Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 VJ 3101/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VJ 1595/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.02.2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Überprüfung der Ablehnung von Versorgung wegen eines geltend gemachten Impfschadens durch den Beklagten.
Die 1942 geborene Klägerin beantragte unter dem 22.04.1987 bei dem damaligen Versorgungsamt Heilbronn (VA) die Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens. Sie gab an, sie habe am 29.05.1982 wegen einer Hautverletzung eine Impfung mit Tetanol und Tetanus-Immunglobulin erhalten. Auf dem Heimweg habe sie bemerkt, dass ihr linkes Bein schwer geworden sei. In der folgenden Nacht habe sie Schüttelfrost und hohes Fieber bekommen. Nach zwei Tagen habe sie ihren Hausarzt wegen schlimmer Kopfschmerzen aufgesucht. Dieser habe keine Diagnose stellen können. Sie habe auch unter erheblichem Schwindelgefühl gelitten. Sie sei mehrmals krankgeschrieben und neurologisch untersucht worden. Seit dieser Impfung sei sie beim Treppen steigen, bergauf Gehen, Gehen in gebückter Haltung, Rad fahren und Maschineschreiben deutlich behindert. Nach dem Arztbrief von Dr. H. von den Krankenanstalten L. vom 18.06.1982 erhielt die Klägerin am 28.05.1982 Tetanol und Tetagam. Sie sei am 01.06.1982 wieder in der Ambulanz erschienen und habe angegeben, sie habe Fieber gehabt mit Schüttelfrost. Außerdem habe sie über Kopfschmerzen geklagt. Am 08.06.1982 habe sie angegeben, dass sie abwechselnd Schwächen im linken Bein verspüre. Die Injektionsstellen seien reizlos gewesen, bei der neurologischen Untersuchung habe sich kein pathologischer Befund ergeben. Nach dem Bericht von PD Dr. R. von der Abteilung für Neurologie der Krankenanstalten L. vom 22.06.1982 war auch das EEG ohne Befund. Zum Zusammenhang führte Dr. R. aus, fieberhafte Reaktionen nach Tetanustoxoid-Gaben kämen gelegentlich vor, so dass der Klägerin insoweit Glauben geschenkt werden könne. Eine abgelaufene allergische Störung im Zentralnervensystem, unter Umständen mit meningealer Reizung sei nicht sicher auszuschließen, da die erste neurologische Untersuchung erst 10 Tage nach dem Ereignis erfolgt sei. In jedem Fall liege jetzt keine relevante neurologische Symptomatik mehr vor. Es sei zu erwarten, dass sich die noch bestehenden psychovegetativen Regulationsstörungen, Schwindelerscheinungen und die Konzentrationsschwäche in Kürze zurückbilden würden.
Das VA holte bei Dr. D. vom Staatlichen Gesundheitsamt L. den "Bericht in einer Impfschadenssache" vom 16.07.1987 aufgrund der Untersuchung der Klägerin am 25.06.1987 ein. Sie klagte über eine Schwäche im linken Arm und Bein besonders nach Belastung, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen, Atemnot und Herzschmerzen, wobei alle diese Beschwerden mit der Impfung begonnen hätten. Dr. D. führte aus, die grobe Kraft des linken Beines scheine etwas vermindert. Nach telefonischer Auskunft des behandelnden Orthopäden hätten bereits 1972 Lähmungserscheinungen der linken Seite bestanden. Deshalb und unter Berücksichtigung des Verlaufes und des erhobenen Befundes sei ein Zusammenhang zwischen der Impfung und den angegebenen Beschwerden unwahrscheinlich. Nach den vom VA beigezogenen Unterlagen der AOK S. war die Klägerin vom 29.05. bis 16.06.1982 wegen einer allergischen Reaktion auf Tetagam, eines katarrhalischen Infektes und einer Cephalgie arbeitsunfähig. Der Orthopäde Dr. B. berichtete dem VA unter dem 04.11.1987 über die Behandlung der Klägerin seit 28.01.1972. Es liege ein rezidivierendes lumbales Wurzelreizsyndrom L5/S1 links vor.
