L 13 AL 3985/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 3985/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die gegen das Urteil des Senats vom 5. März 2002 gerichtete Wiederaufnahmeklage der Klägerin wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des durch Urteil des Senats vom 5. März 2002 rechtskräftig abgeschlossenen Berufungsverfahrens L 13 AL 2810/01.

Die 1938 geborene Klägerin meldete sich, nachdem sie zuvor in der Gaststätte ihres Sohnes gearbeitet hatte und nach einem am 6. August 1994 erlittenen Schlaganfall arbeitsunfähig gewesen war, am 19. Januar 1996 beim damaligen Arbeitsamt W. (heute: Agentur für Arbeit; AA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 8. Februar 1996 lehnte das AA den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe innerhalb der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung keine 360 Kalendertage beitragspflichtig gearbeitet und deshalb keinen Anspruch auf Alg. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Widerspuchsbescheid vom 14. März 1996, Urteil des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 30. Oktober 1996 (S 4 Ar 1575/96) und Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 20. November 1997 (L 12 Ar 3830/96)).

Einen am 20. Januar 2000 beim LSG gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (L 13 AL 299/00) erklärte die Klägerin für erledigt. Die Beklagte wertete den Antrag als solchen auf Erlass eines Zugunstenbescheids, lehnte diesen aber mit Bescheid vom 17. April 2000 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle des AA mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2000 zurück. Das anschließende Klageverfahren vor dem SG blieb für die Klägerin wiederum erfolglos; mit Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2001 wies das SG die Klage unter inhaltlicher Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Urteils des LSG vom 20. November 1997 (L 12 Ar 3830/96) ab. Der erkennende Senat wies mit Urteil vom 5. März 2002 (L 13 AL 2810/01) die Berufung der Klägerin zurück. Die Beklagte habe bei Erlass des Bescheids vom 8. Februar 1996 weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Neue Gesichtspunkte habe die Klägerin nicht vorgetragen, die früheren in der Sache ergangenen Entscheidungen erwiesen sich deshalb als rechtmäßig. Das der Klägerin am 27. März 2002 zugestellte Urteil wurde rechtskräftig.

Am 8. August 2006 hat die Klägerin beim LSG sinngemäß Wiederaufnahmeklage erhoben. Die Beklagte habe ihren Antrag auf Alg zu Unrecht abgelehnt. Sie sei bis 1. Juli 1998 arbeitslos gewesen und habe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Wegen des Inhalts der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen wird auf Bl. 9 bis 13 der Klagesakte des Senats Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das durch Urteil des Senats vom 5. März 2002 rechtskräftig abgeschlossene Berufungsverfahren L 13 AL 2810/01 wieder aufzunehmen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2002 zu verurteilen, ihr unter Rücknahme des Bescheids vom 8. Februar 1996 Arbeitslosengeld ab 5. Februar 1996 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakten des SG (S 3 AL 4753/00), die Vorakten des LSG (L 12 Ar 3830/96) sowie die Klage- (L 13 AL 3985/06) und Vorakten (L 13 AL 299/00 und L 13 AL 2810/01) des Senats Bezug genommen.

II.

Die (Wiederaufnahme-) Klage hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte über die Klage in entsprechender Anwendung des § 158 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss der Berufsrichter und ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Wiederaufnahmeklage war als unzulässig zu verwerfen (§ 589 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dass aufgrund des insoweit wortgleichen § 125 Abs. 2 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) diese Verfahrensform bei gegen rechtskräftige Berufungsentscheidungen gerichtete Wiederaufnahmeklagen eingeräumt ist, entspricht im Geltungsbereich der VwGO der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 15. September 1995 - 11 PKH 9/95 - abgedruckt in Juris und Beschluss vom 31. Oktober 1995 - 5 B 176/95 - in Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 29). Soweit das Bundessozialgericht (BSG) wegen des auf Berufungen beschränkten Wortlauts Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 158 Satz 2 SGG auf eine unzulässige Wiederaufnahmeklage geäußert hat (Urteil vom 28. November 2002 - B 7 AL 26/02 R - in Juris), teilt der Senat diese Bedenken nicht. Das SGG selbst trifft keine Bestimmung zur Entscheidungsform bei Wiederaufnahmeverfahren, sondern enthält lediglich Vorschriften zum Berufungsverfahren, welches in den Fällen des § 153 Abs. 4 SGG und § 158 SGG auch durch Beschluss abgeschlossen werden kann. Wenn die einen außerordentlichen Rechtsbehelf darstellende gegen eine rechtskräftige Berufungsentscheidung gerichtete Wiederaufnahmeklage auf Ersetzung dieser Berufungsentscheidung abzielt, kommt für die Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage die für die Berufungsentscheidung vorgesehene Entscheidungsform in Betracht, sodass unzulässige Wiederaufnahmeklagen in entsprechender Anwendung von § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss der Berufsrichter verworfen werden können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Beteiligten dazu angehört worden sind und bereits über die Berufung aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden worden ist. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen werden darf, diese Möglichkeit bei einer unzulässigen und auf Ersetzung der Berufungsentescheidung gerichteten Wiederaufnahmeklage aber nicht gegeben wäre. Dass die Beschlussform des § 153 Abs. 4 SGG sowohl bei Klagen gegen während des Berufungsverfahrens nach § 96 SGG einbezogene Bescheide (hierzu BSG, Urteil vom 31. Juli 202 - B 4 RA 28/02 - in Juris) als auch bei Klageänderung im Wege der Anschlussberufung (hierzu BVerwG, Buchholz 401, 9 Beiträge Nr. 40) nicht anwendbar ist, steht dem nicht entgegen.

