Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 424/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2275/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Minderung des Arbeitslosengeldes (Alg) des Klägers wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung.
Der 1967 geborene Kläger war von Juni 1997 bis 31. März 2004 als Gebietsverkaufsleiter bei der Firma H. beschäftigt und stand vom 1.4.2004 bis 30.9.2004 in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis als Sachbearbeiter bei der Fa. H. GmbH. Die Arbeitgeberin teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11.8.2004 mit, sein Anstellungsvertrag werden nicht verlängert, er solle sich zur Vermeidung von Nachteilen sofort arbeitssuchend melden.
Am 12.8.2004 meldete sich der Kläger arbeitssuchend und beantragte mit Wirkung zum 1.10.2004 Alg. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 20.10.2004 Alg, minderte dieses jedoch nach einem Schreiben vom 18.10.2004 "wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung" um 1500 EUR.
Seinen Widerspruch dagegen begründete der Kläger damit, es habe bis zum 12.8.2004 keinerlei Anzeichen dafür gegeben, dass sein befristeter Arbeitsvertrag nicht verlängert würde. Es sei ihm in vielen Gesprächen von der Geschäftsleitung signalisiert worden, dass man mit seiner Leistung sehr zufrieden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2004 mit der Begründung zurück, die bloße Annahme, dass das Arbeitsverhältnis über die Befristung hinaus verlängert werde, sei kein Hinderungsgrund für eine rechtzeitige Meldung. Die Meldung sei 42 Tage zu spät erfolgt.
Dagegen hat der Kläger am 3.11.2004 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Er hat ergänzend zur Widerspruchsbegründung vorgebracht, aus der Formulierung des Gesetzes sei zu schließen, dass im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe. Dies sei für einen normal Denkenden so zu verstehen, dass im vorliegenden Fall die Meldeverpflichtung ab 1.7.2004 begonnen habe und bis zum Ende der Beschäftigung am 30.9.2004 habe wahrgenommen werden können.
Das SG hat durch Urteil vom 6.4.2006 den Bescheid vom 18.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2004 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Regelung der in § 37b Satz 2 SGB III in der bis zum 30.12.2005 geltenden Fassung, wonach bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Meldung "jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen" habe, sei inhaltlich in sich so widersprüchlich bzw. so unbestimmt, dass sie den rechtsstaatlichen Erfordernissen an eine Sanktionsandrohung nicht genüge. Zwar werde im Urteil des BSG vom 20.10.2005 - B 7a AL 28/05 R die Formulierung "frühestens " im Ergebnis in ein "spätestens " umgewandelt. Eine gefestigte Rechtsprechung des BSG liege jedoch noch nicht vor, die Kammer halte deswegen an ihrer schon bisher vertretenen und umfangreich begründeten Ansicht, dass § 37b Satz 2 SGB III bei befristeten Arbeitsverhältnissen keine Sanktion bewirke, wenn eine Arbeitssuchendmeldung weniger als drei Monate vor Auslaufen der Befristung, ja sogar bis zum ersten Tag der Arbeitslosigkeit erfolgte, bewirke, fest. Dies auch im Hinblick darauf, dass das BSG in dem genannten Urteil eingeräumt habe, die Norm hätte "eindeutiger und klarer" gefasst werden können. Sowohl das BSG als auch der Gesetzgeber seien also davon ausgegangen, die Norm sei "missglückt", denn § 37b SGB III a.F. sei durch das fünfte SGB III-Änderungsgesetz vom 22.12.2005 inhaltlich völlig neugefasst und § 140 SGB III aufgehoben worden. Nach der neuen Fassung des Gesetzes seien Personen, deren Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis ende, verpflichtet, sich "spätestens" (!) drei Monate vor dessen Beendigung persönlich arbeitssuchend zu melden.
