Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 3735/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 1423/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Februar 2005 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2003 wird in vollem Umfang aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 12. Juli 2003 bis 22. August 2003 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Kläger auch für die Zeit vom 12.07.2003 bis 22.08.2003 Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat, insbesondere ob der Anspruch wegen des Eintritts einer Sperrzeit in dieser Zeit ruht.
Der 1955 geborene Kläger war ab dem 15.03.2000 als Bauhelfer bei der Firma X. GmbH Bauunternehmung in Reutlingen beschäftigt. Mit Schreiben vom 02. und 07.07.2003 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung noch bestehender Urlaubstage zum 11.07.2003. Zur Begründung gab er an, der Kläger sei am 10.04.2001 und erneut am 24.06.2003 auf der Baustelle ohnmächtig umgefallen. Er sei mehrmals mündlich darauf hingewiesen worden, keinen Alkohol mehr zu trinken. Aus Sicherheitsgründen könne er nicht mehr länger weiter beschäftigt werden. Nach erfolgreichem Abschluss einer Entziehungskur sei der Arbeitgeber bereit, den Kläger - unter Berücksichtigung der Auftragslage - wieder zu beschäftigen.
Am 08.07.2003 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 12.07.2003 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Hierbei gab er an, seine Vermittlungsfähigkeit sei aus gesundheitlichen Gründen - Alkohol- eingeschränkt. Die Tätigkeit aus seiner letzten Beschäftigung könne er gleichwohl noch ausüben.
Mit Bescheid vom 15.07.2003 stellte die Beklagte das Ruhen des Alg-Anspruchs wegen des Eintritts einer zwölfwöchigen Sperrzeit vom 12.07.2003 bis 03.10.2003 und eine Minderung der Anspruchsdauer um 150 Tage fest mit der Begründung, der Kläger habe seinen Arbeitsplatz verloren, weil er mehrmals alkoholisiert am Arbeitsplatz erschienen sei und trotz Abmahnungen diesen Zustand nicht geändert habe. Sein Verhalten habe einen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten dargestellt und sei Anlass für die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses gewesen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, bei ihm liege eine echte Alkoholerkrankung vor. Er habe sich auch unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in die Betreuung durch den Diakonieverband Reutlingen begeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2003, auf den Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Vom 07.10.2003 bis 20.10.2003 befand sich der Kläger in einer stationären Entgiftungsmaßnahme und vom 21.10.2003 bis 25.02.2004 in stationärer Behandlung der Fachklinik Römerhaus.
Mit Bescheid vom 16.07.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab dem 04.10.2003 in Höhe von täglich 30,41 EUR (wöchentliches Bemessungsentgelt 470 EUR, Leistungsgruppe C/0) mit einer Anspruchsdauer von 450 Tagen. Nachdem sie die Bewilligung mit Wirkung vom 07.10.2003 aufgehoben hatte, bewilligte sie mit Bescheid vom 06.11.2003 Alg in bisheriger Höhe und Dauer für die Zeit vom 07.10.2003 bis 20.10.2003. Vom 21.10.2003 bis 25.02.2004 bezog der Kläger Übergangsgeld von der LVA Baden-Württemberg und sodann vom 26.02.2004 bis 31.03.2005 wieder Alg. Ab dem 01.04.2004 war der Kläger wieder beim vorherigen Arbeitgeber beschäftigt.
Am 11.12.2003 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.
Mit Urteil vom 24.02.2005 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 15.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 aufgehoben, soweit eine Sperrzeit über den 23.08.2003 hinaus und eine Minderung des Anspruchs um mehr als 42 Tage festgestellt worden war, und die Beklagte zur Gewährung von Alg ab dem 24.08.2003 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Mit Bescheid vom 11.03.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 23.08.2003 bis 03.10.2003.
Gegen das am 09.03.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.04.2005 (Montag) Berufung eingelegt. Er trägt vor, bei ihm habe eine echte Alkoholerkrankung vorgelegen, die der willentlichen Steuerung entzogen gewesen sei. Es sei deshalb keine verhaltensbedingte, sondern lediglich eine personenbedingte Kündigung zulässig gewesen, die nicht zum Eintritt einer Sperrzeit führe.
