L 10 R 534/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3773/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 534/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob die Beklagte einen Rentenbescheid wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze aufheben durfte und der Kläger die entstandene Überzahlung zu erstatten hat.

Die Beklagte bewilligte dem am 1951 geborenen Kläger mit Bescheid vom 10. Januar 2002 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Juli 2001 (monatlicher Zahlbetrag ab 1. Februar 2002: 534,11 EUR). Zugleich wies sie u. a. auf die monatliche Hinzuverdienstgrenze (ab 1. Februar 2002: 1.826,98 EUR brutto für die Zahlung der Rente in voller Höhe), deren Änderung bei Rentenanpassungen, die Zulässigkeit von deren zweimaligem Überschreiten in jedem Kalenderjahr wegen einmalig gezahltem Arbeitsentgelt (z. B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld), die Folgen des Überschreitens, die Verpflichtung, die Aufnahme oder Ausübung einer diesen Rahmen übersteigenden Beschäftigung unverzüglich mitzuteilen, und weitere Meldepflichten hin. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Rentenbescheid verwiesen.

Ab 18. Februar 2002 war der Kläger bei der Firma INA-Sch. KG beschäftigt, die das Urlaubsgeld jeweils zu einem Teil im Mai und zu einem Teil im Dezember sowie das tarifliche 13. Einkommen (Weihnachtsgeld) im November eines jeden Kalenderjahres auszahlte. Unter Einbeziehung dieser Zahlungen erhielt der Kläger ein Bruttoentgelt von 2.282,91 EUR im Mai 2003, 2.414,09 EUR im November 2003, 1.928,14 EUR im Dezember 2003, 2.376,75 EUR im Mai 2004, 2.450,07 EUR im November 2004 und 1.956,87 EUR im Dezember 2004. In den übrigen Monaten dieser Jahre lag das Bruttoentgelt unterhalb der Hinzuverdienstgrenzen von 1.866,38 EUR (für die Zeit ab 01. Juli2002) bzw. 1.885,87 EUR (für die Zeit ab 01. Juli 2003). Die Beklagte erlangte von den vollständigen Einkünften im Jahr 2003 erstmals durch die Arbeitgeberbescheinigung vom 8. Dezember 2004 Kenntnis, und von denen im Jahr 2003 durch die vom 18. Februar 2005. Wegen der Einzelheiten wird auf die Arbeitgeberbescheinigungen vom 4. Dezember 2003, 8. Dezember 2004 und 18. Februar 2005 verwiesen.

Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 2005 den Bescheid vom 10. Januar 2002 wegen eines jeweils dritten Überschreitens der maßgeblichen Hinzuverdienstgrenze für Dezember 2003 und Dezember 2004 hinsichtlich der Rentenhöhe auf. Die Rente sei für Dezember 2003 und Dezember 2004 jeweils nur in Höhe der Hälfte zu leisten und es ergebe sich eine Überzahlung von insgesamt 547,88 EUR, die zu erstatten sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.

Den Widerspruch, mit dem der Kläger im Wesentlichen geltend machte, auch wenn die Arbeitgeberin auf Grund einer Betriebsvereinbarung das Urlaubsgeld für 20 Tage im Mai und für 10 Tage im Dezember sowie das Weihnachtgeld im November auszahle, handle es sich materiellrechtlich nur um zwei Zahlungen, nämlich einmal die Sonderzahlung Weihnachtsgeld und einmal die Sonderzuwendung Urlaubsgeld, weshalb er davon ausgegangen sei, es würden nur diese beiden Zahlungen berücksichtigt, und auch keine grobe Fahrlässigkeit vorliege, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2005 zurück. Wegen der Einzelheiten, insbesondere der Darstellung der Hinzuverdienstgrenze und von deren Überschreiten, wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

Deswegen hat der Kläger am 14. September 2005 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und geltend gemacht, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Rentenbewilligung lägen nicht vor.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Dezember 2005 abgewiesen, zur Begründung auf die Begründung des Widerspruchsbescheids Bezug genommen sowie ergänzend ausgeführt, die Aufhebung der Rentenbewilligung sei nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zulässig und die Hinzuverdienstgrenze sei zutreffend berechnet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.

