L 12 AL 2216/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 77/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2216/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.03.2007 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtlichte Kosten sind auch Berufungsverfahren nicht zu erstatten

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung von belastenden Verwaltungsakten nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) im Streit.

Der 1953 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und bezog von der Beklagten mit Unterbrechungen Arbeitslosenhilfe von 1990 bis zum 20.01.2004. Seit 1994 ist der Kläger insgesamt 11 mal wegen angeblicher Erkrankung aus seinem von der Beklagten genehmigten Urlaub in Marokko nicht rechtzeitig nach Deutschland zurückgekehrt. Vorliegend geht es um Säumniszeiten, welche die Beklagte wegen der nicht rechtzeitigen Urlaubsrückkehr des Jahres 2004 festgestellt hat.

Der Kläger hat am 02.08.2004 bei der Beklagten vorgesprochen und für die Zeit vom 09.08.2004 bis zum 29.08.2004 Urlaub beantragt. Daraufhin hat die Beklagte den Urlaub genehmigt und dem Kläger eine Einladung zur Rückmeldung aus dem Urlaub für den 30.08.2004 zugesandt, wobei die Einladung mit der üblichen Belehrung für den Fall des unerlaubten Nichterscheinens versehen war. Der Kläger erschien weder am 30.08.2004 noch zu der an diesem Tag versandten zweiten Einladung am 03.09.2004 bei der Beklagten. Gründe für sein Nichterscheinen gab er nicht an.

Die Beklagte stellte die Leistung von Arbeitslosenhilfe ein und hob mit Bescheid vom 07.09.2004 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab dem 31.08.2004 auf.

Mit weiterem Bescheid vom 17.09.2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger die danach noch gezahlte Arbeitslosenhilfe in Höhe von 18,34 Euro zu erstatten habe. Der Kläger legte mit der Begründung Widerspruch ein, dass er ab dem 26.08.2004 krank gewesen sei. Er habe die Krankmeldung für den Zeitraum vom 26.08.2004 bis zum 14.09.2004 per Einschreiben aus Marokko an die Beklagte versandt. Auf Bl. 840 der Verwaltungsakte befindet sich die Kopie eines in Französisch abgefassten Attests, in welchem dem Kläger mit Datum vom 26.07.2004 von Dr. B. T. ein Krankheitszeitraum vom 26.07.2004 bis zum 14.08.2004 bescheinigt wird.

Auf telefonische Anfrage der Beklagten teilte die Krankenversicherung des Klägers, die AOK F., mit, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum August/September nicht vorliege. Bescheinigungen aus Marokko würden von der AOK auch nicht anerkannt, weil mit diesem Land kein Abkommen dahingehend bestehe, dass die deutsche Krankenkasse die Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestätige.

Am 13.09.2004 hat der Kläger sich nach seiner verlängerten Abwesenheit erstmalig wieder bei der Beklagten erneut arbeitslos gemeldet, woraufhin ihm ab diesem Zeitpunkt wieder Arbeitslosenhilfe bewilligt wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 07.09.2004 und vom 20.09.2004 als unbegründet zurück.

Die deswegen zum Sozialgericht F. (SG) am 29.11.2004 erhobene Klage (S 7 AL 4208/04) wurde mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2005 als unbegründet abgewiesen. Die deswegen eingelegte Berufung zum Landessozialgericht (L 8 AL 963/05) nahm der Kläger am 02.06.2006 zurück.

Am 22.06.2006 legte der Klägerbevollmächtigte bei der Beklagten das Attest vom 26.07.2004 erneut in Kopie vor, wobei nunmehr handschriftliche Ergänzungen auf dem Attest vorhanden waren (ohne erneute Arztunterschrift). Danach ist als ein weiteres Ausstellungsdatum der 26.08.2004 und als weiterer Krankheitszeitraum die Zeit vom 26.08.2004 bis zum 14.09.2004 hinzugefügt worden. Außerdem ist handschriftlich der Vermerk "Korrektur des Datums/Datumsirrtum" angefügt worden. Der Klägerbevollmächtigte beantragte hiermit die Aufhebung der streitbefangenen Bescheide nach § 44 SGB X.

