L 7 SO 310/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 4284/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 310/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Januar 2008 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, von den mit Bescheid vom 15. Juni 2007 für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 30. Juni 2008 bewilligten Leistungen monatlich weitere 19,- EUR, insgesamt also 77,86 EUR direkt an den Antragsteller auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Mannheim (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und begründet. Das SG hat den sinngemäß dahin zu verstehenden Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von den ihm bewilligten Leistungen der Grundsicherung nach dem vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) monatlich weitere 19,- EUR, also insgesamt 77,86 EUR direkt an ihn auszuzahlen, zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG ist schon vor Klageerhebung zulässig (Abs. 3 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. schon Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris) unter Hinweis auf BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; ferner Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 2. Auflage, § 123 Rdnrn. 79, 96, 100; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 4. Auflage, Rdnrn. 14, 25). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., Rdnr. 78; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O., Rdnr. 62 (alle m.w.N.)). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O.; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage, Rdnr. 259 (alle m.w.N.)). Hiervon ausgehend hat der Antragsteller einen Anspruch auf Auszahlung weiterer 19,- EUR (monatlich) der ihm bewilligten Grundsicherungsleistungen glaubhaft dargetan.

Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Sätze 1 und 2 sowie Abs. 3 Satz 1 SGB XII werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Vorliegend nicht im Streit sind die Kosten der Unterkunft (Kaltmiete i.H.v. 223,86 EUR), welche die Antragsgegnerin in voller Höhe (einschließlich Betriebskosten i.H.v. 80,- EUR monatlich) übernimmt. Ob der Antragsteller dagegen Anspruch auf Übernahme der Heizkosten in voller Höhe hat, ist zwischen den Beteiligten im Streit.

Grundsätzlich sind zwar die tatsächlichen Kosten zu übernehmen, denn die Höhe der Heizkosten hängt von vielen örtlichen und individuellen Umständen, z.B. von Größe, Geschosshöhe und Isolierung der Wohnung sowie Zustand der Heizanlage, ab. Die Höhe der laufenden monatlichen Kosten für die Heizung ergibt sich dabei regelmäßig zunächst aus den Vorauszahlungsfestsetzungen für die Wärmeenergie, die entweder mit dem Vermieter im Mietvertrag oder im Lieferungsvertrag mit dem örtlichen Energieversorgungsträger vereinbart worden sind. Für diese monatlich bestimmten Vorauszahlungsfestsetzungen spricht zunächst eine Vermutung der Angemessenheit, da erfahrungsgemäß die Vermieter und Energieversorgungsträger Wert auf eine realistische Abschlagszahlung legen (Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. November 2007 - L 13 AS 125/07 ER - (juris); vgl. Berlit in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 29 Rdnr. 83). Auch können nicht ohne Weiteres Durchschnittswerte und auf dieser Grundlage Pauschalen gebildet werden. Nach mittlerweile gesicherter Rechtsprechung ist eine Pauschalierung oder pauschalierte Deckelung der Heizkosten ohne konkreten Nachweis einer unwirtschaftlichen Nutzung von Heizenergie nicht zulässig; auch quadratmeterbezogene Richtlinien können nur Anhaltspunkte für eine Angemessenheit der Heizkosten bilden, die aber immer den Besonderheiten des Einzelfalls anzupassen sind (vgl. die den Beteiligten bekannten Beschlüsse des Senats vom 4. Juli 2007 - L 7 SO 2007/06 ER-B - und vom 4. Januar 2007 - L 7 SO 6235/06 ER-B -; s. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 20. November 2007, a.a.O. und vom 31. März 2006 - L 7 AS 343/05 ER -; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 5. September 2007 - L 6 AS 145/07 ER - und vom 21. März 2006 - L 9 AS 124/05 ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 12. März 2007 - L 7 B 110/07 AS ER -; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30. Januar 2007 - L 8 B 39/06 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Mai 2007 - L 20 B 77/07 AS ER -; LSG Thüringen, Beschluss vom 31. Januar 2006 - L 7 AS 770/05 ER -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4. Oktober 2006 - L 3 ER 148/06 -, FEVS 58, 219). In der Literatur wird diese Ansicht ebenfalls geteilt (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, a.a.O., § 29 Rdnr. 29; ders. in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 67; Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rdnr. 46; Gerenkamp in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, § 22 Rdnr. 6; Wieland in Estelmann, SGB II, Stand: Mai 2007, § 22 Rdnr. 43).

