L 11 R 6118/07 AK-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 174/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 6118/07 AK-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die in dem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. März 2007 getroffene Entscheidung, wonach der Klägerin die durch missbräuchliches Prozessieren dem Gericht entstandenen Kosten in Höhe von 450,- EUR auferlegt werden, wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 21. März 2007 hat das Sozialgericht Heilbronn (SG) die auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen und dieser zugleich 450,- EUR nach § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG - Verschuldenskosten) auferlegt, weil die Klägerin trotz Hinweises auf die eindeutige Rechts- und Beweislage an ihrer Klage festgehalten habe. Gegen das ihr am 18. Mai 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. Juni 2007 Berufung eingelegt (L 11 R 3041/07). Im Berufungsverfahren hat sie die Klage zurückgenommen und ihren Antrag darauf beschränkt, die Kostenentscheidung im Hinblick auf die Verschuldenskosten aufzuheben.

II.

Durch die am 15.12.2007 erklärte Klagerücknahme hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Satz 2 SGG). Nach Satz 3 dieser Vorschrift ist, soweit Kosten entstanden sind, auf Antrag über diese zu entscheiden. Nach § 192 Abs. 2 Satz 2 SGG entscheidet das Rechtsmittelgericht auf einen entsprechenden Antrag auch über die Entscheidung nach Absatz 1 und damit über die Verschuldenskosten (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2004, L 3 U 15/04; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Juni 2004, L 12 AL 59/03, Breithaupt 2005, 81; LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 18.11.2005 - L 8 SB 3940/05 AK-A - und vom 31.10.2006 - L 10 U 5277/06 AK-A -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. Juni 2006, L 7 V 2 u.a.), deren Bestand nach § 192 Abs. 2 Satz 1 SGG durch die Klagerücknahme nicht berührt wird. Die Entscheidung ergeht durch den Senat in der Besetzung seiner Berufsrichter (§ 12 Abs. 1 Satz 2, § 31 Satz 2 SGG), nicht durch den Berichterstatter, da über eine Kostenentscheidung des SG entschieden wird, was nicht unter § 155 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 SGG fällt.

Nach § 192 SGG kann das Gericht im Urteil einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass 1. durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist oder 2. der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt wurden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist.

Ein Sachverhalt, der die Verhängung von Verschuldenskosten nach Nr. 1 des § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG erlauben würde, liegt nicht vor.

Auch eine Fallgestaltung im Sinne der Nr. 2 dieser Norm ist im konkreten Fall nicht gegeben, weil der Klägerin der Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit nicht gemacht werden kann. Die vom SG zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Gutachten und Aussagen der behandelnden Ärzte lassen zwar den Schluss zu, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei der Klägerin nicht erfüllt sind. Dieses Ergebnis ist aber keinesfalls so eindeutig, dass die Fortführung der Klage als rechtsmissbräuchlich gewertet werden kann. Eine rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung liegt nur vor, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist oder die Erhebung oder Fortführung der Klage von jedem einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden müsste (st. Rspr. des BVerfG; vgl. z.B. BVerfG 12.09.2000 AnwBl. 2001, 120; 06.11.1995 NJW 1996, 1273, 1274 m.w.N.).

Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Auch wenn das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 20.06.2006 zur Relevanz eines von der behandelnden Ärztin für Psychiatrie angenommenen 6-stündigen Leistungsvermögens nicht nachvollziehbar und unzutreffend ist, ergibt sich aus dem Arztbrief dieser Ärztin vom Juli 2005 eine schwere Episode einer rezidivierenden depressiven Störung, was diese veranlasste, eine Berentung der Klägerin für indiziert zu erachten. Hinzu kommt bei der Klägerin eine Schwachsichtigkeit links (funktionelle Einäugigkeit), die augenärztlicherseits dahingehend beurteilt wurde, dass die Klägerin trotz ihrer Schwachsichtigkeit für einen halbtägigen Einsatz am Bildschirmgerät geeignet sei. Zu beachten ist insoweit auch, dass einen funktionelle Einäugigkeit unter bestimmten Umständen zumindest die Benennung einer konkreten Berufstätigkeit erfordern kann. Wenn sich die Klägerin aufgrund geltend gemachter psychischer Beeinträchtigungen und funktioneller Einäugigkeit unter Hinweis auf die Bildschirmrichtlinien nicht mehr in der Lage sah, Arbeitsplätze im erlernten Beruf als kaufmännische Angestellte vollschichtig bzw. 6 Stunden arbeitstäglich auszufüllen, so kann ihr jedenfalls der Vorwurf der missbräuchlichen Prozessführung nicht gemacht werden, auch wenn das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es der Klage keine Erfolgsaussicht einräumt.

Aus den genannten Gründen ist die Festsetzung der Verschuldenskosten aufzuheben.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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