Mit Bescheid vom 28.09.2006 hat die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 07.09.2004 abgelehnt, da die geänderte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht anerkannt werde.

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, dass nicht ersichtlich sei, weswegen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht anerkannt werde. Die Änderung der Bescheinigung sei aufgrund eines eindeutigen Schreibversehens auf der Bestätigung selber erfolgt, welches sich im Grunde bereits aus dem entsprechenden zeitlichen Zusammenhängen ergebe. Der Arzt habe insoweit lediglich ein Schreibversehen korrigiert, die Diagnose aber beibehalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.200 wurde der Widerspruch des Kläger als unbegründet zurückgewiesen. Dass von einem Arzt in Marokko - nachträglich und für einen geänderten Zeitraum - Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden sei, stelle keinen wichtigen Grund im Sinne des Gesetzes für das Nichterscheinen des Klägers da. Die Bescheinigung sei von der zuständigen deutschen Krankenkasse nicht als versicherungsrechtlich wirksam anerkannt worden. Darüber hinaus habe das SG in dem Gerichtsbescheid vom 07.02.2005 festgestellt, dass das Gericht die behauptete Arbeitsunfähigkeit nicht glaube und dass bei der gegebenen Sachlage - seit 1994 jährlich wiederkehrend verlängerte Auslandaufenthalte wegen angeblichen Erkrankungen - ärztliche Atteste im Zusammenhang mit Marokkourlauben nicht geeignet seien, als Nachweis für einen objektiven wichtigen Grund für das Fehlen bei einem Meldetermin zu dienen.

Der Kläger hat deswegen am 05.01.2007 beim SG Klage erhoben. Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 22.03.2007 als unbegründet abgewiesen, wobei es in den Gründen im wesentlichen die Argumentation aus dem Gerichtsbescheid vom 07.02.2005 wiederholt. Darüber hinaus hat das SG ausgeführt, dass das wiederum nur in Kopie vorgelegte geänderte Attest keinerlei Nachweis für gesundheitliche Einschränkungen betreffend die Rückreise nach Deutschland im streitgegenständlichen Zeitraum darstelle. Das Attest sei lediglich um ein weiteres Datum und um eine weitere Zeit der Arbeitsunfähigkeit ergänzt worden, wobei jede Erklärung fehle, wie es zu der angeblich fehlerhaften Bestätigung von Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 26.07.2004 bis zum 14.08.2004 gekommen sein solle. Dies halte die Kammer nicht für glaubhaft. Sie sei insbesondere der Auffassung, dass in dem ersten Attest nicht das Ausstelldatum (26.07.2004) und der Beginn der Arbeitsunfähigkeit (ebenfalls 26.07.2004) gleichermaßen versehentlich fehlerhaft seien könnten. Vielmehr spreche sehr viel dafür, dass zumindest das Ausstelldatum richtig sei. Davon ausgehend halte die Kammer es für unwahrscheinlich, dass genau einen Monat später eine lediglich um einen Monat verschobenen Arbeitsunfähigkeiterkrankung während eines ansonsten identischen Zeitraumes eingetreten sei. Weiterhin glaube die Kammer dem Kläger auch die behauptete Arbeitsunfähigkeit deswegen nicht, weil er seit 1994 bereits 11 mal wegen angeblichen Erkrankungen aus seinem genehmigten Urlaub in Marokko nicht rechtzeitig zurückgekommen sei. Dies sei zu häufig, um an einen Zufall zu glauben. Die Kammer sei vielmehr mit der Beklagten der Auffassung, dass bei dieser Sachlage ärztliche Atteste, die der Kläger im Zusammenhang mit Urlaub in Marokko vorlege, in der Regel nicht geeignete Nachweise für einen objektiv wichtigen Grund seien, einen Meldetermin nicht wahrzunehmen. Der Gerichtsbescheid des SG wurde dem Bevollmächtigen des Kläger am 03.04.2007 zugestellt.

