L 7 AL 4584/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1038/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 4584/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. August 2006 wird abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 14. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2006 verurteilt, dem Kläger Überbrückungsgeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 6. Januar 2006 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Überbrückungsgeld (Übg) anlässlich der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit des Klägers.

Der 1964 geborene Kläger war vom 1. Oktober 1998 bis 30. September 2005 als Assistenzarzt am Kreiskrankenhaus E. versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt in einem Umfang von 75% einer Vollzeitbeschäftigung. Sein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt betrug ca. 4.200,00 EUR monatlich. Am 20. September 2005 schlossen der Landkreis E. und der Kläger einen Aufhebungsvertrag, mit welchem das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. September 2005 aufgelöst wurde. Zum 1. Oktober 2005 machte sich der Kläger als niedergelassener Vertragsarzt selbstständig, er übernahm eine bereits bestehende Praxis.

Am 20. September 2005 beantragte der Kläger die Gewährung von Übg zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Bei Antragstellung gab er an, die erzielten Einnahmen reichten nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus, da durch die Praxisübernahme mit dem Abwandern von Patienten zu rechnen sei und die ersten Quartalsauszahlungen erst nach drei bis sechs Monaten erfolgten. Er werde künftig ca. 60 Wochenstunden für die selbstständige Tätigkeit aufwenden. Zusätzlich legte er die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vor sowie eine Bescheinigung des Finanzamts Freiburg Stadt, mit der eine Anmeldung der freiberuflichen Tätigkeit als Arzt zum 1. Oktober 2005 bestätigt wurde.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, Vermeidung von Arbeitslosigkeit im Sinne von § 57 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) liege vor, wenn die Fortdauer eines Beschäftigungsverhältnisses aus Gründen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten habe, gefährdet sei und der Arbeitnehmer das Risiko der Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit abmildere. Eine eigenständige Kündigung zum Zweck der Gründung einer selbstständigen Existenz führe das Risiko der Arbeitslosigkeit jedoch selbst herbei. Überbrückungsgeld könne in diesen Fällen nicht gewährt werden. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, er wisse von zwei Kollegen, denen in gleicher Situation Überbrückungsgeld gewährt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte hierzu aus, mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit sei Arbeitslosigkeit nicht vermieden worden, weil der Kläger nicht von Arbeitslosigkeit bedroht gewesen sei. Hierzu bestimme § 17 SGB III Folgendes: Von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer sind Personen, die 1. versicherungspflichtig beschäftigt sind, 2. alsbald mit der Beendigung ihrer Beschäftigung rechnen müssen und 3. voraussichtlich nach Beendigung der Beschäftigung arbeitslos werden. Die Anspruchsvoraussetzungen seien damit nicht erfüllt, es könne daher ungeprüft bleiben, ob die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes überhaupt notwendig sei.

