L 7 SO 73/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 1751/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 73/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klage richtet sich gegen die Überleitung von Ansprüchen des Klägers gegen das Finanzamt Balingen auf Rückerstattung von Steuern auf den Sozialhilfeträger nach § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Der Kläger und seine Ehefrau bezogen vom 15. Juni 2000 bis 31. Dezember 2004 vom Sozialamt Albstadt laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Die Hilfegewährung erfolgte unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes nach § 11 Abs. 2 BSHG, da der Kläger und seine Ehefrau bei Antragstellung angegeben hatten, dass sie aus anhängigen Gerichtsverfahren noch Geldsummen zu erwarten hätten, deren Betrag noch nicht genau feststellbar sei. Unter anderem benannten sie eine Forderung gegen das Finanzamt Balingen in Höhe von 1.236.707,50 DM. Insgesamt wandte das Sozialamt Albstadt für den Kläger und seine Ehefrau im Zeitraum vom 15. Juni 2000 bis 31. Dezember 2004 an Sozialhilfeleistungen 29.490,99 EUR auf.

Nachdem das Sozialamt Albstadt die Information erhielt, dass der Kläger Steuererstattungen des Finanzamtes Balingen zu erwarten habe, zeigte es gegenüber dem Finanzamt Balingen mit Schreiben vom 8. November 2004 nach § 90 Abs. 1 BSHG die Überleitung der Erstattungsforderungen in Höhe eines Gesamtbetrages von 29.007,59 EUR an, welcher auf die Zeit vom 15. Juni 2000 bis 30. November 2004 entfalle. Bei Überweisung erst im Dezember 2004 erhöhe sich der Betrag noch um 477,00 EUR. Mit Bescheid vom 9. November 2004 erfolgte die Überleitung des Anspruchs gegenüber dem Kläger. Am 7. Dezember 2004 ging eine Einzahlung des Finanzamtes beim Beklagten in Höhe von 17.899,17 EUR (Steuerstattungen für den Kläger für die Jahre 1999 und 2000) ein sowie eine weitere Einzahlung am 9. Februar 2005 in Höhe von 11.585,92 EUR.

Gegen den Bescheid vom 9. November 2004 erhob der Kläger am 10. Dezember 2004 Widerspruch und machte geltend, die Überleitung sei für ihn nicht nachvollziehbar, da jeglicher Einzelnachweis fehle. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2004 spezifizierte das Sozialamt Albstadt die Sozialhilfeleistungen. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2005 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass unter Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Beachtung der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder keine Tatsachen festgestellt werden könnten, welche die Überleitung der Ansprüche des Klägers gegen das Finanzamt bis zur Höhe der für den Kläger und seine Ehefrau aufgebrachten Sozialhilfeaufwendungen ausschließen könnten. Insoweit sei es auch im Hinblick auf das in § 2 BSHG verankerte Nachrangprinzip ermessensgerecht, dass der Sozialhilfeträger die Ansprüche auf sich übergeleitet habe.

Hiergegen wenden sich der Kläger und seine Ehefrau mit ihrer am 1. Juni 2005 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage. Sie machen geltend, durch die eigenständige Durchführung von Gerichtsverfahren gegenüber dem Finanzamt B. eigene Arbeit zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes geleistet zu haben. Aufgrund dieser "Eigenselbsthilfe" hätten sie die Steuererstattungen erreicht, die sich nunmehr der Beklagte zu Nutze mache. Die Überleitung sei ausgeschlossen, da sie als Hilfeempfänger ihre Arbeitskraft eingesetzt hätten. Der Beklagte habe ihnen den erheblichen Aufwand für die notwendig gewordene Eigenselbsthilfe nicht erstattet. Es sei ungerecht, etwaige Ansprüche an den Beklagten überzuleiten, wenn sich die Hilfeempfänger durch eigene Arbeit selbst um die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes bemühten.

