L 4 P 6529/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 3489/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 6529/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe I für die Zeit vom 01. März 2005 bis 31. August 2005 und Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 01. März 2006 zusteht.

Die am 1961 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Sie ist an Multipler Sklerose erkrankt. Die Erkrankung ist seit 1994 bekannt. Am 10. März 2005 beantragte sie Pflegegeld wegen Pflegebedürftigkeit. Ihrem Antrag fügte sie einen von ihr ausgefüllten Bogen zur Hilfebedarfsermittlung bei. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Die Pflegefachkraft K. kam in ihrem Gutachten vom 02. Juni 2005, das sie aufgrund einer Untersuchung der Klägerin im häuslichen Umfeld erstellte, zu dem Ergebnis, der Nacken- und Schürzengriff beidseits sei durchführbar. Der Händedruck sei gut. Der Faustschluss beidseits sei komplett. Der Pinzettengriff sei durchführbar. Möglich sei freies Sitzen, Bücken im Sitzen bis zum Knöchel, selbstständiges Aufstehen vom Stuhl oder vom Bett mit Festhalten am Rollator, nur mit Hilfe der Transfer in die Dusche bzw. Badewanne sowie mit einem Rollator selbstständiges Gehen innerhalb des Wohnbereichs. Es liege eine leichte Gangataxie vor. Ein Hilfebedarf bestehe im Bereich der Körperpflege beim Duschen. Der Zeitaufwand für das einmal wöchentlich durchgeführte Duschen liege bei sechs Minuten pro Tag. Im Bereich der Ernährung sei kein Hilfebedarf erforderlich. Im Bereich der Mobilität müsse der Klägerin beim Ankleiden einmal täglich geholfen werden. Der Zeitaufwand liege bei vier Minuten. Dasselbe gelte für das Entkleiden. Hier liege der Zeitbedarf bei zwei Minuten. Weitere Hilfen seien bei den Transfers sechsmal wöchentlich erforderlich. Der Zeitaufwand liege bei einer Minute. Im Bereich der Mobilität ergebe sich so ein Zeitaufwand für erforderliche Hilfemaßnahmen mit sieben Minuten. Im Bereich der Grundpflege bestehe insgesamt ein Hilfebedarf von 13 Minuten täglich.

Mit Bescheid vom 06. Juni 2005 lehnte die Beklagte die beantragte Geldleistung ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei weder untersucht noch getestet worden. Es sei lediglich ein Fragebogen vorgelesen und ausgefüllt worden. Seit Monaten könne sie nicht mehr einkaufen gehen, Treppen steigen und den Haushalt bewältigen. Sie brauche auch Hilfe bei der Körperpflege. Die Beklagte veranlasste eine weitere Stellungnahme des MDK. Die Pflegefachkraft S. und Dr. R. führen in ihrem Gutachten vom 16. Juni 2005, das nach Aktenlage erstellt wurde, aus, im von der Klägerin selbst ausgefüllten Hilfebedarfsbogen habe sie Hilfestellungen beim Duschen dreimal wöchentlich, beim An- und Entkleiden, beim Öffnen und Schließen von Knöpfen, Reißverschlüssen und des BHs, beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie in der hauswirtschaftlichen Versorgung angegeben. Diese Hilfestellungen seien im Vorgutachten berücksichtigt worden. Hände, das Gesicht und Teile des Oberkörpers könne die Klägerin selbst waschen. Dies sei beim Hausbesuch so angegeben worden und sei anhand der aufgeführten Funktionseinschränkungen nachvollziehbar. Ein Hilfebedarf bestehe im Bereich der Grundpflege mit einem zeitlichen Umfang von 13 Minuten. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten gestützt auf dieses Gutachten den Widerspruch der Klägerin zurück.

Aufgrund zweier Telefonate der Klägerin mit dem Vorstand der Beklagten, Herr Speck, am 14. und 18. Juli 2005 übersandt die Beklagte der Klägerin erneut ein Formular zur Hilfebedarfsermittlung, das die Klägerin am 19. Juli 2005 ausfüllte und bei der Beklagten einreichte. Hierzu führte Dr. R. in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 12. August 2005 aus, ein Hilfebedarf bestehe im Bereich der Körperpflege beim Duschen und beim Waschen des Rückens mit zusammen zehn Minuten täglich. Beim Ankleiden und Auskleiden bestehe Hilfebedarf bei feinmotorisch anspruchsvollen Tätigkeiten wie dem Schließen von Knöpfen oder Reißverschlüssen. Das Gehen sei mit Rollator noch selbstständig möglich. Aus dem erneut vorliegenden Ermittlungsbogen ergebe sich ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 17 Minuten.