Hiergegen richtet sich die am 28. Februar 2006 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, die Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit im unmittelbaren Anschluss an eine nicht selbstständige Beschäftigung, die durch einen Aufhebungsvertrag beendet werde, stehe der Gewährung von Übg nicht entgegen. Die 2. Alternative des § 57 Abs. 1 SGB III, Vermeiden von Arbeitslosigkeit, erfasse die Fälle, in denen Arbeitslosigkeit nicht eingetreten sei, weil der Versicherte aus einer versicherten, nicht selbstständigen Tätigkeit heraus im unmittelbaren Anschluss in die Selbstständigkeit gehe. § 57 Abs. 1 Alt. 2 SGB III differenziere dabei nicht danach, ob den Versicherten bei der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses eine Verantwortung treffe. Der gekündigte wie kündigende Arbeitnehmer vermeide seine eigene Arbeitslosigkeit, wenn er sich selbst und rechtzeitig um eine neue selbstständige, hauptberufliche Tätigkeit kümmere. Nur diese Auslegung entspreche der im SGB III angelegten systematischen Koppelung zwischen einem Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung und dem Ruhen des Anspruches aus den in §§ 142 ff. SGB III genannten Gründen. Jemand, der seine eigene Arbeitslosigkeit verschulde, weil er sein Beschäftigungsverhältnis selbst löse, werde seines Anspruchs gerade nicht verlustig. Vielmehr lege ihm das Gesetz nur eine Sperrzeit auf, in der der Anspruch für eine Übergangszeit von in der Regel zwölf Wochen ruhe (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III). Diese Sperrzeit nehme § 57 SGB III in dessen Abs. 3 Satz 4 ausdrücklich in Bezug, indem sich bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs bei Sperrzeit die Dauer der Förderung entsprechend der Dauer der Sperrzeit verkürze. Dies könne nur bedeuten, dass das Gesetz das Entstehen des Anspruchs auf Übg nicht davon abhängig mache, ob der Versicherte selbst gekündigt habe oder sich habe kündigen lassen. Diese richtige Auslegung füge sich ein in die Entstehungsgeschichte des § 57 SGB III. Bis zum 31. Dezember 2001 sei der mindestens vierwöchige Leistungsvorbezug noch Anspruchsvoraussetzung für das damals im Ermessen stehende Übg gewesen. Diese Fördervoraussetzung habe der Gesetzgeber durch das sogenannte Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I 3443) ersatzlos gestrichen und diese Änderung damit gerechtfertigt, dass der unmittelbare Zugang von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in eine selbstständige Tätigkeit unterstützt werden solle (BT-Drs. 14/6944 S. 33). Zweck der Gesetzesänderung sei ausdrücklich die Förderung des nahtlosen Wechsels in die Selbstständigkeit; auf eine vom Versicherten zu verantwortende Auflösung oder Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses stelle der Gesetzgeber gerade nicht ab. Die von der Beklagten gewählte Auslegung entsprechend ihrer Durchführungsanordnung 57.14 (1) stelle sich quer zum Ansinnen des Gesetzgebers. Die insoweit vorgenommene Änderung der Durchführungsanweisung durch Runderlass vom 17. Juni 2005 zeige, dass sich die Beklagte über die eindeutige Regelung des § 57 Abs. 1 SGB III hinweg setze und selbst als Gesetzgeber agiere. Eine Änderung der Bewilligungspraxis habe nur dem Gesetzgeber oblegen, der jedoch trotz der Kenntnis der wohl unerwartet hohen Anzahl an berechtigten Anträgen auf Übg untätig geblieben sei. Nahezu absurd sei die ergänzende Begründung der Beklagten im Widerspruchsverfahren, wenn dort für das Auslegungsergebnis § 17 SGB III bemüht werde. Diese Vorschrift bestimme entgegen der Ansicht der Beklagten gerade nicht den Begriff des Vermeidens der Arbeitslosigkeit, sondern umreiße eine Legaldefinition für einen speziellen terminus technicus des SGB III, den des "von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmers". Dieser schon im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verwendete Begriff tauche beispielsweise in §§ 45 Satz 1, 77 Abs. 1 Nr. 1, 216a, 216b SGB III jeweils als Anspruchsvoraussetzung auf. Der feststehende Begriff des bedrohten Versicherten sei nicht auf den die Arbeitslosigkeit vermeidenden Versicherten zu übertragen, andernfalls hätte der Gesetzgeber den alt hergebrachten Fachbegriff selbst verwendet. Dies werde um so deutlicher, wenn man in Blick nehme, dass das SGB III den Begriff des Vermeidens auch an anderer Stelle verwende, ohne dass damit zugleich eine subjektive Komponente eingebracht werde (vgl. nur § 1 Abs. 1 Satz 2 oder § 6 SGB III). Alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 57 SGB III lägen vor. Die selbstständige Nebentätigkeit als Notarzt stehe dem Anspruch auf Übg nicht entgegen, da diese Tätigkeit wöchentlich weniger als 15 Stunden beanspruche, weshalb der Kläger durch die Praxisübernahme Arbeitslosigkeit im Sinne des § 119 Abs. 1, Abs. 3 SGB III vermieden habe. Die Übernahme der kleinen Praxis von Frau Dr. Rohrbach sei zudem nicht nur wegen des finanzierten Kaufs mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken verbunden gewesen. In der Übergangs- und Anfangszeit seien für den Kläger nur sehr geringe Einnahmen zu erwarten gewesen, weshalb die Deckung des Lebensunterhalts des Klägers und seiner Familie sowie deren soziale Sicherung deutlich gefährdet gewesen seien. Der Kläger habe ferner Anspruch auf Übg in voller Höhe. Trotz der einvernehmlichen Lösung des Klägers von seinem vormaligen Arbeitgeber im Sinne des § 57 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGB III ruhe der Anspruch nicht, da der Kläger durch sein versicherungswidriges Verhalten keine Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe.