Gegen den am 2. Januar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. Februar 2006 Berufung eingelegt. Die Rückforderung sei unzulässig. Es habe ein atypischer Fall vorgelegen. Er habe nicht damit rechnen müssen, erstattungspflichtig zu werden, und im Vertrauen darauf sein Einkommen verbraucht. Aus seiner Sicht habe er nur zwei Sonderzahlungen im Jahr erhalten, die auf Grund einer Auszahlungsmodalität des Arbeitgebers zu drei faktischen Zahlungen geführt habe. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass es darauf ankommen solle, wie häufig die Zahlungen erfolgten. Die Rechtswidrigkeit der Rentenzahlung habe er nicht erkennen können. Die Beklagte hätte bei ihrer Entscheidung auch Ermessen ausüben müssen, was nicht erfolgt sei. Deshalb sei die Entscheidung gleichfalls fehlerhaft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Dezember 2005 und den Bescheid vom 1. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. August 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Aufhebung sei zulässig. Auf ein Verschulden komme es nicht an. Ein atypischer Sachverhalt liege nicht vor.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte war berechtigt, den Rentenbescheid für die Monate Dezember 2003 und Dezember 2004 hinsichtlich der Höhe der zu leistenden Rente aufzuheben und der Kläger ist verpflichtet, die für diese Monate geleistete Rente teilweise zu erstatten.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen ist oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Eine wesentliche Änderung der dem Bescheid vom 10. Januar 2002 zu Grunde liegenden Verhältnisse ist insofern eingetreten, als in den Monaten Dezember 2003 und Dezember 2004 die Hinzuverdienstgrenzen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe (§ 96 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)) ein drittes Mal im jeweiligen Kalenderjahr überschritten wurde. Dies hat zur Folge, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in diesen Monaten nicht in voller Höhe, sondern nur zur Hälfte zu leisten war. Die Voraussetzungen des § 96 a SGB VI sind insofern erfüllt. Wegen der Einzelheiten der Berechnung der Einkommensgrenzen und der zu leistenden verminderten Rente (Hälfte der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) wird auf den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid verwiesen, die der Kläger hinsichtlich der Berechnung nicht bestreitet. Auch für den Senat sind Berechnungsfehler nicht festzustellen.

Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei den Zahlungen auch nicht deshalb nur um zwei Sonderzahlungen und damit ein nur zweimaliges Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze, weil das Urlaubsgeld auf zwei Monate verteilt gezahlt wurde. Entscheidend ist allein, in wie vielen Monaten im Kalenderjahr die Hinzuverdienstgrenze überschritten wurde. Dies ergibt sich aus § 96 a Abs. 1 Satz 2 SGB VI, wonach die Hinzuverdienstgrenze (nur) dann nicht überschritten ist, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Absatz 2 (der Vorschrift) genannten Beträge nicht übersteigt, und ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 2 (der Vorschrift) im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Soweit es sich - wie hier - um zu berücksichtigendes Einkommen handelt, wie z. B. Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld kommt es nur darauf an, in wie vielen Kalendermonaten es zu einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze kommt. Dies gilt unabhängig davon, was der Grund der Zahlung bzw. des Einkommens ist, wenn es sich nur - wie hier - um Einkommen handelt, das bei der Prüfung, ob die Einkommensgrenze überschritten ist, zu berücksichtigen ist. So wurde der Kläger auch bereits im Rentenbescheid vom 10. Januar 2002 darauf hingewiesen, dass maßgeblich ist, ob die Hinzuverdienstgrenze in mehr als zwei Monaten überschritten wurde. Das Urlaubsgeld und das Weihnachtsgeld wurden insofern nur beispielhaft genannt. Eine Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze trat jeweils im Mai, November und Dezember in den Jahren 2003 und 2004 ein, mit der Folge, dass jeweils im Dezember zum dritten Mal die Hinzuverdienstgrenze überschritten wurde. Dies hat zur Folge, dass die Rente für diese Monate nur zur Hälfte zu gewähren ist (§ 96 a SGB VI). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insofern auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

Die Beklagte war auch berechtigt, den Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse und damit für die Vergangenheit aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt sind. Der Kläger hat Einkommen erzielt, das zur Minderung des Anspruches auf Leistung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geführt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).

Entgegen der Ansicht des Klägers liegt hier auch kein atypischer Fall vor, der die Ausübung von Ermessen bei der Entscheidung über die teilweise Rücknahme der Rentenbewilligung erforderlich gemacht hätte (s. hierzu BSG, Urteil vom 26. Oktober 1998, B 2 U 35/97 R). Vielmehr handelt es sich um einen typischen Fall. Die Behauptung, aus seiner Sicht habe nur eine zweimalige Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze vorgelegen, weil das Urlaubsgeld in zwei Raten gezahlt wurde, ist - unterstellt er hat solche Überlegungen überhaupt angestellt - nicht geeignet, hier einen atypischen Fall zu begründen, weil bereits der Rentenbescheid insofern hinreichend deutliche Hinweise enthielt, die eine derartige Beurteilung gerade nicht zu ließen (s. Anlage 19 des Rentenbescheides). Der Kläger durfte diese Hinweise nicht einfach übergehen und eine davon abweichende rechtliche Beurteilung - bar jeder Grundlage - vornehmen. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt maßgeblich von jenem, der dem genannten Urteil des BSG zu Grunde lag. Vergleichbares gilt für die Behauptung, er habe die Leistungen im Vertrauen darauf, sie behalten zu dürfen, verbraucht.

Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine Aufhebung ab Eintritt der wesentlichen Änderung vorliegen, insbesondere auch die Handlungsfristen (§ 48 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 SGB X) beachtet wurden, hat die Beklagte zu Recht den Rentenbescheid für die Monate Dezember 2003 und 2004 hinsichtlich der zu zahlenden Rente teilweise aufgehoben. Dies hat zur Folge, dass der Kläger die zu viel gezahlte Rente an die Beklagte gemäß § 50 SGB X zu erstatten hat.

Aus den vorstehenden Gründen ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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