Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 1331/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3345/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2005 aufgehoben. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1942 geborene Kläger war von Juni 1966 bis Juni 1989 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Danach arbeitete der Kläger von 1990 bis 2002 - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - in Griechenland. Seit 22.4.2002 war er arbeitslos und seit 26.6.2003 bezieht er eine griechische Invaliditätsrente.
Am 26.6.2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Bericht der griechischen Gesundheitskommission vom 5.9.2003 (E 213), in dem als Diagnosen ein operierte Koronarerkrankung und ein zweifacher Bypass genannt und eine vollständige Erwerbsunfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bescheinigt wurde, von Dr. G. auswerten. Dieser führte in der Stellungnahme vom 19.3.2004 aus, der Kläger könne nach erfolgreicher Bypass-Operation leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne häufiges Heben und Tragen, ohne häufiges Bücken, Klettern und Steigen, ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck, ohne Absturzgefahr und ohne Gefährdung durch Kälte, Hitze und Nässe vollschichtig verrichten.
Mit Bescheid vom 24.3.2004 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag des Klägers ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.
Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage von ärztlichen Attesten des Arztes M. W. vom 12.5.2004 und des Arztes D. N. vom 16.5.2003 am 21.6.2004 Widerspruch ein, mit dem er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bzw. von Altersrente weiterverfolgte. Ferner legte er Bescheinigungen des Allgemeinen Krankenhauses A. vom 4.8. und 31.8.2004 vor, wonach er wegen eines Harnblasenkarzinoms vom 2.8. bis 4.8.2004 stationär behandelt worden war. Hierbei erfolgte eine transurethrale Resektion. In der Stellungnahme vom 28.9.2004 führte Dr. G. aus, der Kläger könne nach wie vor leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Das Urothel-Karzinom sei transurethral entfernt worden. Es handele sich dabei um einen Tumor, welcher aus der Harnblaseninnenwand (Urothel) ausgehe und exophytisch mit Neigung zu lokalen Rezidiven wachse. Wiederholte transurethrale Resektionen und eventuell lokale Chemotherapien seien möglich. Diese bedingten allenfalls eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe nicht, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Auch seien nach derzeitiger Aktenlage die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (3/5 Belegung) nicht erfüllt.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.3.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiterverfolgte.
Im Schreiben vom 21.6.2005 vertrat das SG die Ansicht, dass im Verwaltungsverfahren die gebotene Sachaufklärung des medizinischen Sachverhalts unterblieben sei und wies auf § 131 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hin.
Die Beklagte trug vor, sämtliche medizinische Unterlagen, die der Kläger vorgelegt habe, seien berücksichtigt worden. Die Notwendigkeit einer ärztlichen Begutachtung habe ihr ärztlicher Sachverständige auf Grund dieser Unterlagen nicht gesehen. Unter Berücksichtigung der vom griechischen Versicherungsträger zwischenzeitlich überlassenen Aufteilung der griechischen Versicherungstage und der Bestätigung von Zeiten i. S. d. Art. 9a Verordnung 1408/71 EWG seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt des Rentenantrags erfüllt.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.7.2005 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 24.3.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2004 auf und verurteilte die Beklagte, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers vom 26.6.2003 zu entscheiden. Zur Begründung führte es aus, entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht sei der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 5 SGG nach Überzeugung des Gerichts nicht nur auf reine Anfechtungsklagen beschränkt, wie dies nach der herrschenden Meinung bei § 113 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Fall sei. Der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 1 bis 4 SGG beschränke sich nicht auf die isolierte Anfechtungsklage. Die Ratio des § 131 Abs. 5 SGG bestehe in der Disziplinierung der Verwaltung. Dies folge aus der Gesetzesbegründung, wonach der Gesetzgeber insbesondere verhindern wollte, dass die Verwaltung erforderliche Ermittlungsarbeit auf die Gerichte abwälze. Nach Ansicht des Gerichts könne die Argumentation zu § 113 Abs. 3 VwGO nicht automatisch auf die Sozialgerichtsbarkeit übernommen werden. Hier müsse den Besonderheiten der sozialrechtlichen Streitverfahren Rechnung getragen werden. Danach sei festzustellen, dass es sich bei den Klagen in der Sozialgerichtsbarkeit regelmäßig um eine Kombination aus Anfechtungs- und Leistungsklagen bzw. Verpflichtungsklagen handele. Eine Beschränkung des Anwendungsbereiches des § 131 Abs. 5 SGG auf reine Anfechtungsklagen würde zu einem Leerlaufen der Vorschrift führen, da sie die überwiegende Anzahl der Klagen nicht erfassen würde. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den am 2.8.