Das VA holte dann das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. F. vom 15.10.1987 ein. Diese teilte mit, die Klägerin habe angegeben, sie sei seit Juni 1987 krank geschrieben und könne wegen der seit der Impfung bestehenden Beschwerden nicht mehr arbeiten. Sie beschrieb eine auffallende Diskrepanz zwischen dem Klagebild und dem Verhalten der Klägerin. Diese sei hartnäckig bestrebt, die Anerkennung ihrer Beschwerden als Impfschaden zu erreichen, obwohl bisher nichts Krankhaftes gefunden worden sei. Die neurologische Untersuchung habe auch jetzt keinen organ-pathologischen Befund ergeben. Dr. F. hielt eine seelische Fehlreaktion für wahrscheinlich, die keine Impfungsfolge sei, sondern in ursächlichem Zusammenhang mit der prämorbiden besonderen Persönlichkeitsstruktur der Klägerin stehe.
Mit Bescheid vom 02.12.1987 lehnte das VA den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens ab. Die hiergegen zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage (S 2 Vi 1777/87) wurde durch Urteil vom 29.08.1989 abgewiesen, nachdem Prof. Dr. S. in seinem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten vom 20.01.1989 zu dem Ergebnis gekommen war, eine bleibende Gesundheitsstörung, die als Reaktion auf die durchgeführte Tetanussimultanimpfung zurückgeführt werden könnte, sei nicht verifizierbar. Die Berufung der Klägerin wurde nach Beiziehung weiterer Unterlagen und Einholung der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. K. vom 28.01.1991 durch Urteil vom 25.04.1991 zurückgewiesen (L 7 Vi 1909/89).
Am 21.09.2004 stellte die Klägerin einen erneuten Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens unter Beifügung eines an sie gerichteten Schreiben des P.-E.-Instituts vom 10.09.2004. Das VA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.11.2004 mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine neuen Gesichtspunkte oder rechtserheblichen Tatsachen vorgebracht, die nicht bereits Gegenstand der früheren gerichtlichen Entscheidungen gewesen seien. Es werde daher an der Bindung des Bescheids vom 02.12.1987 festgehalten. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2005 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin trotz ihrer Ankündigung keine neuen Unterlagen vorgelegt hatte.
Die Klägerin erhob hiergegen am 22.09.2005 Klage zum SG mit der Begründung, nach heutigem Erkenntnisstand sei ihre 1982 aufgetretene Impfreaktion fehldiagnostiziert worden. Weiter gab sie an, aufgrund ihres angegriffenen Gesundheitszustandes habe sie sich gezwungen gesehen, im Oktober 1996 ihre ganztägige Arbeitszeit auf 50 % zu reduzieren. Sie verspüre immer wieder eine große Müdigkeit bzw. einen Zustand tiefster Erschöpfung. 1998 sei wegen Herzrhythmusstörungen eine intensivmedizinische Notfallbehandlung erforderlich geworden.
Durch Urteil vom 28.02.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde auf den angefochtenen Bescheid sowie die Entscheidungsgründe der vorangegangenen Urteile Bezug genommen.
Gegen das ihr am 09.03.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.03.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie auf die vorliegenden ärztlichen Unterlagen verwiesen und ausgeführt, die bei ihr nach der Impfung aufgetretenen Symptome fänden sich in den von ihr vorgelegten Beipackzetteln der Impfstoffe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.02.2006 sowie den Bescheid vom 11.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Zurücknahme des Bescheids vom 02.12.1987 Versorgungsrente wegen eines Impfschadens zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat Dr. H. das Gutachten nach Aktenlage vom 13.09.2006 erstattet. Er vertritt die Auffassung, aufgrund der medizinischen Unterlagen sei die Diagnose eines chronischen Müdigkeitssyndroms (CFS) zu stellen. Für einen Zusammenhang dieses chronischen Müdigkeitssyndroms mit der Tetanusimpfung spreche die klare zeitliche Korrelation und die aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse auch plausible pathophysiologische Hypothese zur immunologischen Entstehung des CFS. Allerdings sei die genaue Ursache des CFS derzeit noch als ungeklärt zu betrachten. Der Grad der durch das CFS bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit Juni 1882 ca. 50 vom Hundert.
