L 1 U 4576/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 2008/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 4576/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. August 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin wegen eines am 08.07.2002 erlittenen Unfalls höhere Verletztenrente als vorläufige Entschädigung und Verletztenrente auf unbestimmte Zeit zusteht.

Die 1954 geborene Klägerin war am 08.07.2002 auf dem Weg zur Arbeit mit ihrem PKW verunglückt. Ein Motorradfahrer war der Klägerin beim Überholen seitlich in die Fahrertür des Pkws geprallt, während sie gerade nach links hatte abbiegen wollen. Die bewusstlose und an der Unfallstelle notärztlich intubierte und beatmete Klägerin wurde mit dem Notarztwagen in das Klinikum L. gebracht, wo sie vom 08.07. bis 25.07.2002 wegen der Unfallverletzungen stationär behandelt wurde. Es wurde eine contusio cerebri, ein Thoraxtrauma mit Rippenserienstückfraktur C2 bis C7, eine laterale Clavikulafraktur (Schlüsselbeinfraktur) links, eine Risswunde auf dem linken Handrücken mit Ausriss der Sehne des Muskulus extensor carpi radialis brevis und der Sehne des Muskulus extensor pollicis longus, eine Durchtrennung des Nervus radialis superficialis und ein passageres hirnorganisches Psychosyndrom sowie eine Alkoholkrankheit diagnostiziert. Am 25.07.2007 wurde die Klägerin in die psychiatrische Abteilung zur stationären Therapie der Alkoholkrankheit verlegt. Die zu Lasten der Beklagten bis dahin erfolgte stationäre Behandlung wurde unterbrochen (Zwischenbericht von Prof. Dr. H. vom 05.08.2002). Ab dem 01.10.2002 nahm die Klägerin die Arbeit als Sekretärin/Sachbearbeiterin wieder auf. Bei der ambulanten Abschlussuntersuchung am 29.10.2002 fand sich ein gering verminderter Faustschluss und ein geringes Streckdefizit im Daumen von etwa 20 Grad. Auf Grund des klinischen Befundes wurde von einer operativen Revision und Sehnenplastik abgesehen und die Behandlung abgeschlossen (Abschlussbericht von Professor Dr. H. vom 31.10.2002).

In dem von der Beklagten veranlassten unfallchirurgischen Gutachten vom 04.02.2003 beschrieb Prof. Dr. D. die Rippenfrakturen und die Claviculafraktur als knöchern konsolidiert. Auf dem linken Handrücken bestünden Gefühlsstörungen und eine geringgradige Kraftminderung, außerdem liege eine Bewegungseinschränkung des linken Daumengrund- und Endgelenkes vor. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf unfallchirurgischem Gebiet betrage 20 v.H. ab 01.10.2002 bis zum Tag vor der Untersuchung am 23.01.2003 und 10 v.H. ab 24.01.2003.

Im neurologischen Gutachten vom 11.03.2003 gab Dr. D. die Angaben der Klägerin zur Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit während der stationären Behandlung in der chirurgischen Klinik wieder. Außerdem habe sich das Schriftbild vorübergehend verändert. Kopfschmerzen, Übelkeit oder motorische Ausfälle seien von der Klägerin nicht beobachtet worden. Nach physiotherapeutischen Maßnahmen bis Anfang Oktober habe sich die Handbeweglichkeit gebessert, sodass derzeit keine wesentliche Beeinträchtigung an der linken Hand verspürt werde. Dr. D. ging von einem Schädel-Hirn-Trauma Grad II aus, für das sich zum Untersuchungszeitpunkt sowohl klinisch wie auch auf Grund unauffälliger elektrophysiologischer Zusatzdiagnostik keine Hinweise auf eine residuale zentrale Läsion ergeben habe. Die Kraft in der linken Hand sei leichtgradig beeinträchtigt in Bezug auf die Fingerspreizung mit Atrophie des Muskulus interosseus dorsalis links. Hinweise aus der motorischen und sensiblen Neurographie für eine Läsion des Nervus medianus und des Nervus ulnaris hätten sich nicht ergeben. Auf Grund der residualen Handsehnenverletzung links sei von einer Gesamt-MdE von 20 v.H. auszugehen.

Gestützt auf die Stellungnahme von Prof. Dr. D. vom 09.04.2003 zur Gesamt-MdE gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2003 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 v.H. ab 01.10.2002 bis 23.01.2003 und danach nach einer MdE um 20 v.H.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, denn es bestünden Kopfschmerzen und Konzentrationsprobleme, die sie bei den Untersuchungen durch die Gutachter eher untertrieben habe, um nicht als Nörglerin dazustehen.

