L 6 SB 151/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 2602/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 151/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 festzustellen ist.

Die 1949 geborene Klägerin beantragte am 8. April 2004 beim früheren Versorgungsamt F. - Außenstelle Rl. (VA) die Feststellung ihres GdB und bezeichnete ihre Gesundheitsstörungen mit "Depression, Wirbelsäulenleiden, Bluthochdruck, chronische Kopfschmerzen, Migräne". Das VA holte Befundberichte bei dem Neurologen, Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Z. vom 12. Mai 2004, dem Allgemeinmediziner Dr. S. vom 1. Juni 2004 und dem Orthopäden Dr. K. vom 23. Juni 2004 ein und veranlasste die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme des Dr. K. vom 3. Juli 2004. Dieser bewertete die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin wie folgt: seelische Störung, depressive Verstimmung, Migräne - Teil-GdB 30, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule - Teil-GdB 10, Mittelnervendruckschädigung rechts (Carpaltunnelsyndrom) - Teil-GdB 10. Den Gesamt-GdB schätzte er auf 30. Mit Bescheid vom 8. Juli 2004 stellte das VA gestützt auf diese Stellungnahme den GdB bei der Klägerin ab 8. April 2004 mit 30 fest. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin einen GdB von 60 geltend. Dr. Z. habe in seinem Befundbericht für die seelische Störung bereits einen Teil-GdB von 50 für angemessen erachtet, was vertretbar und geboten sei. Der Befund im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule rechtfertige im Hinblick auf die erheblichen Beeinträchtigungen und den damit verbundenen Schmerzzustand einem Teil-GdB von 20. Von kardiologischer Seite sei ein GdB von 30 zu berücksichtigen, da sie eine Leistung von 75 Watt keine zwei Minuten durchhalten könne, ohne dass hochpathologische Werte einträten. Das VA holte die weitere vä Stellungnahme des Dr. K. vom 13. September 2004 ein, der für die seelische Störung eine Erhöhung des Teil-GdB auf 40 vorschlug, zusätzlich einen Bluthochdruck mit einem Teil-GdB von 10 berücksichtigte und den Gesamt-GdB nunmehr mit 40 bewertete. Gestützt hierauf half das VA dem Widerspruch der Klägerin mit Teilabhilfebescheid vom 17. September 2004 insoweit ab, als es den GdB ab 8. April 2004 nunmehr mit 40 bewertete. Der Widerspruch im Übrigen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2004 zurückgewiesen.

Dagegen erhob die Klägerin am 27. Oktober 2004 beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage und verfolgte ihr Begehren auf Feststellung des GdB mit 60 weiter. Die seelische Störung sei mit einem Teil-GdB von 50, die Beeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule mit einen Teil-GdB von 20 und der Bluthochdruck mit einem GdB von 30 zu bewerten. Das nach Durchführung medizinischer Ermittlungen vom Beklagten unterbreitete Vergleichsangebot, wonach der GdB seit Antragstellung 50 betrage, lehnte die Klägerin ab. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten zunächst unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen, unterbreitete der Klägerin nach Durchführung medizinischer Ermittlungen durch das SG auf der Grundlage der vä Stellungnahme des Dr. K. vom 21. Juli 2005 dann jedoch ein Vergleichsangebot dahingehend, den GdB mit 50 festzustellen. Dabei legte er für die seelische Störung weiterhin einen Teil-GdB von 40 und für den Bluthochdruck einen Teil-GdB von 10 zugrunde, erhöhte jedoch den bisherigen Teil-GdB von 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule unter Mitberücksichtigung von Nervenreizerscheinungen sowie einer Mittelnervdruckschädigung beiderseits auf 20, wodurch er die Schwerbehinderteneigenschaft als erreicht sah. Das SG hörte den Kardiologen Dr. Sch. unter dem 18. März 2005, Dr. S. unter dem 21. März 2005 sowie Dr. K. und Dr. Z. jeweils unter dem 30. März 2005 schriftlich als sachverständige Zeugen. Mit Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 2005 hob es die Bescheide vom 8. Juli und 17. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2004 auf und verpflichtete den Beklagten, der Klägerin einen GdB von 50 zuzuerkennen. Dabei schloss es sich der dem Vergleichsvorschlag des Beklagten zugrunde liegenden Einschätzung an. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten der Klägerin am 4. Januar 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheids verwiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 11. Januar 2006 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren auf Feststellung des GdB mit 60 weiter. Für die depressive Erkrankung macht sie wiederum die Bewertung mit einem Teil-GdB von 50 geltend, was bei integrierender Bewertung der seelischen Störung und der Migräne geboten sei, weil wenigstens zwei Migräneattacken im Monat aufträten, die mit Begleiterscheinungen verbunden seien wie Übelkeit bis zum Erbrechen und der Notwendigkeit, während des Anfalls im abgedunkelten Raum zu liegen. Da von einer mittelgradigen Verlaufsform der Migräne auszugehen sei, die nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) einen GdB-Rahmen von 20 bis 40 eröffne, sei allein die Migräne bereits mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Da auch für den depressiven Befund ein Rahmen von 30 bis 40 eröffnet sei, weil stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorlägen, könne eine integrierende Bewertung nicht bloß zu einem Einzel-GdB von 40 führen. Da auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet somit zumindest von einem Teil-GdB von 50 auszugehen sei, führe schon eine Berücksichtigung der orthopädischen Beschwerden mit dem als äußert moderat anzusehenden Einzel-GdB von 20 zu dem geltend gemachten Gesamt-GdB von 60. Sie legte die Sozialmedizinischen Gutachten des Dr. H. vom 15. Dezember 2005 und des Dr. V. vom 12. Dezember 2006, jeweils vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vor, die die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen bestätigten. Deshalb sei sie letztlich auch über volle 78 Wochen hinweg arbeitsunfähig gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28. Dezember 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 8. Juli und 17. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2004 den GdB mit 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Ein höherer GdB rechtfertige sich weder für die seelische Störung noch für die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen. Der Beklagte hat die vä Stellungnahmen des Dr. F. vom 15. Dezember 2006 und des Dr. G. vom 9. August 2007 vorgelegt.