Der Senat hat die Rehabilitations-Akten der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg beigezogen. Diese enthalten u.a. den ambulanten Untersuchungsbericht vom 10.04.2001 des Kreiskrankenhauses Reutlingen, in dem ausgeführt wird, der Kläger habe nach wahrscheinlichem Rückfall in die jahrelang bekannte Alkoholkrankheit einen dritten Krampfanfall mit Zungenbiss und Einnässen erlitten. Im ärztlichen Gutachten des behandelnden Arztes Dr. Maier vom 28.07.2003 hat dieser ausgeführt, der Kläger habe mehrere hirnorganische Anfälle erlitten, zuletzt Anfang Juli 2003 auf der Baustelle. Eine Suchtbehandlung sei erforderlich. Derzeit sei der Kläger nicht arbeitsunfähig in seiner Tätigkeit als Bauhelfer.
Dr. Maier hat in seiner vom Senat eingeholten schriftlichen Aussage als sachverständiger Zeuge unter dem 13.02.2007 weiter ausgeführt, am 10.04.2001 und 01.07.2003 habe er beim Kläger hirnorganische Anfälle diagnostiziert.
Im Erörterungstermin am 01.12.2006 hat der Kläger vorgetragen, er sei seit der Rehabilitationsmaßnahme wieder bei der Fa. X. versicherungspflichtig beschäftigt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Februar 2005 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2003 in vollem Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 12. Juli 2003 bis 22. August 2003 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten der LVA Baden-Württemberg sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Gegenstand des Verfahrens ist allein noch ein Anspruch des Klägers auf Alg für die Zeit vom 12.07.2003 bis 22.07.2003, nachdem die Beklagte, die gegen das Urteil des SG keine Berufung eingelegt hat, mit Bescheid vom 11.03.2005 Alg für die Zeit vom 23.08.2003 bis 03.10.2003 bewilligt und der Kläger durch die seit dem 01.04.2004 ausgeübte Tätigkeit einen neuen Alg-Anspruch erworben hat, so dass sich die in den Leistungsbescheiden verfügte geminderte Anspruchsdauer bei einem zukünftigen Anspruch auf Alg nicht mehr auswirken kann.
Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat auch für die Zeit vom 12.07.2003 bis 22.08.2003 Anspruch auf Gewährung von Alg.
Anspruch auf Alg haben gem. § 117 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die 1. arbeitslos sind 2. sich beim Arbeitsamt gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Diese Voraussetzungen hat der Kläger, der sich zum 12.07.2003 arbeitslos gemeldet hat, erfüllt. Insbesondere stand der Kläger der Arbeitsvermittlung für eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung zur Verfügung (sog. objektive Verfügbarkeit, § 119 SGB III) und war damit arbeitslos. Zwar war der Kläger nicht mehr in der Lage, wegen der aus seiner Alkoholkrankheit resultierenden Unfallgefahr seine bisherige Tätigkeit als Bauhelfer auszuüben. Der Senat teilt insoweit nicht die Beurteilung des behandelnden Arztes Dr. Maier im Gutachten vom 28.07.2003, wonach der Kläger in seiner Tätigkeit als Bauarbeiter noch arbeitsfähig sei. Er war jedoch noch arbeitsfähig für sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (offen gelassen vom Bayerischen LSG - Urteil vom 27.04.2006 - L 10 AL 357/05 -, ob die bereits sichere Diagnose einer Alkoholabhängigkeit nach ICD 10 eine vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens bedingt). Der Senat schließt sich der Auffassung des LSG Schleswig Holstein an (Urteil vom 27.09.2002 - L 3 AL 39/01 -, in juris), wonach allein aus der Feststellung von Alkoholabhängigkeit aus medizinischer Sicht noch keine Aufhebung des beruflichen Leistungsvermögens resultiert. Auch die Beklagte hat keine entsprechenden Einschränkungen angenommen und dementsprechend bereits vor Durchführung der Entgiftungsmaßnahme Leistungen bewilligt.
Der Anspruch des Klägers hat auch nicht wegen des Eintritts einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F. (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe) geruht. Hat der Arbeitslose danach durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und hat er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein.