Vorsorglich werde geltend gemacht, dass der Kläger auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches Anspruch auf Zahlung des beantragten Übg habe. Der Kläger habe sich gerade wegen der Praxisübernahme von der Beklagten ausführlich beraten lassen und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die neue Durchführungsanweisung 57.14 (1) jedem Sachbearbeiter hätte bekannt sein müssen. Bei diesem Gespräch sei ihm nicht dargelegt worden, dass nach der - falschen - Rechtsauffassung der Beklagten wegen des Auflösungsvertrags und des nahtlosen Übergangs ein Anspruch nach § 57 Abs. 1 SGB III ausscheide. Im Falle einer vollständigen und sachgerechten Beratung unter Berücksichtigung der neuen Durchführungsanordnung hätte der Kläger eine andere Gestaltung der Praxisübernahme gefunden und dabei eine kurze Zeit der Arbeitslosigkeit eingeplant.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, Sinn und Zweck des § 57 SGB III sei die Vermeidung von einen Leistungsanspruch auslösender Arbeitslosigkeit. Ziel der Gewährung von Übg sei danach die Beendigung der Leistungsgewährung bzw. die Vermeidung ansonsten anfallender Leistungsgewährung. Hiervon ausgehend seien Fälle der vorliegenden Art, in denen das Handeln des künftig Selbstständigen ausschließlich auf die Selbstständigkeit gerichtet sei und er, wenn Selbstständigkeit nicht zu verwirklichen sei, mit der Folge in abhängiger Beschäftigung verbliebe, dass Arbeitslosigkeit nicht eintrete, von § 57 SGB III nicht erfasst. Hätte der Gesetzgeber allen Arbeitnehmern, die theoretisch die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB III erfüllen könnten, in Fällen der vorliegenden Art Übg gewähren wollen, wäre die Normierung des Tatbestandsmerkmales "die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden" in § 57 Abs. 1 SGB III nicht notwendig gewesen. Vielmehr hätte die Formulierung "Arbeitnehmer, die eine selbstständige hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen, haben ..." genügt. Daraus folge, dass der Gesetzgeber mit der Normierung des Tatbestandsmerkmales "Arbeitslosigkeit vermeiden" einen Zweck verfolge. Dieser könne nur darin gesehen werden, dass die Beklagte für die Gewährung von Übg nur in Fällen ansonsten unvermeidbarer Leistungen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen werden könne. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches könne das Begehren des Klägers keinen Erfolg haben. Zum einen sei das Tatbestandsmerkmal "Vermeidung von Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Beschäftigung" nicht "herstellbar", zum anderen sei die Kammer davon überzeugt, dass sich der Kläger in seinem Handeln nicht von einer unterstellt fehlerhaften Beratung der Beklagten am 20. September 2005 habe leiten lassen. Da er die selbstständige Tätigkeit bereits am 1. Oktober 2005 aufgenommen habe, habe er zu diesem Zeitpunkt alle Maßnahmen zu deren Aufnahme getroffen gehabt. Damit fehle es an der Kausalität zwischen einer unterstellten fehlerhaften Beratung und einem unterstellten Schaden.

Hiergegen richtet sich die am 7. September 2006 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren und äußert im Hinblick auf die Begründung des klageabweisenden Gerichtsbescheides, das Tatbestandsmerkmal "die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden" könne nicht weggelassen werden, da hiermit der Verwaltungsentscheidung ein prognostischer Charakter beigemessen werde, denn eine selbstständige Tätigkeit, mit der letztlich Arbeitslosigkeit nicht vermieden werden könne, weil zu erwarten sei, dass der "neue Selbstständige" kurzum wieder "auf der Straße stehe", werde eben nicht mit Mitteln aus § 57 SGB III gefördert. Insofern ließe ein Auslassen gerade dieses Tatbestandsmerkmals eine Fehlsteuerung befürchten. Die Entscheidung des 8. Senats des LSG vom 28. April 2006 (L 8 AL 4150/05) sei zu § 57 SGB III in der Fassung vor dem 1. Januar 2004 ergangen, als der Anspruch noch als Ermessensleistung ausgestaltet gewesen sei und sei daher nicht hierher zu übertragen. Auch in der Sache wende der 8. Senat § 57 SGB III rechtsfehlerhaft an. Er meine daraus, dass nach § 57 Abs. 2 Nr. 1a SGB III zwischen der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit und einem ansonsten bestehenden Anspruch auf Entgeltersatzleistungen ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen müsse, schließen zu müssen, dass ein Anspruch auf Übg ausscheide, wenn ein Arbeitnehmer eine Situation herbeiführe, die ohne Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen hätte begründen können. Von einer solchen Verantwortung spreche die Norm indes gerade nicht. Tatbestandsmerkmal sei ausschließlich ein fiktiver Anspruch auf Entgeltersatzleistungen, wenn man die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit hinweg denke. Dieser Anspruch liege hier unstreitig vor. Der Aufhebungsvertrag des Klägers hätte, wenn überhaupt, zu einer Sperrzeit, nicht aber zu einem Anspruchsverlust geführt. Dass es nicht Sinn und Zweck des § 57 SGB III sei, ein Verhalten zu fördern, das jene Belastung der Solidargemeinschaft der Versicherten vermeide, die durch das Verhalten des Versicherten erst begründet werde, sei durch die Formulierung der Norm ganz und gar nicht belegt. Soweit sich die Beklagte auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Oktober 1990 (11 RAr 109/88) stützen wolle, übersehe sie, dass auch dieses Urteil zu § 55a AFG in der Fassung vom 20. Dezember 1985 (BGBl. I 2484) ergangen sei. Damals habe ein in die Selbstständigkeit gehender Arbeitnehmer noch mindestens zehn Wochen Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen haben müssen, um Anspruch auf Übg, eine Ermessensleistung, zu erhalten. Das BSG schließe in dieser Entscheidung allein aus dem Umstand, dass der nun Selbstständige vorher zehn Wochen Ersatzleistungen nach dem AFG bezogen haben müsse, dass es damals nicht Zweck des Gesetzes gewesen sei, auch diejenigen zu erfassen, die eine abhängige Beschäftigung aufgeben, um im Anschluss daran eine selbstständige Tätigkeit zu beginnen. Dann dränge sich jedoch der Umkehrschluss zur heutigen Situation - kein Vorbezug und keine Ermessensleistung - geradezu auf. Solange ein Arbeitnehmer selbst kündigen könne, ohne seinen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen zu verlieren, könne dies auch im Rahmen des § 57 SGB III nicht anders sein, zumal dort diesbezüglich keine textliche Einschränkung enthalten sei.

