L 9 AL 5500/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1440/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AL 5500/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. November 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Darlehensrückforderung der Beklagten.

Die 1962 geborene und seit dem 3. August 2001 arbeitslose Klägerin, eine Diplomkauffrau, beantragte bei der damals für sie örtlich zuständigen Dienststelle C. der Beklagten unter dem 14. Juni 2002 formblattgerecht die darlehensweise Gewährung einer Umzugsbeihilfe. Zur Begründung verwies sie auf die Aufnahme einer Beschäftigung als Referendarin beim Oberschulamt F. ab dem 1. September 2002 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags. Die geltend gemachten Kosten würden für das Befördern des Umzugsguts durch ein Umzugsunternehmen entstehen. Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bewilligungsbescheid (Mobilitätshilfe bei Aufnahme einer Beschäftigung) vom 16. Juli 2002 und überwies der Klägerin eine Umzugskostenbeihilfe als Darlehen über einen Betrag von 4.500 Euro auf das im Antrag benannte Konto. Weiter hieß es: Das Darlehen sei in angemessenen Teilbeträgen zurückzuzahlen; Zahlweise, Fälligkeit, Kassenzeichen und Bankverbindung werde von der Kasse des Landesarbeitsamtes mitgeteilt werden.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2002 und 29. August 2002 beantragte die Klägerin von der Rückforderung des Mobilitätshilfedarlehens abzusehen, weil sie als Referendarin nur ein monatliches Entgelt von 1.007,16 Euro habe und für Miete und Krankenkasse allein 750,00 Euro und 154,08 Euro aufwenden müsse. Außerdem könne sich die Beklagte an das Sozialamt des Kreises S.-N. wenden. Sie habe zum Umzugszeitpunkt Sozialhilfe bezogen. Daher sei das Sozialamt für die Zahlung der Mobilitätshilfe zuständig. Darauf teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 6., 17., 26. und 27. September 2002 mit, über einen Erlass- oder Stundungsantrag erst nach weiteren Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen entscheiden zu können. In diesem Zusammenhang bat die Beklagte die Klägerin einen ihr überlassenen Fragebogen vollständig ausgefüllt bis zum 11. Oktober 2002 zurückzusenden.

Mit weiterem Schreiben vom 26. Oktober 2002 erhob die Klägerin "Widerspruch" gegen "das Schreiben von Herrn D.". Zur Begründung führte sie aus: Eine Darlehensrückzahlung sei ihr wegen sozialer Härte zu erlassen.

Unter dem 18. März 2003 erklärte die Klägerin im ihr von der Beklagten überlassenen Auskunfts- und Fragebogen sodann keinen Personen Unterhalt zu schulden, als Studienreferendarin beim Land Baden-Württemberg beschäftigt zu sein und daraus ein monatliches Nettoeinkommen von 932,56 Euro zu erzielen. Ein Kfz besitze sie nicht. Ihre monatliche Belastung setze sich wie folgt zusammen: Miete 660 Euro, Mietnebenkosten 59 Euro, Krankenversicherung 154,08 Euro, Versicherungen 5 Euro und Fahrtkosten 56 Euro.

Ohne über den Stundungsantrag förmlich zu entscheiden, versuchte die Beklagte zwischenzeitlich die Forderung zu vollstrecken. Auf die Bitte des Hauptzollamts L. vom 23. April 2003 um Prüfung der Einwände der Klägerin, erwiderte die Beklagte unter dem 5. Mai 2003 mit der Bitte, die Vollstreckung fortzusetzen. Einen gegen die Vollstreckung gerichteten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 24. April 2003 wies das Sozialgericht Freiburg - S 7 AL 1573/03 ER - mit Beschluss vom 30. September 2003 als unbegründet zurück. In den Beschlussgründen machte das Sozialgericht die Beklagte aber auf den Anspruch der Klägerin auf eine rechtsförmliche Entscheidung über ihren Erlass- und Stundungsantrag durch Bescheid aufmerksam.