Ein arbeitsvertragswidriges Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitslose gegen die Arbeitnehmerpflichten verstößt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag, den gesetzlichen Bestimmungen oder einer tarifvertraglichen Regelung obliegen. Hierbei muss ein schwerwiegend vertragswidriges Verhalten vorgelegen haben, das - ggf. zusammen mit anderen Umständen - geeignet ist, die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses zu dem Zeitpunkt zu rechtfertigen, zu dem die Arbeitslosigkeit tatsächlich eingetreten ist (Niesel, SGB III, 4. Aufl. § 144 Rz. 46).
Entscheidungserheblich ist, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine verhaltensbedingte außerordentliche oder ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber veranlasst und gerechtfertigt hat, wobei es nicht darauf ankommt, worauf der Arbeitgeber die Kündigung gestützt hat (BSG Urteil vom 06.03.2003 - B 11 AL 69/02 R - in juris). Ein Verschulden des Arbeitsnehmers liegt dann nicht vor, wenn er alkoholkrank gewesen ist (BSG a.a.O.). Dies war vorliegend der Fall.
Alkoholabhängigkeit als Krankheit im medizinischen Sinne liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann, ohne dass hierfür erforderlich ist, dass es schon zu deutlichen körperlichen oder psychischen Symptomen einer Vergiftung gekommen ist. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol, die sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle äußert: Der Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Hinzu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht mehr verzichten (BAG, Urteil vom 01.06.1983 - 5 AZR 536/80; BSGE 46, 41). Beim Kläger lag eine diesen Kriterien entsprechende Alkoholkrankheit vor. Dies kann sowohl dem Reha-Antragsgutachten von Dr. Maier als auch dem ärztlichen Entlassungsbericht der Fachklinik Römerhaus vom 08.03.2004 entnommen werden. Entgegen der Beurteilung im angefochtenen Urteil war der Kläger aufgrund dieser Erkrankung nicht mehr in der Lage, sein Verhalten und insbesondere seinen Alkoholkonsum zu steuern.
Die Beklagte und das SG gehen weiter insofern von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, als Anlass für die Kündigung nicht ein besonders schwerer Exzess im Rahmen der Alkoholproblematik war, sondern ein - durch die Alkoholproblematik allenfalls begünstigter - cerebraler Krampfanfall, wie er beim Kläger schon mehrmals beschrieben wurde, wie z.B. im ambulanten Untersuchungsbericht des Kreiskrankenhauses Reutlingen vom 10.04.2001. Es kommt deshalb auch nicht, wie die Beklagte meint, darauf an, dass der Kläger hätte erkennen können, dass sein Verhalten zum Verlust des Arbeitsplatzes führen und anschließend Arbeitslosigkeit bedingen könne. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob der Kläger in der Lage war, seinen Alkoholkonsum einzustellen. Dies war dem Kläger, wie den medizinischen Feststellungen im Gutachten von Dr. Maier vom 28.07.2003 und dem Entlassungsbericht der Fachklinik Römerhaus vom 08.03.2004 entnommen werden kann, nicht mehr möglich.
Ein vorwerfbares Verhalten des Klägers, das den Eintritt der Sperrzeit rechtfertigen könnte, kann auch nicht darin gesehen werden, dass er sich nicht bereits nach dem ersten Vorfall im Jahr 2001 hat behandeln lassen. Merkmal der Erkrankung ist nämlich gerade die mangelnde Einsicht in die Erkrankung. So ist im Reha-Entlassungsbericht ausgeführt, der Kläger habe seinen Alkoholismus noch in auffälliger Weise bagatellisiert und komme erst auf Drängen des Arbeitgebers zur Therapie.
Dem Urteil des Senats vom 05.07.2000 - L 3 AL 4512/99 -, auf das sich die Beklagte bezieht, lag demgegenüber ein anderer Sachverhalt zugrunde. Während der Kläger des vorliegenden Verfahrens an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom vom Gamma-Typ erkrankt war, wurde bei der Klägerin des dortigen Verfahrens kein entsprechender Krankheitszustand festgestellt. Im dortigen arbeitsamtsärztlichen Gutachten war vielmehr festgestellt worden, dass die Steuerungsfähigkeit der Klägerin noch vorhanden und es dieser zumutbar war, während der Arbeit auf Alkohol zu verzichten. Der Senat hat im zitierten Urteil dementsprechend auch festgestellt, dass die dortige Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitraum steuerungsfähig war und die Alkoholabhängigkeit noch nicht das Krankheitsstadium erreicht hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Kläger auch für die Zeit vom 12.07.2003 bis 22.08.2003 Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat, insbesondere ob der Anspruch wegen des Eintritts einer Sperrzeit in dieser Zeit ruht.