Ganz abgesehen davon irre die Beklagte, wenn sie den vormaligen Arbeitsplatz des Klägers als sicher bezeichne. Der Kläger habe beim Kreiskrankenhaus E. keine weitere Berufsperspektive gehabt, was um so mehr gelte, als er unfreiwillig nur in Teilzeit beschäftigt gewesen sei, ihm ein Aufstocken auf einen Tätigkeitsumfang von 100% und damit eine ihn befriedigende Karrierechance jedoch verwehrt worden sei. Es sei nach wie vor beschäftigungspolitische Zielsetzung der Beklagten wie der Bundesregierung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 4 SGB III), die gegen Arbeitslosigkeit Versicherten in unbefristete Vollzeitstellen zu vermitteln. Dann könne es dem Kläger nicht vorgeworfen werden, dass er eine solche Vollzeittätigkeit selbst anstrebe. Die knappen Rechtsausführungen der Beklagten verwunderten allein deshalb, weil die Beklagte selbst jahrelang all jenen Versicherten unproblematisch Übg gewährt habe, die ihr Anstellungsverhältnis durch Kündigung oder Auflösungsvertrag beendet hatten, um im unmittelbaren Anschluss eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen. Sie sei demnach nach ihren damaligen Durchführungsbestimmungen davon ausgegangen, dass sie den damals richtig erfassten Willen des Gesetzgebers vollziehe. Sie verschweige, dass das eigentliche Motiv ihres abrupten Interpretationswechsels allein darin begründet gewesen sei, dass sie die immens gewachsene Kostenlast seit Einführung des unbedingten Anspruchs auf Übg aufgrund der gestiegenen Nachfrage nicht mehr zu ihrer Befriedigung habe steuern können und verkenne, dass zur Korrektur ausschließlich der Gesetzgeber berufen sei.

Ergänzend wird ausgeführt, dass der Richter erster Instanz durch die Entscheidung durch Gerichtsbescheid das Recht des Klägers auf seinen gesetzlichen Richter und sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt habe. Die hier in Streit stehende Sache sei von grundsätzlicher Bedeutung. Entscheidungserheblich sei die höchstrichterlich nicht entschiedene Frage, ob die von der Bundesagentur für Arbeit regelmäßig und zahlreich angewendete neue Durchführungsanordnung 57.14 (1) mit § 57 SGB III in Einklang stehe. Dann aber weise der Rechtsstreit Schwierigkeiten rechtlicher Art auf, weshalb der Kläger einen Anspruch darauf gehabt habe, dass sein Fall auch in der ersten Instanz durch die Kammer in voller Besetzung entschieden werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. August 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger dem Grunde nach Überbrückungsgeld ab 1. Oktober 2005 zu gewähren,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Eigenkündigung mit nachfolgender Selbstständigkeit sei vom Regelungsgehalt des § 57 SGB III dann nicht erfasst, wenn vom Gesetzgeber eine Entlastung des Arbeitsmarktes mit diesem Instrument ins Auge gefasst sei. Der Gesetzgeber habe kein Interesse daran, dass Arbeitnehmer ihren sicheren Arbeitsplatz aufgeben, um eine heutzutage keineswegs abgesicherte selbstständige Existenz als niedergelassener Arzt finanziell abzusichern. Die Auslegung der Beklagten konkretisiere den dokumentierten Gesetzeszweck der mehrfach umgestalteten Vorschrift. Die Förderung des Wechsels vom Arbeitnehmer zum Selbstständigen diene einerseits dazu, die im konkreten Fall entstandene finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung im Einzelfall dauerhaft zu beseitigen. Andererseits werde mit der Förderung neuer Unternehmen die Hoffnung verknüpft, dass die selbstständig gewordenen Arbeitnehmer nunmehr als Unternehmer ihrerseits neue Arbeitsplätze schafften. Die Förderung der Begründung einer selbstständigen Existenz sei daher auf die Fälle begrenzt, in denen die Solidargemeinschaft durch Leistungsansprüche wegen Arbeitslosigkeit belastet sei. Daraus folge, dass ein Anspruch auf Übg ausscheide, wenn ein Arbeitnehmer sein vorangegangenes Beschäftigungsverhältnis in der Absicht beende, sich anschließend selbstständig zu machen und damit seine Arbeitslosigkeit erst begründe oder eine Situation herbeiführe, die ohne die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hätte begründen können (unter Hinweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. April 2006 - a.a.O.). Es sei nicht Sinn und Zweck des § 57 SGB III, ein Verhalten zu fördern, das nur eine solche Belastung der Solidargemeinschaft vermeide, die durch dieses Verhalten erst begründet worden sei. Nichts anderes drücke die vorgelegte Dienstanweisung der Beklagten aus. Sie diene lediglich der Klarstellung und schaffe kein neues Recht. Dagegen könne der Kläger auch nicht mit Erfolg anführen, seine Teilzeittätigkeit biete keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten. Der Kläger übe überdies auch noch eine Nebentätigkeit als Notarzt aus, die er auch nach Eröffnung seiner Praxis beibehalten habe. Von einer Gefährdung seines Arbeitsplatzes oder einer nicht ausreichenden Existenzsicherung durch die Krankenhaustätigkeit könne keine Rede sein. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, Kollegen in angeblich gleich gelagerten Fällen sei Übg gewährt worden. Eine Gleichheit im Unrecht gebe es nicht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakten des SG und die Berufungsakten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 500,00 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist auch teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Übg vom 1. Oktober 2005 bis 6. Januar 2006.

