Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 513/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2311/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, das das Berufungsverfahren gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. September 2006 durch Abschluss des gerichtlichen Vergleichs vom 20. Dezember 2006 erledigt ist.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Zugunstenverfahrens. Streitig ist dabei insbesondere, ob der Rechtsstreit durch einen gerichtlichen Vergleich erledigt worden ist.
Der am 1951 geborene Kläger war nach seiner Übersiedlung aus Rumänien im Jahr 1990 als Hausmeister und zuletzt im Jahre 2001 als Lagerverwalter versicherungspflichtig tätig. Seinen Antrag vom 10. Oktober 2003, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, lehnte die Beklagte nach medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 23. Januar 2004 und Widerspruchsbescheid vom 4. August 2004, den Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch auf Grund eines orthopädischen und eines nervenärztlichen Gutachtens mit Bescheid vom 19. November 2004 und Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2005 ab.
Die gegen die Ablehnung des Überprüfungsantrags gerichtete und am 2. März 2005 bei dem Sozialgericht Konstanz erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 21. September 2006 nach medizinischen Ermittlungen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung (§§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]), da er nicht erwerbsgemindert, mangels Berufsschutz auch nicht berufsunfähig sei. Trotz seiner Einäugigkeit könne der Kläger noch als Pförtner tätig sein.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 9. Oktober 2006 Berufung eingelegt (Aktenzeichen L 10 R 5059/06).
Im Erörterungstermin vom 20. Dezember 2006 haben die Beteiligten vor dem Berichterstatter folgenden Vergleich abgeschlossen:
"1. Die Beklagte gewährt den Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in einer psychosomatischen Einrichtungen in Bad Dürrheim.
2. Damit ist der Rechtsstreit L 10 R 5059/06 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg in der Hauptsache erledigt.
3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten."
Die von der Beklagten entsprechend dem Prozessvergleich gewährte Maßnahme ist am 15. Februar 2007, unmittelbar nach dem Aufnahmegespräch, einvernehmlich abgebrochen worden. Nach einem Schreiben des Chefarztes der Klinik, Dr. Sch. , vom 30. März 2007 sei in dem Aufnahmegespräch deutlich geworden, dass der Kläger die bisherigen Gutachten, insbesondere auf orthopädischem Fachgebiet, anzweifle, sich vom Sozialgericht unter falscher Vorstellung hergeschickt fühle und von der Einrichtung eigentlich ein fachorthopädisches Gegengutachten erwarte. Diese Erwartungen seien mit dem Angebot der Klinik nicht in Einklang zu bringen.
Den abgeschlossenen Vergleich ficht der Kläger an. Mit seiner Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Berichterstatter vom 30. April 2007 hat er zunächst erklärt, er habe den Vergleich nur auf Grund eines falschen Versprechens des Berichterstatters abgeschlossen, wonach der Abbruch der Rehabilitationsmaßnahme keine negativen Auswirkungen auf den Weitergang seines Antrags auf Erwerbsunfähigkeitsrente habe. Nunmehr betrachte die Beklagte aber das Verfahren als beendet und er müsse von Neuem anfangen. Im Schreiben vom 15. Juni 2007 hat der Kläger dann ausgeführt, er fechte den Vergleich nicht deswegen an, weil - so zunächst die Annahme des Berichterstatters in einem Schreiben an die Beklagte, das dem Kläger zur Kenntnis gegeben worden ist - ihm die Konsequenzen nicht bewusst gewesen seien, sondern weil er vom Berichterstatter und vom Terminsvertreter der Beklagten durch Vortäuschung falscher Tatsachen über die angebotene Rehabilitationsmaßnahme und die Vorhersage seines Unterliegens im Prozess genötigt worden sei und den Vergleich nur gezwungenermaßen zugestimmt habe. Er vermute, damit hätten allein die rückwirkenden Rentenzahlungen der Beklagten an ihn eingespart werden sollen. Den mit diesem Schreiben gestellten Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter hat der Senat mit Beschluss vom 6. August 2007 abgelehnt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Verfahren fortzusetzen sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. September 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 23. Januar 2004 zurückzunehmen und ihm Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Verfahren erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über den vom Kläger gestellten Antrag kann der Senat nicht sachlich entscheiden. Denn das Berufungsverfahren gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. September 2006 ist durch Abschluss des gerichtlichen Vergleichs (Prozessvergleichs) im Erörterungstermin vom 20.Dezember 2006 erledigt. Dies ist vom Senat durch Urteil festzustellen, da der Kläger unter Anfechtung des Vergleichs die Fortführung des Berufungsverfahrens begehrt.
Ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989, 10 RKg 16/88 in SozR 1500 § 010 Nr. 8 unter Hinweis auf § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) Er hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits Prozesshandlung (BSG, a.a.O. und Urteil vom 24. Januar 1991, 2 RU 51/90), welche gemäß § 101 Abs. 1 SGG Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt.
Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nach den Bestimmungen des BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen sind, insbesondere die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 und vom 24. Januar 1991). Gleiches gilt nach § 779 Abs. 1 BGB, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind nicht ersichtlich. Auf Grund des im Erörterungstermin angefertigten Protokolls steht fest (§ 122 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung [ZPO]), dass die Beteiligten die im Tatbestand wiedergegebenen und - nach nochmaligen Vorspielen (§ 122 i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 ZPO) genehmigten - Erklärungen auch abgegeben haben.
Ebenso fehlen Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleichs, etwa nach den §§ 116 ff. BGB oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB.
Soweit der Kläger seine Zustimmung zum Abschluss des Prozessvergleichs anficht, führt dies nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit seiner Erklärung und damit des materiell-rechtlichen Vertrages. Zwar erklärt der Kläger die Anfechtung seiner Willenserklärung, doch genügt dies nicht. Voraussetzung einer wirksamen Anfechtung (und damit der Herbeiführung der Nichtigkeit der Willenserklärung) ist vielmehr das Vorliegen eines zur Anfechtung berechtigenden Irrtums.
Nicht jeder Irrtum berechtigt den Erklärenden zu einer Anfechtung. Vielmehr führt das Gesetz in den §§ 119, 120 und 123 BGB die rechtlich maßgebenden Irrtümer und sonstigen Anfechtungsgründe abschließend auf. Ein solcher Anfechtungsgrund liegt nicht vor.
Dabei kann der Senat offen lassen, ob eine Unkenntnis des Klägers darüber, dass der Abschluss des Prozessvergleichs nicht nur das gerichtliche Verfahren, sondern auch - durch den Eintritt der Bestandskraft des angefochtenen Bescheids - das Verwaltungsverfahren beendet hat, einen Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 erste Alternative BGB darstellen würde. Nach dieser Vorschrift kann derjenige eine Willenserklärung anfechten, der bei Abgabe dieser Erklärung über ihren Inhalt im Irrtum war, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Ein solcher Irrtum liegt nicht vor. Vielmehr hat der Kläger, anders als noch im Schreiben vom 30. April 2007 vermittelt, im Schreiben vom 15. Juni 2007 ausdrücklich dargelegt, ihm seien die Konsequenzen des Vergleichs bewusst gewesen. Es liegt auch eher fern, mit der Erledigung eines gerichtlichen Verfahrens, in dem - hier über § 44 SGB X - eine ablehnende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Gewährung einer Rente überprüft werden sollte, die Fortsetzung des Rentenverfahrens zu verbinden.
Auch ein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Danach kann die Willenserklärung anfechten, wer zur Abgabe einer solchen durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Hier liegt weder eine Täuschung noch eine Drohung und zwar weder durch den Berichterstatter noch durch den Terminsvertreter der Beklagten vor.
Eine Täuschung über einen Fortgang des Rentenverfahrens liegt schon deswegen nicht vor, weil der Kläger sich, wie dargelegt, nicht über die Folgen des Prozessvergleichs geirrt hat.
