L 9 R 4076/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1359/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4076/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Altersrente auf Grund von in der Ukraine zurückgelegten Beschäftigungszeiten.

Die 1938 geborene Klägerin kam am 13.8.1992 als Kontingentflüchtling in die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist nicht als Vertriebene oder Spätaussiedlerin anerkannt.

Am 15.8.2003 beantragte sie die Gewährung von Altersrente, wobei sie angab, sie sei Jüdin, habe jiddisch, einen deutschen Dialekt, im persönlichen Bereich sowie russisch als Umgangssprache gesprochen.

Mit Bescheid vom 7.1.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Altersrente ab, da die Klägerin die Wartezeit nicht erfüllt habe. Die von ihr in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten zurückgelegten und hier geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten könnten nach der gegenwärtigen Rechtslage in der deutschen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin zu keinem der Personenkreise gehöre, für die das Fremdrentengesetz (FRG), das die Gleichstellung von fremden Zeiten mit Bundesgebietszeiten regele, Anwendung finde.

Hiergegen legte die Klägerin am 9.2.2004 Widerspruch ein mit der Begründung, sie gehöre zu den deutschblütigen Juden-Aschkenasen und beherrsche seit ihrer Kindheit den deutschen Dialekt jiddisch. Sie bitte darum, sie als Vertriebene und Deutsche im Sinne des Art. 116 des Grundgesetzes (GG) zu betrachten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.3.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin gehöre nicht zu den in §§ 1 oder 17a FRG oder § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) genannten Personen. Da die Klägerin zum Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflusses auf ihr Heimatgebiet (Ukraine am 1.9.1941) erst das 3. Lebensjahr vollendet gehabt habe, seien schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 17a FRG nicht erfüllt. Im übrigen sei die Auffassung, jiddisch sei ein deutscher Dialekt, nicht zutreffend.

Hiergegen erhob die Klägerin am 19.4.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg, mit der sie die Gewährung von Altersrente weiterverfolgte. Zur Begründung trug sie vor, ihre Vorfahren seien eindeutig deutscher Abstammung mit den Eintragungen "Juden" in ihren Pässen. Ihre Muttersprache sei eine deutsche Mundart, das Jiddisch.

Durch Urteil vom 30.6.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei weder als Vertriebene noch als Spätaussiedlerin anerkannt. Sie gehöre auch nicht zu den in § 17a FRG oder § 20 WGSVG genannten Personen. Eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis ergebe sich nicht auf Grund des Gebrauchs der jiddischen Sprache im Herkunftsland. Bei der jiddischen Sprache handele es sich um eine eigenständige Sprache, wie sich auch aus dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.11.2000 - L 3 RJ 95/98 - ergebe.

Gegen das am 31.8.2005 zur Post gegebene Urteil hat die Klägerin am 4.10.2005 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, bei den Aschkenasen handele es sich um einen Spezialfall der Juden. "Aschkenas" bedeute deutsch. Zu Unrecht werde die deutsche Abstammung der Aschkenasen nicht anerkannt. Sie bitte darum unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 3 GG ihr die gleichen Rechte wie einem Deutschen nach Art. 116 GG zukommen zu lassen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Juni 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 7.1.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2004 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das SG hat die Rechtsvorschriften im Urteil zutreffend dargelegt; hierauf wird Bezug genommen.

Zu Recht hat das SG eine Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis verneint. Denn die Klägerin hat in den Fragebögen der Beklagten vom 22.10.2003 als Muttersprache bzw. Sprache im persönlichen Bereich jiddisch und als Umgangssprache und Sprache im Beruf russisch angegeben. Auch die Eltern der Klägerin haben im persönlichen Bereich jiddisch und nicht deutsch gesprochen.

Gleichfalls zutreffend hat das SG unter Hinweis auf das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.11.2000 - L 3 RJ 95/99 - ausgeführt, dass der Gebrauch der jiddischen Sprache im Herkunftsland nicht geeignet ist, eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis zu vermitteln. Zum selben Ergebnis ist auch das LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 24.10.2005 -L 3 R 895/04 - nach Einholung eines linguistischen Sachverständigengutachtens des Germanisten Prof. Dr. A. vom 18.2.2005 gekommen, welches der Klägerin zugänglich gemacht wurde. Dieser hat darin dargelegt, dass jedenfalls das in Osteuropa gesprochene Ostjiddisch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Status einer eigenständigen Kultursprache erreicht hatte und in seinem Verhältnis zur deutschen Sprache nicht als Dialekt, auch nicht als Sozialdialekt, anzusehen war. Auch in den Entscheidungen des LSG Berlin, Beschluss vom 8.4.2003 - L 6 RA 29/02 - und Urteil vom 25.8.2005 - L 1 KA 19/00- in Juris werden jiddisch und deutsch als nebeneinander bestehende eigenständige Sprachen angesehen. Darüber hinaus belegt auch der Umstand, dass die Klägerin in der Zeit von Juni 1993 bis November 1993 (6 Monate) einen Sprachkurs Deutsch besucht hat, dass deutsch nicht ihre Muttersprache ist und sie nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat.

Darüber hinaus erfüllt die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen des § 17a a Nr. 2 FRG. Denn zum Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistischen Einflussbereich auf ihr Heimatland (Ukraine) erstreckt hat (1.9.1941) hatte sie das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet (vgl. Urt. des BSG vom 25.11.1999 - B 13 RJ 63/98 R - SozR 3-5050 § 17a Nr. 2; vom 29.6.2000 - B 4 RA 47/99 R - SozR 3-5050 § 17a Nr. 3). Auch zum Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes am 12.8.1992 gehörte sie nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis an, weil sie zu jenem Zeitpunkt jiddisch (im persönlichen Bereich) und russisch (als Umgangssprache und im Beruf), aber nicht deutsch gesprochen hat. Hierfür spricht auch - wie oben dargelegt - der Besuch des Sprachkurses Deutsch.

Da die von der Klägerin in der Ukraine zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten nicht berücksichtigt werden können, hat sie die Wartezeit von 60 Monaten für die Altersrente nicht erfüllt, sodass ihr keine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusteht.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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