Daraufhin erging unter dem 12. November 2003 unter der Überschrift "Einziehung von Forderungen" ein Bescheid der Beklagten, mit dem der von der Klägerin begehrte Erlass der Forderung in Höhe von jetzt 4.523,57 Euro (4.500 Euro Umzugsbeihilfedarlehen und 23,57 Euro Kosten) abgelehnt wurde. Eine Einziehung der Forderung sei nicht unbillig, nachdem die nähere Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin mangels Mitwirkung nicht möglich gewesen sei. Die Klägerin habe den ihr unter dem 17. September 2002 übersandten Fragebogen nicht ausgefüllt eingereicht. Der Bescheid ging der Klägerin am 18. November 2003 zu.

Im dagegen gerichteten Widerspruch vom 14. Dezember 2003, der bei der Beklagten am 15. Dezember 2003 einging, teilte die Klägerin mit, dass sie der Beklagten und der Zollaußenstelle L. das Formular über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse mehrfach habe zukommen lassen. Damit sei sie ihrer Mitwirkungspflicht vollumfänglich nachgekommen. Im Übrigen führte eine Einziehung der Forderung zur Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz. Dem Erlass der Forderung sei dem gemäß nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV stattzugeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es: Ansprüche dürften nach § 76 SGB IV nur erlassen werden, wenn deren Einziehung aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig wäre. Außerhalb der Person der Klägerin liegende sachliche Unbilligkeitsgründe seien nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen. In der Person der Klägerin liegende Unbilligkeitsgründe - etwa wirtschaftliche Existenzgefährdung - hätten nicht geprüft werden können. Die Klägerin habe den Fragebogen zwar über das Hauptzollamt L. eingereicht, aber nicht umfassend ausgefüllt. Ihre Angaben seien für eine Erlassprüfung nicht ausreichend.

Auf die dagegen am 26. April 2004 an das Sozialgericht Freiburg – S 7 AL 1440/04 – gerichtete Klage ließ sich das Sozialgericht den "Fragebogen zur Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" vorlegen. Anschließend bat das Sozialgericht die Klägerin diesen Fragebogen vollständig auszufüllen und alle darin geforderten Nachweise beizulegen.

Dem kam die Klägerin nunmehr nach und legte dem Sozialgericht am 27. Juli 2004 den vollständig ausgefüllten Fragebogen nebst Kopien von Mietvertrag und Kontoauszug über den Kontostand eines bei der D. Bank Bauspar AG abgeschlossenen Bausparvertrags vor. In dem Fragebogen gab die Klägerin an, nunmehr arbeitssuchend zu sein, Arbeitslosengeld/-hilfe bereits beantragt zu haben, aber noch keinen Bescheid erhalten zu haben. Auf ihrem Girokonto habe sie noch 581,58 Euro; die angesparte Bausparsumme belaufe sich auf 1.417,69 Euro. Miete zahle sie monatlich in Höhe von 590 Euro zuzüglich ca. 170 Euro Nebenkosten für Strom, Wasser, Müllentsorgung etc. Außerdem wende sie monatlich 115,12 Euro für ihre Krankenversicherung auf.

Daraufhin erließ die Beklagte unter dem 11. August 2004 einen "Änderungsbescheid zum Bescheid vom 12.11.03". Darin lehnte sie einen Forderungserlass erneut ab. Persönliche Unbilligkeit liege nicht vor; die finanzielle Existenz der Klägerin sei durch den gesetzlich vorgeschriebenen Pfändungs- und Verrechnungsrahmen hineichend gesichert. Deshalb komme ein Erlass der Forderung nicht in Betracht. Aufgrund der aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin bestehe aber Einverständnis dahingehend, dass bis zum 5. August 2005 keine Zahlungen zu leisten seien. Hätten sich die Verhältnisse bis zum 5. August 2005 nicht gebessert, sei rechtzeitig ein neuer Antrag zu stellen. Die fällige und durchsetzbare Forderung sei allerdings nicht gestundet. Jede Änderung der Verhältnisse oder der Anschrift seien umgehend mitzuteilen.

Dagegen trug die Klägerin vor, nie ein Darlehen, sondern lediglich eine Beihilfe beantragt zu haben. Schon damals sei der Beklagten aufgrund ihrer Einkommenssituation klar gewesen, dass sie ein Darlehen niemals werde rückzahlen können. Im Übrigen sei der Arbeitsmarkt für Akademiker - zumal solche, die, wie sie, älter als 40 Jahre seien - zusammengebrochen. Sie habe keine Aussicht auf Arbeit mehr. Daher bitte sie weiter um Zuerkennung einer sozialen Härte und Forderungserlass wegen Falschberatung durch Mitarbeiter der Beklagten.