Die Klägerin hat am 22. August 2005 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Der Hilfebedarf sei nicht ausreichend erhoben worden. Sie brauche nur für das Duschen und Anziehen 45 Minuten täglich Zeit. Sie sei auch nicht in der Lage, Knöpfe oder andere Verschlüsse selbst zu schließen. Auch Hausarbeiten würden ihr zum Teil sehr schwer fallen, zum Teil könne sie sie gar nicht mehr verrichten. Sie könne auch schon lange keine Treppen mehr steigen.

Das SG hat Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. als sachverständige Zeugin gehört. In ihrer Auskunft vom 20. Oktober 2005 hat sie mitgeteilt, die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, sich allein an- und auszuziehen. Sie sei zurzeit auch nicht in der Lage, allein aus dem Bett zu kommen, da die Rumpfmuskulatur paralytisch sei. Dr. H. hat einen Arztbrief des Prof. Dr. Sc., Klinikum L.-E., Neurologische Klinik, vom 07. September 2005 vorgelegt. Die Klägerin sei vom 26. August bis 07. September 2005 in stationärer Behandlung gewesen. Seit zwei bis drei Monaten bestehe ein zunehmender Rückenschmerz bei der Klägerin. Dieser trete auch nachts, besonders beim Aufstehen auf. Die Schwäche des rechten Beines sei zunehmend. Die Schmerzen und die zunehmende Beinschwäche rechts werde als neuer Schub der Multiplen Sklerose gewertet. Eine Schubprophylaxe sollte fortgesetzt werden.

Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass nunmehr von einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin ausgegangen werden könne. Sie hat sich bereit erklärt, Leistungen nach der Pflegestufe I ab 01. September 2005 zu gewähren und beantragt, "das Klageverfahren zu beenden" (Schriftsatz vom 04. November 2005). Auf Nachfrage des SG hat die Klägerin mit Schreiben vom 08. November 2005 mitgeteilt, sie nehme das Teilanerkenntnis vom 04. November 2005 an und bitte das SG, noch über ihren Anspruch ab dem Tag der Antragstellung (März 2005) zu entscheiden. Mit Schreiben vom 06. November 2006 hat sie weiter geltend gemacht, seit längerem lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe II vor. Die Beklagte hat daran festgehalten, dass aufgrund des Gutachtens des MDK vom 02. Juni 2005 ein früherer Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Pflegebedürftigkeit nicht feststellbar sei.

Das SG hat Dr. H. nochmals als sachverständige Zeugin gehört. In ihrer weiteren Auskunft vom 19. Dezember 2005 hat sie angegeben, bereits im März 2005 sei ein Schub aufgetreten. Dieser habe die Klägerin so behindert, dass sie von der Familie Hilfe habe bekommen müssen. Sie sei nicht mehr in der Lage gewesen, Treppen zu steigen, sich allein zu baden oder zu duschen. Die Mobilität im Haus sei deutlich eingeschränkt gewesen. Bei dem Schub im September 2005 sei eine Schwächung der Rückenmuskulatur zu den bereits bestehenden Lähmungen hinzugekommen. Es habe eine Stabilisierungsschwäche des Rumpfes bestanden. Körperpflege und Mobilität seien nur noch mit Hilfe möglich. Die Nahrungsaufnahme sei normal. Die Nahrungszubereitung sei durch die Beinparesen erheblich erschwert.