Der Senat hat auf den Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten des Orthopäden Dr. R. vom 29. August 2006 erhoben. Dieser beschrieb im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule jeweils eine mittelschwere, im Bereich der Brustwirbelsäule eine leichtgradige und hinsichtlich der oberen Extremität eine leichtgradige Funktionsbehinderung. Im Bereich der Wirbelsäule legte er dabei einen GdB von 30 und für die Schulterbeeinträchtigung einen solchen von 10 zugrunde. Unter Einbeziehung der seelischen Störung und der Migräne bewertete er den Gesamt-GdB mit 60.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat der Klage zu Recht nur zum Teil stattgegeben. Daher ist nicht zu beanstanden, dass das SG den Beklagten (sinngemäß) lediglich verurteilt hat, unter Abänderung der Bescheide vom 8. Juli und 17. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2004, den GdB mit 50 festzustellen. Entsprechend hat es die darüber hinaus gehende Klage auch zutreffender Weise abgewiesen. Denn die bei der Klägerin zu objektivierenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen nicht den von ihr begehrten höheren GdB von 60.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die seelische Störung einschließlich der Migräne lediglich einen Teil-GdB von 40 rechtfertigt, die Funktionsbeeinträchtigungen von orthopädischer Seite nicht mit einem höheren GdB als 20 bewertet werden können und unter Berücksichtigung des Bluthochdrucks mit einem Teil-GdB von 10 ein höherer Gesamt-GdB als 50 nicht erreicht wird, hiermit die Gesamtheit der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin vielmehr angemessen bewertet sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, denen er sich anschließt.