Die Orientierung an den tatsächlichen Kosten gilt jedenfalls solange, als nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, a.a.O. § 29 Rdnr. 81; Wieland, a.a.O., § 22 Rdnr. 43), wobei der Leistungsträger bei Verdacht auf unwirtschaftliches Verhalten zunächst mit dem Hilfesuchenden die Ursache des überdurchschnittlich hohen Verbrauchs zu klären hat (vgl. Paul, ZfF 2005, 145, 150). Letzteres ist nach Aktenlage zuletzt am 14. November 2007 geschehen, wobei mit Ausnahme eines leicht zu behebenden Defekts am Lüftungsgitter über der Balkontür kein besonderer Grund für einen Heizungsmehrbedarf festgestellt wurde; nach Meinung des anwesenden Technikers der Vermieterin kann die Lage der Wohnung im obersten Stockwerk (6. OG) und die vorhandene große, doppelt verglaste Fensterfront nur einen leicht erhöhten Heizkostenbedarf bedingen. Ob danach die zuletzt im Bescheid vom 15. Juni 2007 über die Änderung der Bewilligung von Leistungen für die Zeit bis 30. Juni 2008 getroffene Entscheidung der Antragsgegnerin - die sich ausweislich ihrer Angaben bezüglich der Heizkosten auf die Erfahrungswerte der örtlichen Wohnungsbaugesellschaften (zu denen auch die Vermieterin des Antragstellers gehört) stützen kann -, nicht die vollen Kosten der Heizung in Höhe der zu leistenden Vorauszahlung von monatlich 94,- EUR anzuerkennen, sondern nur den als angemessen angesehenen Betrag von 75,- EUR, rechtlich bedenkenfrei ist, lässt sich im Rahmen des vorliegenden summarischen Verfahrens nicht abschließend beurteilen. Ebenso sind die Einwendungen des Antragstellers gegen die dem Bescheid zugrunde liegende Heizkostenabrechnung vom 28. August 2007 (Abrechnungszeitraum 1. Januar bis 21. Dezember 2006), die auch die Grundlage für die Festlegung der Heizkostenvorauszahlungen durch die Vermieterin bildet, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht nachprüfbar.

Allerdings ist ein Anordnungsanspruch und - da existenzsichernde Leistungen betroffen sind - ebenso ein Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, insoweit gegeben, als der Antragsteller die Auszahlung weiterer 19,- EUR monatlich an sich selbst begehrt. Denn die Vorgehensweise der Antragsgegnerin, nicht nur die anerkannten, weil als angemessen angesehenen Unterkunftskosten von insgesamt 378,86 EUR (Kaltmiete 223,86 EUR + Betriebskosten 80,- EUR + Heizkosten 75,- EUR) direkt an die Vermieterin auszuzahlen, sondern zusätzlich einen Betrag in Höhe der - strittigen - Heizkostendifferenz von 19,- EUR, findet im Gesetz keine Grundlage. Die Berufung des SG auf § 29 Abs. 1 Satz 6 SGB XII geht fehl. Nach dieser Bestimmung sollen Leistungen für die Unterkunft an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die Leistungsberechtigten nicht sichergestellt ist. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ermächtigt diese Vorschrift aber nur zur Direktauszahlung gewährter i. S. bewilligter Geldleistungen (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, a.a.O., § 29 Rdnr. 60), nicht aber dazu, tatsächliche, vom Leistungsträger als unangemessen angesehene und daher nicht anerkannte Unterkunftsleistungen an einen Dritten auszukehren zu Lasten der einem Hilfeempfänger selbst zustehenden existenzsichernden Grundsicherungsleistungen. So verhält es sich hier, denn die Direktauszahlung von 397,86 EUR an die Vermieterin geht zu Lasten der Grundsicherungsleistungen des Antragstellers, dem anstatt der ihm zustehenden Leistungen in Höhe von 405,99 EUR (347,- EUR Regelsatz + 58,99 EUR Mehrbedarfszuschlag wegen voller Erwerbsminderung) lediglich ein monatlicher Betrag von 386,99 EUR (EU-Rente 328,13 EUR + 58,86 EUR Auszahlung der Antragsgegnerin) zum Lebensunterhalt verbleibt. Das Vorgehen der Antragsgegnerin rechtfertigt sich auch nicht aus der "fürsorglichen" Erwägung, ansonsten sei eine zweckentsprechende Verwendung durch den Leistungsberechtigten und damit die Sicherung der Unterkunft nicht sichergestellt. Denn eine solche "Abzweigung" von Leistungen, die zu einem anderen Zweck bewilligt wurden, findet - wie ausgeführt - im SGB XII keine Grundlage. Wegen des Vorliegens einer spezialgesetzlichen Regelung (§ 29 Abs. 1 S. 6 SGB XII) kann ein solches Vorgehen auch nicht auf § 47 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gestützt werden, wie es das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Urteil vom 14. Juli 2004 (5 K 1180/04) getan hat. Auch im Übrigen verfängt der Hinweis auf diese Entscheidung nicht. Denn die dortige Konstellation unterschied sich von der vorliegenden - entscheidend - dadurch, dass dort Leistungen der Grundsicherung (nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26. Juni 2001, BGBl I S. 1310, 1355 (GSiG)), die dem Antragsteller bewilligt worden waren, zur Sicherung der Unterkunft - wegen drohender ungerechtfertigter Mietminderungen - direkt an die Vermieterin ausgekehrt wurden, während vorliegend höhere als die anerkannten Heizkosten an die Vermieterin gezahlt werden zu Lasten existenzsichernder Grundsicherungsleistungen des Hilfebedürftigen, die diesem dadurch im Ergebnis vorenthalten werden.

Der Senat macht von dem ihm nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch und begrenzt den Zeitraum der einstweiligen Anordnung auf die Zeit vom 1. Dezember 2007 (Monat des Antragseingangs beim SG) bis zum 30. Juni 2008. Denn es ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin den Bedenken des Senats im Zuge weiterer Bewilligungen bzw. ihrer Auszahlungspraxis Rechnung tragen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. Bundessozialgericht SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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