Ein rechtskräftig beendetes Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit kann – neben den hier nicht einschlägigen Fällen der §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 1 und 2 SGG – entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs. 1 SGG). Gemäß § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch die Restitutionsklage (§ 580 ZPO) und die Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) erfolgen. § 578 Abs. 1 ZPO erfasst formell rechtskräftige Endurteile, Sach- und Prozessurteile jeder Instanz und jeder Art (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 3). Das hier angefochtene - mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene und der Klägerin am 27. März 2002 zugestellte - Senatsurteil vom 5. März 2002 ist mit Ablauf der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision am Montag, dem 29. April 2002 rechtskräftig geworden, nachdem die Klägerin eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht erhoben hat.

Nach § 579 Abs. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1), wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr. 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3) und wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 4). In den Fällen der Nr. 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte (§ 579 Abs. 2 ZPO). Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist (vgl. § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (Satz 2 der Vorschrift). In welchen Fällen eine Restitutionsklage stattfindet, ist in § 580 Nr. 1 bis 8 ZPO abschließend geregelt.

Die Klage ist bereits nicht statthaft und damit unzulässig, denn die Klägerin hat das Vorliegen eines zulässigen Wiederaufnahmegrundes nicht schlüssig behauptet (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Juli 2003 – B 10 LW 8/03 B, vorgehend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. März 2003 – L 8 LW 14/01 – beide veröffentlicht in Juris; Hessisches LSG, SGb 76, 386; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, NVwZ 95, 95; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 9). Die Klägerin hat die Wiederaufnahmeklage damit begründet, das Urteil des erkennenden Senats vom 5. März 2002 sei materiell-rechtlich unrichtig; entgegen der Entscheidung des Senats habe ihr Alg zugestanden. Dieser Gesichtspunkt wäre im ordentlichen Rechtsmittelverfahren geltend zu machen gewesen und stellt keinen der in §§ 579, 580 ZPO abschließend aufgezählten Wiederaufnahmegründe (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 579 Rdnr. 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 4) dar. Die Klage ist darüber hinaus wegen Nichteinhaltung der Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind Restitutions- und Nichtigkeitsklage vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben. Gemäß § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO beginnt die Frist mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Bei der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung läuft die Frist für die Erhebung der Klage hiervon abweichend von dem Tage, an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter das Urteil zugestellt ist (§ 586 Abs. 3, 2. Halbsatz ZPO). Die Klägerin hat zur Begründung der (Wiederaufnahme-) Klage keine Gesichtspunkte vorgetragen, die ihr nicht bereits im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils vom 5. März 2002 bekannt gewesen wären. Damit hat die Frist für die Erhebung der Wiederaufnahmeklage spätestens am 30. April 2002 begonnen und ist am 29. Mai 2002 abgelaufen. Die erst am 8. August 2006 beim LSG eingegangene Wiederaufnahmeklage ist damit in jedem Fall verfristet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Zulassungsgründe des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen; insbesondere weicht er von Entscheidungen des BSG nicht ab, denn er stellt keinen einem vom BSG bereits entschiedenen und dieser Entscheidung widersprechenden Rechtssatz auf.
Rechtskraft
Aus
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