Der Beklagte hat hierzu die versorgungsärztliche Stellungnahme von Medizinaldirektor D. vom 12.12.2006 vorgelegt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 20.03. und 09.08.2007 darauf hingewiesen, er ziehe eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG in Betracht. Sie hatten Gelegenheit, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die beigezogenen Akten des SG (S 2 Vi 1777/87) und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 7 Vi 1909/89) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 SGG statthafte und gem. § 151 SGG fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gem. § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Beklagte ohne Rechtsverstoß die Rücknahme des Bescheides vom 02.12.1987 gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) abgelehnt hat.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Soweit ein angegriffener Verwaltungsakt rechtswidrig ist, hat die Behörde ihn aufzuheben und die Leistung neu festzusetzen. Diese Vorschrift ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, für die das Bundessozialgericht (BSG) in Anlehnung an das gerichtliche Wiederaufnahmeverfahren folgende Grundsätze entwickelt hat: Ergibt sich im Rahmen eines Antrages auf Zugunstenbescheid nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Auch wenn die neue Entscheidung ebenso lautet wie die bindend gewordene Entscheidung, ist in einem solchen Fall der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen (BSG SozR 1300 § 44 Nr. 33).
Die Klägerin hat keinerlei neue Gesichtspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, dass bei Erlass des Bescheides vom 02.12.1987 das Recht unrichtig angewandt wurde bzw. von einem falschen medizinischen Sachverhalt ausgegangen wurde. Insbesondere konnte sie ihre Überzeugung, sie leide infolge der Impfung an einer irreparablen Schädigung des Zentralnervensystems mit nachweisbarer Lähmung, nicht durch medizinische Befunde belegen. Für den Senat sind somit keine Anhaltspunkte vorhanden, die geeignet wären, die medizinische Beurteilung der Zusammenhangsfrage in den Gutachten von Dr. F. und Prof. Dr. S. in Frage zu stellen. Diese Beurteilung ist angesichts der vorliegenden ärztlichen Befunde schlüssig und überzeugend. Der Beklagte war daher berechtigt, sich ohne weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung des Bescheides von 02.12.1987 zu berufen.
Auch aus dem Gutachten von Dr. H. erbeben sich keine Gesichtspunkte, die geeignet wären, eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 02.12.1987 in Betracht zu ziehen. Dr. H. führt in Übereinstimmung mit Dr. F. aus, dass eine primärneurologische Erkrankung nicht vorliege. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin tatsächlich unter dem von Dr. H. erstmals ins Spiel gebrachten chronischen Müdigkeitssyndrom (CFS) leidet. Dr. H. räumt in seinem Gutachten selbst ein, dass die Ursachen dieses Syndroms in der Medizin noch umstritten sind. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tetanusimpfung und diesem Syndrom ist schon deshalb nicht hinreichend wahrscheinlich. Soweit Dr. H. eine klare zeitliche Korrelation zwischen dem CFS und der Tetanusimpfung bei der Klägerin sieht, so vermag der Senat dem aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen aus der Zeit vor und nach der Tetanusimpfung nicht zu folgen. Diese Annahme beruht allein auf den Angaben der Klägerin und lässt sich anhand der ärztlichen Unterlagen nicht nachvollziehen. Die Klägerin hat erst 1987 - fünf Jahre nach der Impfung - einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Andererseits klagte sie nach dem von Dr. K. im Verfahren L7 Vi 1909/89 vorgelegten Arztbrief vom 31.07.1979 bereits damals über einen Erschöpfungszustand.
Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Überprüfung der Ablehnung von Versorgung wegen eines geltend gemachten Impfschadens durch den Beklagten.
Die 1942 geborene Klägerin beantragte unter dem 22.04.1987 bei dem damaligen Versorgungsamt Heilbronn (VA) die Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens. Sie gab an, sie habe am 29.05.1982 wegen einer Hautverletzung eine Impfung mit Tetanol und Tetanus-Immunglobulin erhalten. Auf dem Heimweg habe sie bemerkt, dass ihr linkes Bein schwer geworden sei. In der folgenden Nacht habe sie Schüttelfrost und hohes Fieber bekommen. Nach zwei Tagen habe sie ihren Hausarzt wegen schlimmer Kopfschmerzen aufgesucht. Dieser habe keine Diagnose stellen können. Sie habe auch unter erheblichem Schwindelgefühl gelitten. Sie sei mehrmals krankgeschrieben und neurologisch untersucht worden. Seit dieser Impfung sei sie beim Treppen steigen, bergauf Gehen, Gehen in gebückter Haltung, Rad fahren und Maschineschreiben deutlich behindert. Nach dem Arztbrief von Dr. H. von den Krankenanstalten L. vom 18.06.1982 erhielt die Klägerin am 28.05.1982 Tetanol und Tetagam. Sie sei am 01.06.1982 wieder in der Ambulanz erschienen und habe angegeben, sie habe Fieber gehabt mit Schüttelfrost. Außerdem habe sie über Kopfschmerzen geklagt. Am 08.06.1982 habe sie angegeben, dass sie abwechselnd Schwächen im linken Bein verspüre. Die Injektionsstellen seien reizlos gewesen, bei der neurologischen Untersuchung habe sich kein pathologischer Befund ergeben. Nach dem Bericht von PD Dr. R. von der Abteilung für Neurologie der Krankenanstalten L. vom 22.06.1982 war auch das EEG ohne Befund. Zum Zusammenhang führte Dr. R. aus, fieberhafte Reaktionen nach Tetanustoxoid-Gaben kämen gelegentlich vor, so dass der Klägerin insoweit Glauben geschenkt werden könne. Eine abgelaufene allergische Störung im Zentralnervensystem, unter Umständen mit meningealer Reizung sei nicht sicher auszuschließen, da die erste neurologische Untersuchung erst 10 Tage nach dem Ereignis erfolgt sei. In jedem Fall liege jetzt keine relevante neurologische Symptomatik mehr vor. Es sei zu erwarten, dass sich die noch bestehenden psychovegetativen Regulationsstörungen, Schwindelerscheinungen und die Konzentrationsschwäche in Kürze zurückbilden würden.
Das VA holte bei Dr. D. vom Staatlichen Gesundheitsamt L. den "Bericht in einer Impfschadenssache" vom 16.07.1987 aufgrund der Untersuchung der Klägerin am 25.06.1987 ein. Sie klagte über eine Schwäche im linken Arm und Bein besonders nach Belastung, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen, Atemnot und Herzschmerzen, wobei alle diese Beschwerden mit der Impfung begonnen hätten. Dr. D. führte aus, die grobe Kraft des linken Beines scheine etwas vermindert. Nach telefonischer Auskunft des behandelnden Orthopäden hätten bereits 1972 Lähmungserscheinungen der linken Seite bestanden. Deshalb und unter Berücksichtigung des Verlaufes und des erhobenen Befundes sei ein Zusammenhang zwischen der Impfung und den angegebenen Beschwerden unwahrscheinlich. Nach den vom VA beigezogenen Unterlagen der AOK S. war die Klägerin vom 29.05. bis 16.06.1982 wegen einer allergischen Reaktion auf Tetagam, eines katarrhalischen Infektes und einer Cephalgie arbeitsunfähig. Der Orthopäde Dr. B. berichtete dem VA unter dem 04.11.1987 über die Behandlung der Klägerin seit 28.01.1972. Es liege ein rezidivierendes lumbales Wurzelreizsyndrom L5/S1 links vor.