Selbst wenn entsprechend der Auffassung des BSG in dem genannten Urteil davon ausgegangen würde, dass § 37b SGB III a.F. inhaltlich ausreichend bestimmt gewesen sei, sei keine Leistungskürzung eingetreten. Die Verletzung des § 37b SGB III a.F. setze nämlich auf Seiten des Versicherten ein Verschulden nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab voraus. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Von einem rechtsunkundigen Versicherten könne insoweit kein klares Normverständnis erwartet werden, selbst wenn im Merkblatt der Beklagten mit klaren Formulierungen ein Normverständnis, wie nun vom BSG vertreten, dargestellt worden sei. Zudem habe der Kläger glaubhaft vorgetragen, er sei bis vor dem Zeitpunkt seiner Arbeitssuchendmeldung davon ausgegangen, weiterbeschäftigt zu werden. Er habe damit in nachvollziehbarer, wenn auch im Ergebnis unzutreffender Weise, keine Notwendigkeit gesehen, sich arbeitssuchend zu melden. Angesichts des unklaren Normbefehls und angesichts des Umstandes, dass der Kläger vernünftigerweise habe davon ausgehen können, dass sein Beschäftigungsverhältnis - wie in der Praxis immer häufiger - über die Befristung hinaus verlängert werde, könne von einem subjektiven Fehlverhalten des Klägers nicht ausgegangen werden.
Gegen dieses am 18.4.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3.5.2006 Berufung eingelegt. Das Urteil stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil vom 20.10.2005. Das BSG habe die Auffassung vertreten, dass § 37b Satz 2 SGB III a.F. als unselbstständige Begrenzung des § 37b Satz 1 SGB III anzusehen sei. Dies bedeute, dass "an sich" auch der befristet Beschäftigte unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zur Meldung angehalten sei, er sich jedoch erst drei Monate vor der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses melden müsse, wenn ihm bereits vorher der Zeitpunkt der Beendigung bekannt sei. Eine andere Interpretation ergebe sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien. Sie würde auch Sinn und Zweck der Regelung des § 37b SGB III widersprechen, wonach eine möglichst nahtlose Vermittlung des Arbeitnehmers aus einer Arbeit in eine andere erreicht werden solle. Das SG sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger habe die Obliegenheit des § 37b SGB III nicht schuldhaft verletzt. Grundsätzlich müsse ein Arbeitnehmer vom vertraglichen Ende des Vertrages ausgehen. Nach den vorliegenden Unterlagen könne nicht davon ausgegangen werden, dass ganz besondere Umstände eine andere Sichtweise zuließen.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen am 6.4.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil in allen Punkten für richtig, dem Urteil sei nichts hinzuzufügen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist, weil die Höhe des Alg streitig ist, sowohl der Bewilligungsbescheid vom 20.10.2004 als auch das erläuternde Schreiben dazu vom 18.10.2004. Beide zusammen stellen eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheides über die Minderung des Alg-Anspruchs dar.
Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, sind gem. § 37b SGB III (in Kraft ab 01.01.2003) verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens 3 Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird.
Hat sich der Arbeitslose entgegen § 37b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt bei einem Bemessungsentgelt bis zu 400,- EUR 7 EUR, bei einem Bemessungsentgelt bis 700,- EUR 35,- EUR und bei einem Bemessungsentgelt über 700,- EUR 50,- EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag, der sich nach den § 140 Satz 2 und 3 SGB III ergibt, auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird
Gem. § 37b Satz 1 SGB III hat der Versicherte eine Obliegenheit, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Die §§ 37b, 140 SGB III finden auf den vorliegenden Sachverhalt grundsätzlich Anwendung, denn diese Regelungen sind gem. Art. 14 Abs. 3 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 1. Juli 2003 in Kraft getreten. Erfasst werden alle Sachverhalte, bei denen Personen ab dem 01.07.2003 von der Beendigung ihres Versicherungspflichtverhältnisses Kenntnis erlangen (Urteil des BSG vom 25.05.2005 Az.: B 11a/11 AL 81/04). Hinsichtlich der Konkretisierung des Merkmales "unverzüglich", das im Arbeitsförderungsrecht auch in anderen Vorschriften (z.B. § 38 Abs. 1a, §122 Abs. 2 Nr. 2, §125 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 1, §313 Abs. 1 Satz 1 und 3 sowie Abs. 2 SGB III) verwandt wird, ist auf die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurückzugreifen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 25.05.2005 Az.: B 11a/11 AL 81/04 m.w.N.). Die in dieser Vorschrift enthaltene gesetzliche Definition gilt für das gesamte private und öffentliche Recht. Bei der Anwendung des § 121 BGB ist im Zivilrecht hinsichtlich des Merkmals "unverzüglich" anerkannt, dass ein Rechtsirrtum