Daraufhin wies das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. November 2004 als unbegründet ab. In den Entscheidungsgründen führte das Sozialgericht aus, die Voraussetzungen für einen Erlass der Forderung seien nicht gegeben. Vorliegend schlössen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zwar gegenwärtig die Einziehung der Forderung aus. Dies habe die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 11. August 2004 aber auch berücksichtigt. Im Hinblick auf Ausbildung und Lebensalter der Klägerin sei gegenwärtig noch nicht davon auszugehen, dass bei ihr eine dauernde wirtschaftliche Notlage eingetreten sei. Sie habe voraussichtlich die Möglichkeit, in absehbarer Zeit beruflich und damit auch wirtschaftlich Fuß zu fassen und die Forderung dann - gegebenenfalls ratenweise - begleichen zu können. Der Gerichtsbescheid wurde am 5. November 2004 durch Übergabeeinschreiben an die Klägerin abgesandt.

Am 3. Dezember 2004 hat die Klägerin gegen den Gerichtsbescheid Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, sie habe zu keinem Zeitpunkt mit der Beklagten ein Darlehen abschließen wollen. Aus den Unterlagen der Beklagten sei auch gar nicht ersichtlich, dass die Umzugskostenbeihilfe nur als Darlehen gewährt worden ist. Das Wort "Beihilfe" schließe schon sprachlich eine Rückzahlungspflicht aus. Auch in der Infobroschüre der Beklagten von 2002 werde eine Rückzahlungspflicht für erhaltene Umzugskostenbeihilfe nicht erwähnt. Sollte ihr - abweichend vom Antrag - nur ein Darlehen gewährt worden sein, so sei dieses eine "überraschende Klausel", habe sie doch nur eine Beihilfe beantragt. Sie sei von der Beklagten im Punkt Darlehen arglistig getäuscht, zumindest aber unter Verletzung der Prüfungs-, Beratungs- und Fürsorgepflicht falsch beraten worden. Einen Darlehensantrag hätte sie nie unterschrieben. Außerdem hätte die Beklagte ihr einen solchen auch gar nicht vorlegen dürfen, habe die Beklagte doch gewusst, dass sie nur ca. knapp 900 Euro netto monatlich verdienen und deshalb gar nicht in der Lage sein werde, einen Kredit über 4.000 Euro zurückzahlen zu können. Außerdem wisse sie bis heute nicht, unter welchen Voraussetzungen ein Forderungserlass möglich wäre; auch das Sozialgericht habe es versäumt, den Begriff der wirtschaftlichen Not zu definieren. Daher sei ihr die Ablehnung des Erlassantrags nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. November 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 25. März 2004 sowie den Änderungsbescheid vom 11. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Forderung in Höhe von 4.523,27 Euro zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend und nimmt hierauf Bezug. Für die Dauer des Berufungsverfahrens werde von einer weiteren Beitreibung der fälligen Forderungen abgesehen.

Auf Bitte des Senat hat die Klägerin Kopien ihrer Bewilligungsbescheide über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) der Behörde "Grundsicherung für Arbeitssuchende im Landkreis L." vom 5. Oktober und 22. November 2005 sowie vom 5. Mai 2006 für den Zeitraum vom 20. Juni 2005 bis zum 30. November 2006 vorgelegt.

Mit Beschluss des Senats vom 20. Februar 2006 ist der Klägerin ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und durch weiteren Beschluss vom 17. Oktober 2006 die Bevollmächtigte als Rechtsanwältin beigeordnet worden (L 9 AL 1529/05 PKH-A).

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf die Akten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Freiburg im erstinstanzlichen Verfahren (S 7AL 1440/04) sowie auf diejenigen des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägerin ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 SGG zulässig.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. November 2004 und der diesem zu Grunde liegende Bescheid der Beklagten vom 12. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2004 sowie des Änderungsbescheids vom 11. August 2004 sind im Ergebnis rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass der von der Beklagten geltend gemachten Darlehensrückforderung (1.). Auch die mit den angefochtenen Entscheidungen mittelbar abgelehnte Stundung der Forderung verletzt sie nicht in ihren Rechten (2.).

