L 2 U 4009/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1734/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 4009/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 7. Juni 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Entschädigung eines Arbeitsunfalls streitig.

Der 1968 geborene Kläger ist seit 01.10.1990 als Straßenbauarbeiter bei der Firma S, Hoch- und Tiefbau GmbH beschäftigt.

Mit Schreiben vom 21.06.2001 zeigte er der Beklagten an, er habe am 17.05.1995 einen Unfall auf der Baustelle des Freibades M erlitten, als er für die Arbeitgeberin Pflastersteine gelegt habe. Beim Hochheben eines sehr schweren Steines habe er sich "das Handgelenk nach hinten gedehnt". Er habe starke Schmerzen gehabt, jedoch weitergearbeitet und keinen Arzt aufgesucht. Die ganze Zeit über habe er immer wieder Probleme und Schmerzen gehabt. Am 28.05.2001 sei er zu Hause im Bad erneut auf die linke Hand gestürzt. Bei der Untersuchung im Krankenhaus habe sich ergeben, dass ein alter Handgelenksbruch vorgelegen habe. Da er ansonsten nie auf das Handgelenk gestürzt sei, könne dies nur mit dem Unfall von 1995 in Zusammenhang stehen.

Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsregister der AOK bei, befragte die Arbeitgeberin und die vom Kläger benannten Zeugen des Unfalls sowie den damals behandelnden Arzt des Klägers. Die Arbeitgeberin berichtete mit Schreiben vom 11.07.2001 - und erneut unter dem 04.09.2001 - ein Arbeitsunfall vom 17.05.1995 sei ihr nicht gemeldet worden. Der Internist und Sportmediziner Dr. B mit, er habe den Kläger am 17.07.1995 einmalig gesehen, dieser habe über "einschlafende Arme nachts" berichtet; eine Verletzung oder Überdehnung des Handgelenks sei nicht erwähnt worden. Die "Untersuchung der Arme (neurologisch und Faustschlussprobe)" sei unauffällig gewesen. Die Zeugen S und S konnten keine Angaben zu einem Unfallereignis machen. Die Zeugen S und S berichteten, ohne selbst Augenzeugen gewesen zu sein, dass der Kläger über Schmerzen im Handgelenk geklagt habe. Der Zeuge K gab schriftlich und bei seiner mündlichen Aussage gegenüber dem Bürgermeisteramt M u.a. an, der Kläger habe bei Pflasterarbeiten eine Überdehnung des Handgelenks erlitten, Frau S (Firmenmitinhaberin) habe ihm Bandagen gebracht. Der Kläger selbst schilderte bei seiner Vernehmung vor der Ortsbehörde Krauchenwies noch mal den Unfallhergang und korrigierte seine Angaben über die erlittene Verletzung insoweit als im Klinikum der Stadt V keine frühere Fraktur, sondern ein Bänderriss als Ursache seiner Beschwerden festgestellt worden sei. Mit Bescheid vom 18.04.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2002 lehnte die Beklagte die Feststellung und Entschädigung des Ereignisses vom 17.05.1995 als Arbeitsunfall ab, weil nicht erwiesen sei, ob sich der Kläger bei dem Ereignis eine Verletzung im Bereich der linken Hand zugezogen habe.