über die Anfechtungsbedürftigkeit eines Rechtsgeschäftes den Vorwurf entkräftet, es handle sich um schuldhaftes Zögern. Ist bereits nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts die Frage der Entschuldbarkeit eines Irrtums erheblich, sprechen systematische Gründe und Sinn und Zweck der §§ 37b, 140 SGB III dafür, davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine "Verpflichtung" zur unverzüglichen Meldung nicht verletzt, wenn er sich aufgrund unverschuldeter Rechtsunkenntnis nicht innerhalb der gebotenen Handlungsfrist bei der Agentur für Arbeit meldet (Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O.). Dass der Gesetzgeber die Kenntnis von der Pflicht zur frühzeitigen Meldung nicht ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles voraussetzt, lässt sich schon daraus herleiten, dass das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt als flankierende Maßnahme im Zusammenhang mit der Einführung der Obliegenheit des Arbeitnehmers zur frühzeitigen Meldung die Vorschrift über das Zusammenwirken von Arbeitgebern und der Bundesagentur für Arbeit erweitert hat. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt sollen die Arbeitgeber die Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer anderen Beschäftigung sowie über die Verpflichtung unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt informieren, sie hierzu freistellen und die Teilnahme an erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen ermöglichen. Damit tritt die Informationspflicht des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III faktisch an die Stelle derjenigen Belehrungspflichten, die der Gesetzgeber der Beklagten auferlegt, bevor aus Obliegenheitsverletzungen des Arbeitslosen nachteilige Rechtsfolgen für seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld eintreten können. Eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist und dem Arbeitslosen in verständlicher Form zutreffend erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen aus dem versicherungswidrigen Verhalten resultieren (Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O.). Die Ausgestaltung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten des Sozialrechts und insbesondere des Arbeitsförderungsrechtes zeigt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass dem Leistungsberechtigten eine Obliegenheitsverletzung mit nachteiligen Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch nur vorgeworfen werden kann, wenn er in Kenntnis der konkreten Verhaltensanforderungen gegen diese verstößt (Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O.). Die unverschuldete Unkenntnis der Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung führt dazu, die Rechtsfolgen des § 140 Abs. 3 SGB III auszuschließen. Ein anderes Ergebnis wäre im Übrigen auch mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O. sowie Urteil des Landesozialgerichtes Baden-Württemberg vom 18.11.2004 Az.:L 12 AL 2249/04).
Auch im Falle eines - wie hier - befristeten Beschäftigungsverhältnisses gilt nichts anderes. Auch hier ist, was auch der 7. Senat des BSG entschieden hat (Urteile vom 20.10.2005 B7a 28/05 und 50/05 R), ein Verschulden nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab Voraussetzung für die Sanktion der Leistungskürzung. Dies hat das SG im angefochtenen Urteil zutreffend zugrundegelegt und entschieden. Der Senat folgt dieser Begründung und weist lediglich ergänzend noch auf folgendes hin:
Von der Beklagten und vom SG ist bisher außer Acht gelassen worden, dass der Kläger sich am 12.8.2004 erstmalig arbeitslos gemeldet hat. Der Kläger hat, nachdem er seit 1997 bis Ende März 2004 beschäftigt war, die befristete Beschäftigung vom 1.4. bis 30.9.2004 ohne zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit oder auch nur Arbeitslosmeldung aufgenommen. Der Kläger hat also vor dem 12.8.2004 auch nicht das Merkblatt für Arbeitslose, das bei der Arbeitslosmeldung ausgehändigt wird, erhalten. Der Kläger ist also von der Beklagten über die Obliegenheit der rechtzeitigen Arbeitssuchendmeldung nicht informiert worden. Dass dem Kläger die Rechtsnorm des § 37b SGB III sonst bekannt war, ist nicht ersichtlich, der Kläger hat vielmehr glaubhaft bekundet, erst durch das Kündigungsschreiben auf die Obliegenheit hingewiesen worden zu sein. Der Kläger ist ja auch am Tag nach dem Kündigungsschreiben bei der Beklagten zur Arbeitssuchendmeldung erschienen. Da der Kläger somit vor dem Kündigungsschreiben keine Kenntnis von der gesetzlichen Regelung und seiner Obliegenheitsverpflichtung hatte, kann ihm jetzt nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte sich schon vor dem 12.8.2004 arbeitssuchend melden müssen.
Die Berufung der Beklagten ist aus diesen Gründen nicht begründet, das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Minderung des Arbeitslosengeldes (Alg) des Klägers wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung.