1. Bei der von der Klägerin begehrten Erlassentscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Februar 1995, SozR 3-4427 § 5 Nr.1 = NZS 1996, 39, für die vergleichbare Regelung des § 59 Abs. 1 BHO). Wie der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte zum vergleichbaren früheren § 131 Abs. 1 Satz 1 AO - jetzt § 227 Abs. 1 Halbsatz 1 AO 1977 - entschieden hat (SozR 1500 § 54 Nr. 54 = NJW 72, 1411 , 1413 f.), ist hinsichtlich des Begriffs "unbillig" und der Folge "darf" (Ermessen) von einer unlösbaren Verbindung auszugehen, wobei der Begriff "unbillig" in den Ermessensbereich dergestalt hineinragt, dass der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt. Soweit in der bis 18. Juni 1994 geltenden Fassung von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV statt der Unbilligkeit der Begriff der "besonderen Härte" verwendet wurde, ergibt sich daraus nur ein graduell kaum fassbarer Unterschied (BSG, Urteil vom 9. Februar 1995, a.a.O., S. 14; BSG, Urteil vom 4. März 1999, B 11/10 AL 5/98 R, SozR 3-2400 § 76 Nr. 2). Mit der durch Art. 2 Nr. 14 des 2. Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 13. Juni 1994 (BGBl. I, 1229) erfolgten Änderung wird lediglich der Beurteilungsspielraum erweitert (vgl. Hauck/ Haines, SGB IV, Rn. l6 zu K § 76).

Den angefochtenen Bescheiden ist unter Berücksichtigung des Umstands der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV im Widerspruchsbescheid und im Änderungsbescheid sowie der in § 76 Abs. 1 SGB IV enthaltenen Grundsatzentscheidung zur strikten Pflicht, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben, noch hinreichend klar zu entnehmen, dass sie eine Ermessensentscheidung haben treffen wollen und auch getroffen haben.

Die Beklagte darf Ansprüche gemäß § 76 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV nämlich nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beiträge erstattet oder angerechnet werden. Dabei begründet § 76 Absatz 1 SGB IV - wie bereits gesagt - eine strikte Verpflichtung zur Erhebung von Einnahmen, deren Erlass nur bei Vorliegen der in § 76 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV genannten Voraussetzungen möglich ist. Dieses - für ein ordnungsgemäßes Finanzgebaren jeder öffentlichen Körperschaft unerlässliche - Prinzip darf nicht durch eine zu großzügige Auslegung der Erlassvoraussetzungen unterlaufen werden. Denn mit dem Erlass wird gegenüber dem Schuldner auf einen bestehenden Anspruch ganz oder teilweise verzichtet. Der Anspruch erlischt; seine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1991, SozR 3-2400 § 76 Nr. 1 = BSGE 69, 301, 105). Der Erlass begünstigt damit endgültig einen Einzelnen zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Es ist zwischen den Interessen des Versicherungsträgers und der Verpflichtung aus § 76 Absatz 1 SGB IV, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben, und den Individualinteressen des Zahlungspflichtigen abzuwägen. Dies erfordert enge Maßstäbe (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, L 8 AL 4537/04, JURIS) und gibt dem Versicherungsträger nur einen begrenzten Ermessensspielraum. Es ist zwischen den Interessen des Versicherungsträgers und der diesen dienenden Verpflichtung aus § 76 Abs. 1 SGB IV, wonach Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben sind, und den Individualinteressen des Zahlungspflichtigen abzuwägen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gesetzliche Zahlungspflichten zunächst selbst dann nicht unbillig sind, wenn sie den Zahlungspflichtigen erheblich wirtschaftlich belasten (Krauskopf, SGB IV, § 76 Rn. 12). Die Unbilligkeit der Einziehung setzt in den sachlichen oder persönlichen Verhältnissen des Zahlungspflichtigen liegende besondere Gründe voraus (vgl. Krauskopf a.a.O., Rn. 14 und Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Januar 1997, L 16 Kr 121/96, JURIS).

Der Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen kann insbesondere dann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruches im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwider läuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift hingegen bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen indes nicht. Weiter ist das Erlassverfahren des § 76 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV kein geeigneter Behelf, Versäumnisse des Zahlungspflichtigen, die zur Forderungserhebung durch den Sozialversicherungsträger geführt haben, auszugleichen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, L 8 AL 4537/04, JURIS).

