L 7 AS 5473/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 2396/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 5473/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Hilfebedürftigkeit; Bedarfsdeckung; Subsidiaritätsgrundsatz
§ 9 Abs. 1 SGB II ist nicht nur eine allgemeine Definitionsnorm; er enthält in Halbsatz 2 einen eigenständigen und unmittelbaren Subsidiaritätsgrundsatz.
Ist der gesamte Bedarf eines Hilfesuchenden an Lebensunterhalt und Unterkunft durch tatsächliche Leistungen eines Angehörigen gedeckt, entfällt das Tatbestandsmerkmal der Hilfebedürftigkeit i.S.v. § 9 Abs. 1 SGB II und es besteht kein Anspruch auf Leistungen. Für diese Anwendung des Gesetzes bedarf es keiner Anrechnung der Leistungen des Angehörigen als Einkommen.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II (Alg II) ab 23. März 2005.

Die am 1954 geborene Klägerin wohnt zusammen mit ihrer 1920 geborenen, verwitweten Mutter zusammen in dem im Eigentum der Mutter stehenden Haus M.straße , M.H ... Dieses Haus erhält nach dem Erbvertrag vom 8. Januar 1997 zwischen den Eltern der Klägerin nach dem Tod des Letztversterbenden im Wege eines Vorausvermächtnisses eine Schwester der Klägerin. Die Klägerin zahlt keine Miete. Kosten fielen im Jahr 2004 für dieses Haus an i.H.v. EUR 376,76 für Wasser/Abwasser, EUR 115,38 Grundsteuer und EUR 87.- Gebäudeversicherung (Jahresbeträge). Heizöl wurde in 2004 i.H.v. EUR 1.732,63 gekauft. Die Mutter der Klägerin ist nach ärztlichem Attest vom 29. Juni 2006 bei Z.n. Schlaganfall und Arterien-OP der unteren Gliedmaßen pflegebedürftig; auf Bl. 37 der SG-Akten wird Bezug genommen. Leistungen der Pflegeversicherung wurden bislang abgelehnt. Die Pflege erfolgt durch die Klägerin. Die Mutter der Klägerin bezieht eine Rente i.H.v. EUR 1.300.- monatlich. Seit April 2005 hat die Klägerin ihren Lebensunterhalt aus diesem Einkommen bestritten.

Die Klägerin selbst ist hälftige Miteigentümerin des Grundstücks W.straße 36, H ... Dieses ist bebaut mit einem Einfamilienhaus Baujahr 1975. Die Wohnfläche beträgt 100m², die Grundstücksfläche 972m². Das Haus umfasst im Erdgeschoss eine nicht unterteilte 6-Zimmerwohnung, das Dachgeschoss ist nicht ausgebaut, der Keller enthält Nutzräume. Das Grundstück ist nicht belastet. Zweiter Miteigentümer ist der Lebensgefährte der Klägerin, der das Haus alleine bewohnt. Durch Erbvertrag vom 28. Oktober 1987 haben sich beide die jeweilige Miteigentumshälfte als Vermächtnis zugewandt. Der Wert des Grundstücks wird in diesem Vertrag mit DM 378.843.- angegeben.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 2004 hatte die Agentur für Arbeit auf einen ersten Antrag der Klägerin die Gewährung von Alg II abgelehnt, da diese über verwertbares Vermögen, insb. in Form von Lebensversicherungen, i.H.v. EUR 12.013,26 verfüge, das den ihr zustehenden Freibetrag von EUR 10.000.- übersteige.

Am 23. März 2005 stellte die Klägerin neuerlichen Leistungsantrag, wobei sie geltend machte, ihr Vermögen sei unter den Freibetrag gesunken, nachdem sie eine Lebensversicherung i.H.v. EUR 3.385.- aufgelöst habe. Dieses Geld habe sie für dringende Instandhaltungsarbeiten am Haus W.straße 36 i.H.v. EUR 1.498.- und im Übrigen für ihren Lebensunterhalt verbraucht. Zum Zeitpunkt der Antragstellung verfügte die Klägerin über folgende Lebensversicherungen: 1. W.: Rückvergütung zum 31. Dezember 2004 EUR 8.649,63; eingezahlte Beiträge EUR 4.088,38. 2. H.-M.: Rückkaufswert zum 1. November 2004 EUR 11.155,51; eingezahlte Beiträge EUR 13.962,77 3. R.: Rückkaufswert EUR 938.-. Den Verkehrswert des Hauses W.straße hatte die Klägerin bereits im ersten Antrag mit EUR 193.700.- angegeben; es sei jedoch eine Wertminderung eingetreten, als Grund gab sie an: "Renovierung nach 29 Jahren innen und außen, neue Heizung, Fenster".