Im Laufe des Klageverfahrens hat die Klägerin am 14. März 2006 bei der Beklagten ab 01. März 2006 beantragt, sie in eine höhere Pflegestufe einzustufen. Die Beklagte hat eine erneute Begutachtung der Klägerin durch den MDK veranlasst. Die Pflegefachkraft B. hat in ihrem Gutachten vom 03. Mai 2006 ausgeführt, die Klägerin sei mittlerweile nicht mehr in der Lage, selbstständig ohne Hilfsmittel zu gehen. Sie sei auf den Rollator angewiesen. Die Schwäche der rechten Hand habe zugenommen. Es bestehe eine vermehrte Spastik in der Blase und in den Beinen. Nacken- und Schürzengriff seien beidseits möglich. Der Händedruck sei ausreichend. Der Faustschluss sei beidseits möglich. Die Feinmotorik der Hände sei morgens besser als am Abend. Möglich sei freies Sitzen, eingeschränkt aufgrund leichter Gleichgewichtsstörungen Bücken im Sitzen, mit Festhalten am Rollator Aufstehen vom Stuhl sowie selbstständig das Aufstehen vom Bett sei. Der Transfer in die Dusche werde mit Hilfestellung durchgeführt. Außerhalb der Wohnung sei Gehen mit dem Rollator und einer Begleitperson erforderlich. Das Bewegen im Bett gelinge selbstständig. Im Bereich der Körperpflege bestehe Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche, die viermal wöchentlich durchgeführt werde. Der Zeitaufwand belaufe sich auf zehn Minuten. Weiter sei Hilfe beim Duschen, das dreimal wöchentlich durchgeführt werde, notwendig. Der Zeitaufwand belaufe sich auf acht Minuten pro Tag. In der Körperpflege erreiche der Hilfebedarf deshalb 18 Minuten. Keine Hilfe sei bei der Ernährung notwendig. Im Bereich der Mobilität sei Hilfe beim Ankleiden und Entkleiden jeweils einmal täglich mit acht bzw. vier Minuten täglich erforderlich. Hinzu komme Hilfe bei den Transfers dreimal wöchentlich, was umgerechnet einen Zeitaufwand von einer Minute pro Tag ergebe. Im Bereich der Mobilität erreiche der zeitliche Hilfeaufwand 13 Minuten. Im Gesamtbereich der Grundpflege belaufe sich der Hilfebedarf auf 31 Minuten täglich. Gegenüber der letzten Begutachtung sei es zu einer Verschlechterung gekommen. Bei der letzten Begutachtung habe die Klägerin teilweise den Haushalt noch selbstständig führen können, was jetzt nicht mehr möglich sei. Über den Höherstufungsantrag der Klägerin hat die Beklagte noch nicht entschieden.

Mit Urteil vom 15. November 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage für den Zeitraum ab 01. September 2005 sei durch angenommenes Anerkenntnis erledigt, sodass streitbefangen nur noch die Zeit vom 01. März bis 31. August 2005 gewesen sei. Deshalb könne über das Begehren der Klägerin, ihr müsse ab ihrem Höherstufungsantrag vom 14. März 2006 Pflegestufe II zugebilligt werden, nicht entschieden werden. Insoweit sei die Klage unzulässig. Im Übrigen fehle es an einer Entscheidung der Beklagten über den Höherstufungsantrag durch Verwaltungsakt. Bezüglich des Zeitraums von März bis August 2005 sei die Klage zulässig. Das Versäumen der Klagefrist sei unbeachtlich, da der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen sei. Insoweit sei die Klage unbegründet. Ein Pflegeaufwand, der die Einstufung in die Pflegestufe I vor dem 01. September 2005 rechtfertige, sei nicht feststellbar. Bei den erforderlichen drei Duschvorgängen pro Woche gelange man bei einer Hilfestellung von großzügig geschätzt 30 Minuten pro Vorgang zu einem Zeitaufwand pro Tag von 13 Minuten, sodass der Gesamtzeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 20 Minuten pro Tag zu korrigieren sei. Da nach den eigenen Angaben der Klägerin die Hausärztin Hausbesuche mache, bleibe nur der Bedarf beim Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen des der Wohnung zum Besuch der Physiotherapeutin, wofür von einem Hilfebedarf von weiteren zehn Minuten pro Tag ausgegangen werden könne, sodass ein Zeitbedarf für die Grundpflege von 30 Minuten zustande komme.