Der 1967 geborene Kläger war von Juni 1997 bis 31. März 2004 als Gebietsverkaufsleiter bei der Firma H. beschäftigt und stand vom 1.4.2004 bis 30.9.2004 in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis als Sachbearbeiter bei der Fa. H. GmbH. Die Arbeitgeberin teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11.8.2004 mit, sein Anstellungsvertrag werden nicht verlängert, er solle sich zur Vermeidung von Nachteilen sofort arbeitssuchend melden.
Am 12.8.2004 meldete sich der Kläger arbeitssuchend und beantragte mit Wirkung zum 1.10.2004 Alg. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 20.10.2004 Alg, minderte dieses jedoch nach einem Schreiben vom 18.10.2004 "wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung" um 1500 EUR.
Seinen Widerspruch dagegen begründete der Kläger damit, es habe bis zum 12.8.2004 keinerlei Anzeichen dafür gegeben, dass sein befristeter Arbeitsvertrag nicht verlängert würde. Es sei ihm in vielen Gesprächen von der Geschäftsleitung signalisiert worden, dass man mit seiner Leistung sehr zufrieden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2004 mit der Begründung zurück, die bloße Annahme, dass das Arbeitsverhältnis über die Befristung hinaus verlängert werde, sei kein Hinderungsgrund für eine rechtzeitige Meldung. Die Meldung sei 42 Tage zu spät erfolgt.
Dagegen hat der Kläger am 3.11.2004 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Er hat ergänzend zur Widerspruchsbegründung vorgebracht, aus der Formulierung des Gesetzes sei zu schließen, dass im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe. Dies sei für einen normal Denkenden so zu verstehen, dass im vorliegenden Fall die Meldeverpflichtung ab 1.7.2004 begonnen habe und bis zum Ende der Beschäftigung am 30.9.2004 habe wahrgenommen werden können.
Das SG hat durch Urteil vom 6.4.2006 den Bescheid vom 18.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2004 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Regelung der in § 37b Satz 2 SGB III in der bis zum 30.12.2005 geltenden Fassung, wonach bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Meldung "jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen" habe, sei inhaltlich in sich so widersprüchlich bzw. so unbestimmt, dass sie den rechtsstaatlichen Erfordernissen an eine Sanktionsandrohung nicht genüge. Zwar werde im Urteil des BSG vom 20.10.2005 - B 7a AL 28/05 R die Formulierung "frühestens " im Ergebnis in ein "spätestens " umgewandelt. Eine gefestigte Rechtsprechung des BSG liege jedoch noch nicht vor, die Kammer halte deswegen an ihrer schon bisher vertretenen und umfangreich begründeten Ansicht, dass § 37b Satz 2 SGB III bei befristeten Arbeitsverhältnissen keine Sanktion bewirke, wenn eine Arbeitssuchendmeldung weniger als drei Monate vor Auslaufen der Befristung, ja sogar bis zum ersten Tag der Arbeitslosigkeit erfolgte, bewirke, fest. Dies auch im Hinblick darauf, dass das BSG in dem genannten Urteil eingeräumt habe, die Norm hätte "eindeutiger und klarer" gefasst werden können. Sowohl das BSG als auch der Gesetzgeber seien also davon ausgegangen, die Norm sei "missglückt", denn § 37b SGB III a.F. sei durch das fünfte SGB III-Änderungsgesetz vom 22.12.2005 inhaltlich völlig neugefasst und § 140 SGB III aufgehoben worden. Nach der neuen Fassung des Gesetzes seien Personen, deren Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis ende, verpflichtet, sich "spätestens" (!) drei Monate vor dessen Beendigung persönlich arbeitssuchend zu melden.