Mit Urteil vom 17. November 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anspruchsüberleitung gemäß § 90 BSHG seien erfüllt. Unschädlich sei, dass nur der Kläger Ansprüche gegen die Finanzverwaltung habe, da nach § 90 Abs. 1 Satz 2 BSHG bei der Hilfe zum Lebensunterhalt Ansprüche des Hilfeempfängers gegen Dritte auch für die Hilfe überleitbar seien, die der nicht getrennt lebende Ehegatte erhalten habe. Zwischen der Leistungspflicht des Dritten, des Finanzamts Balingen, und dem Bewilligungszeitraum der Sozialhilfeleistung durch den Sozialhilfeträger bestehe auch eine zeitliche Deckungsgleichheit. Ein Fall des § 90 Abs. 4 BSHG liege nicht vor. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die erreichten Steuererstattungen durch den Einsatz seiner Arbeitskraft im Sinne dieser Vorschrift erzielt habe.

Hiergegen richtet sich die am 30. November 2005 beim SG eingegangene Berufung des Klägers und seiner Ehefrau. Zur Begründung tragen sie u.a. vor, das SG sei voreingenommen und befangen gewesen, was sich daran zeige, dass die Äquivalenz zwischen Steuererstattung und aufgewendeter Arbeitszeit angezweifelt und ihre Stellungnahmen nicht berücksichtigt worden seien. Darüber hinaus sei unzulässig, dass der Beklagte die Auszahlung von Steuerrückzahlungen verweigere, die einen Zeitraum beträfen, zu welchem sie noch nicht Sozialhilfeempfänger gewesen seien. Tatsächlich handele es sich nicht um Steuererstattungen, sondern um Steuerrückzahlungen, die wirtschaftlich ihr Eigentum seien, da keine Steuerschuld bestanden habe. Die Überleitung sei nach § 90 Abs. 4 BSHG ausgeschlossen, wenn der Hilfeempfänger seine Arbeitskraft einsetze. Zudem liege ein Härtefall vor, da der Kläger und seine Ehefrau weiterhin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites bzw. Zwölftes Buch (SGB II bzw. SGB XII) bezögen, ihnen zustehende Leistungen für Unterkunft und Heizung vorenthalten würden und außerdem mit den Mitteln eine neue Existenz aufgebaut werden solle. Eine Nachholung der vor Erlass des Bescheids unterbliebenen Anhörung sei im Widerspruchsverfahren nicht erfolgt. Ferner sei bislang unberücksichtigt geblieben, ob die vom Finanzamt B. an den Beklagten überwiesene Steuererstattung im Auszahlungsmonat als Einkommen und anschließend als Vermögen zu werten sei und dem entsprechend zunächst die Anrechnung auf gewährte Leistungen als Einkommen und sonach die Frage des Schonvermögens zu prüfen gewesen sei. Der Auszahlungsbetrag unterschreite die Schonvermögensgrenze.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. November 2005 sowie den Bescheid des Sozialamts Albstadt vom 9. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 2. Mai 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die Steuerstattung des Finanzamts B. auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Steuerstattungen hätten dem Kläger bereits im Zeitpunkt des Hilfebezuges zugestanden, so dass die Erstattung an den Sozialhilfeträger zu Recht erfolgt sei. Die im Jahr 2004 ausgezahlten Steuererstattungen für die Jahre 1999 und 2000 seien daher nicht als Einkommen im Auszahlungsmonat und daran anschließend als Vermögen zu sehen. Ebenfalls seien die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 Satz 3 BSHG gegeben. Die Hilfeempfänger hätten bei rechtzeitiger zur Verfügungstellung der Steuerrückerstattung keine Leistungen für den gesamten Zeitraum der Hilfegewährung erhalten können, da diese Rückerstattung im Zuflussmonat als Einkommen und ab dem auf den Zufluss folgenden Monat die verbleibende Restsumme als Vermögen hätte eingesetzt werden müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) setze der hypothetische Kausalzusammenhang zwischen Sozialhilfeleistungen und der Nichterfüllung des Anspruches des Hilfeempfängers gegen einen Dritten in zeitlicher Hinsicht lediglich voraus, dass der Anspruch gegen den Dritten im Zeitpunkt der Sozialhilfeleistung fällig und seinem Gegenstand nach geeignet sein müsse, die Notlage abzuwenden bzw. den Hilfebedürftigen zur Selbsthilfe zu befähigen (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1999 - 5 C 28/98 - BVerwGE 110, 5).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten (10 Bände), die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Nach der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22. November 2007 erfolgten Rücknahme der Klage durch die Ehefrau des Klägers, ist nur noch über die Berufung des Klägers zu entscheiden.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil der Beschwerdewert von 500,00 EUR überschritten ist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das angefochtene Urteil des SG ist nicht unter dem Gesichtspunkt zu beanstanden, dass der Kläger eine Voreingenommenheit und Befangenheit des Gerichts rügt, wobei er nicht im Einzelnen bezeichnet hat, gegen welche Mitglieder des Gerichts sich seine Bedenken richten. Nachdem das erstinstanzliche Gericht bereits sachlich entschieden hat, ist die richterliche Tätigkeit im konkreten Fall beendet. Das Ablehnungsgesuch nach § 60 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) ist damit verspätet gestellt, es ist prozessual überholt und damit unzulässig (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 17. Mai 1995 - X R 55/94 - NJW 96,215; ders. vom 17. August 1989 - VII B 79/89 - NVwZ 90, 504 und vom 26. März 1980 - I B 23/80 - BB 1980, 878; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 10. September 1999 - L 4 B 35/99 KR - NZS 99, 576; Bayerisches LSG, Beschluss vom 3. April 1978 - L 4 B 83/77 - Breithaupt 78, 700). Im übrigen ist das Vorbringen des Klägers auch in der Sache nicht geeignet, eine Befangenheit der erstinstanzlich befassten Richter aufzuzeigen. Insbesondere hat das SG sowohl im Tatbestand das wesentliche Vorbringen des Klägers dargestellt als auch in den Entscheidungsgründen sich rechtlich damit auseinandergesetzt. Dass das Gericht inhaltlich den Rechtsstandpunkt des Klägers nicht teilt, kann in keinem Fall eine Befangenheit begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 1979 - 4 CB 8/79 - DVBl. 79, 560; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 15. November 1999 - L 6 U 44/99 - NZS 2000, 212; Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschluss vom 21. Oktober 1996 - 24 W 45/96 - NJW-RR 97, 1084).

Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist klagebefugt und kann seine Ansprüche auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids vom 9. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 2005 im Wege der Anfechtungsklage geltend machen. Die Klage auf Auszahlung der vom Finanzamt B. an den Beklagten ausgezahlten Gelder kann zwar im Wege der Leistungsklage vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit geltend gemacht werden, denn auch der hier geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch fällt unter die in § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG genannten Angelegenheiten der Sozialhilfe. Für die gerichtliche Geltendmachung dieses Anspruchs, der die Unwirksamkeit der angefochtenen Überleitung voraussetzt, besteht jedoch kein Rechtsschutzbedürfnis. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte, der nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz an Recht und Gesetz gebunden ist, nach gerichtlicher Klärung der Rechtmäßigkeit der Überleitung im Falle eines Obsiegens des Klägers die Herausgabe der zu Unrecht vereinnahmten Gelder verweigern würde. Insoweit handelt es sich um einen unzulässigen vorbeugenden Rechtsschutz.

Maßgebend ist bei der hier allein zulässigen reinen Anfechtungsklage im Grundsatz die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Widerspruchsbescheids (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 54 Rdnr. 32a). Ob ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, ergibt sich aus dem materiellen Recht. Er ist in der Regel dann nicht rechtswidrig, wenn er im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung mit dem dann maßgeblichen Recht übereinstimmt (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 1989 - 7 B 21/8 - NVwZ 90, 653). Vorliegend hat das Sozialamt Albstadt die Überleitung auf der Grundlage von § 90 BSHG vorgenommen für einen Zeitraum, in dem allein Leistungen nach dem BSHG erbracht wurden. Damit fällt der gesamte Streitstoff, vergleichbar der zeitabschnittsweisen Geltung von Gesetzen, unter das BSHG, obgleich dieses durch Art. 68, 70 des Gesetzes zur Eingliederung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 aufgehoben wurde. Abgesehen davon sieht auch das SGB XII eine entsprechende Regelung in § 93 vor.

