L 4 R 4760/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 3722/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4760/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Vormerkung der Zeit zwischen erster juristischer Staatsprüfung und Beginn des Referendariats als Anrechnungszeit.

Der am 1953 geborene Kläger stand nach dem Schulabschluss von September 1970 bis März 1975 im gehobenen Dienst der Stadt Karlsruhe. Diese Zeit wurde nachversichert. Ab 06. November 1974 studierte er an der Universität Heidelberg Rechtswissenschaft. Am 16. Dezember 1980 bestand er die erste juristische Staatsprüfung; das Zeugnis datiert vom 23. Dezember 1980. Ab 02. Februar 1981 war er als Rechtsreferendar Beamter auf Widerruf. Die zweite juristische Staatsprüfung wurde am 24. Juni 1983 bestanden. Die Zeit als Rechtsreferendar unterlag ebenfalls der Nachversicherung, weil der Kläger anschließend eine bis Juni 1986 dauernde versicherungspflichtige Beschäftigung aufnahm.

Im Ende 2004 eingeleiteten Kontenklärungsverfahren lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 08. März 2005 eine Vormerkung der Zeit vom 17. Dezember 1980 bis 01. Februar 1981 als Anrechnungszeit ab, weil diese Zeit nach Ablegung der Abschlussprüfung zurückgelegt worden sei. Der Kläger erhob Widerspruch; er sei immatrikuliert geblieben und ein Beginn des Referendariats vor Februar 1981 sei nicht möglich gewesen. Auf mehrmaligen Hinweis, die Zeit nach Abschluss der Hochschulausbildung am 16. Dezember 1980 unterfalle keinem Anrechnungszeittatbestand, antwortete der Kläger nicht. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 17. August 2005). Die Hochschulausbildung ende mit der Abschlussprüfung. Nicht jede versicherungsfrei gebliebene Ausbildungszeit sei als Anrechnungszeittatbestand zu werten.

Mit der am 19. September 2005 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage trug der Kläger vor, die Ausbildung zum Volljuristen ende erst mit der zweiten juristischen Staatsprüfung. Die reine Hochschulausbildung habe mit dem am 02. Februar 1981 begonnenen Referendariat ihren Fortgang genommen. Im Übrigen würden Absolventen, die erst im Januar 1981 die erste Staatsprüfung abgelegt hätten, besser gestellt. Deshalb habe er auf Anraten der zuständigen Stellen die Immatrikulation bis zum Beginn des Referendariats aufrechterhalten, um Versicherungslücken zu vermeiden ... Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Hochschulausbildung sei mit der Staatsprüfung am 16. Dezember 1980 beendet gewesen. Der Zeitpunkt der Aushändigung des Prüfungszeugnisses sei unbeachtlich. Auch die Zeit der Anfertigung einer Dissertation bis zur Doktorprüfung sei regelmäßig keine Anrechnungszeit, wenn im betreffenden Fach eine andere Abschlussprüfung mit Erfolg abgelegt worden sei.

Durch Urteil vom 29. Juni 2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, nach der zutreffenden Auffassung der Beklagten umfasse die Hochschulausbildung nur den Zeitraum bis zum Ende der Ausbildung, was grundsätzlich der Tag des erfolgreichen Bestehens der Prüfung sei. Eine unvermeidliche Zwischenzeit werde inzwischen in der Rechtsprechung als Anrechnungszeit anerkannt, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit erfülle. Dies sei bei dem im Februar 1981 angetretenen Referendariat nicht der Fall gewesen, weil der Kläger als Beamter auf Widerruf versicherungsfrei gewesen sei. Zeiten des Referendariats mit Nachversicherung könnten nicht als rentenrechtliche Zeiten gewertet werden. Sachgrund der Nachversicherung sei das durch den Ausfall der beamtenrechtlichen Versorgung hervorgerufene Versicherungsbedürfnis. Eine darüber hinausgehende rechtliche oder faktische Wirkung komme der Nachversicherung auch beim Beamtenverhältnis auf Probe nicht zu. Dies gelte ebenso für Beamtenverhältnisse auf Widerruf. Es sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Anrechnungstatbestände für Ausbildungszeiten eng gefasst habe. Nachdem Beiträge während der Hochschulausbildung nicht entrichtet worden seien, sei die Berücksichtigung solcher Zeiten eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft. Im Hinblick hierauf stehe dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Das Institut des Überbrückungstatbestands diene der Verklammerung versicherungsrechtlicher Zeiten. Bei Referendaren sei nicht ohne weiteres zu erwarten, dass zukünftig eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen werde. Dass wegen des frühzeitigen Prüfungstermins gegenüber anderen Studierenden eine gewissen Härte auftrete, brauche nicht vermieden zu werden. Es sei nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft, zufallsbedingte Abweichungen am Ende einer Ausbildung rentenrechtlich zu kompensieren. Andernfalls bestehe die Gefahr einer ausufernden Auslegung.