Am 11.09.2002 hat der Kläger zum Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben. Das SG hat die Zeugen T S und P K sowohl schriftlich als auch in der Verhandlung vom 22.06.2004 mündlich vernommen. Die Zeugin S hat sich an ein Unfallereignis des Klägers im Jahre 1995 nicht erinnern können. Der Zeuge K hat u.a. ausgesagt, er könne sich an einen Unfall 1995 erinnern. Er habe Pflastersteine neben den Kläger gelegt, der diese Pflastersteine genommen und endgültig verlegt habe. An den ganz exakten Unfallhergang könne er sich nicht mehr erinnern. Der Kläger habe gesagt, "mir ist etwas in den Arm gefahren"; die Chefin, Frau S, sei gekommen und habe eine Salbe und einen Verband gebracht. Er habe bemerkt, dass der Kläger nach dem Unfallereignis nicht mehr in gleicher Weise habe arbeiten können wie vorher. An den Tagen danach habe er eine Bandage getragen und über Schmerzen geklagt. Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Oberarztes K, Fachbereich Hand- und Plastische Chirurgie des Städt. Krankenhauses W. In seinem Gutachten vom 09.11.2004 hat dieser ausgeführt, das Extensionstrauma vom 17.05.1995 stelle ein geeignetes Trauma für das Zerreißen des Bandapparates zwischen Mond- und Kahnbein dar. Akute Schmerzen würden posttraumatisch bei diesen Verletzungen bis auf ein bestimmtes Niveau abklingen. Durch die Fehlstellung des Mond- und Kahnbeins komme es zu einer Inkongruenz der Gelenkflächen der Handwurzelknochen des distalen Radius. Hieraus resultiere eine Arthrose, wie sie beim Kläger eingetreten sei. Dass der Unfall stattgefunden habe, werde durch die Zeugenaussage seines Arbeitskollegen belegt. Andere Unfälle seien nicht bekannt. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage für die Zeit vom 11.02.2002 (Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit) bis 30.8.2004 20 vom Hundert (vH) danach auf Dauer weiter 20 vH. Dem stimmte der beratende Arzt der Beklagten Dr. S zu; die Beklagte hat sich diesen Beurteilungen jedoch nicht angeschlossen. Mit Urteil vom 07.06.2005 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 17.05.1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger ab 11.02.2002 Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, der Zeuge K habe die Umstände des Unfalls in etwa so beschrieben, wie sie auch vom Kläger dargelegt worden seien. Sowohl der Gerichtsgutachter als auch der beratende Arzt der Beklagten Dr. S hätten dargelegt, dass der vom Kläger geschilderte Unfallablauf zu einer entsprechenden Verletzung führen könne.

Gegen das am 06.09.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 28.09.2005 eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, bereits ein Unfallereignis, aber auch ein Gesundheitsschaden, sei nicht nachgewiesen. Der Bericht des Dr. B über die Untersuchung vom 17.07.1995, nach der kein neurologisches Defizit bei der Untersuchung der Arme festgestellt worden und der Faustschluss unproblematisch möglich gewesen sei, spräche gegen einen Gesundheitsschaden, den der Kläger am 17.05.1995 erlitten haben könnte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 7. Juni 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise den Rentenbeginn auf den 22. Februar 2002 festzulegen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die statthafte (§§ 143,144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG)) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Feststellung eines Arbeitsunfalls und Gewährung einer Verletztenrente verurteilt, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 18.04.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2002, mit dem die Beklagte die Feststellung des Ereignisses vom 17.05.1995 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt hat. Ob für das zutreffend im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage i.V.m. der Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) geltend gemachte Begehren des Klägers noch die bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder die ab 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII) Anwendung finden, lässt der Senat offen, weil im Hinblick auf die hier zu prüfenden Regelungen kein wesentlicher Unterschied zwischen altem und neuem Recht besteht; der Einfachheit halber werden im Folgenden die Vorschriften des SGB VII zitiert.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente ist nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten über die 26. Woche (nach altem Recht über die 13. Woche) nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Unfallereignis), der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84).