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 12.8.2005 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, die Vorschrift des § 131 Abs. 5 SGG sei wortgleich aus § 113 Abs. 3 VwGO übernommen worden. Insofern könnten die zu dieser Norm ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und auch die verwaltungsrechtliche Literaturmeinung herangezogen werden. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum sei diese Parallelnorm nur auf reine Anfechtungsklagen anwendbar. Aus den Gesetzesmaterialien könne kein gegenteiliger Schluss gezogen werden. Dem Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 113 Abs. 3 VwGO und die hierzu ergangene einheitliche Rechtsprechung und Literaturmeinung bekannt gewesen. Er habe sich in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf diese Vorschrift bezogen. Insofern hätte er - wenn er gegenüber dieser Vorschrift Besonderheiten im Sozialrecht geregelt haben wollte - diese im Gesetz zum Ausdruck gebracht. Auch hätte das SG keinen Gerichtsbescheid erlassen dürfen, da ein solcher voraussetze, dass der Sachverhalt geklärt sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat ärztliche Unterlagen vorgelegt und auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass er den Widerspruchsbescheid der Beklagten am 7.12.2004 erhalten habe. Nach Hinweis auf die Versäumung der Klagefrist hat er vorgetragen, dass die Versäumung der Klagefrist um drei Tage auf Verschulden der griechischen Post zurückzuführen sei und mit seinem schlechten Gesundheitszustand entschuldigt werde. Er habe ausweislich des Absendebelegs die Klageschrift am 03.03.2005 in Griechenland abgesandt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf die Akten der Beklagten, das SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Denn das SG hätte die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abweisen müssen.
Nach allgemein herrschender Meinung müssen die Prozessvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, vorab von Amts wegen geprüft werden. Die Unzulässigkeit der Klage ist ein Verfahrensmangel, der in der Berufungs- und Revisionsinstanz fortwirkt, weil die verfahrensrechtliche Grundlage für die Entscheidung in der Sache und damit eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung nicht vorhanden ist (BSG SozR 3-4100 § 84 Nr. 2; BSG SozR 1500 § 87 Nr. 6; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005 vor § 51 Rdnr. 13).
Nach § 87 Abs. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (Abs. 2).
Der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2004 wurde am 1.12.2004 per Übergabe-Einschreiben und Rückschein zur Post gegeben. Den Widerspruchsbescheid hat der Kläger nach eigenen Angaben (Schreiben vom 17.2.2006) am 7.12.2004 erhalten. Der Widerspruchsbescheid enthält auch eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung.
Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tage nach der Eröffnung oder Verkündung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt (Abs. 2 Satz 1).
Danach begann die Frist zur Erhebung der Klage am 8.12.2004 und endete am 7.3.2005. Innerhalb dieser Frist hat der Kläger keine Klage erhoben. Die am 10.3.2005 beim SG eingegangene Klage war verspätet.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies setzt voraus, dass der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Die Versäumnis der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (Meyer-Ladewig, a. a. O., § 67 Rdnr. 3 m. w. N.).
Der Kläger hat ausweislich des Absendebelegs und des in der SG-Akte vorhandenen Briefumschlags mit Poststempel die bereits am 14.2.2005 verfasste Klageschrift erst am Donnerstag, dem 3.3.2005, das heißt vier Tage vor Ablauf der Klagefrist, per Einschreiben in S./G. zur Post gegeben. Nachdem in den vier Tagen das Wochenende des 5. und 6.3.2005 enthalten war, konnte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass der Brief noch rechtzeitig am Montag, dem 7.3.2005 beim SG eingehen werde. Tatsächlich ist der Brief auch erst am Donnerstag, dem 10.3.2005 beim SG eingegangen, ohne dass für den Senat - wie vom Kläger geltend gemacht - eine verzögerte Beförderung durch die griechische Post erkennbar wäre. Der Umstand, dass der Kläger unter Gesundheitsstörungen leidet, rechtfertigt ebenfalls nicht die Versäumung der Klagefrist, zumal nicht ersichtlich ist und auch nicht vorgetragen wurde, dass der Kläger derart gravierend erkrankt war, dass er die offensichtlich schon am 14.2.2005 abgefasste Klageschrift nicht unmittelbar danach zur Post bzw. zum Briefkasten bringen bzw. bringen lassen konnte.
Auf die Berufung der Beklagten war deswegen der Gerichtsbescheid des SG Stuttgart vom 26.7.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Unabhängig davon hat sich die Beklagte, wie im Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 12.5.2005 vorgeschlagen, mit Schriftsatz vom 29.6.2006 bereit erklärt, den angefochtenen Bescheid gem. § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X zu überprüfen und einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1942 geborene Kläger war von Juni 1966 bis Juni 1989 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Danach arbeitete der Kläger von 1990 bis 2002 - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - in Griechenland. Seit 22.4.2002 war er arbeitslos und seit 26.6.2003 bezieht er eine griechische Invaliditätsrente.