Gegen das mit Übergabe-Einschreiben am 16. August 2006 zur Post gegebene und am 22. August 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. September 2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die Ausbildung der Juristen gliedere sich in das Rechtsstudium und den Vorbereitungsdienst. Mithin habe die Ausbildung erst mit dem Bestehen der zweiten Staatsprüfung am 24. Juni 1983 geendet. Bereits im Dezember 1980 seien die künftigen Referendare auf den Beginn des Vorbereitungsdienstes zum 02. Februar 1981 hingewiesen worden, so dass andere rentenrechtliche Schritte wie etwa das Arbeitsamt ausgeschieden seien. Es sei zu bezweifeln, ob das Beamtenverhältnis auf Widerruf demjenigen auf Probe gleichgestellt werden dürfe, nachdem das Referendariat typisch als Ausbildung für sämtliche juristischen Berufe auch außerhalb des Staatsdienstes diene. Das Referendariat habe mithin nicht die vom SG unterstellte Konzeption gehabt. Nach alledem sei eine einheitliche Ausbildung systembedingt für weniger als drei Monate unterbrochen gewesen. Der Kläger hat das Schreiben des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10. Dezember 1980 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2005 zu verpflichten, die Zeit vom 17. Dezember 1980 bis 01. Februar 1981 als Anrechnungszeit der Hochschulausbildung vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und bezieht sich in vollem Umfang auf das Urteil des SG.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten (64 061153 S 047) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist in der Sache nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 29. Juni 2006 zutreffend entschieden, dass die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden die Vormerkung der Zeit vom 17. Dezember 1980 bis 01. Februar 1981 als Anrechnungszeit der Ausbildung zu Recht abgelehnt hat. Auf die Entscheidungsgründe, die nach Auffassung des Senats keine fehlerhaften oder auch nur missverständliche Darlegungen enthalten, wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG in vollem Umfang Bezug genommen. Im Folgenden bedarf es insbesondere im Hinblick auf den zuletzt vom Kläger vorgelegten Schriftsatz vom 29. August 2007 nur noch einzelner Klarstellungen.

Nach § 149 Abs. 5 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest, wenn der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt hat oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden (Satz 3).

Materielle Rechtsgrundlage für die Vormerkung einer Ausbildungszeit als beitragsfreie Zeit (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) ist § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Danach sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren.

Der Kläger hat ab 06. November 1974 an einer Hochschule, nämlich der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg Rechtswissenschaft studiert und damit (wobei die Zeit bis 31. März 1975 wegen der Nachversicherung der Zeit im gehobenen Dienst unberücksichtigt bleibt) eine Anrechnungszeit der Hochschulausbildung zurückgelegt. Die Hochschulausbildung und damit die von der Versichertengemeinschaft ohne Beitragsleistung zu übernehmende Anrechnungszeit endet grundsätzlich mit dem Tag des Bestehens der Abschlussprüfung (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. SozR 3-2200 § 1259 Nr. 9, SozR 3-2600 § 58 Nr. 13 m.w.N.). Im Hinblick auf den Charakter der (Ausbildungs-)Anrechnungszeit kann der Tatbestand der Anrechnungszeit nicht mehr erfüllt sein, wenn nach Bestehen der Abschlussprüfung keine lehrspezifischen Veranstaltungen mehr stattfinden. Deshalb kann die Formalität der weiter bestehenden Immatrikulation (hier bis 31. März 1981) ohne Fortbestehen eines Ausbildungsziels an der Hochschule rentenrechtlich nicht begünstigend sein (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 13; zur Unbeachtlichkeit der Immatrikulation auch BSG, Urteil vom 28. November 1990 4 RA 42/90 -, veröffentlicht in juris). Ebenso ist nicht umstritten, dass bei einer am Wortlaut sowie am Sinn und Zweck des Begriffs "Ausbildungszeit" orientierten Auslegung der Norm grundsätzlich nur eine einzige erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildung als Anrechnungszeit berücksichtigt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1990 - 4 RA 37/89 - m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04. August 2006 L 4 R 567/05 -, beide veröffentlicht in juris).