Das VA holte dann das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. F. vom 15.10.1987 ein. Diese teilte mit, die Klägerin habe angegeben, sie sei seit Juni 1987 krank geschrieben und könne wegen der seit der Impfung bestehenden Beschwerden nicht mehr arbeiten. Sie beschrieb eine auffallende Diskrepanz zwischen dem Klagebild und dem Verhalten der Klägerin. Diese sei hartnäckig bestrebt, die Anerkennung ihrer Beschwerden als Impfschaden zu erreichen, obwohl bisher nichts Krankhaftes gefunden worden sei. Die neurologische Untersuchung habe auch jetzt keinen organ-pathologischen Befund ergeben. Dr. F. hielt eine seelische Fehlreaktion für wahrscheinlich, die keine Impfungsfolge sei, sondern in ursächlichem Zusammenhang mit der prämorbiden besonderen Persönlichkeitsstruktur der Klägerin stehe.
Mit Bescheid vom 02.12.1987 lehnte das VA den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens ab. Die hiergegen zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage (S 2 Vi 1777/87) wurde durch Urteil vom 29.08.1989 abgewiesen, nachdem Prof. Dr. S. in seinem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten vom 20.01.1989 zu dem Ergebnis gekommen war, eine bleibende Gesundheitsstörung, die als Reaktion auf die durchgeführte Tetanussimultanimpfung zurückgeführt werden könnte, sei nicht verifizierbar. Die Berufung der Klägerin wurde nach Beiziehung weiterer Unterlagen und Einholung der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. K. vom 28.01.1991 durch Urteil vom 25.04.1991 zurückgewiesen (L 7 Vi 1909/89).
Am 21.09.2004 stellte die Klägerin einen erneuten Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens unter Beifügung eines an sie gerichteten Schreiben des P.-E.-Instituts vom 10.09.2004. Das VA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.11.2004 mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine neuen Gesichtspunkte oder rechtserheblichen Tatsachen vorgebracht, die nicht bereits Gegenstand der früheren gerichtlichen Entscheidungen gewesen seien. Es werde daher an der Bindung des Bescheids vom 02.12.1987 festgehalten. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2005 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin trotz ihrer Ankündigung keine neuen Unterlagen vorgelegt hatte.
Die Klägerin erhob hiergegen am 22.09.2005 Klage zum SG mit der Begründung, nach heutigem Erkenntnisstand sei ihre 1982 aufgetretene Impfreaktion fehldiagnostiziert worden. Weiter gab sie an, aufgrund ihres angegriffenen Gesundheitszustandes habe sie sich gezwungen gesehen, im Oktober 1996 ihre ganztägige Arbeitszeit auf 50 % zu reduzieren. Sie verspüre immer wieder eine große Müdigkeit bzw. einen Zustand tiefster Erschöpfung. 1998 sei wegen Herzrhythmusstörungen eine intensivmedizinische Notfallbehandlung erforderlich geworden.
Durch Urteil vom 28.02.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde auf den angefochtenen Bescheid sowie die Entscheidungsgründe der vorangegangenen Urteile Bezug genommen.
Gegen das ihr am 09.03.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.03.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie auf die vorliegenden ärztlichen Unterlagen verwiesen und ausgeführt, die bei ihr nach der Impfung aufgetretenen Symptome fänden sich in den von ihr vorgelegten Beipackzetteln der Impfstoffe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.02.2006 sowie den Bescheid vom 11.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Zurücknahme des Bescheids vom 02.12.1987 Versorgungsrente wegen eines Impfschadens zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat Dr. H. das Gutachten nach Aktenlage vom 13.09.2006 erstattet. Er vertritt die Auffassung, aufgrund der medizinischen Unterlagen sei die Diagnose eines chronischen Müdigkeitssyndroms (CFS) zu stellen. Für einen Zusammenhang dieses chronischen Müdigkeitssyndroms mit der Tetanusimpfung spreche die klare zeitliche Korrelation und die aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse auch plausible pathophysiologische Hypothese zur immunologischen Entstehung des CFS. Allerdings sei die genaue Ursache des CFS derzeit noch als ungeklärt zu betrachten. Der Grad der durch das CFS bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit Juni 1882 ca. 50 vom Hundert.