Der Klägerbevollmächtigte hat am 02.05.2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Der Kläger habe ein zunächst ein Attest über seine Erkrankung mit falschem Datum vorgelegt, was auf einem Schreibversehen des marokkanischen Arztes beruhe. Entgegen der gerichtlichen Auffassung sei es nicht erforderlich, dass auf dem korrigierten Attest der Grund der Korrektur dargelegt werde. Das Attest selber genieße als Urkunde den Anschein der Richtigkeit. Die Kammer des SG argumentiere mit allgemeinen Annahmen, wenn sie ausführe, sie halte es nicht für glaubhaft, dass ein Schreibversehen vorgelegen habe. Dem Arzt sei es aber unbenommen, auf seinem Ursprungsattest die Krankschreibungsdauer zu verändern. Desweiteren sei zu rügen, dass die Kammer frühere Fälle des Klägers zur Untermauerung ihrer Unwirksamkeitsthese herangezogen habe. Das SG habe verkannt, dass die Beklagte in mehreren Verfahren Sanktionsbescheide wegen nichtrechtzeitiger Urlaubsrückmeldung nach anwaltlicher Intervention habe korrigieren müssen.

Der Kläger beantragt, teils sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 22.03.2007 sowie den Bescheid vom 28.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 12.12.2006 sowie die Bescheide vom 07.09.2004 und 17.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.11.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. SGG zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Antrag des Klägers ist dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung der belastenden Verwaltungsakte begehrt. Mit der Aufhebung dieser Verwaltungsakte würde die ursprüngliche Bewilligung von Arbeitslosenhilfe wieder aufleben und der Kläger sein Prozessziel vollumfänglich erreichen.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe stellt vorliegend einen solchen nicht begünstigenden Verwaltungsakt dar, dessen Rücknahme nach Eintritt der Bestandskraft sich nach der Vorschrift des § 44 SGB X bestimmt.

Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneuten Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18, für BSGE vorgesehen, m.w.N.).

Voraussetzung für eine Korrektur bestandskräftiger Verwaltungsakte ist jedoch, dass der Antragsteller, der sich auf die Zugrundelegung eines falschen Sachverhalts beruft (§ 44 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB X), den seiner Auffassung nach richtigen Sachverhalt zumindest schlüssig darlegt (vgl. BSGE 63, 33; BSGE 88, 75).

Bereits hieran fehlt es vorliegend. Denn die Beweiswürdigung des SG, dass dasselbe Attest zweimal vorgelegt worden ist, wobei aufgrund der Gesamtumstände des Sachverhalts die angebrachten Korrekturen nicht plausibel sind, ist nicht zu beanstanden.

Die Abänderung des ursprünglich vorgelegten Attest, welche allein den streitgegenständlichen Zeitraum betrifft und das zweite Ausstelldatum betrifft, ist bereits deswegen kein schlüssiger Nachweis eines anderen Sachverhalts, weil die Änderung keine Unterschrift trägt und den Aussteller der Änderung nicht klar ausweist. Außerdem ist wiederum nur eine Kopie vorgelegt worden, was die Unsicherheit über den Verfasser und die Umstände der Abänderung des ursprünglichen Attests noch vergrößert. Zwar ist es möglich, dass ein Arzt ein ursprünglich vorgelegtes Attest selbst auch wieder in dem Attest abändert; aus Gründen der Rechtssicherheit ist dann aber zu fordern, dass die Abänderung mit einem Datum und einer Unterschrift versehen wird, damit nachvollziehbar ist, durch wenn und aufgrund welcher Umstände die Änderung erfolgt ist; entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist dies im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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