L 9 R 657/07 PKH-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 2983/06 PKH-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 657/07 PKH-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob dem Kläger für das beim Sozialgericht Reutlingen (SG) anhängige und auf die Gewährung von Erwerbsminderungsrente gerichtete Verfahren S 5 R 2982/06 Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen ist.

Der 1959 geborene Kläger, der seit 1990 in Deutschland lebt, war hier seit dem 1. Juli 1991 mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit bis zum 20. Juli 2004 in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen versicherungspflichtig jeweils als ungelernter Drucker, Sortierer, Produktionsmitarbeiter, Kommissionier, Produktionshelfer und Versandmitarbeiter tätig. Anschließend war er von Juli 2004 bis Januar 2005 als Im- und Exporteur selbständig tätig. Seit dem 1. Februar 2005 bezieht er wieder Leistungen der Arbeitsverwaltung.

Am 6. Februar 2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm Erwerbsminderungsrente zu gewähren, weil er seit 1998 u. a. an Thoraxschmerzen, Schultergürtelmyalgie und degenerativen HWS-LWS-Veränderungen leide. Daraufhin veranlasste die Beklagte die sozialmedizinische Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Arzt für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. H ... Im Gutachten vom 30. Mai 2006 stellte Dr. H. für den damals 169 cm großen und 87 kg schweren Kläger nach Untersuchung und Auswertung der vorliegenden Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte (u.a. des Orthopäden Dr. B. vom 5. Dezember 2005 und vom 16. Februar 2006) folgende Diagnosen: - Degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Streckstellung, mäßiggradigen Spinalkanalstenosen und Bandscheibenschäden mit leichten Bewegungseinschränkungen ohne eindeutige Nervenwurzelreizzeichen, - Leichte degenerative Veränderungen von Brustwirbelsäule und lumbosacrale Übergangsstörung der Lendenwirbelsäule mit Fehlhaltung und leichter Bewegungseinschränkung, - Knorpelschaden beider Kniescheiben und des linken Kniegelenks sowie Meniskusschaden links ohne Bewegungseinschränkung, - Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit depressiver Reaktion. In Zusammenschau aller Gesundheitsstörungen sei der Kläger in der Lage, arbeitstäglich sechs und mehr Stunden körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Folgende Leistungsausschlüsse seien für folgende Tätigkeiten zu beachten: Arbeiten mit häufigen oder länger andauernden Zwangshaltungen der Wirbelsäule, häufige Überkopfarbeiten, Arbeiten im Knien/Hocken, Tätigkeiten, die ein häufiges Ersteigen von Treppen, Leitern oder Gerüsten erfordern. Beim Kläger bestehe eine deutliche Diskrepanz zwischen den Schmerzangaben und den objektivierbaren Befunden; während der Untersuchung sei ein ausgeprägt demonstratives von häufigem Stöhnen begleitetes Verhalten zu Tage getreten.

Mit Bescheid vom 1. Juni 2006 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Den dagegen am 12. Juni 2006 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2006 als unbegründet zurück.

Am 14. August 2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) - S 5 R 2982/06 - und beantragte zugleich Prozesskostenhilfe - S 5 R 2983/06 PKH-A -. Er trug vor, er sei wegen seiner orthopädischen Leiden, deretwegen er sich in dauernder ärztlicher Behandlung befinde, einem Arbeitseinsatz von mindestens 3 Stunden täglich nicht mehr gewachsen.

Parallel dazu unterzog sich der Kläger vom 11. August bis zum 1. September 2006 einer stationären Reha-Maßnahme in der F.klinik. Im Entlassungsbericht vom 4. September 2006 des regulär als arbeitsfähig entlassenen Klägers wurden folgende Diagnosen mitgeteilt: - Dorsolumbalgie, cervikalbetont, degenerative Veränderungen, - Chrondromalazie femurales Gleitlager linkes Kniegelenk, - Chronisches Schmerzsyndrom, - Anpassungsstörungen und - Adipositas (BMI 35). Beim Kläger handele es sich insgesamt um einen sehr athletischen, fast schon gut durchtrainierten Patienten ohne neurologische Ausfallerscheinungen. Dem Kläger seien körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeitstäglich sechs und mehr Stunden zumutbar. Leistungsausschlüsse bestünden für das häufige Heben, Tragen oder Bewegen schwerer Lasten, für Tätigkeiten, die eine häufige Zwangshaltung erforderten sowie für aus psychotherapeutischer Sicht für Arbeiten im ständigen Umgang mit Personen oder Publikumsverkehr. In der zuletzt ausgeübten abhängigen Beschäftigung als Versandmitarbeiter sei der Kläger vollschichtig leistungsfähig.

Den Entlassungsbericht legte die Beklagte dem SG mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2006 vor.

Das SG holte sodann mit Verfügung vom 24. Oktober 2006 eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage bei dem vom Kläger als behandelnden Arzt benannten Orthopäden Dr. B. ein. Dieser erklärte unter dem 23. November 2006, den Kläger seit November 2002 wegen chronisch rezidivierendem Schmerzsyndrom mit Schultergürtelmyalgie, Thoraxschmerzen, Dorsolumbalgie bei Fehlhaltung der Wirbelsäule, leichter Skoliose und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit mäßiger Spinalkanalstenose sowie wegen beidseitigen Senk-Spreizfüßen zu behandeln. Eine Progredienz der Beschwerden über den Beobachtungszeitraum von drei Jahren sei nicht zu erkennen. Er halte den Kläger für die der Lage, arbeitstäglich mindestens sechs Stunden leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nachzugehen.