Das Urteil des SG ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil das SG durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter entschieden hat. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das LSG durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Auch die ehrenamtlichen Richter sind nach § 12 Abs. 1 SGG gesetzliche Richter im Sinne der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG). Ein Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters wäre ein entsprechender wesentlicher Verfahrensmangel, da das Urteil auf ihm beruhen kann (vgl. Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 159 Rdnr. 3a). Die Entscheidung eines SG, nach § 105 SGG durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, ist nur auf Ermessensfehler hin überprüfbar; sofern der Entscheidung keine sachfremden Erwägungen oder grobe Fehleinschätzungen zugrunde liegen, ist die Entscheidung regelmäßig nicht zu beanstanden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. September 1993 - L 11 V 828/93 - Breith 1994, 254). Derartige sachfremde Erwägungen oder grobe Fehleinschätzungen sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere liegt ein Fall grundsätzlicher Bedeutung, der einer Beurteilung als Sache ohne besondere Schwierigkeiten i.S.v. § 105 SGG entgegenstünde, schon deshalb nicht auf der Hand, weil es sich vorliegend aufgrund der Neufassung des § 57 SGB III mit Wirkung zum 1. August 2006 (durch Gesetz vom 20. Juli 2006 - BGBl. I 1706) um eine Entscheidung zu auslaufendem Recht handelt (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 160 Rdnr. 7b m.w.N.). Das SG hat auch nicht selbst einen Fall grundsätzlicher Bedeutung angenommen und sich damit widersprüchlich verhalten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 59/04 R - SozR 4-1500 § 105 Nr. 1; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Dezember 2006 - L 12 AL 2526/06 -). Eine Zurückverweisung des Verfahrens kommt daher nicht in Betracht.

Nach § 57 Abs. 1 SGB III (in der Fassung des 4. SGB III-Änderungsgesetzes vom 19. November 2004, BGBl. I 2902) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Übg. Übg wird nach Abs. 2 der Vorschrift geleistet, wenn der Arbeitnehmer 1. in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit oder der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung a) Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte oder b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buch gefördert worden ist und 2. eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Der Kläger war unmittelbar vor der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Arbeitnehmer i.S.d. SGB III. Das Gesetz verlangt nicht, dass er arbeitslos i.S.d. §§ 117 ff SGB III war oder tatsächlich Arbeitslosengeld bezogen hat, weshalb es auch einer persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 122 SGB III nicht bedurfte. Er hat zum 1. Oktober 2005 hauptberuflich eine selbstständige Tätigkeit als niedergelassener Vertragsarzt aufgenommen. Dadurch hat er die ansonsten zu diesem Tag eintretende Arbeitslosigkeit vermieden. Daran ändert nichts, dass der Kläger den Eintritt der Arbeitslosigkeit durch den geschlossenen Aufhebungsvertrag zunächst selbst herbeigeführt hat. Der Wortlaut des § 57 Abs. 1 2. Alternative SGB III enthält für eine derartige einschränkende Auslegung keine Anhaltspunkte, es wird gerade nicht darauf abgestellt, aus welchen Gründen die Arbeitslosigkeit eingetreten ist oder droht. Die Kausalität zwischen Vermeidung der Arbeitslosigkeit und Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit kann daher auch nicht aus wertenden Gesichtspunkten in einer derartigen Konstellation verneint werden (so aber Bernard in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 9 Rdnr. 106).

Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch systematische Überlegungen. Die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit durch Aufgabe eines Beschäftigungsverhältnisses wird im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 3 SGB III sanktioniert durch den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit, während der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht. Ein Verlust dieses Anspruchs tritt jedoch gerade nicht ein. § 57 Abs. 3 Satz 4 SGB III sieht vor, dass sich der Anspruch auf Übg bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Sperrzeit nach § 144 entsprechend der Dauer der Sperrzeit verkürzt. Dies spricht dafür, dass ein Anspruch auf Übg auch bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit besteht und sich dies lediglich bei der Anspruchsdauer auswirkt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 17 SGB III. Die dortige Legaldefinition der von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer enthält durch die Formulierung in Nr. 2 "alsbald mit der Beendigung der Beschäftigung rechnen müssen" die Einschränkung, dass der Eintritt von Arbeitslosigkeit nicht vom eigenen Verhalten abhängig sein darf (vgl. Niesel in Niesel, SGB III, 3. Aufl. § 17 Rdnr. 6). Der Begriff des von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmers ist in verschiedenen Vorschriften als Anspruchsvoraussetzung genannt, z.B. in den §§ 45 Satz 1, 77 Abs. 1 Nr. 1, 216a und 216b SGB III. Wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu Recht ausgeführt hat, gibt diese Legaldefinition für die Auslegung des Begriffs der Vermeidung von Arbeitslosigkeit in § 57 Abs. 1 SGB III nichts her.