Am 26.6.2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Bericht der griechischen Gesundheitskommission vom 5.9.2003 (E 213), in dem als Diagnosen ein operierte Koronarerkrankung und ein zweifacher Bypass genannt und eine vollständige Erwerbsunfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bescheinigt wurde, von Dr. G. auswerten. Dieser führte in der Stellungnahme vom 19.3.2004 aus, der Kläger könne nach erfolgreicher Bypass-Operation leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne häufiges Heben und Tragen, ohne häufiges Bücken, Klettern und Steigen, ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck, ohne Absturzgefahr und ohne Gefährdung durch Kälte, Hitze und Nässe vollschichtig verrichten.
Mit Bescheid vom 24.3.2004 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag des Klägers ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.
Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage von ärztlichen Attesten des Arztes M. W. vom 12.5.2004 und des Arztes D. N. vom 16.5.2003 am 21.6.2004 Widerspruch ein, mit dem er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bzw. von Altersrente weiterverfolgte. Ferner legte er Bescheinigungen des Allgemeinen Krankenhauses A. vom 4.8. und 31.8.2004 vor, wonach er wegen eines Harnblasenkarzinoms vom 2.8. bis 4.8.2004 stationär behandelt worden war. Hierbei erfolgte eine transurethrale Resektion. In der Stellungnahme vom 28.9.2004 führte Dr. G. aus, der Kläger könne nach wie vor leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Das Urothel-Karzinom sei transurethral entfernt worden. Es handele sich dabei um einen Tumor, welcher aus der Harnblaseninnenwand (Urothel) ausgehe und exophytisch mit Neigung zu lokalen Rezidiven wachse. Wiederholte transurethrale Resektionen und eventuell lokale Chemotherapien seien möglich. Diese bedingten allenfalls eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe nicht, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Auch seien nach derzeitiger Aktenlage die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (3/5 Belegung) nicht erfüllt.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.3.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiterverfolgte.
Im Schreiben vom 21.6.2005 vertrat das SG die Ansicht, dass im Verwaltungsverfahren die gebotene Sachaufklärung des medizinischen Sachverhalts unterblieben sei und wies auf § 131 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hin.
Die Beklagte trug vor, sämtliche medizinische Unterlagen, die der Kläger vorgelegt habe, seien berücksichtigt worden. Die Notwendigkeit einer ärztlichen Begutachtung habe ihr ärztlicher Sachverständige auf Grund dieser Unterlagen nicht gesehen. Unter Berücksichtigung der vom griechischen Versicherungsträger zwischenzeitlich überlassenen Aufteilung der griechischen Versicherungstage und der Bestätigung von Zeiten i. S. d. Art. 9a Verordnung 1408/71 EWG seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt des Rentenantrags erfüllt.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.7.2005 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 24.3.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2004 auf und verurteilte die Beklagte, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers vom 26.6.2003 zu entscheiden. Zur Begründung führte es aus, entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht sei der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 5 SGG nach Überzeugung des Gerichts nicht nur auf reine Anfechtungsklagen beschränkt, wie dies nach der herrschenden Meinung bei § 113 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Fall sei. Der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 1 bis 4 SGG beschränke sich nicht auf die isolierte Anfechtungsklage. Die Ratio des § 131 Abs. 5 SGG bestehe in der Disziplinierung der Verwaltung. Dies folge aus der Gesetzesbegründung, wonach der Gesetzgeber insbesondere verhindern wollte, dass die Verwaltung erforderliche Ermittlungsarbeit auf die Gerichte abwälze. Nach Ansicht des Gerichts könne die Argumentation zu § 113 Abs. 3 VwGO nicht automatisch auf die Sozialgerichtsbarkeit übernommen werden. Hier müsse den Besonderheiten der sozialrechtlichen Streitverfahren Rechnung getragen werden. Danach sei festzustellen, dass es sich bei den Klagen in der Sozialgerichtsbarkeit regelmäßig um eine Kombination aus Anfechtungs- und Leistungsklagen bzw. Verpflichtungsklagen handele. Eine Beschränkung des Anwendungsbereiches des § 131 Abs. 5 SGG auf reine Anfechtungsklagen würde zu einem Leerlaufen der Vorschrift führen, da sie die überwiegende Anzahl der Klagen nicht erfassen würde. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den am 2.8.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 12.8.2005 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, die Vorschrift des § 131 Abs. 5 SGG sei wortgleich aus § 113 Abs. 3 VwGO übernommen worden. Insofern könnten die zu dieser Norm ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und auch die verwaltungsrechtliche Literaturmeinung herangezogen werden. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum sei diese Parallelnorm nur auf reine Anfechtungsklagen anwendbar. Aus den Gesetzesmaterialien könne kein gegenteiliger Schluss gezogen werden. Dem Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 113 Abs. 3 VwGO und die hierzu ergangene einheitliche Rechtsprechung und Literaturmeinung bekannt gewesen. Er habe sich in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf diese Vorschrift bezogen. Insofern hätte er - wenn er gegenüber dieser Vorschrift Besonderheiten im Sozialrecht geregelt haben wollte - diese im Gesetz zum Ausdruck gebracht. Auch hätte das SG keinen Gerichtsbescheid erlassen dürfen, da ein solcher voraussetze, dass der Sachverhalt geklärt sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat ärztliche Unterlagen vorgelegt und auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass er den Widerspruchsbescheid der Beklagten am 7.12.2004 erhalten habe. Nach Hinweis auf die Versäumung der Klagefrist hat er vorgetragen, dass die Versäumung der Klagefrist um drei Tage auf Verschulden der griechischen Post zurückzuführen sei und mit seinem schlechten Gesundheitszustand entschuldigt werde. Er habe ausweislich des Absendebelegs die Klageschrift am 03.03.2005 in Griechenland abgesandt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf die Akten der Beklagten, das SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Denn das SG hätte die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abweisen müssen.
Nach allgemein herrschender Meinung müssen die Prozessvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, vorab von Amts wegen geprüft werden. Die Unzulässigkeit der Klage ist ein Verfahrensmangel, der in der Berufungs- und Revisionsinstanz fortwirkt, weil die verfahrensrechtliche Grundlage für die Entscheidung in der Sache und damit eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung nicht vorhanden ist (BSG SozR 3-4100 § 84 Nr. 2; BSG SozR 1500 § 87 Nr. 6; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005 vor § 51 Rdnr. 13).
Nach § 87 Abs. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (Abs. 2).
Der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2004 wurde am 1.12.2004 per Übergabe-Einschreiben und Rückschein zur Post gegeben. Den Widerspruchsbescheid hat der Kläger nach eigenen Angaben (Schreiben vom 17.2.2006) am 7.12.2004 erhalten. Der Widerspruchsbescheid enthält auch eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung.
Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tage nach der Eröffnung oder Verkündung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt (Abs. 2 Satz 1).
Danach begann die Frist zur Erhebung der Klage am 8.12.2004 und endete am 7.3.2005. Innerhalb dieser Frist hat der Kläger keine Klage erhoben. Die am 10.3.2005 beim SG eingegangene Klage war verspätet.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies setzt voraus, dass der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Die Versäumnis der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (Meyer-Ladewig, a. a. O., § 67 Rdnr. 3 m. w. N.).
Der Kläger hat ausweislich des Absendebelegs und des in der SG-Akte vorhandenen Briefumschlags mit Poststempel die bereits am 14.2.2005 verfasste Klageschrift erst am Donnerstag, dem 3.3.2005, das heißt vier Tage vor Ablauf der Klagefrist, per Einschreiben in S./G. zur Post gegeben. Nachdem in den vier Tagen das Wochenende des 5. und 6.3.2005 enthalten war, konnte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass der Brief noch rechtzeitig am Montag, dem 7.3.2005 beim SG eingehen werde. Tatsächlich ist der Brief auch erst am Donnerstag, dem 10.3.2005 beim SG eingegangen, ohne dass für den Senat - wie vom Kläger geltend gemacht - eine verzögerte Beförderung durch die griechische Post erkennbar wäre. Der Umstand, dass der Kläger unter Gesundheitsstörungen leidet, rechtfertigt ebenfalls nicht die Versäumung der Klagefrist, zumal nicht ersichtlich ist und auch nicht vorgetragen wurde, dass der Kläger derart gravierend erkrankt war, dass er die offensichtlich schon am 14.2.2005 abgefasste Klageschrift nicht unmittelbar danach zur Post bzw. zum Briefkasten bringen bzw. bringen lassen konnte.
Auf die Berufung der Beklagten war deswegen der Gerichtsbescheid des SG Stuttgart vom 26.7.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Unabhängig davon hat sich die Beklagte, wie im Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 12.5.2005 vorgeschlagen, mit Schriftsatz vom 29.6.2006 bereit erklärt, den angefochtenen Bescheid gem. § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X zu überprüfen und einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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