Der Beklagte hat hierzu die versorgungsärztliche Stellungnahme von Medizinaldirektor D. vom 12.12.2006 vorgelegt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 20.03. und 09.08.2007 darauf hingewiesen, er ziehe eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG in Betracht. Sie hatten Gelegenheit, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die beigezogenen Akten des SG (S 2 Vi 1777/87) und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 7 Vi 1909/89) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 SGG statthafte und gem. § 151 SGG fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gem. § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Beklagte ohne Rechtsverstoß die Rücknahme des Bescheides vom 02.12.1987 gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) abgelehnt hat.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Soweit ein angegriffener Verwaltungsakt rechtswidrig ist, hat die Behörde ihn aufzuheben und die Leistung neu festzusetzen. Diese Vorschrift ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, für die das Bundessozialgericht (BSG) in Anlehnung an das gerichtliche Wiederaufnahmeverfahren folgende Grundsätze entwickelt hat: Ergibt sich im Rahmen eines Antrages auf Zugunstenbescheid nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Auch wenn die neue Entscheidung ebenso lautet wie die bindend gewordene Entscheidung, ist in einem solchen Fall der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen (BSG SozR 1300 § 44 Nr. 33).
Die Klägerin hat keinerlei neue Gesichtspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, dass bei Erlass des Bescheides vom 02.12.1987 das Recht unrichtig angewandt wurde bzw. von einem falschen medizinischen Sachverhalt ausgegangen wurde. Insbesondere konnte sie ihre Überzeugung, sie leide infolge der Impfung an einer irreparablen Schädigung des Zentralnervensystems mit nachweisbarer Lähmung, nicht durch medizinische Befunde belegen. Für den Senat sind somit keine Anhaltspunkte vorhanden, die geeignet wären, die medizinische Beurteilung der Zusammenhangsfrage in den Gutachten von Dr. F. und Prof. Dr. S. in Frage zu stellen. Diese Beurteilung ist angesichts der vorliegenden ärztlichen Befunde schlüssig und überzeugend. Der Beklagte war daher berechtigt, sich ohne weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung des Bescheides von 02.12.1987 zu berufen.
Auch aus dem Gutachten von Dr. H. erbeben sich keine Gesichtspunkte, die geeignet wären, eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 02.12.1987 in Betracht zu ziehen. Dr. H. führt in Übereinstimmung mit Dr. F. aus, dass eine primärneurologische Erkrankung nicht vorliege. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin tatsächlich unter dem von Dr. H. erstmals ins Spiel gebrachten chronischen Müdigkeitssyndrom (CFS) leidet. Dr. H. räumt in seinem Gutachten selbst ein, dass die Ursachen dieses Syndroms in der Medizin noch umstritten sind. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tetanusimpfung und diesem Syndrom ist schon deshalb nicht hinreichend wahrscheinlich. Soweit Dr. H. eine klare zeitliche Korrelation zwischen dem CFS und der Tetanusimpfung bei der Klägerin sieht, so vermag der Senat dem aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen aus der Zeit vor und nach der Tetanusimpfung nicht zu folgen. Diese Annahme beruht allein auf den Angaben der Klägerin und lässt sich anhand der ärztlichen Unterlagen nicht nachvollziehen. Die Klägerin hat erst 1987 - fünf Jahre nach der Impfung - einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Andererseits klagte sie nach dem von Dr. K. im Verfahren L7 Vi 1909/89 vorgelegten Arztbrief vom 31.07.1979 bereits damals über einen Erschöpfungszustand.
Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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