Bei der im Auftrag der Beklagten erfolgten Untersuchung durch Prof. Dr. S. klagte die Klägerin über gelegentliche Kopfschmerzen, Beeinträchtigung des Lernvermögens, eine Kraftminderung des linken Arms und über Schluckbeschwerden unter Stress. In seinem Gutachten vom 29.03.2004 diagnostizierte Prof. Dr. S. als Unfallfolgen noch eine Teilschädigung des Ramus superficialis (sensibler Hautast des Nervus radialis) links und eine ausgeheilte substanzielle Hirngewebsschädigung. Die im psychologischen Zusatzgutachten vom 25.03.2004 von Dipl. Psychologin M. aufgeführten Ergebnisse der neuropsychologischen Leistungsdiagnostik ergäben keine Auffälligkeiten, insbesondere keine Beeinträchtigungen des Lernvermögens. Unfallunabhängig bestehe eine computertomografisch beschriebene leichte frontale Hirnsubstanzminderung mit grenzwertig langsamem Arbeitstempo. Da der Befund unmittelbar nach dem Unfall bereits vorgelegen habe, könne er nicht Folge des Unfallereignisses sein. Die unfallbedingte MdE auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei ab 01.10.2002 mit weniger als 10 v.H. anzunehmen. Das hirnorganische Psychosyndrom sei zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeheilt gewesen. Die Teilschädigung des sensiblen Nervenastes bedinge eine MdE von weniger als 10 v.H. Unter Berücksichtigung der chirurgischen Unfallfolgen sei ab 01.10.2002 weiterhin eine MdE von 20 v.H. anzunehmen, denn die leichte Kraftminderung links und die Gefühlsstörungen seien von der unfallchirurgischen MdE-Bewertung bereits erfasst.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Die Klägerin hat hiergegen am 05.07.2004 beim Sozialgericht H. Klage erhoben.

Zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit beauftragte die Beklagte Prof. Dr. H. mit der Erstellung eines unfallchirurgischen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 01.02.2005 beschrieb der Gutachter als Unfallfolgen die knöchern konsolidierte Claviculafraktur links und Rippenserienfraktur, eine radiologisch gesicherte Schultergelenksarthrose links, eine Kraftminderung der Dorsalextension des linken Handgelenkes, einen inkompletten Faustschluss sowie eine verminderte Fingerspreizung der Langfinger links, Hypästhesien im Bereich des linken Handrückens und eine Bewegungseinschränkung des linken Daumengrund- und -endgelenks, was er mit einer MdE um 10 v.H. bewertete.

Im neurologischen Zusatzgutachten vom 01.02.2005 verneinte Prof. Dr. S. Folgen aus dem erlittenen mittelschweren Schädel-Hirn-Trauma. Eine zögerliche Innervation der Handmuskulatur ohne Nachweis von Paresen und eine Hypästhesie des linken Handrückens radialseitig bedinge eine MdE von unter 10 v.H. auf neurologischem Fachgebiet. Daraufhin schätzte Prof. Dr. H. die Gesamt-MdE mit 10 v.H. ein (Stellungnahme vom 07.04.2005)

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21.06.2005 die Gewährung einer Rente für unbestimmte Zeit ab und entzog ab 01.07.2005 die bisher als vorläufige Entschädigung bezahlte Rente. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid Gegenstand des anhängigen Klageverfahren werde.