Auch Sinn und Zweck der Regelung vor dem Hintergrund der Gesetzesgeschichte und Gesetzesmaterialien bestätigen dieses Verständnis der Norm. Ursprünglich geht die Regelung auf § 135 Abs. 1 des Gesetzes zur Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zurück. Dort war bestimmt, dass in "Ausnahmefällen Beziehern von Arbeitslosengeld", die eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen, bis zur Erreichung eines angemessenen Einkommens, längstens bis zur Dauer von 26 Wochen, eine Überbrückungsbeihilfe gewährt werden konnte. Dies diente, wie sich aus der Überschrift des 4. Abschnitts im AVAVG ergibt, der "Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit". Mit Blick auf das Ziel der "Verhütung der Arbeitslosigkeit" war nach Meinung der Literatur und Rechtsprechung die Voraussetzung für die Gewährung einer Überbrückungsbeihilfe auch dann erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an ein beendetes Beschäftigungsverhältnis eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen und deshalb zu keiner Zeit einen Leistungsanspruch wegen Arbeitslosigkeit gehabt hatte (vgl. Krebs, Kommentar zum AVAVG, Rdnr. 4 zu § 135 m.w.N.). Mit dem durch das Siebte AFG-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (BGBl. I 2484) eingeführten § 55a AFG machte der Gesetzgeber einen mindestens zehn Wochen erreichenden Bezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zur Voraussetzung für die Förderung durch Übg und schloss damit die frühere Anwendungspraxis aus. In der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks.10/3923 zu Nr. 11, S. 20) wird betont, die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit durch einen Arbeitslosen trage ebenso zur Entlastung des Arbeitsmarktes bei, wie die Vermittlung in eine abhängige Beschäftigung. Außerdem könne eine erfolgreiche Existenzgründung zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze führen, weshalb eine neue Leistung Übg vorgesehen werde. Zu dieser Vorschrift hat das BSG ausgeführt, der Zweck des Gesetzes erstrecke sich nicht darauf, auch denjenigen zu erfassen, der eine abhängige Beschäftigung aufgebe, um im Anschluss daran eine selbstständige Tätigkeit zu beginnen. Vielmehr solle lediglich der Antragsteller gefördert werden, der bereits mindestens zehn Wochen arbeitslos war und wegen des damit verbundenen Leistungsbezugs eine Belastung der Versichertengemeinschaft bedeutet habe, von der sie nun um den Preis einer zeitlich begrenzten Weiterzahlung des Alg oder der Alhi für die Zukunft befreit werde (BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 109/88 - SozR 3-4100 § 55a Nr. 2). Durch das Achte AFG-Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1987 (BGBl. I S. 2602) hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für das Übg erleichtert und den Förderungszeitraum verlängert; nunmehr genügte der Vorbezug von vier Wochen Alg oder Alhi, Übg konnte für längstens 16 statt bisher 13 Wochen gewährt werden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs hatte sich die lange Dauer des vorausgehenden Leistungsbezugs von zehn Wochen als wenig praktikabel erwiesen (BT-Drucks. 11/800 S. 17). Der erforderliche mindestens vierwöchige Leistungsvorbezug wurde erst durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10. Dezember 2001 (Job-AQTIV-Gesetz BGBl. I 3443) zum 1. Januar 2002 gestrichen. Nach den Motiven sollte mit dem Verzicht auf die bisherige Fördervoraussetzung einer mindestens vierwöchigen Arbeitslosigkeit vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit der unmittelbare Zugang von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in eine selbstständige Tätigkeit unterstützt werden (BT-Drucks. 14/6944 S. 33). Damit sollte der nahtlose Wechsel in die Selbstständigkeit gefördert sowie die Anwendung der Regelung wesentlich vereinfacht werden und Zeiten der Arbeitslosigkeit sollten entfallen oder verkürzt werden (BT-Drucks. 14/6944 a.a.O.). Weiter hat der Gesetzgeber eben dort klargestellt, dass Personen so lange von der Förderung ausgeschlossen sind, so lange sie von Ruhenstatbeständen nach den §§ 142 bis 145, z.B. einer Sperrzeit, betroffen sind. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat, dass auch Beschäftigte, die ihr Beschäftigungsverhältnis zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit kündigen, in den Genuss des Übg kommen und zwar um den Preis, dass auf der anderen Seite Einsparungen erzielt werden durch den Wegfall des Erfordernisses des Vorbezugs von Leistungen und damit einher gehender Vermeidung oder Verkürzung von Arbeitslosigkeit. Ob eine derartige Regelung arbeitsmarktpolitisch sinnvoll ist, mag dahingestellt sein. Dies zu entscheiden, ist jedoch Sache des Gesetzgebers. Der Gründungszuschuss nach § 57 SGB III in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung (BGBl. I 1706) sieht jedenfalls Leistungen nur noch bei Beendigung der Arbeitslosigkeit vor, nicht schon bei deren Vermeidung.