Der 1955 geborene Kläger war ab dem 15.03.2000 als Bauhelfer bei der Firma X. GmbH Bauunternehmung in Reutlingen beschäftigt. Mit Schreiben vom 02. und 07.07.2003 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung noch bestehender Urlaubstage zum 11.07.2003. Zur Begründung gab er an, der Kläger sei am 10.04.2001 und erneut am 24.06.2003 auf der Baustelle ohnmächtig umgefallen. Er sei mehrmals mündlich darauf hingewiesen worden, keinen Alkohol mehr zu trinken. Aus Sicherheitsgründen könne er nicht mehr länger weiter beschäftigt werden. Nach erfolgreichem Abschluss einer Entziehungskur sei der Arbeitgeber bereit, den Kläger - unter Berücksichtigung der Auftragslage - wieder zu beschäftigen.
Am 08.07.2003 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 12.07.2003 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Hierbei gab er an, seine Vermittlungsfähigkeit sei aus gesundheitlichen Gründen - Alkohol- eingeschränkt. Die Tätigkeit aus seiner letzten Beschäftigung könne er gleichwohl noch ausüben.
Mit Bescheid vom 15.07.2003 stellte die Beklagte das Ruhen des Alg-Anspruchs wegen des Eintritts einer zwölfwöchigen Sperrzeit vom 12.07.2003 bis 03.10.2003 und eine Minderung der Anspruchsdauer um 150 Tage fest mit der Begründung, der Kläger habe seinen Arbeitsplatz verloren, weil er mehrmals alkoholisiert am Arbeitsplatz erschienen sei und trotz Abmahnungen diesen Zustand nicht geändert habe. Sein Verhalten habe einen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten dargestellt und sei Anlass für die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses gewesen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, bei ihm liege eine echte Alkoholerkrankung vor. Er habe sich auch unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in die Betreuung durch den Diakonieverband Reutlingen begeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2003, auf den Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Vom 07.10.2003 bis 20.10.2003 befand sich der Kläger in einer stationären Entgiftungsmaßnahme und vom 21.10.2003 bis 25.02.2004 in stationärer Behandlung der Fachklinik Römerhaus.
Mit Bescheid vom 16.07.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab dem 04.10.2003 in Höhe von täglich 30,41 EUR (wöchentliches Bemessungsentgelt 470 EUR, Leistungsgruppe C/0) mit einer Anspruchsdauer von 450 Tagen. Nachdem sie die Bewilligung mit Wirkung vom 07.10.2003 aufgehoben hatte, bewilligte sie mit Bescheid vom 06.11.2003 Alg in bisheriger Höhe und Dauer für die Zeit vom 07.10.2003 bis 20.10.2003. Vom 21.10.2003 bis 25.02.2004 bezog der Kläger Übergangsgeld von der LVA Baden-Württemberg und sodann vom 26.02.2004 bis 31.03.2005 wieder Alg. Ab dem 01.04.2004 war der Kläger wieder beim vorherigen Arbeitgeber beschäftigt.
Am 11.12.2003 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.
Mit Urteil vom 24.02.2005 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 15.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 aufgehoben, soweit eine Sperrzeit über den 23.08.2003 hinaus und eine Minderung des Anspruchs um mehr als 42 Tage festgestellt worden war, und die Beklagte zur Gewährung von Alg ab dem 24.08.2003 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Mit Bescheid vom 11.03.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 23.08.2003 bis 03.10.2003.
Gegen das am 09.03.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.04.2005 (Montag) Berufung eingelegt. Er trägt vor, bei ihm habe eine echte Alkoholerkrankung vorgelegen, die der willentlichen Steuerung entzogen gewesen sei. Es sei deshalb keine verhaltensbedingte, sondern lediglich eine personenbedingte Kündigung zulässig gewesen, die nicht zum Eintritt einer Sperrzeit führe.