Selbst wenn entsprechend der Auffassung des BSG in dem genannten Urteil davon ausgegangen würde, dass § 37b SGB III a.F. inhaltlich ausreichend bestimmt gewesen sei, sei keine Leistungskürzung eingetreten. Die Verletzung des § 37b SGB III a.F. setze nämlich auf Seiten des Versicherten ein Verschulden nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab voraus. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Von einem rechtsunkundigen Versicherten könne insoweit kein klares Normverständnis erwartet werden, selbst wenn im Merkblatt der Beklagten mit klaren Formulierungen ein Normverständnis, wie nun vom BSG vertreten, dargestellt worden sei. Zudem habe der Kläger glaubhaft vorgetragen, er sei bis vor dem Zeitpunkt seiner Arbeitssuchendmeldung davon ausgegangen, weiterbeschäftigt zu werden. Er habe damit in nachvollziehbarer, wenn auch im Ergebnis unzutreffender Weise, keine Notwendigkeit gesehen, sich arbeitssuchend zu melden. Angesichts des unklaren Normbefehls und angesichts des Umstandes, dass der Kläger vernünftigerweise habe davon ausgehen können, dass sein Beschäftigungsverhältnis - wie in der Praxis immer häufiger - über die Befristung hinaus verlängert werde, könne von einem subjektiven Fehlverhalten des Klägers nicht ausgegangen werden.
Gegen dieses am 18.4.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3.5.2006 Berufung eingelegt. Das Urteil stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil vom 20.10.2005. Das BSG habe die Auffassung vertreten, dass § 37b Satz 2 SGB III a.F. als unselbstständige Begrenzung des § 37b Satz 1 SGB III anzusehen sei. Dies bedeute, dass "an sich" auch der befristet Beschäftigte unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zur Meldung angehalten sei, er sich jedoch erst drei Monate vor der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses melden müsse, wenn ihm bereits vorher der Zeitpunkt der Beendigung bekannt sei. Eine andere Interpretation ergebe sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien. Sie würde auch Sinn und Zweck der Regelung des § 37b SGB III widersprechen, wonach eine möglichst nahtlose Vermittlung des Arbeitnehmers aus einer Arbeit in eine andere erreicht werden solle. Das SG sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger habe die Obliegenheit des § 37b SGB III nicht schuldhaft verletzt. Grundsätzlich müsse ein Arbeitnehmer vom vertraglichen Ende des Vertrages ausgehen. Nach den vorliegenden Unterlagen könne nicht davon ausgegangen werden, dass ganz besondere Umstände eine andere Sichtweise zuließen.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen am 6.4.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil in allen Punkten für richtig, dem Urteil sei nichts hinzuzufügen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist, weil die Höhe des Alg streitig ist, sowohl der Bewilligungsbescheid vom 20.10.2004 als auch das erläuternde Schreiben dazu vom 18.10.2004. Beide zusammen stellen eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheides über die Minderung des Alg-Anspruchs dar.
Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, sind gem. § 37b SGB III (in Kraft ab 01.01.2003) verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens 3 Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird.
Hat sich der Arbeitslose entgegen § 37b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt bei einem Bemessungsentgelt bis zu 400,- EUR 7 EUR, bei einem Bemessungsentgelt bis 700,- EUR 35,- EUR und bei einem Bemessungsentgelt über 700,- EUR 50,- EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag, der sich nach den § 140 Satz 2 und 3 SGB III ergibt, auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird
Gem. § 37b Satz 1 SGB III hat der Versicherte eine Obliegenheit, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Die §§ 37b, 140 SGB III finden auf den vorliegenden Sachverhalt grundsätzlich Anwendung, denn diese Regelungen sind gem. Art. 14 Abs. 3 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 1. Juli 2003 in Kraft getreten. Erfasst werden alle Sachverhalte, bei denen Personen ab dem 01.07.2003 von der Beendigung ihres Versicherungspflichtverhältnisses Kenntnis erlangen (Urteil des BSG vom 25.05.2005 Az.: B 11a/11 AL 81/04). Hinsichtlich der Konkretisierung des Merkmales "unverzüglich", das im Arbeitsförderungsrecht auch in anderen Vorschriften (z.B. § 38 Abs. 1a, §122 Abs. 2 Nr. 2, §125 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 1, §313 Abs. 1 Satz 1 und 3 sowie Abs. 2 SGB III) verwandt wird, ist auf die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurückzugreifen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 25.05.2005 Az.: B 11a/11 AL 81/04 m.w.N.). Die in dieser Vorschrift enthaltene gesetzliche Definition gilt für das gesamte private und öffentliche Recht. Bei der Anwendung des § 121 BGB ist im Zivilrecht hinsichtlich des Merkmals "unverzüglich" anerkannt, dass