Mit Bescheid vom 28. April 2005 lehnte die Agentur für Arbeit Balingen den "Antrag vom 01.01.2005" ab. Die Klägerin verfüge über verwertbares Vermögen i.H.v. EUR 105.477,05, das ihren Freibetrag von EUR 10.750.- übersteige. Berücksichtigt wurden Lebensversicherungen i.H.v. EUR 8.627,37 und das "hälftige Haus" mit einem Wert von EUR 96.849,68. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches trug die Klägerin vor, dass das Hausgrundstück W.straße Schonvermögen darstelle, da sie dort nur vorübergehend, nämlich nur solange sie ihre Mutter pflege, nicht wohne; die Wohnung sei aber mit ihren Möbeln möbliert. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da nur vom Eigentümer selbst bewohnte Immobilien geschützt seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2007 wies das Sozialgericht Reutlingen (SG) die dagegen erhobene Klage ab. Die Klägerin sei nicht hilfebedürftig, da ihr verwertbares Vermögen den Freibetrag überschreite. Das Haus W.straße werde von ihr nicht selbst bewohnt; wann sie nach Pflege ihrer Mutter dort einziehen werde, sei völlig offen. Um Schonvermögen handle es sich daher nicht. Die Verwertung sei weder rechtlich noch tatsächlich verwehrt oder unzumutbar; vielmehr müsse die Klägerin ggf. eine Auseinandersetzung mit ihrem Lebensgefährten als weiterem Miteigentümer vornehmen. Des Weiteren habe die Klägerin selbst eingeräumt, ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen ihrer Mutter zu bestreiten. Zuwendungen ihrer Mutter seien auch wegen der Pflegetätigkeit der Klägerin zu erwarten. Sollte weiterer Bedarf bestehen, werde dieser zweifellos vom Lebensgefährten der Klägerin gedeckt.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 29. Oktober 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. November 2007 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung führt sie aus, das Hausgrundstück W.straße sei als Schonvermögen anzusehen, da die Klägerin in der bisherigen Wohnung nur zu Lebzeiten der von ihr gepflegten Mutter bleiben könne. Nach dem Tod der Mutter stehe diese Wohnung der Schwester der Klägerin zu; ohne das streitige Hausgrundstück wäre sie dann ohne Wohnung. Eine Auseinandersetzung mit ihrem Lebensgefährten sei ihr nicht zumutbar; dies sei vom SG auch nicht konkretisiert worden. Eine Teilung sei mangels abgetrennter Wohnungen nicht möglich; ein Übernehmer des Miteigentumsanteils wäre genötigt, mit dem Lebensgefährten der Klägerin in Wohngemeinschaft zu leben.

Die Klägerin beantragt:

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Oktober 2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2005 verurteilt, der Klägerin ab 23. März 2005 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Es sei nicht Sache der Beklagten oder des Gerichts, der Klägerin darzulegen, wie sie die Immobilie in Auseinandersetzung mit ihrem Lebensgefährten verwerten könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Leistungsakten der Beklagten sowie der Verfahrensakten des SG und des LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung von Alg II ab 23. März 2005 hat. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhält, wer u.a. hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Klägerin ist in diesem Sinne seit Antragstellung bis aktuell nicht hilfebedürftig.

Die Hilfebedürftigkeit entfällt nicht bereits aufgrund einer Berücksichtigung des Einkommens der Mutter der Klägerin nach §§ 9 Abs. 2, 11 SGB II, da die Klägerin mit ihrer Mutter nicht in einer Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 7 Abs. 3 SGB II lebt. Die Verwendung der Rente ihrer Mutter zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sowie das in Anspruch genommene kostenfreie Wohnen in deren Haus stellen auch kein eigenes Einkommen der Kläger i.S.d. § 9 Abs. 1 HS 1 SGB II dar. Die Klägerin ist jedoch nicht hilfebedürftig gem. § 9 Abs. 1 HS 2 SGB II, da sie die Hilfe, mit der sie ihren Lebensunterhalt sicherstellt, von Angehörigen, nämlich ihrer Mutter, tatsächlich erhält.