Hieraus folgt, dass der erste mögliche Abschluss, der den Weg ins Berufsleben eröffnet, den Endpunkt der Anrechnungszeit bedeutet. Der Abschluss des Hochschulstudiums mit der ersten juristischen Staatsprüfung eröffnet den Zugang zur Berufswelt, im Bereich des Juristenberufs auch für Beschäftigungen, die kein Durchlaufen des Referendardienstes fordern. Der Dienst als Referendar im Beamtenverhältnis auf Widerruf mag zwar im Sinne der vom Kläger zitierten Bestimmungen der Verordnung der Landesregierung über die Ausbildung und Prüfung der Juristen zur vollständigen "Ausbildung" zum "Volljuristen" gehören. Dieser Begriff der Ausbildung ist aber keineswegs deckungsgleich mit demjenigen in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Vielmehr ist der Dienst als Referendar eine dem Grunde nach versicherungspflichtige, lediglich nach der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst) versicherungsfreie Beschäftigung. Diese trägt - soweit der Absolvent in das Beamten- oder Richterverhältnis eintritt - zur Begründung der Versorgungsanwartschaft bei oder aber wird im Falle der Nachversicherung - wie beim Kläger - rückwirkend einer rentenrechtlichen Beitragszeit gleichgestellt. Der Absolvent der ersten juristischen Staatsprüfung hat mithin die Möglichkeit, nach Abschluss der Hochschulausbildung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, die von der überwiegenden Anzahl der erfolgreichen Absolventen mit dem Referendardienst gesucht wird. Dies ist selbst im Fall der Lehrerausbildung, deren Teilnehmer wegen der Staatsgebundenheit des Berufs noch stärker auf das Durchlaufen des Referendardienstes angewiesen sind, dahingehend zu verstehen, dass die Hochschulausbildung mit dem Bestehen der ersten Staatsprüfung endet (so eingehend LSG Berlin-Brandenburg, wie zitiert).

Aus alledem folgt auch, dass die Zeit vom 17. Dezember 1980 bis 01. Februar 1981 auch nicht als "unvermeidbare Zwischenzeit" entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzusehen und deshalb als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit vorzumerken ist. Unvermeidbare Zwischenzeiten werden im Sinne einer erweiternden Auslegung den Schul- oder Semesterferien gleichstehend erachtet, wenn sie zwischen zwei rentenrechtlich erheblichen Ausbildungsabschnitten liegen, generell unvermeidbar und organisationsbedingt typisch sind und dementsprechend häufig vorkommen und ferner nicht länger als vier Monate andauern (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nrn. 8 und 13). Es wird berücksichtigt, dass der Versicherte aus von ihm nicht zu vertretenden organisationsbedingten Gründen erst später eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehmen kann (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 8 m.w.N.; BSGE 70, 220 = SozR 3-2600 § 252 Nr. 1). Der Kläger war jedoch - wie dargelegt - in der Lage, nach Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen; wenn er den typischen Weg des Referendardienstes gewählt hat und deshalb nicht zu vertretende zeitliche Lücken aufgetreten sind, zählt dies nicht zu solchen Zwischenzeiten. Schließlich trifft es auch nicht zu, dass wegen der Kürze der Zwischenzeit eine Anrechnungszeit der Arbeitslosigkeit nach Meldung beim Arbeitsamt ausgeschlossen gewesen wäre. Immerhin hätte sich der Kläger arbeitslos melden und bei Vermittlung einer attraktiven Beschäftigung möglicherweise auf den Eintritt in den Referendardienst verzichten können.

Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung und ihrer Auslegung wird nochmals auf die Darlegungen des SG (S. 8 f des angefochtenen Urteils.) verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass; eine klärungsbedürftige Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist nicht zu erkennen.
Rechtskraft
Aus
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