L 3 AS 4444/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 2054/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 4444/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin in der Zeit vom 01.05.2007 bis 31.10.2007 Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Die 1958 geborene Klägerin stand bis zum 31.07.2007 in einem Arbeitsverhältnis, aus dem sie ein gleichbleibendes monatliches Gehalt von 400,- Euro (brutto = netto) bezog.

Mit Bescheid vom 29.03.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin, die bereits seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II bezog, auf deren Antrag für die Zeit vom 01.05.2007 bis 31.10.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, und zwar vom 01.05.2007 bis 31.07.2007 in Höhe von monatlich 105,- Euro (Regelleistung 345,- Euro abzüglich zu berücksichtigendes Einkommen 240,- Euro) und vom 01.08.2007 bis 31.10.2007 in Höhe von monatlich 345,- Euro.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2007, am gleichen Tag zur Post gegeben, zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.06.2007 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 02.06.2007 die Höhe der bewilligten Leistung für die Zeit vom 01.07. bis 31.07.2007 auf 107,- Euro monatlich und für die Zeit vom 01.08.2007 bis 31.10.2007 auf monatlich 347,- Euro festgesetzt und der Klägerin die entsprechenden Leistungen gewährt.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.07.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Höhe der Regelleistung sei gesetzlich festgelegt, insoweit stehe der Beklagten kein Ermessensspielraum zu. Die Beklagte habe das von der Klägerin erzielte Einkommen in zutreffender Höhe angerechnet. Es bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung der Leistungshöhe.

Hiergegen hat die Klägerin am 31.08.2007 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Regelsatz decke nicht das physische und soziokulturelle Existenzminimum, insbesondere nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent. Bereits der der Regelsatzverordnung zugrunde liegende Warenkorb aus dem Jahr 1998 sei nicht existenzdeckend gewesen. § 20 Abs. 1 SGB II enthalte zwar die Elemente, die bei der Festsetzung der Regelleistung zu berücksichtigen seien. Es sei dem Gesetz jedoch nicht zu entnehmen, wie diese zu quantifizieren und zu gewichten seien. Auch habe der Verordnungsgeber den Regelsatz nicht korrekt errechnet, weil er nicht vom Verbrauchsverhalten der untersten 20 v.H. der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nach Haushalten der Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe ausgegangen sei, sondern statistisch nicht belegbare Abschläge vorgenommen habe. Die in den einzelnen Abteilungen der Regelsatzverordnung (RSV) zugrunde gelegten Beträge seien in keiner Weise bedarfsdeckend. So beliefen sich z.B. bereits die Kosten für eine Monatskarte für die Region auf 114,50 Euro. Die Festsetzung der Regelleistung in § 20 SGB II verstoße deshalb gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 80 Grundgesetz (GG).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Mai 2007 und des Bescheides vom 02. Juni 2007 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01. Mai 2007 bis 31. November 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 695,52 Euro monatlich abzüglich bereits erbrachter Leistungen zu gewähren,

hilfsweise, das Verfahren gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Höhe der Regelleistung in § 20 Abs. 2 SGB II mit Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Die Beklagte hat die der Klägerin zustehenden Leistungen unter Zugrundelegung der einfachgesetzlichen Regelungen zutreffend festgesetzt. Nach § 19 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen mindert die Geldleistungen der Agentur für Arbeit; soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen ist, mindert es die Geldleistungen der kommunalen Träger. Die Regelleistung hat nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, bis zum 30.06.2007 345,- Euro betragen und wurde durch die Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des SGB II (BGBl. I S. 1339) für die Zeit ab 01.07.2007 auf monatlich 347,- Euro erhöht. Dem hat die Beklagte durch Erlass des Änderungsbescheides vom 02.06.2007 Rechnung getragen.

Die Beklagte hat in den angefochtenen Entscheiden auch das Einkommen der Klägerin, das diese bis zum 31.07.2007 erzielt hat, in zutreffender Höhe angerechnet. Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs. 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit bestimmten, hier nicht vorliegenden Ausnahmen. Zu berücksichtigen ist im streitigen Zeitraum danach das von der Klägerin bis Juli 2007 erzielte Einkommen in Höhe von monatlich 400,- Euro. Vom Einkommen abzusetzen sind die in § 11 Abs. 2 SGB II aufgeführten Beträge. Der durch das Freibetragsneuregelungsgesetz vom 14.08.2005 (BGBl. I S. 2407) mit Wirkung vom 01.10.2005 eingefügte § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB II bestimmt, dass bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, anstelle der Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II ein Betrag von insgesamt 100,- Euro monatlich abzusetzen ist. Beträgt das monatliche Einkommen mehr als 400,- Euro, gilt Satz 2 nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige nachweist, dass die Summe der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 den Betrag von 100,- Euro übersteigt.