Gegen das mit Übergabe-Einschreiben am 5. Dezember 2006 zur Post gegebene Urteil hat die Klägerin am 29. Dezember 2006 Berufung eingelegt. Diese hat die Klägerin nicht begründet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. November 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2005 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 04. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Pflegegeld nach der Pflegestufe I auch für die Zeit ab 01. März 2005 bis 31. August 2005 sowie Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 01. März 2006 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Ergänzend hat sie vorgetragen, zwischenzeitlich sei eine weitere Untersuchung durch den MDK erfolgt und der Klägerin seien Leistungen zur Wohnumfeldverbesserung bewilligt worden. Sie hat das Gutachten der Pflegefachkraft Kleinhans vom 21. Mai 2007 vorgelegt. Die Gutachterin kommt zu einem Pflegebedarf im Bereich der Körperpflege von insgesamt 28 Minuten, der sich auch aus einem Zeitaufwand für die Hilfe bei der Ganzkörperwäsche mit 20 Minuten und dem Richten der Bekleidung nach der Darm- und Blasenentleerung mit acht Minuten täglich zusammensetzt. Die Klägerin wasche sich Gesicht und Oberkörper selbstständig. Das Waschen des Rückens und des Unterkörperbereichs werde von einer Pflegeperson übernommen. Die Klägerin brauche Unterstützung beim Anziehen nach dem Toilettengang. Hilfe sei auch bei der mundgerechten Zubereitung mit sechs Minuten täglich notwendig. Im Bereich der Mobilität bestehe Hilfebedarf beim Aufstehen/Zubettgehen sowie dem An- und Entkleiden mit insgesamt 15 Minuten täglich. Im Bereich der Grundpflege erreiche der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfen 49 Minuten.

Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 28. Juni 2007 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Senats Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 143 SGG statthafte, gemäß § 151 Abs. 1 form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht als teilweise unbegründet und teilweise als unzulässig abgewiesen.

Da der Senat die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

1. Ob die Klage ursprünglich zulässig oder wegen Überschreitung der nach § 87 Abs. 2 SGG einzuhaltenden Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides unzulässig war, kann dahingestellt bleiben. Das SG hat der Klägerin im Urteil vom 15. November 2006 Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 1 SGG gewährt. Diese Entscheidung ist nach § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG unanfechtbar und damit auch für den Senat bindend (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 67 Rdnr. 19).

2. Soweit die Klägerin geltend macht, ihr stehe Pflegegeld nach der Pflegestufe I auch für die Zeit vor dem 01. September 2005 zu, ist die (zulässige) Klage unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2005 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Für die Zeit vor dem 01. September 2005 lag erhebliche Pflegebedürftigkeit der Klägerin nicht vor. Zwar bestand wegen der durch die Multiple Sklerose ausgelösten Behinderungen der Klägerin ein Hilfebedarf, jedoch nicht in einem Umfang, der die Einstufung in die Pflegestufe I rechtfertigt.

Der Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) setzt u.a. voraus, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Pflegesachleistung nach § 36 Abs. 1 SGB XI besteht. Erforderlich ist, dass der Pflegebedürftige in eine Pflegestufe einzuordnen ist. Die niedrigste Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sind. Nach § 15 Abs. 3 SGB XI muss in der Pflegestufe I der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt demnach ein Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität).

Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Bei der Klägerin liegen als Folge der Erkrankung an Multipler Sklerose eine Gehbehinderung, Gleichgewichtsstörungen, eine Spastik sowie eine Armschwäche beidseits vor. Diese Behinderungen waren in dem allein streitbefangenen Zeitraum vom 01. März 2005 bis 31. August 2005 noch nicht so ausgeprägt, wie nach Auftreten des erneuten Schubs, der zu der stationären Behandlung vom 26. August bis 07. September 2005 führte. Die Behinderungen führten dazu, dass die Klägerin in der Geh- und Stehfähigkeit eingeschränkt war. Im allein streitbefangenen Zeitraum war der Klägerin ein Aufstehen vom Stuhl oder vom Bett noch mit Halten am Rollator selbstständig, das Bücken im Sitzen sowie das Gehen innerhalb des Wohnbereichs mit dem Rollator trotz einer leichten Gangataxie noch möglich. Den Nacken- und Schürzengriff konnte sie beidseits durchführen, der Händedruck war beidseits gut, der Faustschluss war komplett und auch der Pinzettengriff war durchführbar. Keine Behinderung bestand im Bereich des freien Sitzens. Die Einschätzung zur körperlichen Leistungsfähigkeit bzw. der Umfang der Funktionsausfälle der Klägerin infolge der bei ihr vorliegenden Erkrankungen beruhen auf den nachvollziehbaren und schlüssigen Feststellungen der Pflegefachkraft K. in ihrem Gutachten vom 02. Juni 2005. Damit stimmen im Wesentlichen die Angaben der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. in der Auskunft vom 09. Dezember 2005 überein. Nach ihrer Auskunft war die Klägerin nach dem Schub im März 2005 noch in der Lage, mit Hilfsmitteln in der Wohnung zu laufen, wie dies auch die Pflegefachkraft K. festgestellt hat. Auch die Klägerin selbst beschreibt ihre körperliche Beeinträchtigung in der von ihr selbst erstellten Hilfebedarfsermittlung vom 10. März 2005 in etwa diesem Umfang. So gab sie an, sie benutze einen Gehstock und einen Rollator sowie einen Duschhocker.