ein Rechtsirrtum über die Anfechtungsbedürftigkeit eines Rechtsgeschäftes den Vorwurf entkräftet, es handle sich um schuldhaftes Zögern. Ist bereits nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts die Frage der Entschuldbarkeit eines Irrtums erheblich, sprechen systematische Gründe und Sinn und Zweck der §§ 37b, 140 SGB III dafür, davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine "Verpflichtung" zur unverzüglichen Meldung nicht verletzt, wenn er sich aufgrund unverschuldeter Rechtsunkenntnis nicht innerhalb der gebotenen Handlungsfrist bei der Agentur für Arbeit meldet (Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O.). Dass der Gesetzgeber die Kenntnis von der Pflicht zur frühzeitigen Meldung nicht ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles voraussetzt, lässt sich schon daraus herleiten, dass das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt als flankierende Maßnahme im Zusammenhang mit der Einführung der Obliegenheit des Arbeitnehmers zur frühzeitigen Meldung die Vorschrift über das Zusammenwirken von Arbeitgebern und der Bundesagentur für Arbeit erweitert hat. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt sollen die Arbeitgeber die Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer anderen Beschäftigung sowie über die Verpflichtung unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt informieren, sie hierzu freistellen und die Teilnahme an erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen ermöglichen. Damit tritt die Informationspflicht des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III faktisch an die Stelle derjenigen Belehrungspflichten, die der Gesetzgeber der Beklagten auferlegt, bevor aus Obliegenheitsverletzungen des Arbeitslosen nachteilige Rechtsfolgen für seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld eintreten können. Eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist und dem Arbeitslosen in verständlicher Form zutreffend erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen aus dem versicherungswidrigen Verhalten resultieren (Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O.). Die Ausgestaltung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten des Sozialrechts und insbesondere des Arbeitsförderungsrechtes zeigt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass dem Leistungsberechtigten eine Obliegenheitsverletzung mit nachteiligen Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch nur vorgeworfen werden kann, wenn er in Kenntnis der konkreten Verhaltensanforderungen gegen diese verstößt (Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O.). Die unverschuldete Unkenntnis der Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung führt dazu, die Rechtsfolgen des § 140 Abs. 3 SGB III auszuschließen. Ein anderes Ergebnis wäre im Übrigen auch mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 25.05.2005 a.a.O. sowie Urteil des Landesozialgerichtes Baden-Württemberg vom 18.11.2004 Az.:L 12 AL 2249/04).
Auch im Falle eines - wie hier - befristeten Beschäftigungsverhältnisses gilt nichts anderes. Auch hier ist, was auch der 7. Senat des BSG entschieden hat (Urteile vom 20.10.2005 B7a 28/05 und 50/05 R), ein Verschulden nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab Voraussetzung für die Sanktion der Leistungskürzung. Dies hat das SG im angefochtenen Urteil zutreffend zugrundegelegt und entschieden. Der Senat folgt dieser Begründung und weist lediglich ergänzend noch auf folgendes hin:
Von der Beklagten und vom SG ist bisher außer Acht gelassen worden, dass der Kläger sich am 12.8.2004 erstmalig arbeitslos gemeldet hat. Der Kläger hat, nachdem er seit 1997 bis Ende März 2004 beschäftigt war, die befristete Beschäftigung vom 1.4. bis 30.9.2004 ohne zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit oder auch nur Arbeitslosmeldung aufgenommen. Der Kläger hat also vor dem 12.8.2004 auch nicht das Merkblatt für Arbeitslose, das bei der Arbeitslosmeldung ausgehändigt wird, erhalten. Der Kläger ist also von der Beklagten über die Obliegenheit der rechtzeitigen Arbeitssuchendmeldung nicht informiert worden. Dass dem Kläger die Rechtsnorm des § 37b SGB III sonst bekannt war, ist nicht ersichtlich, der Kläger hat vielmehr glaubhaft bekundet, erst durch das Kündigungsschreiben auf die Obliegenheit hingewiesen worden zu sein. Der Kläger ist ja auch am Tag nach dem Kündigungsschreiben bei der Beklagten zur Arbeitssuchendmeldung erschienen. Da der Kläger somit vor dem Kündigungsschreiben keine Kenntnis von der gesetzlichen Regelung und seiner Obliegenheitsverpflichtung hatte, kann ihm jetzt nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte sich schon vor dem 12.8.2004 arbeitssuchend melden müssen.
Die Berufung der Beklagten ist aus diesen Gründen nicht begründet, das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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