Das Sozialgericht hat den behandelnden Arzt Dr. F. schriftlich als sachverständigen Zeugen (Aussage vom 20.02.2005) gehört, der einen Karteiausdruck mit Behandlungsdaten der Klägerin vorgelegt hat. Außerdem hat das Sozialgericht von Prof. Dr. S. das neurologische Gutachten vom 16.08.2005 eingeholt, das auf die Zusatzgutachten auf neuroradiologischem Gebiet (Gutachten von Prof. Dr. S. vom 29.06.2005), auf neurophysiologischem Gebiet (Gutachten von Prof. Dr. M. vom 27.06.2005) und auf neuropsychologischem Gebiet (Gutachten von Prof. Dr. H. vom 08.07.2005) gestützt ist. Professor Dr. S. hat ausgeführt, dass die Testergebnisse durchschnittliche, teilweise überdurchschnittliche Leistungen der Merkfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit ergeben hätten. Lediglich ein Parameter (die Reaktionsgeschwindigkeit) habe einen niedrigen durchschnittlichen Wert ergeben. Die diagnostizierten Sensibilitätsstörungen aus der Läsion des Ramus superficialis begründeten eine MdE unter 10 v.H. Die Folgen der Handsehnenverletzung begründeten keine MdE auf neurologischem Gebiet. Bleibende, eine MdE bedingende Schäden aus dem Schädel-Hirn-Trauma bestünden nicht. Insoweit habe nur eine initiale Bewusstlosigkeit mit kurzzeitigem Gedächtnisverlust bis zur Intubation und eine durch Alkoholentzugserscheinungen möglich mitbedingte Gedächtniseinschränkung und ein passageres Psychosyndrom für die ersten drei Tage nach dem Unfall vorgelegen. Auf neurologischem Gebiet betrage die MdE unter 10 v.H., was für die Zeit ab 01.10. 2002 gelte. Dem Gutachten von Dr. D. lasse sich keine MdE allein auf neurologischem Fachgebiet entnehmen. Eine etwaige Einschätzung auf neurologischem Gebiet um 20 v.H. sei sicherlich zu hoch. Bezüglich der MdE auf unfallchirurgischem Gebiet und der damit einhergehenden Gesamt-MdE werde auf die unfallchirurgischen Gutachten verwiesen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 09.08.2007 die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide, einschließlich des nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheides vom 21.06.2005, seien rechtmäßig. Ab 01.07.2005 lägen keine rentenberechtigende Unfallfolgen mehr vor. Die Rente als vorläufige Entschädigung sei zutreffend berechnet. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. S. und den im Verwaltungsverfahren erstatteten und urkundenbeweislich verwerteten unfallchirurgischen Gutachten.

Gegen den am 15.08.2007 der Klägerin zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 12.09.2007 beim Sozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor, die Gutachter hätten Untersuchungsmethoden gefunden, die ihre Probleme unter den Tisch kehrten. Die nach dem Unfall aufgetretenen Schluckbeschwerden seien nicht erwähnt. Ihre Gedächtnisprobleme würden bagatellisiert. Auf Grund ihrer verminderten Leistungsfähigkeit sei sie seit Juli 2005 arbeitslos, denn die fehlende Konzentrationsfähigkeit habe dazu geführt, dass sie die Probezeit bei dem neuen Arbeitgeber nicht überstanden habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts H. vom 09.08.2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2004 abzuändern und den Bescheid vom 21.06.2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, Verletztenrente für unbestimmte Zeit nach einer MdE von mindestens 30 v.H. ab 24.01.2003 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt zur Begründung aus, eine von der vorläufigen Entschädigung abweichende MdE bei der erstmaligen Entscheidung über Rente auf unbestimmte Zeit setze keine Beschwerdebesserung voraus. Darüberhinaus sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schluckbeschwerden und dem Arbeitsunfall nach Aktenlage keiner Diskussion zugänglich. Erstmals seien Schluckbeschwerden im Dezember 2002 nach den Krankenakten der Allgemeinärzte Dr. F. und Kollegen dokumentiert. Das sei mehr als zehn Monate (gemeint sind Wochen) nach dem Unfall. Bei der Untersuchung durch Dr. D. im Februar 2003 sei der Schluckakt unauffällig gewesen. Nach Dr. F. habe sich die Klägerin im März 2003 "pudelwohl" gefühlt. Die neuropsychologische Leistungsdiagnostik habe keine Auffälligkeiten ergeben, sodass die geklagten Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen nicht objektiviert seien. Kopfschmerzen manifestierten sich bei der Klägerin lange vor dem Unfall, mindestens seit Februar 1997. Professor Dr. M. habe Normalbefunde erhoben, insbesondere seien laut seinem Gutachten die bei posttraumatischen Spannungskopfschmerzen charakteristischen Befunde nicht nachzuweisen gewesen.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und auf die im Berufungsverfahren angefallene Akte des Senats wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verletztenrente in dem mit der Klage begehrten Umfang.

Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der während des seit 05.07.2004 anhängigen Klageverfahrens ergangene Bescheid der Beklagten vom 21.06.2005 nach § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist. Dieser Bescheid hat den bis dahin angegriffenen Bescheid vom 24.06.2003 ersetzt, da die bisher als vorläufige Entschädigung gewährte Rente entzogen wird.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII ). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).

Die Ablehnung der Rente auf unbestimmte Zeit und der Entzug der Rente als vorläufige Entschädigung zum 01.07.2005 ist mit dem Bescheid vom 21.06.2005 formgerecht erfolgt.