Aus dem Umfang der durch die Erkrankung verursachten Behinderungen hat die Gutachterin K. zutreffend einen Hilfebedarf beim Duschen sowie beim An- und Entkleiden und bei den Transfers gefolgert. Auch insoweit stimmen die Feststellungen der Pflegefachkraft K. mit den eigenen Angaben der Klägerin in der Hilfebedarfsermittlung überein. Auch die Klägerin machte lediglich einen Hilfebedarf beim Duschen sowie beim Ankleiden für das Schließen von Knöpfen, Reißverschlüssen und des BHs geltend. Damit ist mit den Feststellungen der Gutachterin K. davon auszugehen, dass ein Hilfebedarf beim Duschen sowie beim Waschen des Rücken und Unterkörpers notwendig war. Der Senat folgt der Gutachterin K. lediglich insoweit nicht, als sie einen Hilfebedarf für das Duschen mit lediglich einmal pro Woche ansetzte. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass die Angaben der Klägerin in der Hilfebedarfsermittlung, wonach sie dreimal wöchentlich duscht, zutreffend sind. Hieraus ergibt sich allerdings - worauf das SG zu Recht hinweist - nicht, dass eine erhebliche Pflegebedürftigkeit vorliegt. Selbst wenn man pro Duschvorgang einen großzügig geschätzten Hilfebedarf von 30 Minuten ansetzt, so ergibt dies einen wöchentlichen Aufwand von 90 Minuten und damit einen täglichen Aufwand von knapp 13 Minuten. Rechnet man den weiter nach den gutachterlichen Feststellungen erforderlichen Zeitaufwand für die Transfers von einer Minute täglich und den Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfen beim An- und Entkleiden mit weiteren vier und zwei Minuten hinzu, so ergibt sich ein Pflegeaufwand von ca. 20 Minuten. Der Schwellenwert von 46 Minuten, der für die Einstufung in die Pflegestufe I erforderlich ist, wird deshalb auch bei Ergänzung der Feststellungen der Pflegefachkraft K. um die erforderlichen Hilfen bei zwei weiteren Duschvorgänge deutlich nicht erreicht. Die von der Gutachterin K. angesetzten zeitlichen Bewertungen der einzelnen Hilfeleistungen sind im Übrigen in sich schlüssig und angemessen.

Soweit die Klägerin im Hilfebedarfsermittlungsbogen angibt, Hilfe sei auch beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erforderlich, ist dieser Hilfebedarf nicht anzurechnen. Die Klägerin gibt an, sie besuche alle drei Monate fünfmal wöchentlich den Arzt. Es handelt sich dabei nicht um regelmäßige Verrichtungen, die bei der Ermittlung des Zeitaufwandes der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen wären.

Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit einhergehend eine Erhöhung des erforderlichen Pflegebedarfs ist erst ab der Entlassung der Klägerin aus der stationären Krankenhausbehandlung im Klinikum L.-E. am 07. September 2005 nachgewiesen. Hierzu führt Dr. H. in der Stellungnahme vom 19. Dezember 2005 aus, infolge des Schubs vom September 2005 sei es zu einer Schwächung der Rückenmuskulatur gekommen, die die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin im Folgenden weiter beeinträchtigte. Dass hieraus eine Erhöhung des Pflegeaufwands folgte, ist nachvollziehbar. Für die Zeit vor diesem Schub folgt hieraus jedoch auch, dass die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin noch besser und damit der Hilfebedarf geringer war. Ob ab September 2005 erhebliche Pflegebedürftigkeit vorlag, kann dahingestellt bleiben. Zwar kam die Gutachterin B. in ihrem Gutachten vom 03. Mai 2006 zu dem Ergebnis, dass auch nach dem Schub vom September 2005 der zeitliche Pflegeaufwand im Bereich der Grundpflege bei nur 31 Minuten lag, jedoch hat die Beklagte der Klägerin Leistungen nach der Pflegestufe I bereits zuvor ab dem 01. September 2005 bewilligt.

