L 2 R 3011/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 633/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3011/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1952 geborene Kläger begann eine Lehre als Gewürzmüller, die er jedoch nicht abgeschlossen hat. Anschließend übte er verschiedene ungelernte Tätigkeiten z. B. als Gabelstaplerfahrer, Platzwart aus und war von 1981 bis Mitte 1995 als angelernter Müller (Anlernzeit 6 bis 12 Monate) und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1996 als Hilfsarbeiter in der Ph. S. KG -Gewürzmühle-" tätig.

Am 12.08.2004 beantragte der Kläger zum wiederholten Male die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, nachdem die Anträge vom 30.10.1997, 01.07.2002 und 27.06.2003 abgelehnt und auch die nachfolgenden Widerspruchs- und Klageverfahren (S 7 RJ 2205/98, S 9 RJ 985/03) erfolglos geblieben waren. In dem von der Beklagten veranlassten sozialmedizinischen Gutachten des Internisten Dr. B. diagnostizierte dieser einen chronischen Alkoholabusus bei alkoholischer Fettleber, Zustand nach mehrmaligen Entzugs- Krampfanfällen, Rosacea, Rhinophym, alkoholische Polyneuropathie, Hyperurikämie, Hyperglyzämie, LWS-Syndrom, Beinschmerzen links bei Verdacht auf beginnende Coxarthrose links, chronische Urticaria, Adipositas, Schlafapnoesyndrom, Glaucoma chronium simplex beidseits sowie eine geringe Innenohrschwerhörigkeit. Der Kläger sei in der Lage, leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Tätigkeiten in Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck, mit besonderer geistiger Beanspruchung, überwiegend einseitiger Körperhaltung, häufigem Bücken, Klettern oder Steigen, erhöhtem Eigen- oder Fremdgefährdungspotenzial, mit Verantwortung für höhere Sachwerte, ständigem Gehen oder Stehen, Arbeiten mit Hautreizstoffen oder in Alkohol gefährdenden Bereichen könnten nicht ausgeübt werden. Mit Bescheid vom 19.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2005 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag ab.

Am 04.03.2005 hat der Kläger zum Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben. Das SG hat den behandelnden Arzt Dr. I. befragt, der in seiner Auskunft vom 22.04.2005 mitteilte, der Kläger leide unter zunehmenden Schmerzen am Rücken, Hüft - und Kniegelenk. Mit Gerichtsbescheid vom 27.06.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es u. a. ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten, wie von Dr. Baur festgestellt, zu verrichten; Berufsschutz genieße er nicht.