Rechtsgrundlage für die Überleitung ist damit § 90 BSHG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann der Träger der Sozialhilfe dann, wenn ein Hilfeempfänger für die Zeit, für die Hilfe gewährt wird, einen Anspruch gegen einen anderen hat, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ist, durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Er kann den Übergang dieses Anspruchs auch wegen seiner Aufwendungen für diejenige Hilfe zum Lebensunterhalt bewirken, die er gleichzeitig mit der Hilfe für den in Satz 1 genannten Hilfeempfänger dessen nicht getrennt lebendem Ehegatten gewährt.

Zunächst ist die Überleitungsanzeige nicht bereits deshalb formell rechtswidrig, weil der Kläger vor Erlass des Ausgangsbescheides nicht nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angehört worden ist. Im Widerspruchsverfahren hatte der Kläger nach Kenntnis der im Ausgangsbescheid dargestellten, aus Sicht der Behörde maßgeblichen Umstände Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Damit ist der Verfahrensfehler nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar, SGB X, Stand 1. März 2007, § 41 Rdnr. 16 m.w.N.).

Die Überleitungsanzeige ist auch hinreichend bestimmt i.S.v. § 33 SGB X. Insoweit ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Wille des Sozialhilfeträgers zur Überleitung zum Ausdruck kommt und dass Hilfeempfänger, Art der Hilfe sowie der überzuleitende Anspruch nebst Angabe von Gläubiger und Schuldner bezeichnet werden. Nicht erforderlich ist die zahlenmäßige Bestimmung des überzuleitenden Anspruchs (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1973 – V C 108.72 - BVerwGE 42, 198; Münder in LPK-BSHG, 5. Aufl., § 90 Rdnr. 41). Diesen Anforderungen genügt die Überleitungsanzeige. Der abstrakte Anspruch ist hinreichend beschrieben, es ist nicht erforderlich, dass dieser bereits durch Steuerfestsetzung konkretisiert ist. Die Bezifferung der in der Vergangenheit bereits erbrachten Leistungen ist erfolgt (zu diesem Erfordernis vgl. Münder, a.a.O., § 90 Rdnr. 42).

Auch materiell ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 90 BSHG sind gegeben. Insgesamt bezogen der Kläger und seine Ehefrau vom Beklagten Leistungen für die Zeit vom 15. Juni 2000 bis 31. Dezember 2004 in Höhe von 29.490,99 EUR, wie sich aus der im Berufungsverfahren vorgelegten Aufstellung des Beklagten vom 1. Juni 2007 ergibt. Zu den Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige im Sinne des § 90 BSHG gehört nicht, dass der vom Träger der Sozialhilfe geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht. Rechtswidrig ist eine Überleitungsanzeige im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG lediglich dann, wenn das Bestehen des behaupteten Anspruchs objektiv ausgeschlossen ist (sogenannte Negativ-Evidenz), wenn die Überleitung also offensichtlich sinnlos ist. Bestehen und Umfang des übergeleiteten Anspruchs sind - abgesehen von dieser Ausnahme - nicht nachzuprüfen (ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteil vom 26. November 1969 - V C 54.69 - BVerwGE 34, 219, 220 f.; Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 57.88 - Buchholz 436.0 § 90 BSHG Nr. 19 S. 5 und Urteil vom 27. Mai 1993 - 5 C 7/91 - BVerwGE 92, 281, 283). Vorliegend ist das Bestehen der Steuererstattungsansprüche unzweifelhaft, nachdem der Schuldner, das Finanzamt Balingen, bereits geleistet hat.