Da das Einkommen der Klägerin den Betrag von monatlich 400,- Euro nicht übersteigt, ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II als vom Einkommen abzusetzender Betrag ein monatlicher Betrag von 100,- Euro festzusetzen. Durch diesen sind die Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II), geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommenssteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommenssteuergesetzes nicht überschreiten (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II) sowie die mit der Erziehung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II) pauschaliert festgesetzt.

Die Beklagte hat darüber hinaus den weiteren Freibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 SGB II i.V.m. § 30 SGB II abgezogen. Nach § 30 SGB II in der ab 01.10.2005 geltenden Fassung ist bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen, der sich für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,- Euro übersteigt und nicht mehr als 800,- Euro beträgt, auf 20 v.H. beläuft. Die Beklagte hat dementsprechend weitere 60,- Euro (20 v.H. von 300,- Euro) als weiteren Absetzbetrag berücksichtigt. Unter Absetzung eines Betrages von 160,- Euro sind damit vom Einkommen der Klägerin monatlich 240,- Euro zu berücksichtigen, so dass ein monatlicher Zahlbetrag von 105,- Euro für die Monate Mai und Juni 2007 bzw. 107,- Euro für den Monat Juli 2007 festzusetzen war.

Soweit die Klägerin dagegen auf ihre konkreten individuellen Aufwendungen abstellt, verkennt sie das der Ermittlung der Absetzbeträge zugrunde liegende Prinzip der Pauschalierung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Pauschalierung der Absetzbeträge bestehen nicht (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 3). Zudem hat die Klägerin keine höheren als die mit der Pauschale gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II berücksichtigten Aufwendungen geltend gemacht. Insbesondere hat sie keine Nachweise über Fahrtkosten i.H.v. monatlich 114,50 Euro vorgelegt. Zudem beträgt der monatliche Preis für eine Monatsfahrkarte des gesamten Rhein-Neckar-Verkehrsverbundes ausweislich der Tarifinformation im Internet lediglich 65,- Euro.

Gegen die gesetzlichen Regelungen, die der Bemessung der Regelleistung zugrunde liegen, bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, so dass auch dem Hilfsantrag nicht stattzugeben war. Der Gesetzgeber hat bei der Festsetzung der Regelleistungen bei der Ermittlung der - zulässigerweise typisierten - Bedarfe wie schon bei der Sozialhilfe auf das Statistikmodell zurückgegriffen und der Bemessung der Regelleistung mit zunächst 345,- Euro die Höhe der bis dahin geltenden Regelsätze (ca. 297,- Euro) zuzüglich eines an der damaligen Bewilligungspraxis bezüglich einmaliger Leistungen gemessenen Anteils in Höhe von ca. 16 % zugrunde gelegt und hierdurch auch ein soziokulturelles Existenzminimum mit einbezogen (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 3). Er hat damit auch den von Verfassungs wegen gebotenen Schutz vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung durch die Anknüpfung an die aus der Sozialhilfe aufgegriffenen Erwägungen gewährleistet. Mit dem Rückgriff auf eine statistisch valide Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und unter Anwendung des sog. Statistikmodells beruht die Regelleistung auf ausreichenden Erfahrungswerten.

Der Klägerin ist zwar zuzugestehen, dass seit der Festsetzung des Regelsatzes die Lebenshaltungskosten, insbesondere durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kostensteigerung für Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs, gestiegen sind, und dieser Anstieg nicht durch die zum 01.07.2007 in Kraft getretene Erhöhung des Regelsatzes um 2 Euro ausgeglichen wurde. Gleichwohl ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass derzeit noch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II gesetzlich festgeschriebene Höhe der Regelleistungen bestehen., da die Grenze des zum Leben unerlässlichen, die im Schrifttum bei einer Bedarfsunterdeckung von 20 v.H. gesehen wird (Eicher/Spellbrink, SGB II, § 23 Rn. 32 m.w.N.), noch nicht unterschritten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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