Nach Überzeugung des Senats sind die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren vorgebrachten Gesichtspunkte einschließlich der vorgelegten Unterlagen mit einem Teil-GdB von 40 nicht zu gering bewertet. Bei der depressiven Störung, die bei der Klägerin mit Angstzuständen, Schlafstörungen, Antriebsstörungen und einem Interesseverlust verbunden ist, handelt es sich im Sinne der AHP um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, für die ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 eröffnet ist. Bei der vorgenommenen Bewertung wurde dieser Rahmen unter Berücksichtigung der geklagten Kopfschmerzsymptomatik bereits ausgeschöpft. Eine Höherbewertung mit einem GdB von 50 setzt voraus, dass eine schwere Störung vorliegt, die bereits mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einhergeht. Für das Vorliegen derartiger Störungen sieht der Senat ebenso wie der Beklagte keine Anhaltspunkte. Auch die Schwere der von der Klägerin angegebenen Migräneattacken rechtfertigt insoweit keine höhere Bewertung. Denn für das Vorliegen einer Migräne, die nach Ansicht der Klägerin nach den AHP mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten sei, finden sich in den vorliegenden medizinischen Unterlagen keine Anhaltspunkte. Darin wird weder über mindestens zwei mal monatlich auftretende heftige Migräneattacken berichtet, noch über daraus resultierendes Erbrechen und das Erfordernis, sich in einem abgedunkelten Raum hinlegen zu müssen. Soweit der behandelnde Allgemeinarzt Dr. S. im Rahmen seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge unter Bezugnahme auf die Vorstellung der Klägerin am 7. März 2005 im Zusammenhang mit einem seit drei Tagen bestehenden Durchfall auch über ein Erbrechen und Kopfschmerzen berichtete, erklärte er diese Zustände mit einem gastroenteritischen Infekt, stellte jedoch keinen Zusammenhang mit einer Migräne her; eine Migräne benannte er nicht einmal im Rahmen der aufgeführten Diagnosen. Demgegenüber führte Dr. Z. im Rahmen seiner Auskunft vom 30. März 2005 zwar eine Migräne auf, machte insoweit jedoch keinerlei Angaben über Art, Umfang oder Auswirkungen der geklagten Beschwerden. Soweit in dem im Berufungsverfahren vorgelegten Sozialmedizinischen Gutachten des Dr. V. vom 12. Dezember 2006 ausgeführt ist, die Klägerin habe von "mehrfachem" Erbrechen berichtet, wird dieses Erbrechen in Zusammenhang mit dem Auftreten von hypertensiven Krisen mit erhöhten Blutdruckwerten gestellt, nicht aber als Migräne gesehen. Nähere Angaben zu Häufigkeit und Regelmäßigkeit werden allerdings auch darin nicht gemacht.

Auch für die Beeinträchtigungen von Seiten des Halte- und Bewegungsapparates erscheint der zugrunde gelegte Teil-GdB von 20 angemessen. Insoweit ist der Beklagte und mit ihm das SG im Sinne der AHP zutreffend von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt ausgegangen. Davon, dass neben den im Vordergrund stehenden Beeinträchtigungen von Seiten der Lendenwirbelsäule die von Dr. R. zusätzlich bewerteten Funktionseinschränkungen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule eine Erhöhung auf einen GdB von 30 rechtfertigen, konnte sich der Senat nicht überzeugen. Denn dass bei der Klägerin - wie von Dr. R. angenommen - mittelgradige funktionelle Beeinträchtigungen auch im Bereich der Halswirbelsäule vorliegen, vermag der Senat nicht zu erkennen, weil in dem von der Klägerin im Berufungsverfahren zuletzt vorgelegten Gutachten des Dr. V. vom 12. Dezember 2006 noch von einer freien Halswirbelsäulenbeweglichkeit mit allenfalls geringem paravertebralem Muskelhartspann im zerviko-thorakalen Übergangsbereich linksseitig und im Bereich des Musculus trapezius links berichtet wurde. Für den Bereich der Brustwirbelsäule ist Dr. R. im Übrigen auch selbst nur von leichtgradigen Beeinträchtigungen ausgegangen. Letztendlich kann der Senat die diesbezügliche Einzelbewertung jedoch offen lassen. Denn auch unter Zugrundelegung eines Teil-GdB von 30 für die orthopädischen Beeinträchtigungen führt eine Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin nicht zu dem von ihr begehrten Gesamt-GdB von 60. Denn die vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere der Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. vom 2. März 2005 und das von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte Sozialmedizinischen Gutachten des Dr. V. vom 12. Dezember 2006 machen hinreichend deutlich, dass von einer beachtlichen Überschneidung der Beschwerden seitens des Halte- und Bewegungsapparates und der seelischen Störung auszugehen ist, die es nicht rechtfertigt, im Rahmen einer Gesamtschau die Gesamtheit der Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von mehr als 50 zu bewerten. Da letztlich auch der Bluthochdruck mit einem Teil-GdB von 10 angemessen bewertet ist und hiervon keine Auswirkungen auf den Gesamt-GdB ausgehen, ist nicht zu beanstanden, dass das SG den Beklagten nicht zur Feststellung eines höheren GdB als 50 verurteilt hat.

Da die Berufung nach alledem keinen Erfolg haben konnte, war diese zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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