L 9 R 1240/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 79/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1240/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit für die Zeit von August 1999 bis Dezember 2003.

Der 1940 geborene griechische Kläger war von April 1964 bis August 1984 als Arbeiter in Deutschland beschäftigt, zunächst 10 Monate als Bauarbeiter, dann als Arbeiter bei D.-B. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland war er bis 1987 als Landwirt tätig und betrieb anschließend bis Juni 1999 eine Tankstelle. Dabei war er beim Versicherungsträger für die Landwirtschaft OGA versichert. Vom 12. bis 23. Juli 1999 wurde der Kläger wegen einer schweren Koronarerkrankung stationär behandelt, wobei am 16. Juli 1999 eine Bypass-Operation durchgeführt wurde. Seit 1. Juli 1999 erhält er von der OGA eine Invaliditätsrente. Die Beklagte gewährt dem Kläger ab 1. Januar 2004 Altersrente für langjährig Versicherte (Bescheid vom 1.12.2004).

Auf den Rentenantrag des Klägers vom 26.7.1999 ließ die Beklagte die ärztlichen Unterlagen aus Griechenland von Dr. G. auswerten. Dieser führte in der Stellungnahme vom 13.4.2000 aus, beim Kläger lägen eine koronare Herzkrankheit mit Bypass-Operation am 16.7.1999 und eine Zuckerkrankheit vor. Als Landwirt sei der Kläger nur halb- bis unter vollschichtig einsetzbar; leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig verrichten.

Mit Bescheid vom 18.4.2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab, weil weder Berufsunfähigkeit noch Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 22.5.2003 nach dem Stand seines Rentenverfahrens gefragt hatte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 5.6.2003 mit, dass sein Rentenantrag mit Bescheid vom 18.4.2000 abgelehnt worden sei.

Der Kläger machte geltend, er habe den Bescheid nicht erhalten und legte gegen die Rentenablehnung Widerspruch ein. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9.12.2003 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 9.1.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit weiter verfolgte.

Das SG holte ein internistisches Gutachten ein. Der Arzt für innere Krankheiten und Kardiologie Dr. L. stellte im Gutachten vom 8.7.2005 beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Zustand nach Bypass-Operation auf dem Boden einer 2-Gefäßerkrankung 2. Belastungskoronarinsuffizienz 3. Diabetes mellitus Typ II b 4. Leichte Mitralinsuffizienz. Der Kläger sei in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (z. B. Zureichen, Sortieren, Aufsicht führen) vollschichtig zu verrichten.

Durch Gerichtsbescheid vom 17.2.2006 wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.3.2006 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, mit der er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit ab Antragstellung weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. April 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Antragstellung bis zum 31.Dezember 2003 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Kläger ist jedoch nicht begründet. Der angefochtenen Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit für die noch streitige Zeit vom 1.8.1999 bis 31.12.2003 hat. Der Senat hat seiner Entscheidung - wie das SG - vorrangig die §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.) zugrundegelegt. Die zum 1. Januar 2001 in Kraft getretenen §§ 43, 240, 241 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) finden vorrangig keine Anwendung, da der verfolgte Rentenanspruch vor dem 1. Januar 2001 bestanden hätte und vor dem 31. März 2001 geltend gemacht worden ist (§ 300 Abs. 2 SGB VI). Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei ist es ausführlich auf die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen eingegangen; auch hat es überzeugend begründet, weshalb es der Beurteilung des Dr. L. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers, d. h. ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als acht Stunden täglich, im streitbefangenen Zeitraum vom 1. 8. 1999 bis zum 31.12.2003 nicht nachgewiesen ist. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Gutachten von Dr. L. vom 8.7.2005. Danach leidet der Kläger unter folgenden, seine berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden Gesundheitsstörungen: 1. Zustand nach Bypass-Operation auf dem Boden einer 2-Gefäßerkrankung 2. Belastungskoronarinsuffizienz 3. Diabetes mellitus Typ II b 4. Leichte Mitralinsuffizienz.

Bei der klinischen, kardiografischen, ergometrischen, myokardszintigrafischen, echokardiografischen, Langzeit-elektrokardiografischen, röntgenologischen und laborchemischen Untersuchung durch Dr. L. waren die Herzaktion rhythmisch und die Herztöne rein. Die Blutdruckwerte lagen in liegender und stehender Position bei 115/100 systolisch und 75 mmHg diastolisch. Das Ruhe-EKG ergab einen vollständigen Rechtsschenkelblock mit Erregungsrückbildungsstörungen links präkordial. Die Belastung war bis 7 METS (75 bis 120 Watt) möglich. Myokardszintigrafisch zeigte sich eine Ischämie an der unteren Wand, während an den übrigen myokardialen Wänden unauffällige Verhältnisse vorlagen. Die Ischämie an der unteren Wand ist möglicherweise auf einen inzwischen eingetretenen Verschluss des bei der Bypass-Operation am 16.7.1999 gelegten Venencrafts zurückzuführen, was nach den Darlegungen von Dr. L. durch eine Koronarangiographie zu klären ist.