Gegen den am 04.07.2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 21.10.2005 eingelegte Berufung des Klägers. Eine vollschichtige Tätigkeit sei nicht möglich.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Juni 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. August 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten den Sachverhalt im Termin vom 19.10.2005 erörtert. Der Senat hat die Begutachtung des Klägers auf nervenärztlichem Gebiet durch Prof. Dr. Dr. W. sowie auf orthopädischem Gebiet durch Dr. D. veranlasst. In seinem Gutachten vom 28.08.2006 hat Prof. Dr. Dr. W. eine alkoholtoxische Polyneuropathie, eine Alkoholabhängigkeit und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Eine zeitliche Leistungseinschränkung hat er verneint. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.09.2006 hat der Sachverständige weiter dargelegt, dass die Umstellungsfähigkeit für leichte, dem Kläger bislang nicht bekannte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beeinträchtigt sei. In seiner weiteren Stellungnahme vom 19.01.2007 zu den vom Kläger vorgelegten Unterlagen (Entlassungsbericht des Klinikums M. vom 24.11.2006 und Untersuchungsbefund des Nervenarztes Dr. T. vom 14.12.2006) hat der Sachverständige ausgeführt, daraus ergebe sich keine veränderte Leistungseinschätzung. Der Orthopäde Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 13.05.2007 eine chronisch-rezidivierende Cervicalgie mit Cervicobrachialgie bei degenerativen HWS-Veränderungen ohne neurologische Ausfälle, eine chronisch-rezidivierende Lumbalgie bei degenerativen LWS-Veränderungen und Bandscheibenvorfall L5/S1 links ohne neurologische Ausfälle, eine initiale Coxarthrose bds., eine Gonalgie beidseits ohne wesentliche arthrotische Veränderungen sowie einen Spreizfuß ohne wesentliche Funktionsstörungen diagnostiziert. Der Kläger sei in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden und mehr an fünf Tagen der Woche auszuüben. Möglich sollte eine wechselnde Körperhaltung, überwiegend im Sitzen sein. Ein Heben und Tragen schwerer und mittelschwerer Lasten über 10 kg, Tätigkeiten in länger dauernden Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopftätigkeiten und Tätigkeiten in Hockstellung sollten auf Grund der Wirbelsäulenproblematik nicht mehr verrichtet werden. Ausgeschlossen seien ferner Tätigkeiten in Nässe, Kälte und Zugluft sowie Tätigkeiten, die ein Besteigen von Leitern und Gerüsten erforderten. Nach Vorlage des Berichts des "Theresienkrankenhauses und St. H. GmbH" über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 13.08. bis 22.08.2007 hat Dr. D. in der ergänzenden Stellungnahme vom 17.09.2007 ausgeführt, dass sich daraus keine Änderung der Leistungseinschätzung ergeben würde.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, auf die Akten des Sozialgerichts Mannheim in den Verfahren S 7 RJ 2205/98, S 9 RJ 985/03 und auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2005, mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbstätigkeit abgelehnt hat.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI (insbesondere) Versicherte, die außerstande sind, unter denselben Voraussetzungen mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen ist der Kläger weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert. Der Senat stützt seine Entscheidung auf die Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. und Dr. D.r. Prof. Dr. Dr. W. hat in seinem Gutachten auf neurologischem Fachgebiet eine alkoholtoxische Polyneuropathie festgestellt. Ansonsten sind in der neurologischen Untersuchung keine fassbaren Defizite festgestellt worden; vielmehr ist eine periphere Schädigung, eine radikuläre Schädigung oder eine Plexusschädigung ausgeschlossen worden. Auf psychiatrischem Fachgebiet hat der Sachverständige eine Alkoholabhängigkeit sowie eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert; Hinweise auf schwergradige depressive Störungen, eines organischen Psychosyndroms oder auf eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis haben sich nicht ergeben. Gründe für eine zeitliche Leistungseinschränkung auch für leichte körperliche Tätigkeiten haben sich nicht ergeben. Auch die Umstellungsfähigkeit für leichte, bislang dem Kläger unbekannte Tätigkeiten, ist nach der Beurteilung des Sachverständigen weiterhin gegeben. Sowohl der Entlassungsbericht des Klinikums Mannheim vom 24.11.2006, als auch der zu den Akten gegebene Untersuchungsbefund des Nervenarztes Dr. T. vom 14.12.2006 haben keine weitergehenden Befunde ergeben, die Zweifel an der Beurteilung der Leistungsfähigkeit aufkommen ließen. Prof. Dr. Dr. W. hat dies in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.01.2007 nochmals ausdrücklich bestätigt. Auf orthopädischem Gebiet stehen die chronischen Beschwerden der HWS und LWS im Vordergrund. Neurologische Ausfälle hat weder Prof. Dr. W. noch der Orthopäde Dr. D. diesbezüglich (außer der durch die Polyneuropathie hervorgerufenen Sensibilitätsstörungen) feststellen können. Die beidseitige Gonalgie sowie die initiale Coxarthrose führen lediglich zu qualitativen, nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungseinschränkung, wie Dr. D. in seinem Gutachten ausgeführt hat. Auch aus dem Entlassungsbericht am 22.08.2007 über den stationären Aufenthalt des Klägers 13.08.2007 bis 22.08.2007 können keine weitergehenden Befunde entnommen werden. Dies hat Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.09.2007 bestätigt.

Der Senat würdigt daher das positive und negative Leistungsbild des Klägers dahingehend, dass er mehr als sechs Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann; zu vermeiden sind Tätigkeiten in länger dauernden Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopftätigkeiten, Tätigkeiten in Hockstellung, auf Leitern oder Gerüsten, an gefährdenden Maschinen und Tätigkeiten in Nässe, Kälte und Zugluft. Ferner sollten Tätigkeiten unter hohem Zeitdruck und hoher geistiger Beanspruchung vermieden werden.

Im Hinblick auf die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen braucht dem Kläger keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt zu werden, was nach der Rechtsprechung erforderlich ist, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 - § 1246 Nrn. 117, 136) oder der Arbeitsmarkt sonst praktisch verschlossen ist, weil der Versicherte nicht mehr in der Lage ist zu üblichen betrieblichen Bedingungen zu arbeiten und oder seine Fähigkeit einen Arbeitsplatz zu erreichen, aus zeitlichen Gründen eingeschränkt ist (BSG SozR 2200 - § 1246 Nrn. 137, 139). Keiner dieser Umstände ist hier gegeben. Prof. Dr. Dr. W. hat insbesondere auf ausdrückliche Nachfrage des Senats eine Umstellungsfähigkeit des Klägers auf andere, bislang unbekannte Tätigkeiten bejaht.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger hat, was bereits das Sozialgericht Mannheim in dem Verfahren S 7 RJ 2205/98 umfassend ermittelt hat, keine abgeschlossene Berufsausbildung und war insbesondere nach den eingeholten Auskünften des Arbeitgebers nur mit angelernten Tätigkeiten, die eine Anlernzeit von maximal 12 Monaten gefordert haben, sowie mit ungelernten Tätigkeiten betraut. Somit sind unter Beachtung der oben genannten Grundsätze dem Kläger keine konkreten Verweisungstätigkeiten zu benennen. Einwände gegen die zugrunde liegenden Feststellungen hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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