Der Senat hat die Rehabilitations-Akten der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg beigezogen. Diese enthalten u.a. den ambulanten Untersuchungsbericht vom 10.04.2001 des Kreiskrankenhauses Reutlingen, in dem ausgeführt wird, der Kläger habe nach wahrscheinlichem Rückfall in die jahrelang bekannte Alkoholkrankheit einen dritten Krampfanfall mit Zungenbiss und Einnässen erlitten. Im ärztlichen Gutachten des behandelnden Arztes Dr. Maier vom 28.07.2003 hat dieser ausgeführt, der Kläger habe mehrere hirnorganische Anfälle erlitten, zuletzt Anfang Juli 2003 auf der Baustelle. Eine Suchtbehandlung sei erforderlich. Derzeit sei der Kläger nicht arbeitsunfähig in seiner Tätigkeit als Bauhelfer.
Dr. Maier hat in seiner vom Senat eingeholten schriftlichen Aussage als sachverständiger Zeuge unter dem 13.02.2007 weiter ausgeführt, am 10.04.2001 und 01.07.2003 habe er beim Kläger hirnorganische Anfälle diagnostiziert.
Im Erörterungstermin am 01.12.2006 hat der Kläger vorgetragen, er sei seit der Rehabilitationsmaßnahme wieder bei der Fa. X. versicherungspflichtig beschäftigt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Februar 2005 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2003 in vollem Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 12. Juli 2003 bis 22. August 2003 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten der LVA Baden-Württemberg sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Gegenstand des Verfahrens ist allein noch ein Anspruch des Klägers auf Alg für die Zeit vom 12.07.2003 bis 22.07.2003, nachdem die Beklagte, die gegen das Urteil des SG keine Berufung eingelegt hat, mit Bescheid vom 11.03.2005 Alg für die Zeit vom 23.08.2003 bis 03.10.2003 bewilligt und der Kläger durch die seit dem 01.04.2004 ausgeübte Tätigkeit einen neuen Alg-Anspruch erworben hat, so dass sich die in den Leistungsbescheiden verfügte geminderte Anspruchsdauer bei einem zukünftigen Anspruch auf Alg nicht mehr auswirken kann.
Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat auch für die Zeit vom 12.07.2003 bis 22.08.2003 Anspruch auf Gewährung von Alg.
Anspruch auf Alg haben gem. § 117 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die 1. arbeitslos sind 2. sich beim Arbeitsamt gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Diese Voraussetzungen hat der Kläger, der sich zum 12.07.2003 arbeitslos gemeldet hat, erfüllt. Insbesondere stand der Kläger der Arbeitsvermittlung für eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung zur Verfügung (sog. objektive Verfügbarkeit, § 119 SGB III) und war damit arbeitslos. Zwar war der Kläger nicht mehr in der Lage, wegen der aus seiner Alkoholkrankheit resultierenden Unfallgefahr seine bisherige Tätigkeit als Bauhelfer auszuüben. Der Senat teilt insoweit nicht die Beurteilung des behandelnden Arztes Dr. Maier im Gutachten vom 28.07.2003, wonach der Kläger in seiner Tätigkeit als Bauarbeiter noch arbeitsfähig sei. Er war jedoch noch arbeitsfähig für sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (offen gelassen vom Bayerischen LSG - Urteil vom 27.04.2006 - L 10 AL 357/05 -, ob die bereits sichere Diagnose einer Alkoholabhängigkeit nach ICD 10 eine vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens bedingt). Der Senat schließt sich der Auffassung des LSG Schleswig Holstein an (Urteil vom 27.09.2002 - L 3 AL 39/01 -, in juris), wonach allein aus der Feststellung von Alkoholabhängigkeit aus medizinischer Sicht noch keine Aufhebung des beruflichen Leistungsvermögens resultiert. Auch die Beklagte hat keine entsprechenden Einschränkungen angenommen und dementsprechend bereits vor Durchführung der Entgiftungsmaßnahme Leistungen bewilligt.
Der Anspruch des Klägers hat auch nicht wegen des Eintritts einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F. (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe) geruht. Hat der Arbeitslose danach durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und hat er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein.