Die Überleitungsschranke des § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG, wonach zeitliche Deckungsgleichheit zwischen der Leistungspflicht des Dritten und der Sozialhilfeleistung durch den Sozialhilfeträger bestehen muss, ist gewahrt. § 90 BSHG dient der Durchsetzung des Nachranggrundsatzes des § 2 Abs. 1 BSHG (BVerwG, Urteil vom 10. Mai 1990 – 5 C 63/88 - BVerwGE 85, 136). Aus der Sicht des Nachranggrundsatzes hängt die Anwendbarkeit des § 90 BSHG jedoch nur davon ab, ob und inwieweit durch die Nichterfüllung der in Rede stehenden Verpflichtung eines Dritten Sozialhilfe zur Abwendung der Notlage hat geleistet werden müssen. Das Merkmal der Gleichzeitigkeit verweist mithin auf einen hypothetischen Kausalzusammenhang zwischen Sozialhilfeleistung und Nichterfüllung des Anspruchs des Hilfeempfängers gegen einen Dritten. Auf Entstehungsgrund und Beschaffenheit des Anspruchs (als Anspruch auf einmalige oder laufende Leistung) kommt es nicht an. In zeitlicher Hinsicht wird lediglich vorausgesetzt, dass der Anspruch gegen den Dritten im Zeitpunkt des Sozialhilfebezugs fällig und seinem Gegenstand nach geeignet gewesen sein muss, die Notlage abzuwenden. Entscheidend ist dagegen nicht, ob die Mittel für einen mit dem Bedarfszeitraum identischen Zeitraum bestimmt sind. Deshalb sind auch in der Vergangenheit entstandene Ansprüche überleitungsfähig, wenn und soweit sie im Zeitpunkt der Hilfegewährung noch nicht erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1999, a.a.O.). Vorliegend steht der Überleitung somit nicht entgegen, dass die Steuererstattungsansprüche (teilweise) auf Zeiträume zurückzuführen sind, in denen die Kläger noch nicht Sozialhilfeempfänger waren. Die erforderliche zeitliche Deckungsgleichheit ist daher gegeben, wenn - wie hier - wegen laufender Leistungen der Sozialhilfe ein Anspruch auf einmalige Leistungen übergeleitet werden soll, der ohne rechtliche Bezogenheit auf den Zeitraum der Hilfegewährung zufällig während dessen fällig ist oder wird. Denn auch laufende Leistungen der Sozialhilfe bestehen aus regelmäßig wiederkehrenden Einzelleistungen, die jede für sich die Überleitung des Anspruchs gegen den Drittschuldner auf eine einmalige Leistung bis zur Höhe der Hilfegewährung rechtfertigt. Dann kann aber auch der Anspruch gegen den Dritten bis zur Summe der Einzelleistungen übergeleitet werden (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG), Beschluss vom 26. März 1997 - 4 L 7950/94 - (juris); Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Februar 1983 – 6 S 2216/82FEVS 33, 286). Ausreichend ist, wenn der Hilfeempfänger im jeweiligen Zeitpunkt der Hilfegewährung berechtigt ist, den Anspruch gegen den Dritten geltend zu machen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Februar 1983, a.a.O.). Dies ist hier der Fall.

Der Steuererstattungsanspruch war bereits mit Ablauf der jeweiligen Veranlagungszeiträume entstanden (somit jeweils mit Ablauf des 31. Dezember des Jahres). Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen gemäß § 38 Abgabenordnung (AO 1977), sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Der Einkommenssteuererstattungsanspruch entsteht somit unmittelbar kraft Gesetzes mit Vollendung des Veranlagungszeitraums, sobald und soweit die Summe der Vorauszahlungen die materiell geschuldete Steuer übersteigt (§ 36 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Einkommenssteuergesetz (EStG)). Ansprüche auf Erstattung von Einkommens- und Lohnsteuer sind daher bereits mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungs- bzw. Lohnzahlungszeitraums abtretbar und verpfändbar (BFH, Urteil vom 6. Februar 1990 – VII R 86/88BB 1990, 1404). Dann können derartige Ansprüche jedoch auch für Zeiträume übergeleitet werden, in denen noch keine entsprechende Festsetzung durch das Finanzamt mittels Steuerbescheid vorliegt. Ansonsten bliebe für die Überleitung derartiger Ansprüche nahezu kein Anwendungsbereich, denn sie wäre rechtlich nur in dem seltenen Ausnahmefall möglich, wenn sie in dem kurzen Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Bescheids und Auszahlung vorgenommen würde. Ausreichend ist daher insoweit, dass der Anspruch entstanden und damit der Hilfeempfänger berechtigt ist, ihn geltend zu machen.