Der Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen kann insbesondere dann gegeben sein, wenn die Einziehung für den Zahlungspflichtigen existenzbedrohend oder zumindest in hohem Maße existenzgefährdend und deshalb unzumutbar ist. Allein eine erhebliche wirtschaftliche Belastung oder eine fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit rechtfertigt den Erlass der Forderung aus persönlichen Gründen hingegen noch nicht.

Das Vorliegen von sachlichen oder persönlichen Unbilligkeitsgründen ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen, da die Entscheidung über einen Forderungserlass eine Ermessensentscheidung ist und die Rechtmäßigkeit einer Ermessensausübung nur von Tatsachen und Verhältnissen abhängen kann, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorgelegen haben (vgl. zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 9. Februar 1995, 7 RAr 78/93 und 4. März 1999, B 11/10 AL 5/98; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. April 1998, L 8 AL 250/97; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Januar 1997, L 16 Kr 121/96; Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 2. März 1999, L 3 U 27/99; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, L 8 AL 4537/04, jeweils veröffentlicht in JURIS).

Zum Zeitpunkt des Änderungsbescheids vom 11. August 2004 als letzter bislang in dieser Sache ergangenen Verwaltungsentscheidung haben zur Überzeugung des Senats die Voraussetzungen des § 76 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV für den Erlass des Rückforderungsbetrages (Unbilligkeit) nicht vorgelegen, so dass der Beklagten nach den dargestellten Grundsätzen eine ermessensfehlerhafte Entscheidung nicht vorzuwerfen ist.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt im Falle des Klägerin ersichtlich nicht vor. Soweit sie sich darauf beruft, gar kein Darlehen beantragt zu haben, sondern eine nicht rückzahlbare Umzugsbeihilfe, wendet sie sich nicht gegen die Einziehung, sondern gegen den Forderungsgrund und damit gegen die im Verfahren nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV grundsätzlich nicht nachprüfbare Entscheidung, ob je überhaupt ein Rechtsgrund für die als zu erlassend geltend gemachte Forderung bestanden hat. Der Tatbestand und die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts über die Festsetzung der Zahlungsforderung ist streng von denen einer Maßnahme gemäß § 76 SGB IV zu unterscheiden. Mit der Grundentscheidung wird festgelegt, was im konkreten Einzelfall auf der Grundlage der spezialgesetzlichen Regelung rechtens sein soll, hier also, dass die Beklagte der Klägerin ein rückzahlbares Darlehen gewährt hat und daher einen Anspruch auf Rückzahlung hat. Die Ermessensnorm des § 76 Abs. 2 SGB IV betrifft dagegen den Vollzug des Verwaltungsaktes; sie ermöglicht eine Ausnahmeentscheidung darüber, ob von dem Grundsatz, dass Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben sind (§ 76 Abs. 1 SGB IV), aus Billigkeitsgründen vorübergehend oder endgültig Abstand genommen wird (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 1991, SozR 3-2400 § 76 Nr. 1 = BSGE 69, 301, 305). Ein Erlass, der den Anspruch zum Erlöschen bringt und eine Stundung, die die Fälligkeit eines Anspruchs hinausschiebt, setzt schon begriffsnotwendig voraus, dass vorher überhaupt ein entsprechender Anspruch entstanden ist. Die notwendige Unterscheidung zwischen Festsetzungs- und Erlass- oder Stundungsentscheidung wird besonders in den parallelen Vorschriften des allgemeinen Steuerrechts deutlich, das in § 227 Abs. 1 AO 77 ebenfalls einen Erlass aus Billigkeitsgründen kennt, daneben aber in § 163 Abs 1 AO noch die Möglichkeit vorsieht, Billigkeitserwägungen schon bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1991, SozR 3-2400 § 76 Nr. 1 = BSGE 69, 301, 305).

Aber auch unabhängig von dem Vorstehenden vermag die Einlassung der Klägerin, sie habe nie eine darlehensweise Umzugsbeihilfe beantragt, in keiner Weise zu überzeugen. In dem von ihr unterschriebenen Antrag auf Bewilligung der Beihilfe vom 14. Juni 2002 heißt es im Antragsformular unter Hervorhebung im Fettdruck wörtlich: "Ich beantrage ein Darlehen für das Befördern des Umzugsgutes von ... nach ..." Von einer im Hinblick auf das Darlehen "überraschenden Klausel" oder gar einer "Täuschung" kann also keine Rede sein.

