L 12 AS 554/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 3658/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 554/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 22.11.2006 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld II wegen des teilweise doppelten Bezugs dieser Leistung im Streit.

Der 1950 geborenen Klägerin wurde durch die Stadt U. mit Bescheid vom 15.12.2004 Arbeitslosengeld II im Anschluss an den Bezug von Sozialhilfe für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.03.2005 in Höhe von 267 EUR monatlich bewilligt, wobei die Stadt von einem anrechenbaren monatlichen Einkommen in Form von Arbeitslosengeld in Höhe von 405 EUR monatlich ausging. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Bewilligung von Leistungen außerhalb der §§ 22 und 23 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Auftrag der Agentur für Arbeit U. erfolge.

Am 10.01.2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Arbeitslosengeld II, wobei sie angab, bei der Stadt U. Wohngeld beantragt zu haben. Die Stadt U. bestätigte der Beklagten telefonisch den Bezug von Wohngeld in Höhe von 149 EUR bis zum 31.01.2005.

Mit Bescheid vom 11.02.2005 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 10.01. bis 30.06.2005 (163,80 EUR für Januar 2005 und 826 EUR monatlich für die Zeit vom Februar bis Juni 2005). Ausgehend von einem Gesamtbedarf von 666 EUR (Regelleistung zuzüglich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 321 EUR) wurde hierbei Einkommen für den Monat Januar 2005 in Höhe von 345,93 EUR sowie für die Zeit ab dem 28.01.2005 ein befristeter Zuschlag in Höhe von 160 EUR monatlich berücksichtigt. Die Beklagte wies darauf hin, dass der Bescheid hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung im Auftrag der Stadt U. ergehe.

Die Stadt U. wiederum bewilligte mit Änderungsbescheid vom 21.02.2005 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.01. bis 31.07.2005 in Höhe von 274,25 EUR monatlich, nachdem die Klägerin ihre Müllgebührenrechnung für das Jahr 2005 vorgelegt hatte.

Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin bei der Beklagten bewilligte diese mit Bescheid vom 15.06.2005 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2005 in Höhe von 826 EUR.

Anlässlich eines Fortzahlungsantrags der Klägerin im Juni 2005 bei der Stadt U. wurde schließlich festgestellt, dass die Klägerin sowohl Leistungen ihrer Stadt als auch der Bundesagentur bezog. Nach Anhörung der Klägerin hob die Beklagte mit Bescheid vom 15.09.2005 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 10.01. bis 31.08.2005 teilweise auf und machte einen Erstattungsbetrag in Höhe von 2.389,47 EUR geltend.

Zur Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, dass die doppelte Leistung von Arbeitslosengeld II nicht auf ihrem Verschulden beruhe. Sie habe ihre Kontoauszüge nicht überprüft und hierzu auch keine Veranlassung gesehen. Sie könne sich auch nicht daran erinnern, dass sie von der Stadt U. einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II erhalten habe. Mit Bescheid vom 20.10.2005 verkürzte die Beklagte den Erstattungsbetrag auf 1.879,35 EUR und wies den Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 als unbegründet zurück.

Deswegen hat die Klägerin am 22.11.2005 beim Sozialgericht U. (SG) Klage erhoben. Sie habe bis zum Anhörungsschreiben vom 07.09.2005 keinerlei Bewilligungsbescheide über Arbeitslosengeld II erhalten, weswegen sie auch keinen Bescheid habe überprüfen können. Erst nach sieben Monaten sei es der Agentur aufgefallen, dass sie angeblich doppelte Leistungen erhalten habe. Dies sei jedoch nicht ihr Verschulden. Sie könne sich auch nicht daran erinnern, dass sie bei der Stadt U. einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung erhalten habe. Sie sei überzeugt gewesen, dass die Arbeitsagentur und das Sozialamt zusammen arbeiteten, weil beide Ämter im selben Gebäude seien und dieselbe Leistung, nämlich das Arbeitslosengeld II, bearbeiteten. Ihre Kontoauszüge habe sie nie kontrolliert, sondern immer gleich weggeworfen, da sie davon ausgegangen sei, dass die Ämter richtig arbeiteten. Unverständlich sei für sie auch, wie sich der Erstattungsbetrag der Beklagten zusammensetze. Nach ihrem Widerspruch sei der Erstattungsbetrag auf 1879,35 EUR reduziert worden; auch hier sei nicht erklärt worden, wie dieser Betrag sich zusammensetze.