Der Anspruch durfte auch übergeleitet werden, denn der Kläger wäre verpflichtet gewesen, die Steuererstattung zur Deckung seines sowie des Bedarfs seiner Ehefrau einzusetzen. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei Steuererstattungen nicht um (ggf. geschütztes) Vermögen, sondern um Einkommen in Form einmaliger Einnahmen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 – 5 C 35/97BVerwGE 108, 296). Wenn auch Einkommen und Vermögen sozialhilferechtlich der Bezug zur Bedarfszeit wesentlich ist, grenzen sie sich doch gerade dadurch voneinander ab, dass Einkommen alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende (erst) in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluss in der Bedarfszeit Einkommen. Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, ist weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (Steuerstattung als Erfüllung des Steuererstattungsanspruchs). Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht, zu seinem Vermögen. Das führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz der Gestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Vielmehr interessiert im Falle der Erfüllung einer (Geld-) Forderung sozialhilferechtlich grundsätzlich nicht das Schicksal der Forderung, sondern das Gesetz stellt insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen ab (vgl. für den Bereich des SGB II zu nachträglich gezahltem Arbeitsentgelt: Senatsurteil vom 9. August 2007 - L 7 AS 5695/06 - (juris)). Nur in Fällen, in denen mit bereits erlangten Einkünften bereits Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen, gilt dies nicht. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Auch wenn bereits dem Anspruch auf Steuererstattung ein Vermögenswert zukommt, hindert dies daher nicht die Zuordnung der Auszahlung als Einkommen, weil der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig "angespart" hat, sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten konnte (so BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999, a.a.O.).

Der Beklagte hat auch das ihm in § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG eingeräumte Ermessen zutreffend ausgeübt. Bei der Überprüfung der eigentlichen Ermessensentscheidung nimmt das Gericht nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsprüfung vor. Das Gericht prüft, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (Ermessensmissbrauch) und ob der Kläger durch Ermessensfehler beschwert ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Für die Rechtskontrolle ist die Begründung des Bescheids oder Widerspruchsbescheids wesentlich. Aus ihr muss sich ergeben, dass von dem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist. Sie muss die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde ausgegangen ist (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der Ausgangsbescheid enthält zwar keine Ermessenserwägungen, jedoch lassen sich solche dem Widerspruchsbescheid in ausreichendem Maße entnehmen (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Der Beklagte hat hierzu ausgeführt, unter Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Beachtung der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder könnten keine Tatsachen festgestellt werden, welche die Überleitung ausschließen könnten. Damit hat der Beklagte ersichtlich dem Nachrangprinzip der Sozialhilfe den Vorrang eingeräumt. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, da bei der Interessenabwägung das Gebot der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel und der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe die Überleitung als Regelfall rechtfertigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. September 1990 - 6 S 725/90 - NJW 1991, 2922; Bayerischer VGH, Beschluss vom 8. September 2003 - 12 CS 03.2160 - (juris)).

Soweit der Kläger geltend macht, die Überleitung sei ausgeschlossen, da er den Anspruch auf Steuererstattung durch eigene Arbeit erwirtschaftet habe, ist dem nicht zu folgen. § 90 Abs. 4 BSHG schließt, trotz Vorliegens der materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, die Überleitung aus, wenn bei der Hilfe zur Arbeit an den Hilfeempfänger nur Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer Mehraufwandsentschädigung nach § 19 Abs. 2, 2. Alternative BSHG bzw. ein Zuschuss nach § 20 BSHG oder ein Zuschuss entsprechend § 18 Abs. 5 BSHG gezahlt wird. Derartige Fälle der Hilfe zur Arbeit liegen hier jedoch nicht vor. § 90 Abs. 4 BSHG schließt nicht generell jegliche Möglichkeit der Überleitung aus, sobald ein Tätigwerden des Hilfeempfängers vorliegt, und sei es zur Durchsetzung der betreffenden Forderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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