Daraufhin lehnte das SG den Prozesskostenhilfeantrag durch Beschluss vom 11. Dezember 2006 unter Hinweis auf mangelnde Erfolgsaussichten als unbegründet ab. Das Leistungsvermögen des Klägers sei zur Zeit geklärt. Nach den vorliegenden medizinischen Gutachten und Berichten könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich leichte Arbeiten unter Beachtung gewisser qualitativer Besonderheiten verrichten. Deshalb bestehe keine Erwerbsminderung. Der Beschluss wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 15. Dezember 2006 zugestellt.

Gegen den Beschluss richtet sich die auf den 10. Januar 2007 datierende, aber erst am 18. Januar 2007 beim SG eingegangene Beschwerde, die das SG dem Landessozialgericht unter Vorlage eines auf den 31. Januar 2007 datierenden Nichtabhilfebeschlusses am 7. Februar 2007 vorgelegt hat.

Der Kläger ist der Auffassung, das SG sei mit der Einholung der schriftlichen Zeugenaussage bei Dr. B. in die Beweisaufnahme eingetreten, so dass zu diesem entscheidungserheblichen Zeitpunkt die für die Bewilligung von PKH erforderliche Erfolgsaussicht vorgelegen habe.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. Dezember 2006 aufzuheben und ihm zur Durchführung des beim Sozialgericht Reutlingen anhängigen Klageverfahrens S 5 R 2982/06 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R., P., zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die bei der Beklagten geführten Verwaltungsakten des Klägers, die Akten des Sozialgerichts Reutlingen S 5 R 2982/06 und S 5 R 2983/06 PKH-A sowie die Senatsakten ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

Die Beschwerde ist bereits unzulässig, weil sie nicht binnen der nach § 173 SGG maßgeblichen Beschwerdefrist von einem Monat ab Zugang des angefochtenen Beschlusses erhoben worden ist. Nach § 173 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Belehrung über das Beschwerderecht ist auch mündlich möglich; sie ist dann aktenkundig zu machen.

Dem ordnungsgemäß belehrten Bevollmächtigten des Klägers ist der angefochtene Beschluss vom 11. Dezember 2006 am 15. Dezember 2006 zugegangen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das SG aber erst am 18. Januar 2007 und damit, weil mehr als einen Monat nach Zugang des angefochtenen Beschlusses, verspätet erreicht. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist sind weder erkennbar noch vorgetragen.

Unabhängig vom Vorstehenden hat die Beschwerde aber auch in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss des SG vom 11. Dezember 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Klage des bedürftigen Klägers hat keine hinreichenden Erfolgsaussichten, so dass das SG die Gewährung von PKH zu Recht abgelehnt hat.

Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt ist, die das Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheinen lässt, wie ein Unterliegen (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 14. April 2003, NJW 2003, 2976 (2977); Landessozialgericht - LSG - Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. Dezember 2001, L 8 B 71/01 RA PKH, JURIS und Verwaltungsgerichtshof - VGH - Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Mai 1998, 7 S 3090/97, NVwZ 1998, 1098 f. m.w.N.; Knittel, in Hennig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, Loseblatt, 2004 § 73a Rn. 13, 16). Dagegen reicht die bloße theoretische Möglichkeit eines Klageerfolges nicht aus. Der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags zugrunde zu legen, die schon bei dessen vollständiger Einreichung am 21. September 2006 gegeben gewesen ist. Für die Beurteilung des Vorliegens hinreichender Erfolgsaussichten kommt es deshalb auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse an, wie sie sich in der Zeit darstellten, als das Sozialgericht über den PKH-Antrag des Klägers hätte entscheiden können und müssen. Für diesen Zeitpunkt - ab 21. September 2006 - müssen aber die Erfolgsaussichten - ebenso wie heute als dem Kläger ungünstig beurteilt werden. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen.

Dieser Beurteilung steht insbesondere nicht entgegen, dass das SG nach Entscheidungsreife des PKH-Antrags von Amts wegen noch von Dr. B. einen Befund- und Behandlungsbericht (23. November 2006) eingeholt hat. Zwar genügt für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht in der Regel schon, dass eine - nicht ganz entfernt liegende - Möglichkeit des Obsiegens besteht und vor der abschließenden Beantwortung der streiterheblichen Fragen weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen sind (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW-RR 2002, 1069 - 1070 = SGb 2002, 674). Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren im vorliegenden Fall nach der Vorlage des in der Leistungsbeurteilung mit Dr. H. übereinstimmenden Reha-Entlassungsberichts durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2006 nicht erforderlich. Vielmehr diente die Befragung des behandelnden Orthopäden, von dem Befundberichte vom 5. Dezember 2005 und 16. Februar 2006 bereits vorlagen, lediglich dazu zu überprüfen, ob dieser das Leistungsvermögen des Klägers abweichend beurteilte. Damit ging das SG entsprechend seiner rechtlichen Verpflichtung nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO lediglich dem Vorbringen des Klägers nach, die Beklagte lege eine fehlerhafte ärztliche Leistungsbeurteilung zugrunde, um abschließend die Erfolgsaussichten der Klage beurteilen zu können (wie hier: Zeihe, Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung, 8 Auflage, Stand 2004, Anhang 8 § 114 ZPO Rn. 12 d). Das Einholen der Auskunft eines behandelnden Arztes nach § 118 Abs 2 Satz 2 ZPO kann unter diesen Umständen eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht begründen (so bereits der erkennende Senat im Beschluss vom 25. November 2002 - L 9 RJ 2890/02 PKH-B und Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. November 2004, L 2 B 22/04 KN U, JURIS).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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