Eine Täuschung über die Erfolgsaussichten der Berufung liegt ebenfalls nicht vor. Zwar hat der Berichterstatter im Erörterungstermin die Beteiligten über die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens informiert. Bei solchen Informationen im Rahmen des Rechtsgesprächs handelt es sich aber immer nur um eine - notwendigerweise vorläufige - Einschätzung der Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt. Mehr als die Darstellung dieser vorläufigen Einschätzung, die naturgemäß durch den weiteren Vortrag und Beweisanregungen des Klägers noch beeinflusst werden kann, ist auch nicht geschehen. Dies entspricht sachgerechter richterlicher Tätigkeit und begründet keinen Grund für die Annahme einer Täuschung durch den Richter. Vielmehr verlangt das Gesetz in bestimmten Verfahrenskonstellationen sogar eine derartige, dezidierte Information des Richters an die Beteiligten. So sieht z.B. § 153 Abs. 4 SGG ausdrücklich vor der dort in Rede stehenden Entscheidung eine Information der Beteiligten über die Einschätzung der Erfolgssaussichten durch die Richter vor. Anderes mag gelten, wenn der Richter bewusst falsche Angaben über die Erfolgsaussicht des Rechtsstreits macht. Dies ist aber eine hier von vornherein nicht in Rede stehende Fallkonstellation.
Eine Täuschung über die Erfolgsaussicht des Berufungsverfahrens durch den Terminsvertreter der Beklagten scheidet aus, weil dieser an einem Urteil des Gerichts nicht mitwirkt und deshalb - auch aus Sicht des Klägers - hinreichend "sichere" Aussagen über den Ausgang des Verfahrens von vornherein nicht machen kann.
Ein Vorspiegeln falscher Tatsachen über die Wirkung und Bedeutung der stationären Rehabilitationsmaßnahme für die Frage des Vorliegens einer Erwerbsminderung ist ebenfalls nicht erfolgt. In der Niederschrift ist ausdrücklich aufgenommen, dass dort "der Gesundheitszustand des Klägers ... genauer ... abgeklärt werden könnte". Dies ist - wenn die Maßnahme durchgeführt wird - in Form des Entlassungsberichts, der auf Grund der während einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation durchgeführten Untersuchungen bzw. Behandlungen eine sozialmedizinische Empfehlung enthält, auch der Fall.
Soweit der Kläger - wie sich aus dem Schreiben von Dr. Sch. ergibt - der Ansicht gewesen ist, während der vereinbarten medizinischen Rehabilitation würde ein weiteres orthopädisches Gutachten und zwar zu seinen Gunsten eingeholt, würde dies zwar einen Irrtum darstellen. Hierfür verantwortlich wären aber nicht Erklärungen des Berichterstatters oder des Terminsvertreters der Beklagten, weil Erklärungen dieses Inhalts nicht abgegeben worden sind, sondern allein fehlerhafte Vorstellungen des Klägers, die als solche nicht zur Anfechtung berechtigen.
Eine Drohung hat nicht vorgelegen. Auch die eigenen Angaben des Klägers lassen solches nicht erkennen. Er behauptet zwar, er sei fertig gemacht worden und habe am Rande eines Nervenzusammenbruchs gestanden. Dies kann sich nur auf die Diskussion der Erfolgsaussichten des Rechtsstreits auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes zum damaligen Zeitpunkt beziehen und umschreibt damit den subjektiv empfundenen Gefühlszustand des Klägers vor dem Hintergrund einer nachvollziehbaren Enttäuschung. Ein irgendwie geartetes Bedrängen des Klägers lag jedoch nicht vor. Solches liegt insbesondere nicht darin, dass der Kläger möglicherweise angesichts der aufgezeigten Erfolglosigkeit seiner Berufung einerseits und des Aufzeigens eines Ausweges aus dieser Situation im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation andererseits den Abschluss des Prozessvergleichs als einzige Möglichkeit angesehen hat, schließlich doch noch die begehrte Rente zu erhalten. Denn es stand dem Kläger frei, das Berufungsverfahren trotzdem weiter zu betreiben. Für diesen Fall wurden ihm gerade keine Nachteile angedroht.
Da bereits kein Anfechtungsgrund vorliegt, bedarf es keiner Entscheidung, ob der Kläger die Anfechtungsfrist nach § 120 BGB - ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) - eingehalten hat.