Die Abänderung bzw. Entziehung der Rente erfolgte noch vor Ablauf der am 08.07.2005 endenden Dreijahresfrist des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Der am 21.06.2005 an den Klägerbevollmächtigten übersandte Bescheid ist der Klägerin nach der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X am 24.06.2005 zugegangen. Die Folge einer auf ein Jahr begrenzten Unabänderbarkeit einer als Rente auf unbestimmte Zeit fort zugewährenden vorläufigen Entschädigung (§ 74 Abs. 1 SGB VII) war noch nicht eingetreten. Die verfügte Entziehung der Rente zum 01.07.2005 ist ebenso formal rechtens. Mit Bekanntgabe des Rentenentziehungsbescheids ist dieser wirksam geworden - ein Rechtsmittel hat keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG) -. Die Rente konnte daher mit Ablauf des Monats Juni 2005 entzogen werden (§ 73 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Die angefochtenen Bescheide begegnen auch materiell-rechtlich keinen Bedenken.

Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 mwN). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO; zuletzt BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine höhere vorläufige Entschädigung und auf Verletztenrente über den 30.06.2005 hinaus.

Auf unfallchirurgischem Fachgebiet lagen nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. D. bei der Untersuchung der Klägerin am 24.01.2003 noch Dysparästhesien auf dem linken Handrücken, eine geringgradige Kraftminderung des linken Handrückens, ein vergrößerter Abstand der Finger zur Hohlhandfalte, eine unvollständige Spreizung der linken Hand sowie eine Bewegungseinschränkung des linken Daumengrund- und -endgelenkes als Unfallfolgen vor, die er mit einer MdE von 10 v.H. eingeschätzt hat. Prof. Dr. H. hat bei Übereinstimmung seiner 2005 erhobenen Befunde - der von ihm angegebene inkomplette Faustschluss der Langfinger links und die verminderte Fingerspreizung der Langfinger links deckt sich mit entsprechenden Befunden von Prof. Dr. D. - hierzu die MdE ebenfalls mit 10 v.H. eingestuft. Dies ist zur Überzeugung des Senats rechtlich nicht zu beanstanden. Das mit den genannten Unfallfolgen annähernd vergleichbare, aber eher noch stärker beeinträchtigende Krankheitsbild eines Speichenbruchs mit Achsenabknickung und Einschränkung der - gesamten - Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad rechtfertigt nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 622) ebenfalls nur eine MdE von 10 v.H. Selbst der vollständige Verlust des Daumenendgliedes ergibt nach den unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätzen nur eine MdE um 10 v.H. (vgl. a. a. O., S. 641). Den Ausprägungsgrad dieser Funktionseinschränkung erreicht die geringgradige Bewegungseinschränkung des linken Daumens der Klägerin aber nicht. Nach Prof. Dr. D. lagen diese Verletzungsfolgen mit Eintritt der Arbeitsfähigkeit ab 01.10.2002 vor, weshalb die MdE-Einschätzung von Prof. Dr. D. mit 20 v.H. ab 01.10.2002 bis 23.01.2003 und um 10 v.H. ab dem Tag der Untersuchung am 24.01.2003 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Auf neurologischem Fachgebiet ist nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. S., der insoweit auch mit den Bewertungen von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. S. übereinstimmt, eine MdE von unter 10 v.H. anzunehmen.

Die bereits einen Tag nach dem Unfall gefertigte Computertomografie vom 09.07.2002 ergab zwar eine die Altersgruppe übersteigende Hirnvolumenminderung, die aber nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. S., wobei sich Prof. Dr. S. auf das neuroradiologische Gutachten von Prof. Dr. S. stützt, nicht auf das Unfalltrauma zurückzuführen ist. Nach Prof. Dr. S. beruht ohne den Nachweis entsprechender traumatisch bedingter Hirnödeme eine Volumenminderung auf einem längeren Entwicklungsprozess. Weder Prof. Dr. S. noch Prof. Dr. S. oder Prof. Dr. S. haben für den hier maßgeblichen Zeitraum nach Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bleibende Schäden aus dem angenommenen Schädel-Hirn-Trauma diagnostizieren können. Das unmittelbar nach dem Unfall aufgetretene Durchgangssyndrom war abgeklungen. Die neurologisch-apparativen Zusatzuntersuchungen ergaben keine auffälligen Befunde zur traumabedingten Läsion von Schädel-Hirn-Nerven. Die von der Klägerin geltend gemachten Schluckbeschwerden werden in den Gutachten von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. S. erwähnt. Eine entsprechende Störung hat aber keiner der beiden Ärzte diagnostiziert. Prof. Dr. S. hat auch keine unfallbedingten Kopfschmerzen diagnostiziert. Prof. Dr. S. hat unfallbedingte Spannungskopfschmerzen, obgleich solche ohne Nachweis einer Hirnhautnarbe selten sind, trotz widersprüchlicher Angaben der Klägerin als glaubhaft beurteilt, deren Ausprägung aber als nicht MdE-relevant bewertet. Zur Überzeugung des Senats ist ein unfallbedingter Zusammenhang der wechselhaft geschilderten Kopfschmerzen, die bei der Untersuchung durch Dr. D. sogar ausdrücklich verneint wurden, bei dem untypischen Beschwerdebild und der auch weiter Alkohol trinkenden Klägerin nicht festzustellen. Eine durch die Schädelverletzungen verursachte Beeinträchtigung der Merk- und Konzentrationsfähigkeit ist bei keiner der neurologischen gutachtlichen Untersuchungen objektiviert worden. Prof. Dr. S. stützt sich für seine Beurteilung auf die Ergebnisse aus dem psychologischen Zusatzgutachten von Dipl. Psychologin Mehren. Prof. Dr. S. kommt auf Grund des neuropsychologischen Zusatzgutachten von Prof. Dr. H. zum gleichen Ergebnis. Der Senat hat deshalb keinen Anlass für diesbezüglich weitere Ermittlungen gesehen.