Im Übrigen irrt die Klägerin, wenn sie meint, bereits aus dem Wort "Beihilfe" sei auf einen nicht rückzahlbaren Zuschuss zu schließen. Nach der zum Zeitpunkt der Bewilligung geltenden Gesetzeslage ist das Gegenteil ist richtig. Rechtsgrundlage für die Gewährung der beantragten Umzugskostenbeihilfe ist § 53 Abs. 2 Nr. 3d SGB III i.V.m. § 54 Abs. 6 SGB III in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung. Nach diesen Vorschriften können Arbeitslose, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden, soweit dies zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig ist und sie die erforderlichen Mittel nicht selbst aufbringen können. Die Mobilitätshilfen bei Aufnahme einer Beschäftigung umfassen u. a. einen Umzug (Umzugskostenbeihilfe). Als Umzugskostenbeihilfe kann ein Darlehen für das Befördern des Umzugsgutes im Sinn des § 6 Abs. 3 Satz 1 des Bundesumzugskostengesetzes von der bisherigen zur neuen Wohnung geleistet werden, wenn der Umzug innerhalb von 2 Jahren nach Aufnahme der Beschäftigung stattfindet. Die Beklagte hat sich an diese Vorschriften gehalten und im Rahmen des ihr durch § 54 Abs. 6 SGB III eingeräumten Ermessens eine Umzugskostenbeihilfe bewilligt. Die Ermessensentscheidung bezieht sich allerdings nicht darauf, ob die Umzugskostenbeihilfe als Darlehen oder als Zuschuss zu leisten ist. Denn nach der im Jahre 2002 geltenden eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 54 Abs. 6 SGB III konnte und durfte die Umzugskostenbeihilfe nur als Darlehen bewilligt werden. Damit hatte der Gesetzgeber sich bewusst von der früheren Regelung in § 53 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) abgewandt, wonach als Mittel zur Förderung der Arbeitsaufnahme ein Zuschuss oder ein Darlehen zu den Umzugskosten gewährt werden konnte. Nach der früheren, vor dem SGB III geltenden Rechtslage bestand daher für die Arbeitsämter die Möglichkeit, nach Ermessensgesichtspunkten zwischen Zuschuss und Darlehen zu wählen. Diese Möglichkeit wird durch § 54 Abs. 6 SGB III in der vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung ausgeschlossen, weil danach die Umzugskostenbeihilfe nur als Darlehen gewährt werden durfte (vgl. ebenso schon Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. August 2002, L 8 AL 147/02, JURIS).

Die Umzugskostenbeihilfe ist also überhaupt nur als Darlehen genehmigungsfähig gewesen. Deshalb kann es für die Frage eines Forderungserlasses wegen sachlicher Unbilligkeit im Sinn von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV auch auf den Umstand, dass die Klägerin nach ihrem Umzug als Referendarin ab September 2002 nur über ein Nettoeinkommen von ca. 1.000 Euro monatlich verfügt hat, nicht ankommen. Damit ist aber nur eine sofortige Darlehensrückzahlung ausgeschlossen gewesen. Bereits im Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2002 hat die Beklagte der Klägerin aber eingeräumt, dass Darlehen in angemessenen Teilbeträgen zurückzuzahlen und zusätzlich darauf hingewiesen, dass, sollte eine fällige Zahlung nicht geleistet werden können, ihrer Kasse die Hinderungsgründe dafür unverzüglich mitzuteilen seien. Daraus wird deutlich: Die Klägerin ist mit Darlehenserhalt hinreichend darüber informiert und belehrt worden, dass von ihr keine unmögliche oder ihr unzumutbare Darlehensrückführung erwartet wird.