Ein arbeitsvertragswidriges Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitslose gegen die Arbeitnehmerpflichten verstößt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag, den gesetzlichen Bestimmungen oder einer tarifvertraglichen Regelung obliegen. Hierbei muss ein schwerwiegend vertragswidriges Verhalten vorgelegen haben, das - ggf. zusammen mit anderen Umständen - geeignet ist, die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses zu dem Zeitpunkt zu rechtfertigen, zu dem die Arbeitslosigkeit tatsächlich eingetreten ist (Niesel, SGB III, 4. Aufl. § 144 Rz. 46).
Entscheidungserheblich ist, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine verhaltensbedingte außerordentliche oder ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber veranlasst und gerechtfertigt hat, wobei es nicht darauf ankommt, worauf der Arbeitgeber die Kündigung gestützt hat (BSG Urteil vom 06.03.2003 - B 11 AL 69/02 R - in juris). Ein Verschulden des Arbeitsnehmers liegt dann nicht vor, wenn er alkoholkrank gewesen ist (BSG a.a.O.). Dies war vorliegend der Fall.
Alkoholabhängigkeit als Krankheit im medizinischen Sinne liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann, ohne dass hierfür erforderlich ist, dass es schon zu deutlichen körperlichen oder psychischen Symptomen einer Vergiftung gekommen ist. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol, die sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle äußert: Der Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Hinzu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht mehr verzichten (BAG, Urteil vom 01.06.1983 - 5 AZR 536/80; BSGE 46, 41). Beim Kläger lag eine diesen Kriterien entsprechende Alkoholkrankheit vor. Dies kann sowohl dem Reha-Antragsgutachten von Dr. Maier als auch dem ärztlichen Entlassungsbericht der Fachklinik Römerhaus vom 08.03.2004 entnommen werden. Entgegen der Beurteilung im angefochtenen Urteil war der Kläger aufgrund dieser Erkrankung nicht mehr in der Lage, sein Verhalten und insbesondere seinen Alkoholkonsum zu steuern.
Die Beklagte und das SG gehen weiter insofern von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, als Anlass für die Kündigung nicht ein besonders schwerer Exzess im Rahmen der Alkoholproblematik war, sondern ein - durch die Alkoholproblematik allenfalls begünstigter - cerebraler Krampfanfall, wie er beim Kläger schon mehrmals beschrieben wurde, wie z.B. im ambulanten Untersuchungsbericht des Kreiskrankenhauses Reutlingen vom 10.04.2001. Es kommt deshalb auch nicht, wie die Beklagte meint, darauf an, dass der Kläger hätte erkennen können, dass sein Verhalten zum Verlust des Arbeitsplatzes führen und anschließend Arbeitslosigkeit bedingen könne. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob der Kläger in der Lage war, seinen Alkoholkonsum einzustellen. Dies war dem Kläger, wie den medizinischen Feststellungen im Gutachten von Dr. Maier vom 28.07.2003 und dem Entlassungsbericht der Fachklinik Römerhaus vom 08.03.2004 entnommen werden kann, nicht mehr möglich.
Ein vorwerfbares Verhalten des Klägers, das den Eintritt der Sperrzeit rechtfertigen könnte, kann auch nicht darin gesehen werden, dass er sich nicht bereits nach dem ersten Vorfall im Jahr 2001 hat behandeln lassen. Merkmal der Erkrankung ist nämlich gerade die mangelnde Einsicht in die Erkrankung. So ist im Reha-Entlassungsbericht ausgeführt, der Kläger habe seinen Alkoholismus noch in auffälliger Weise bagatellisiert und komme erst auf Drängen des Arbeitgebers zur Therapie.
Dem Urteil des Senats vom 05.07.2000 - L 3 AL 4512/99 -, auf das sich die Beklagte bezieht, lag demgegenüber ein anderer Sachverhalt zugrunde. Während der Kläger des vorliegenden Verfahrens an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom vom Gamma-Typ erkrankt war, wurde bei der Klägerin des dortigen Verfahrens kein entsprechender Krankheitszustand festgestellt. Im dortigen arbeitsamtsärztlichen Gutachten war vielmehr festgestellt worden, dass die Steuerungsfähigkeit der Klägerin noch vorhanden und es dieser zumutbar war, während der Arbeit auf Alkohol zu verzichten. Der Senat hat im zitierten Urteil dementsprechend auch festgestellt, dass die dortige Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitraum steuerungsfähig war und die Alkoholabhängigkeit noch nicht das Krankheitsstadium erreicht hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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