Prof. S. hat die aus der Risswunde am linken Handrücken folgende Schädigung sensibler Anteile des Ramus superficialis in Übereinstimmung mit Prof. Dr. S. und Prof. Dr. S. mit einer MdE von unter 10 v.H. eingestuft.

Die von Dr. D. angenommene Gesamt-MdE von 20 v.H., beruhend auf der von ihm als Unfallfolge beschriebenen Residualsymptomatik der Handsehnenverletzung, haben Prof. Dr. S. und Prof. Dr. S. nicht bestätigt. Insoweit hat Prof. Dr. S. weitere unfallbedingte neurologische Schäden ausgeschlossen. Die von ihm beschriebenen Gefühlsstörungen auf dem Handrücken als Folge der Verletzung enthalten auch Beeinträchtigungen im Bereich der Narbe auf dem Handrücken. Eine neuralbedingte Pseudoparese hat Prof. Dr. S. ausdrücklich verneint. Bei der Klägerin fand sich lediglich die von Prof. Dr. S. mit einer MdE von unter 10 v.H. bewertete Läsion des Hautastes des Nervus radialis.

Soweit die Beklagte zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der Gewährung einer vorläufigen Entschädigung befristet von einer unfallbedingten MdE von 30 v.H. und danach von 20 v.H. ausgegangen ist, ist die Klägerin dadurch nicht beschwert. Die MdE um 30 v.H. ist auf die fehlerhafte Gesamt-MdE-Bildung durch Prof. Dr. D. zurückzuführen, der der unspezifischen MdE-Bewertung von Dr. D. gefolgt ist, die dieser missverständlich und ohne Konkretisierung der fachärztlich bewerteten Unfallfolgen als Gesamt-MdE bezeichnet hat. Ob für die Zeit der Anpassung und Gewöhnung an die Unfallfolgen eine MdE-Einschätzung mit 20 v.H. gerechtfertigt war, lässt der Senat deshalb dahinstehen. Eine Teil-MdE um 10 v.H. auf unfallchirurgischem und eine Teil-MdE von unter 10 v.H. auf neurologischem Gebiet ergibt keine Gesamt-MdE von mehr als 20 v.H., wobei sogar eine weitgehende Überschneidung der Unfallfolgen auf unfallchirurgischem und neurologischem Gebiet besteht. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24.06.2003 über die Gewährung einer Rente als vorläufige Entschädigung ist daher nicht zu beanstanden.

Für den Zeitpunkt der Feststellung der MdE für eine Rente auf unbestimmte Zeit ist die Festsetzung der unfallbedingten Gesamt-MdE mit 10 v.H. nicht rechtswidrig. Die Untersuchung durch Prof. Dr. H. und Prof. Dr. S. im Frühjahr 2005 haben die genannten Befunde ergeben. Eine aus den Gründen der Anpassung und Gewöhnung angemessene MdE-Bewertung ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gefordert. Nach der Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII ist eine Abweichung bei der Bestimmung der unfallbedingten MdE gegenüber der Bewertung zur vorläufigen Entschädigung auch bei unverändertem Befund rechtlich zulässig. Bei den genannten Teil-MdE-Werten von 10 v.H. bzw. unter 10 v.H. ist eine Gesamt-MdE von 10 v.H. rechtlich angemessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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