Der Kläger hat - das ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten - am behaupteten Unfalltag als Pflasterleger eine versicherte Tätigkeit ausgeübt. Dagegen lässt der Senat offen, ob der Kläger am 17.05.1995 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Zweifel an der Darstellung des Klägers und der Aussage des Zeugen K, der sich bei seiner Vernehmung vor dem SG an den exakten Unfallhergang nicht mehr erinnern konnte, ergeben sich aus der Tatsache, dass die Zeugin Schuler sich an den behaupteten Unfall nicht erinnern konnte, zeitnah eine Unfallmeldung nicht erfolgte, obwohl der Kläger andere Unfälle, auch einen im September 1995, angezeigt hat, und am behaupteten Unfalltag und auch in der Folgezeit ohne Unterbrechung weitergearbeitet hat und eine Meldung bei der Beklagten erst sechs Jahre später erfolgte. Der geltend gemachte Anspruch scheitert jedenfalls am Nachweis eines Gesundheitserstschadens. Der Senat vermag unter Berücksichtigung aller vorliegenden Umstände nicht mit der für einen Nachweis erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass der Kläger am 17.05.1995 eine Zerreißung des Bandapparates zwischen Mond- und Kahnbein im Bereich des linken Handgelenks erlitten hat. Bereits der Unfallhergang ist nicht eindeutig geklärt. Im Termin vom 22.06.2004 hat der Kläger ausgesagt, "der Stein wird mit der rechten Hand rechts oben gepackt, hochgehoben und mit der linken Hand in der linken unteren Ecke gegengehalten"; nach dem Anheben des Steines lasse ich mir den Stein in die Flächen der Finger fallen, um den Stein einfahren zu können; bei diesem Einfallenlassen in die Fingerflächen ist der Unfall passiert; die linke Hand wurde nach hinten weggedrückt". Im Gutachten des Oberarztes K wird der Unfallhergang jedoch so beschrieben: "als er mit der linken Hand den Pflasterstein aufnehmen wollte, knickte ihm das Handgelenk nach streckseitig um". Auch die Aussagen des Zeugen K sind insofern nicht eindeutig. So hat er in seinem Schreiben vom 20.01.2004 angegeben, dass der Kläger seine "linke Hand nach hinten gebogen" hat. Bei seiner mündlichen Vernehmung hat er sich an den genauen Unfallhergang nicht mehr erinnern können und ausgesagt, "der Kläger sagte mir, mir ist etwas in den Arm gefahren". Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen und des Dr. S, dass die beschriebenen Bandrupturen oft unentdeckt blieben, vermag den Senat ebenfalls nicht vom Eintritt des Gesundheitserstschadens am behaupteten Unfalltag zu überzeugen. Neben der Tatsache, dass der Kläger unmittelbar nach dem Unfallereignis und auch in der Folgezeit weitergearbeitet hat, weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Kläger selbst angegeben habe, nach dem Unfallereignis dauernd Schmerzen am Handgelenk verspürt zu haben. Wenn jedoch diese Aussage zutreffend ist, kann nicht plausibel nachvollzogen werden, weshalb der Kläger diese Beschwerden anlässlich der Untersuchung durch Dr. B ca. zwei Monate nach dem vermeintlichen Unfallereignis am 17.07.1995 nicht angegeben hat. Ausweislich des Berichts vom 16.07.2001 hat er lediglich über "Einschlafen der Arme" geklagt. Hinzu kommt, dass Dr. B eine neurologische Untersuchung der Arme sowie eine Faustschlussprobe durchgeführt hat und beide Untersuchungen unauffällig waren. Für den Senat ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Kläger bei angegebenen dauernden bzw. immer wieder auftretenden Schmerzen den Unfall bei der Beklagten erst sechs Jahre später angezeigt hat. Hierbei muss in die Abwägung einbezogen werden, dass er alle anderen Arbeitsunfälle - teils viel geringeren Ausmaßes - in 12/1994, 9/1995, 9/1998, 11/1999 und 1/2000 zeitnah angezeigt hat. Auch das Argument, die Bandverletzung könne nur an dem genannten Unfalltag eingetreten sein, weil eine derartig schwere Verletzung, wenn der Kläger sie sich zu einem anderen Zeitpunkt zugezogen hätte, nicht unbemerkt geblieben wäre, beseitigt nicht die Zweifel des Senats. Denn das Verhalten des Klägers nach dem Unfall - er hat ohne Unterbrechung weitergearbeitet und war ausweislich der eingeholten Vorerkrankungsregister bis zum häuslichen Sturz im Mai 2001 wegen Beschwerden am Handgelenk weder in ärztlicher Behandlung noch arbeitsunfähig - lässt eine schwere Verletzung wie die Zerreißung des Bandapparats zwischen Mohn- und Kahnbein am behaupteten Unfalltag gerade nicht plausibel erscheinen. Daran ändert auch die Feststellung des Sachverständigen, das Unfallereignis vom 17.05.1995 stelle ein geeignetes Trauma dar, nichts. Auf Grund dieser Feststellung vermag der Senat lediglich nicht auszuschließen, dass der Kläger die Handgelenksverletzung am behaupteten Unfalltag davon getragen hat, d.h. ihr Eintritt ist möglich. Das reicht jedoch - wie oben dargelegt - zum Nachweis des Gesundheitserstschadens nicht aus.

Damit liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls nicht vor. Die - weitere - Prüfung des verbliebenen Gesundheitsschadens sowie der Kausalität zwischen Arbeitsunfall und verbliebenem Gesundheitsschaden und des Rentenbeginns erübrigt sich damit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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