Die Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 57.14, die nur als interne Handlungsanweisung der Beklagten verbindlich ist, entspricht damit nicht der gesetzlichen Regelung in § 57 Abs. 1 SGB III in der hier maßgebenden Fassung.

Auch die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Übg liegen vor. Der Kläger hätte in einem engen zeitlichen Zusammenhang (§ 57 Abs. 2 Nr. 1a SGB III) fiktiv Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt, da er ohne die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ab 1. Oktober 2005 arbeitslos geworden wäre im Sinne des § 119 SGB III. Der Kläger hatte unstreitig auch die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg erfüllt (vgl. § 123 SGB III). Unschädlich ist, dass der fiktive Anspruch bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit sperrzeitbedingt geruht hätte (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990, a.a.O.; Urteil vom 24. Juni 1993 - 11 RAr 1/92 - SozR 3-4100 § 55a Nr. 4; Stark in PK-SGB III, 2. Aufl., § 57 Rdnr. 6). Könnte das Übg nicht gezahlt werden, wenn die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit in einen Ruhenszeitraum fällt, wäre die gesetzliche Regelung des Ausschlusses von Leistungen für Zeiten, in denen Ruhenszeiträume vorgelegen hätten, wenig sinnvoll (vgl. Winkler in Gagel, SGB III, Stand Mai 2007, § 57 Rdnr. 33 (auch zur alten Fassung)). Auch eine Verkürzung des Leistungszeitraums nach § 57 Abs. 3 Satz 4 SGB III käme bei einem derartigen Normverständnis kaum in Betracht, da nach Ablauf der Ruhenszeit ein Sperrzeitsachverhalt nicht mehr eintreten könnte. Der Kläger hat mit der Vorlage der Stellungnahme der Deutschen Apotheker- und Ärztebank e.G. vom 26. September 2005 auch eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 vorgelegt.

Damit hat der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Übg. Durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2848) wurde das Übg zu einer Pflichtleistung ausgestaltet und der bis dahin weite Ermessensspielraum der Beklagten aufgehoben. Nach den Gesetzesmaterialien sollte sich für die Bezieher daraus eine größere Klarheit und Eindeutigkeit bezüglich ihres Anspruchs ergeben (vgl. BT-Drucks. 15/1515, S. 80 f. zu Nr. 45). Für die Prüfung der tatsächlichen Erforderlichkeit der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung, die insbesondere bei der Übernahme einer bereits bestehenden Praxis fraglich sein kann und nach dem früheren Recht im Rahmen des Ermessens berücksichtigt werden konnte (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 1. Juni 2006 - B 7a AL 34/05 R - SozR 4-4300 § 57 Nr. 1; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. März 2006 - L 4 AL 232/05 - (juris); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. April 2006 - a.a.O.) besteht nun kein Raum mehr. Eine Bedürfnisprüfung findet nicht statt (Winkler in Gagel, SGB III, Stand Januar 2005, § 57 Rdnr. 10). Die Formulierung in § 57 Abs. 1 SGB III, wonach die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung dienen soll, umschreibt die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung, ist jedoch nicht als eigenständige, echte Anspruchsvoraussetzung im Gesetz ausgestaltet (so auch SG Chemnitz, Urteil vom 24. Januar 2007 - S 26 AL 445/05 - (juris)). Damit lassen sich auch Mitnahmeeffekte, die über die frühere Ermessensregelung zumindest teilweise berücksichtigt werden konnten, nicht vermeiden.

Die Anspruchsdauer für Übg beträgt nach § 57 Abs. 3 Satz 1 sechs Monate. Vorliegend verkürzt sich jedoch die Dauer der Förderung nach § 57 Abs. 3 Satz 4 SGB III um zwölf Wochen, da insoweit die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs bei Sperrzeit nach § 144 vorliegen. Denn der Kläger hat durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags sein Beschäftigungsverhältnis gelöst, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben und dadurch (fiktiv) vorsätzlich die Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Es versteht sich bei der Prüfung des fiktiven Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Rahmen des § 57 SGB III von selbst, dass insoweit auch der fiktive Eintritt der Arbeitslosigkeit unter Außerachtlassung der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Der Kläger kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, es liege schon deshalb keine Sperrzeit vor, weil Arbeitslosigkeit nicht eingetreten sei. Die Förderungsdauer ist demnach um die Sperrzeittage zu kürzen (vgl. Stratmann in Niesel, a.a.O., § 57 Rdnr. 11), womit eine Umgehung der Sanktionsabsicht des § 144 ausgeschlossen wird (vgl. auch BT-Drucks. 14/6944 S. 33).

