine Zulassung hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Er war deshalb abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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