Aber auch unter Berücksichtigung dieser Durchblutungsstörungen ist das Leistungsvermögen des Klägers im streitigen Zeitraum nicht auf nicht absehbare Zeit quantitativ eingeschränkt gewesen. Zwar ist anzunehmen, dass der Kläger im unmittelbaren Anschluss an die am 16.7.1999 durchgeführte Herzoperation vorübergehend (für ca. 6 Monate) auch in zeitlicher Hinsicht leistungsgemindert war. Für die Zeit danach bis zum 31.12.2003 führten die Gesundheitsstörungen zwar zu qualitativen Einschränkungen, standen der Ausübung einer täglichen achtstündigen Tätigkeit aber nicht entgegen. Dies gilt um so mehr als anzunehmen ist, dass die durch den möglichen Verschluss des Venencrafts beeinträchtigten Durchblutungsverhältnisse des Herzens im streitbefangenen Zeitraum noch besser waren als im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. L. am 27.6.2005. Nicht mehr zumutbar waren dem Kläger nach einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, überwiegendes Gehen, häufiges Bücken und Treppensteigen, Steigen und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an gefährdenden Maschinen, Akkord- und Fließbandarbeiten, Wechsel- und Nachtschicht sowie Arbeiten in Hitze und Kälte. Soweit Dr. L. auch Arbeiten mit voller Gebrauchsfähigkeit beider Hände ausschloss, folgt der Senat dieser Beurteilung nicht, zumal Dr. L. in seinem Gutachten vom 8.7.2005 unauffällige obere Extremitäten beschreibt. Der Kläger war in der streitigen Zeit somit nicht erwerbsunfähig, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein nur noch unter vollschichtiges Leistungsvermögen begründete. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsunfähigkeit bei vollschichtig leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für vollschichtig leistungsfähige Angelernte des unteren Bereichs sowie Ungelernte geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, u.a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch die im Zweiten Gesetz zur Änderung des SGB VI vom 02. Mai 1996 (BGBl. I S. 659) vorgenommene Ergänzung des § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. klargestellt hat, dass nicht erwerbsunfähig ist, wer eine vollschichtige Tätigkeit ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Dem Kläger war somit für die streitige Zeit keine Rente zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob das für ihn zuständige Arbeitsamt einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz hätte anbieten können. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 m.w.N.). Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104 und 117) oder wenn Vollzeitarbeitskräfte nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nicht unter betriebsüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG SozR 2200 §§ 1246 Nrn. 136, 137 und 139 sowie 1247 Nrn. 33 und 53; SozR 3-2200 § 1247 Nrn. 10 und 14). Ausgehend hiervon waren keine Beschränkungen des zumutbaren Arbeitsweges erkennbar, zumal der Kläger selbst angegeben hat, dass er auf ebener Strecke fünf Kilometer zu Fuß zurücklegen konnte. Auch benötigte der Kläger keine betriebsunüblichen Pausen. Ebenso gibt es für das Bestehen der übrigen sog. Katalogfälle keine Anhaltspunkte. Darüber hinaus lag keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Denn bei den vorhandenen Einschränkungen handelte es sich im Wesentlichen um solche, denen durch die Begrenzung auf leichte körperliche Arbeiten bereits hinreichend Rechnung getragen wird. So waren die dem Kläger noch zumutbaren leichten Arbeiten nicht mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, überwiegendem Gehen, häufigem Bücken und Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an gefährdenden Maschinen, besonderem Zeitdruck (Akkord, Fließband) und Schichtarbeiten verbunden. Die benannten Leistungs- und Funktionsausschlüsse führten zu keiner Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, da die dem Kläger noch zumutbaren Arbeiten (Zureichen, Sortieren, Aufsicht führen) zu ebener Erde in Normalarbeitszeit in wohltemperierten Räumen durchgeführt werden und nicht mit besonderem Zeitdruck sowie Einwirkung von Kälte und Hitze verbunden sind. Schließlich war eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nicht erkennbar. Schließlich ist auch die Festlegung eines Invaliditätsgrades durch den griechischen Rentenversicherungsträger für die Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers durch den deutschen Rentenversicherungsträger und die deutschen Gerichte nicht bindend. Die Feststellung von Invalidität durch einen Rentenversicherungsträger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist nur insoweit für den Träger eines anderen Mitgliedstaates verbindlich, als die Übereinstimmung von Tatbestandsmerkmalen der Invalidität im Verhältnis zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten im Sinn von Art. 40 Abs. 4 EWG-Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (ABl. EG 1971 Nr. L 149/2 ff.) anerkannt worden ist. Eine solche Übereinstimmenserklärung liegt im Verhältnis zwischen der griechischen Invaliditätsregelung und den Bestimmungen des deutschen Rechts über Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bislang nicht vor (vgl. näher: BSG, Beschluss vom 9. Juli 2001, B 13 RJ 61/01 B und BSG SozR 3-6050 Art. 40 Nr. 3).

Der Kläger war- wie das SG zu Recht ausgeführt hat - auch nicht berufsunfähig. Als allenfalls angelernter Arbeiter des unteren Bereichs (Anlernzeit drei Monaten bis ein Jahr) war der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes breit verweisbar.

Schließlich hat das SG auch zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung verneint. Hierauf wird Bezug genommen.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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