Eine persönliche Unbilligkeit der Einziehung im Sinn von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV liegt bei der Klägerin ebenfalls nicht vor. Dafür, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also mit dem Erlass des Änderungsbescheids vom 11. August 2004, durch die Forderung der Beklagten unzumutbar im Sinne existenzieller Betroffenheit oder existentieller Gefährdung belastet gewesen wäre, ist nichts dargetan. Indem die Beklagte die Klägerin in diesem Bescheid auf den gesetzlich vorgesehenen Pfändungs- und Verrechnungsschutz aufmerksam gemacht hat, hat sie ihr hinreichend deutlich zu verstehen gegeben, dass die Klägerin mit einer zwangsweisen Durchsetzung der ausstehenden Forderung durch Forderungsvollstreckung selbstredend nur dann rechnen müsse, wenn sie über Einkünfte oder Vermögen oberhalb der gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen verfügt. Nur vor diesem Hintergrund sind auch die weiteren Hinweise verständlich, aufgrund der aktuellen persönlichen Verhältnisse vorläufig eine Einziehung bis zum 5. August 2005 nicht zu betreiben und ggf. rechtzeitig vor diesem Termin neuerlich die weitere Aussetzung der Einziehung zu beantragen. Damit liegt es allein an der Klägerin rechtzeitig durch Antragstellung unter Nachweis ihrer jeweiligen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse möglichen Einziehungsmaßnahmen der Beklagten zuvor zu kommen.

Die Klägerin hat zwar schon im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, dem 12. August 2004, kein regelmäßiges Erwerbseinkommen mehr bezogen. Inzwischen bezieht sie seit geraumer Zeit Arbeitslosengeld II gemäß § 19 SGB II. Soweit sie daraus folgert, als Akademikerin in Anbetracht ihres Lebensalters von nunmehr 44 Jahren dauerhaft keine Aussicht auf Arbeit mehr zu haben und deshalb generell und dauernd nicht in der Lage zu sein, das gewährte Darlehen rückzuerstatten, unterliegt sie allerdings einem weiteren Irrtum über die geltende Gesetzeslage. Als erwerbsfähige Hilfebedürftige ist sie entsprechend dem Grundsatz des Förderns vom Leistungsträger nach § 14 SGB II umfassend mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit zu unterstützen. Dabei ist ihr entsprechend den Vorgaben des § 10 SGB II allerdings grundsätzlich jede Arbeit - insbesondere auch eine solche, die nicht ihrer früheren beruflichen Tätigkeit entspricht, für die sie ausgebildet ist oder die sie ausgeübt hat - zumutbar.

Damit liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen für einen Erlass des Rückforderungsbetrages nicht vor.

2. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB IV darf der Versicherungsträger Ansprüche nur stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Anspruchsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Dabei soll die Stundung, d.h. eine Entscheidung, die die Fälligkeit des Anspruchs hinausschiebt (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1991, SozR 3-2400 § 76 Nr. 1 = BSGE 69, 310, 305), nur gegen angemessene Verzinsung und in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden (§ 76 Abs. 2 Satz 2 SGB IV).

Auf der Grundlage dieser Regelung kommt eine Stundung rückständiger Forderungen nur in Betracht, wenn die sofortige Einziehung der Forderung mit einer erheblichen Härte verbunden wäre. Die seit dem Umzug und der Bewilligung der Umzugsbeihilfe im Jahre 2002 vorhandenen und aktenkundig dokumentierten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Klägerin schließen eine auch ratenweise Vollstreckung der Darlehensrückforderung seither aus. Sie belegen damit letztlich das Vorliegen einer erheblichen Härte im Sinn der Norm. Diese Sachlage anerkennend hat die Beklagte trotz fortbestehender Fälligkeit der Forderung keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen mehr veranlasst. Bis zum 5. August 2005 hat sie der Klägerin - zwar ohne die Forderung förmlich nach § 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV zu stunden - die vorübergehende Nichteinziehung von Zahlungen mit Änderungsbescheid vom 11. August 2004 schriftlich zugesichert. Darüber hinaus hat die Beklagte der Klägerin - soweit sich ihre Verhältnisse nicht bessern - bei erneutem Bedürftigkeitsnachweis in demselben Bescheid in Aussicht gestellt weiter so zu verfahren, d. h. Zahlungen auf den Darlehensrückzahlungsanspruch nicht zu verlangen. Angesichts des damit verbundenen Verzichts auf Zinsen und Sicherungsleistung, die im Falle einer förmlichen Stundungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 Satz 2 SGB IV regelmäßig ("soll") erhoben werden müssten, stellt die Beklagte die Klägerin mit diesem Vorgehen besser, als dies bei einer förmlichen Stundungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB IV der Fall sein könnte. Anders gewendet, das jeweils befristete schlichte Untätigbleiben der Beklagten in puncto Forderungseinzug begünstigt die Klägerin. Deshalb ist auch insoweit eine Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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