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB III ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (§ 144 Abs. 2 SGB III). Die Regeldauer der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beträgt zwölf Wochen (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

Grundgedanke der Sperrzeitregelung ist es, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat (Vgl. BSGE 67, 26, 29 = SozR 3-4100 § 119 Nr. 3; BSGE 84, 225, 230); die Sperrzeitfolge knüpft deshalb an die Frage an, ob der Arbeitslose die wesentliche Ursache für den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit gesetzt hat oder nicht (vgl. BSGE 69, 108, 110 f. = SozR 3-4100 § 119 Nr. 6). Der Arbeitslose hat das Beschäftigungsverhältnis gelöst, wenn er selbst kündigt oder einen Aufhebungsvertrag abschließt, was hier der Fall war. Der Abschluss des Aufhebungsvertrags war kausal für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. Durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses hat der Kläger seine (fiktive) Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Einen Anschlussarbeitsplatz hatte er (ohne Berücksichtigung der aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit) nämlich nicht in Aussicht und wusste dies auch (vgl. dazu BSGE 64, 202, 204 = SozR 4100 § 119 Nr. 34; BSGE 69, 108, 113).

Dem Kläger stand auch ein wichtiger Grund für sein Verhalten nicht zur Seite. Ein solcher ist nur dann gegeben, wenn dem Arbeitslosen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht hätte zugemutet werden können (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nrn. 14 und 15; SozR 4-4100 § 119 Nr. 1). Insoweit muss der wichtige Grund nicht nur die Auflösung des Arbeitsverhältnisses überhaupt, sondern zusätzlich den konkreten Zeitpunkt der Auflösung decken (vgl. BSG SozR a.a.O.). Es ist deshalb auch zu prüfen, ob dem Arbeitslosen die Aufgabe seiner Beschäftigung zu einem späteren Zeitpunkt zumutbar war (vgl. BSG SozR 4100 § 119 Nrn. 29 und 34; SozR 4-4100 § 119 Nr. 1). Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass ein wichtiger Grund für die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses regelmäßig nur angenommen werden kann, wenn der Arbeitslose vor der Lösung erfolglos einen zumutbaren Versuch unternommen hat, diesen Grund auf andere Weise zu beseitigen (vgl. BSG SozR 4100 § 119 Nrn. 30 und 34; SozR 4-4100 § 119 Nr. 1). Auch wenn hier unterstellt würde, dass eine Aufstockung des Teilzeitarbeitsverhältnisses auf Vollzeit vom Arbeitgeber abgelehnt worden wäre und dies einen wichtigen Grund darstellte, ist nichts dafür ersichtlich, warum - bei der hier gebotenen fiktiven Betrachtung ohne Berücksichtigung der Niederlassung in freier Praxis - ausgerechnet zum damaligen Zeitpunkt eine Kündigung erfolgen sollte und nicht erst bei Vorliegen eines Anschlussarbeitsverhältnisses, zumal die Teilzeittätigkeit, kombiniert mit einer Nebentätigkeit, über Jahre ausgeübt wurde.

Die Voraussetzungen zur Herabsetzung der Sperrzeit wegen einer besonderen Härte liegen nicht vor, wobei hier nur die Bestimmung des § 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB III zu prüfen ist, weil die übrigen Härtegründe des Abs. 3 a.a.O. von vornherein ausscheiden. Ein Härtefall nach § 144 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b SGB III liegt regelmäßig nur vor, wenn nach den Besonderheiten des Einzelfalles der Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. BSG SozR 4100 § 119 Nr. 32; SozR 3-4100 § 119 Nr. 11). Maßgeblich sind insoweit nur solche Tatsachen, die mit dem Eintritt der Sperrzeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, während wirtschaftliche Folgen der Sperrzeit, die nicht Grundlage des für ihren Eintritt maßgebenden Verhaltens waren, außer Betracht bleiben (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 11, SozR 3-1500 § 144 Nr. 12 S. 27). Solche Umstände sind hier nicht gegeben. Eine etwaige Fehlvorstellung des Klägers, er habe einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses gehabt, ist vorliegend unbeachtlich. Denn ein Irrtum über das Vorliegen der Sperrzeitvoraussetzungen begründet eine besondere Härte nur, wenn dieser unverschuldet ist und durch die konkrete Auskunft einer hiermit vertrauten Stelle - in der Regel einer Dienststelle der Beklagten - hervorgerufen oder gestützt wurde (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 11; SozR 3-1500 § 144 Nr. 12 S. 27; Niesel in Niesel, SGB III, 3. Auflage § 144 Rdnr. 106 m.w.N.). Dies war hier nicht der Fall.

Vorliegend ist mithin (fiktiv) eine Sperrzeit von zwölf Wochen eingetreten. Der Kläger hat nach alledem Anspruch auf Gewährung von Übg für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 6. Januar 2006.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere ist die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Zwar ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob entsprechend der Durchführungsanweisungen der Beklagten 57.14 (1) die Aufgabe einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zum Zwecke der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit der Gewährung von Übg entgegensteht. Diese Rechtsfrage ist jedoch nicht klärungsbedürftig, da sie eine nicht mehr gültige Rechtsvorschrift betrifft, die maßgebende Rechtsfrage für das neue Recht nicht erheblich und nicht ersichtlich ist, dass noch eine erhebliche Anzahl von Verfahren anhängig wäre (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 19 und Nr. 58).
Rechtskraft
Aus
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