Mit Urteil vom 22.11.2006 hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 15.09.2005 vom 20.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 dahingehend abgeändert, dass der Erstattungsbetrag auf 1495,38 EUR herabgesetzt wurde, und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2005 zu Recht teilweise aufgehoben, wobei die Aufhebung jedoch nur in Höhe von 1495,38 EUR gerechtfertigt gewesen sei. Für die Zeit vom 10. bis 31.10.2005 sei die Aufhebung insgesamt rechtswidrig. Die Aufhebung finde ihre Rechtfertigung in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X). Danach könne sich die Klägerin auf Vertrauen nicht berufen, soweit sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Der Klägerin habe im maßgeblichen Zeitraum nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II in Höhe von 691,02 EUR zugestanden (345 EUR Regelleistung zuzüglich Kosten der Unterkunft in Höhe von 346,02 EUR, zuzüglich Müllgebühren von 7,25 EUR monatlich; abzüglich Warmwasserbereitung in Höhe von 6,23 EUR.) Niedrigere Unterkunftskosten entsprechend dem Vorgehen der Beklagten als auch demjenigen der Stadt U. könnten nicht erkannt werden; umgekehrt seien aber auch die Voraussetzungen für einen befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II nicht erfüllt. Nachdem die Stadt U. ihre Bewilligungsbescheide vom 15.12.2004 und 21.02.2005 nicht aufgehoben habe, seien diese nach § 39 SGB X als wirksam anzusehen. Gründe dafür, dass diese Bescheide nichtig sein könnten, seien nicht ersichtlich (unter Hinweis auf § 40 SGB X). Hinsichtlich des befristeten Zuschlags nach § 24 SGB II liege bei der Klägerin weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vor. Auch für die Zeit vom 10. bis 31.10.2005 könne Bösgläubigkeit nicht festgestellt werden, da die Beklagte in dieser Zeit mit Leistungen in Höhe von 826,04 EUR nur unwesentlich mehr bezogen habe, als ihr nach dem 01.02.2005 an Arbeitslosengeld II bewilligt worden sei. Ob die Klägerin daneben im Jahr 2005 noch Wohngeld bezogen habe, könne offenbleiben, weil für die Klägerin nicht offensichtlich gewesen sei, dass sich ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld II vermindert hätte.

Grobe Fahrlässigkeit sei im Falle der Klägerin indes für die Monate Februar bis Juli 2005 zu bejahen. Aus den Bescheiden der Stadt U. sei ersichtlich, dass die bewilligten Leistungen allein die Kosten der Unterkunft und Heizung betroffen hätten. Zugleich seien jedoch in den Bescheiden der Beklagten die Unterkunftskosten berücksichtigt worden. Schon hieraus sei ohne weiteres abzuleiten gewesen, dass insoweit ein Doppelbezug vorlag. Hinzukomme, dass die von der Klägerin bezogenen Sozialleistungen seit Februar 2005 die Sozialleistungen bis Ende 2004 ganz erheblich überstiegen hätten. Bis Ende 2004 habe die Klägerin Sozialleistungen in Höhe von 620 EUR monatlich erhalten, wohin gegen sie ab Februar 2005 1100,25 EUR (insgesamt) erhalten habe. Das diese Erhöhung nicht allein mit der Ablösung der Sozialhilfe durch das Arbeitslosengeld II zum 01.01.2005 begründet sein konnte, habe sich der Klägerin aufdrängen müssen. Eine grobe Fahrlässigkeit sei demnach im Hinblick auf den Doppelbezug von Leistungen für Unterkunft und Heizung gegeben. Daraus ergebe sich, dass für die Klägerin kein Vertrauensschutz im Hinblick auf die Aufhebung der doppelt bewilligten Kosten der Unterkunft vom Februar bis Juli 2005 (für sechs Monate jeweils 249,23 EUR) in Höhe von 1495,38 EUR bestehe. § 45 SGB X erfordere ein Mindestmaß an Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, wenn Sozialleistungen bezogen werden. Hierzu gehöre notwendigerweise auch, dass der Betroffene überhaupt zur Kenntnis nehme, dass und in welcher Höhe er Sozialleistungen bewilligt bekomme und erhalte. Die Beklagte habe auch kein Ermessen auszuüben gehabt, sondern sei nach § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) zur teilweisen Aufhebung der Bewilligung verpflichtet gewesen, solange die Bewilligungsbescheide der Stadt U. Geltung hatten. Das Urteil des SG wurde der Klägerin am 13.01.2007 zugestellt.

Die Klägerin hat am 22.01.2007 beim SG Berufung eingelegt, mit der sie ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Die Doppelzahlung sei allein das Verschulden der Beklagten. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, weshalb sie aufgrund eines Versehens der Beklagten Leistungen zurückzahlen solle.

Die Klägerin beantragt, teils sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts U. vom 22.11.2006 insoweit aufzuheben, als es ihrem Klageantrag nicht vollumfänglich stattgebe, und ebenfalls die Bescheide der Beklagten vom 15.09.2005 und 20.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt und überzeugend dargelegt, weshalb die Klägerin der Beklagten zu Unrecht doppelt gewährte Leistungen in Höhe von 1495,38 EUR zu erstatten hat. Insbesondere hat das SG auch exakt dargelegt, wie sich diese Erstattungsforderung der Beklagten zusammensetzt (für sechs Monate jeweils 249,23 EUR doppelt bezogene Leistungen für die Unterkunft der Klägerin).

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Urteil des SG Bezug genommen, denen der Senat sich ausdrücklich anschließt. Insbesondere die erhebliche Erhöhung der bezogenen Leistungen ab Februar 2005, wie sie das SG deutlich hervorgehoben hat, hätte der Klägerin Anlass bieten müssen, die Leistungshöhe zu überprüfen. Eine so deutliche Anhebung wie im vorliegenden Fall konnte sich vorliegend nicht allein durch das Inkrafttreten des SGB II erklären und hätte jedenfalls zumindest misstrauisch machen müssen.

Insoweit erachtet es der Senat angesichts der vorliegend streitbefangenen Leistungen zur Existenzsicherung als für den Leistungsempfänger wesentlich, welche Geldbeträge ihm überwiesen oder ausgezahlt werden. Bereits insoweit war vorliegend ein Missverhältnis deutlich erkennbar, ohne dass es hierfür des eingehenden Studiums der Bescheide der Beklagten und der Beigeladenen bedurfte. Aus diesem Grunde hält es der Senat auch nicht für wesentlich, dass ein Antrag der Klägerin auf Arbeitslosengeld II bei der Stadt U. aus den Akten der Beigeladenen nicht ersichtlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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