Nach der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache braucht und kann der Senat nicht über einen Anspruch des Klägers auf Überprüfung des die Rentengewährung ablehnenden Bescheides der Beklagten entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Zugunstenverfahrens. Streitig ist dabei insbesondere, ob der Rechtsstreit durch einen gerichtlichen Vergleich erledigt worden ist.
Der am 1951 geborene Kläger war nach seiner Übersiedlung aus Rumänien im Jahr 1990 als Hausmeister und zuletzt im Jahre 2001 als Lagerverwalter versicherungspflichtig tätig. Seinen Antrag vom 10. Oktober 2003, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, lehnte die Beklagte nach medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 23. Januar 2004 und Widerspruchsbescheid vom 4. August 2004, den Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch auf Grund eines orthopädischen und eines nervenärztlichen Gutachtens mit Bescheid vom 19. November 2004 und Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2005 ab.
Die gegen die Ablehnung des Überprüfungsantrags gerichtete und am 2. März 2005 bei dem Sozialgericht Konstanz erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 21. September 2006 nach medizinischen Ermittlungen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung (§§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]), da er nicht erwerbsgemindert, mangels Berufsschutz auch nicht berufsunfähig sei. Trotz seiner Einäugigkeit könne der Kläger noch als Pförtner tätig sein.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 9. Oktober 2006 Berufung eingelegt (Aktenzeichen L 10 R 5059/06).
Im Erörterungstermin vom 20. Dezember 2006 haben die Beteiligten vor dem Berichterstatter folgenden Vergleich abgeschlossen:
"1. Die Beklagte gewährt den Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in einer psychosomatischen Einrichtungen in Bad Dürrheim.
2. Damit ist der Rechtsstreit L 10 R 5059/06 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg in der Hauptsache erledigt.
3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten."
Die von der Beklagten entsprechend dem Prozessvergleich gewährte Maßnahme ist am 15. Februar 2007, unmittelbar nach dem Aufnahmegespräch, einvernehmlich abgebrochen worden. Nach einem Schreiben des Chefarztes der Klinik, Dr. Sch. , vom 30. März 2007 sei in dem Aufnahmegespräch deutlich geworden, dass der Kläger die bisherigen Gutachten, insbesondere auf orthopädischem Fachgebiet, anzweifle, sich vom Sozialgericht unter falscher Vorstellung hergeschickt fühle und von der Einrichtung eigentlich ein fachorthopädisches Gegengutachten erwarte. Diese Erwartungen seien mit dem Angebot der Klinik nicht in Einklang zu bringen.
Den abgeschlossenen Vergleich ficht der Kläger an. Mit seiner Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Berichterstatter vom 30. April 2007 hat er zunächst erklärt, er habe den Vergleich nur auf Grund eines falschen Versprechens des Berichterstatters abgeschlossen, wonach der Abbruch der Rehabilitationsmaßnahme keine negativen Auswirkungen auf den Weitergang seines Antrags auf Erwerbsunfähigkeitsrente habe. Nunmehr betrachte die Beklagte aber das Verfahren als beendet und er müsse von Neuem anfangen. Im Schreiben vom 15. Juni 2007 hat der Kläger dann ausgeführt, er fechte den Vergleich nicht deswegen an, weil - so zunächst die Annahme des Berichterstatters in einem Schreiben an die Beklagte, das dem Kläger zur Kenntnis gegeben worden ist - ihm die Konsequenzen nicht bewusst gewesen seien, sondern weil er vom Berichterstatter und vom Terminsvertreter der Beklagten durch Vortäuschung falscher Tatsachen über die angebotene Rehabilitationsmaßnahme und die Vorhersage seines Unterliegens im Prozess genötigt worden sei und den Vergleich nur gezwungenermaßen zugestimmt habe. Er vermute, damit hätten allein die rückwirkenden Rentenzahlungen der Beklagten an ihn eingespart werden sollen. Den mit diesem Schreiben gestellten Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter hat der Senat mit Beschluss vom 6. August 2007 abgelehnt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Verfahren fortzusetzen sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. September 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 23. Januar 2004 zurückzunehmen und ihm Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Verfahren erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über den vom Kläger gestellten Antrag kann der Senat nicht sachlich entscheiden. Denn das Berufungsverfahren gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 21. September 2006 ist durch Abschluss des gerichtlichen Vergleichs (Prozessvergleichs) im Erörterungstermin vom 20.Dezember 2006 erledigt. Dies ist vom Senat durch Urteil festzustellen, da der Kläger unter Anfechtung des Vergleichs die Fortführung des Berufungsverfahrens begehrt.
Ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989, 10 RKg 16/88 in SozR 1500 § 010 Nr. 8 unter Hinweis auf § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) Er hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits Prozesshandlung (BSG, a.a.O. und Urteil vom 24. Januar 1991, 2 RU 51/90), welche gemäß § 101 Abs. 1 SGG Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt.
Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nach den Bestimmungen des BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen sind, insbesondere die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 und vom 24. Januar 1991). Gleiches gilt nach § 779 Abs. 1 BGB, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind nicht ersichtlich. Auf Grund des im Erörterungstermin angefertigten Protokolls steht fest (§ 122 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung [ZPO]), dass die Beteiligten die im Tatbestand wiedergegebenen und - nach nochmaligen Vorspielen (§ 122 i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 ZPO) genehmigten - Erklärungen auch abgegeben haben.
Ebenso fehlen Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleichs, etwa nach den §§ 116 ff. BGB oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB.
Soweit der Kläger seine Zustimmung zum Abschluss des Prozessvergleichs anficht, führt dies nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit seiner Erklärung und damit des materiell-rechtlichen Vertrages. Zwar erklärt der Kläger die Anfechtung seiner Willenserklärung, doch genügt dies nicht. Voraussetzung einer wirksamen Anfechtung (und damit der Herbeiführung der Nichtigkeit der Willenserklärung) ist vielmehr das Vorliegen eines zur Anfechtung berechtigenden Irrtums.
Nicht jeder Irrtum berechtigt den Erklärenden zu einer Anfechtung. Vielmehr führt das Gesetz in den §§ 119, 120 und 123 BGB die rechtlich maßgebenden Irrtümer und sonstigen Anfechtungsgründe abschließend auf. Ein solcher Anfechtungsgrund liegt nicht vor.
Dabei kann der Senat offen lassen, ob eine Unkenntnis des Klägers darüber, dass der Abschluss des Prozessvergleichs nicht nur das gerichtliche Verfahren, sondern auch - durch den Eintritt der Bestandskraft des angefochtenen Bescheids - das Verwaltungsverfahren beendet hat, einen Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 erste Alternative BGB darstellen würde. Nach dieser Vorschrift kann derjenige eine Willenserklärung anfechten, der bei Abgabe dieser Erklärung über ihren Inhalt im Irrtum war, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Ein solcher Irrtum liegt nicht vor. Vielmehr hat der Kläger, anders als noch im Schreiben vom 30. April 2007 vermittelt, im Schreiben vom 15. Juni 2007 ausdrücklich dargelegt, ihm seien die Konsequenzen des Vergleichs bewusst gewesen. Es liegt auch eher fern, mit der Erledigung eines gerichtlichen Verfahrens, in dem - hier über § 44 SGB X - eine ablehnende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Gewährung einer Rente überprüft werden sollte, die Fortsetzung des Rentenverfahrens zu verbinden.
Auch ein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Danach kann die Willenserklärung anfechten, wer zur Abgabe einer solchen durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Hier liegt weder eine Täuschung noch eine Drohung und zwar weder durch den Berichterstatter noch durch den Terminsvertreter der Beklagten vor.
Eine Täuschung über einen Fortgang des Rentenverfahrens liegt schon deswegen nicht vor, weil der Kläger sich, wie dargelegt, nicht über die Folgen des Prozessvergleichs geirrt hat.