3. Soweit die Klägerin geltend macht, ab März 2006 stünden ihr Leistungen nach der Pflegestufe II zu, hat das SG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Frage, welche Leistungen der Klägerin für die Zeit nach dem 01. September 2005 zustanden, waren nicht mehr Gegenstand des vor dem SG anhängigen Klageverfahrens. Nach § 101 Abs. 2 SGG erledigt das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache. Zutreffend hat das SG das Schreiben der Beklagten vom 04. November 2005 als Teilanerkenntnis angesehen. Die Beklagte hat eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie einen Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab dem 01. September 2005 für berechtigt halte und angekündigt, eine entsprechende Bewilligung auszusprechen. Die Klägerin hat mit ihrer Antwort vom 08. November 2005 dieses Teilanerkenntnis für die Zeit ab 01. September 2005 ausdrücklich angenommen. Die Klägerin hat lediglich eine Rücknahme der Klage im Übrigen nicht ausgesprochen und darauf bestanden, dass ihr Leistungen der Pflegestufe I bereits ab Antragstellung zustehen. Höhere Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt waren dagegen nicht Gegenstand des Verfahrens, im Übrigen auch deshalb, weil es an einer entsprechenden Entscheidung der Beklagten durch Verwaltungsakt hierüber fehlt. Damit ist der Rechtsstreit infolge der Annahme des Teilanerkenntnisses der Beklagten durch die Klägerin für die Zeit ab 01. September 2005 erledigt. Gegenstand des Verfahrens war deshalb nur noch die Frage, ob der Klägerin auch für die Zeit vor dem 01. September 2005 Leistungen nach der Pflegestufe I zustanden.

Zweifel an der Annahme des Teilanerkenntnisses durch die Klägerin bestehen nicht. Nicht nur hat die Klägerin das Teilanerkenntnis ausdrücklich angenommen. Auch ihr weiteres Prozessverhalten bestätigt dies. In den Telefonaten mit der Geschäftsstelle des SG vom 23. September 2005 und vom 04. Mai 2006 hat die Klägerin nur darauf beharrt, dass ihr das SG Leistungen nach der Pflegestufe I bereits ab Antragstellung zusprechen soll. Die von ihr selbst angenommene Erhöhung des Pflegebedarfs infolge einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes hat sie deshalb folgerichtig durch einen Höherstufungsantrag vom 14. März 2006 direkt bei der Beklagten geltend gemacht, ohne das Gericht hierüber zu informieren.

Soweit die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 06. November 2006 gegenüber dem SG geltend mache, sie befinde sich seit längerem in Pflegestufe II, handelt es sich deshalb um eine neue Klage, da ein neuer Streitgegenstand im Vergleich zum bisher anhängigen Streitgegenstand geltend gemacht wurde. Es liegt keine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG vor. Eine Klageänderung ist eine Änderung des bisher anhängigen Streitgegenstandes (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 99 Rdnr. 2). Mit dem Begehren, ab März 2006 Leistungen nach der Pflegestufe II zu erhalten, hat die Klägerin allerdings keine Änderung des anhängigen Streitgegenstandes, der sich nur auf Leistungen nach der Pflegestufe I für die Zeit ab 01. März 2005 bis 31. August 2005 bezog, herbeigeführt. Sie hat vielmehr einen zusätzlichen, weiteren Streitgegenstand mit der Klage geltend gemacht. Die neue Klageerhebung hat das SG zutreffend als unzulässig angesehen. Der Klage fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beklagte über den Höherstufungsantrag der Klägerin vom März 2006 bisher noch gar nicht entschieden hat. Darüber hinaus fehlt es an dem nach § 78 Abs. 1 SGG erforderlichen Vorverfahren, in dem eine mögliche ablehnende Entscheidung der Beklagten zunächst durch die Beklagte selbst zu überprüfen wäre.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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