Eine Täuschung über die Erfolgsaussichten der Berufung liegt ebenfalls nicht vor. Zwar hat der Berichterstatter im Erörterungstermin die Beteiligten über die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens informiert. Bei solchen Informationen im Rahmen des Rechtsgesprächs handelt es sich aber immer nur um eine - notwendigerweise vorläufige - Einschätzung der Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt. Mehr als die Darstellung dieser vorläufigen Einschätzung, die naturgemäß durch den weiteren Vortrag und Beweisanregungen des Klägers noch beeinflusst werden kann, ist auch nicht geschehen. Dies entspricht sachgerechter richterlicher Tätigkeit und begründet keinen Grund für die Annahme einer Täuschung durch den Richter. Vielmehr verlangt das Gesetz in bestimmten Verfahrenskonstellationen sogar eine derartige, dezidierte Information des Richters an die Beteiligten. So sieht z.B. § 153 Abs. 4 SGG ausdrücklich vor der dort in Rede stehenden Entscheidung eine Information der Beteiligten über die Einschätzung der Erfolgssaussichten durch die Richter vor. Anderes mag gelten, wenn der Richter bewusst falsche Angaben über die Erfolgsaussicht des Rechtsstreits macht. Dies ist aber eine hier von vornherein nicht in Rede stehende Fallkonstellation.
Eine Täuschung über die Erfolgsaussicht des Berufungsverfahrens durch den Terminsvertreter der Beklagten scheidet aus, weil dieser an einem Urteil des Gerichts nicht mitwirkt und deshalb - auch aus Sicht des Klägers - hinreichend "sichere" Aussagen über den Ausgang des Verfahrens von vornherein nicht machen kann.
Ein Vorspiegeln falscher Tatsachen über die Wirkung und Bedeutung der stationären Rehabilitationsmaßnahme für die Frage des Vorliegens einer Erwerbsminderung ist ebenfalls nicht erfolgt. In der Niederschrift ist ausdrücklich aufgenommen, dass dort "der Gesundheitszustand des Klägers ... genauer ... abgeklärt werden könnte". Dies ist - wenn die Maßnahme durchgeführt wird - in Form des Entlassungsberichts, der auf Grund der während einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation durchgeführten Untersuchungen bzw. Behandlungen eine sozialmedizinische Empfehlung enthält, auch der Fall.
Soweit der Kläger - wie sich aus dem Schreiben von Dr. Sch. ergibt - der Ansicht gewesen ist, während der vereinbarten medizinischen Rehabilitation würde ein weiteres orthopädisches Gutachten und zwar zu seinen Gunsten eingeholt, würde dies zwar einen Irrtum darstellen. Hierfür verantwortlich wären aber nicht Erklärungen des Berichterstatters oder des Terminsvertreters der Beklagten, weil Erklärungen dieses Inhalts nicht abgegeben worden sind, sondern allein fehlerhafte Vorstellungen des Klägers, die als solche nicht zur Anfechtung berechtigen.
Eine Drohung hat nicht vorgelegen. Auch die eigenen Angaben des Klägers lassen solches nicht erkennen. Er behauptet zwar, er sei fertig gemacht worden und habe am Rande eines Nervenzusammenbruchs gestanden. Dies kann sich nur auf die Diskussion der Erfolgsaussichten des Rechtsstreits auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes zum damaligen Zeitpunkt beziehen und umschreibt damit den subjektiv empfundenen Gefühlszustand des Klägers vor dem Hintergrund einer nachvollziehbaren Enttäuschung. Ein irgendwie geartetes Bedrängen des Klägers lag jedoch nicht vor. Solches liegt insbesondere nicht darin, dass der Kläger möglicherweise angesichts der aufgezeigten Erfolglosigkeit seiner Berufung einerseits und des Aufzeigens eines Ausweges aus dieser Situation im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation andererseits den Abschluss des Prozessvergleichs als einzige Möglichkeit angesehen hat, schließlich doch noch die begehrte Rente zu erhalten. Denn es stand dem Kläger frei, das Berufungsverfahren trotzdem weiter zu betreiben. Für diesen Fall wurden ihm gerade keine Nachteile angedroht.
Da bereits kein Anfechtungsgrund vorliegt, bedarf es keiner Entscheidung, ob der Kläger die Anfechtungsfrist nach § 120 BGB - ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) - eingehalten hat.
Nach der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache braucht und kann der Senat nicht über einen Anspruch des Klägers auf Überprüfung des die Rentengewährung ablehnenden Bescheides der Beklagten entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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