Nach Auffassung des Senats enthält § 9 Abs. 1 SGB II nicht nur eine allgemeine und durch andere Regelungen konkretisierte Definitionsnorm (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. Dezember 2007 - L 20 AS 2/07 - (juris)), sondern in HS 2 einen eigenständigen und unmittelbaren Subsidiaritätsgrundsatz. Abs. 1 enthält zwei Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit: (1) Der Erwerbsfähige kann den Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln (insbesondere Einkommen und Vermögen) sicherstellen (Abs. 1 HS 1) und (2) er erhält "die Hilfe" nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder anderen Sozialleistungsträgern (Abs. 1 HS 2). Diese beiden Voraussetzungen sind zu trennen, was auch ein Vergleich mit den Regelungen des Sozialhilferechts nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zeigt. § 9 Abs. 1 HS 1 SGB II ähnelt dem § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII, der den Leistungsberechtigten definiert. Insgesamt entspricht § 9 Abs. 1 SGB II hingegen im Wesentlichen § 2 Abs. 1 SGB XII (Brühl/Schoch LPK-SGB II, 2. Aufl. § 9 Rdnr. 3). Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Während demnach § 2 Abs. 1 SGB XII einen Leistungsausschluss unmittelbar formuliert, lässt § 9 Abs. 1 SGB II eine Anspruchsvoraussetzung, die Hilfebedürftigkeit, entfallen. Beiden Vorschriften ist jedoch gemein, dass sie den Nachrang der steuerfinanzierten Grundsicherung gegenüber Selbsthilfemöglichkeiten des Hilfesuchenden und der von Dritten gewährten Hilfe sicherstellen sollen. Sowohl in § 9 Abs. 1 SGB II als auch in §§ 2, 19 SGB XII wird des Weiteren unterschieden zwischen dem eigenen Einkommen des Hilfesuchenden und der Hilfeleistung anderer. Letztere sind also vom Einkommen zu trennen. Erhält der Hilfesuchende die Hilfe von anderen, liegt darin weder ein eigenes Einkommen noch ist der Bedarf abweichend zu bestimmen; denn der Bedarf ist durch die zu deckenden Grundbedürfnisse (z.B. Essen, Kleidung, Wohnung) festgelegt und ändert sich nicht durch Leistungen, die ihn befriedigen. Vielmehr liegt eine Deckung des Bedarfs vor, soweit die Hilfe reicht. Diese anderweitige Bedarfsdeckung schließt im Sozialhilferecht Leistungen aufgrund des Nachranggrundsatzes des § 2 SGB XII aus (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 108, 36 zum Bundesozialhilfegesetz (BSHG): Gewährung freier Kost und Wohnung als Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs; BVerwGE 122, 317: Wohngeld führt nicht zur Minderung des Bedarfs, sondern des Hilfeanspruchs wegen bereiter Selbsthilfemittel). Der mit der Einführung des SGB II und SGB XII vorgenommene Systemwechsel erstreckt sich nicht auf die grundsätzliche Subsidiarität des gesamten Lebensunterhalt sichernden materiellen Sozialhilferechts; solches ist auch den amtlichen Begründungen zu den neuen Sozialgesetzbüchern nicht zu entnehmen. Die Trennung des Leistungsrechts für Erwerbsfähige und Erwerbsgeminderte hat insoweit keine Auswirkungen. Die weitgehende Pauschalierung der Leistungen betrifft nur die Bedarfsberechnung, während die Subsidiarität an der tatsächlichen Deckung des - unveränderten - Bedarfs ansetzt. Daher kann für den Nachrang der Leistungen nach dem SGB II nichts anderes gelten als für die Sozialhilfe nach dem SGB XII.

Durch dieses Verständnis werden die Regelungen des § 9 Abs. 2 bis 5, 11, 12 und 19 S. 3 SGB II nicht überflüssig (so aber LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). § 9 Abs. 2 SGB II erweitert den Kreis der Personen, deren Einkommen und Vermögen über Abs. 1 HS 1 hinaus zu berücksichtigen ist, insbesondere im Hinblick auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Auch Abs. 3 und 4 beziehen sich nur auf Abs. 1 HS 1. Gleiches gilt für §§ 11, 12, 19 SGB II. § 9 Abs. 5 SGB II betrifft hingegen Abs. 1 HS 2. Denn hier wird eine Vermutung aufgestellt, wann davon auszugehen ist, dass eine Person von Verwandten "Leistungen" erhält. Es wird gerade nicht geregelt, dass dies als Einkommen der Person anzusehen ist. Abs. 5 ergänzt somit Abs. 1 HS 2, der die tatsächliche Leistungsgewährung zum Gegenstand hat. Abs. 1 HS 2 und Abs. 5 gewinnen insbesondere Bedeutung bei Personen, die nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft sind.

Der Senat lässt offen, ob und ggf. in welcher Höhe die von anderen geleistete Hilfe zu einer geminderten Auszahlung der Regelleistung führen kann, wenn die tatsächlich geleistete Hilfe nicht - wie vorliegend - den gesamten Bedarf des Hilfesuchenden abdeckt.

Entscheidend ist somit allein, dass die Klägerin tatsächlich Zuwendungen von ihrer Mutter erhalten hat und weiter erhält, ohne dass es darauf ankommt, ob die Klägerin hierauf einen verbindlichen Anspruch hat, bzw. die Mutter rechtlich zu dieser Hilfeleistung verpflichtet wäre (Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 9 Rdnr. 16). Die Klägerin wohnt mietfrei im Haus der Mutter, so dass auf diese Weise ihr Bedarf an Unterkunft und Heizung (§§ 19, 22 SGB II) durch die Naturalleistung der Mutter – Logis – gedeckt ist. Des Weiteren hat die Klägerin selbst eingeräumt, seit April 2005 ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen der Mutter zu decken. Sie hat keine konkreten Bedarfslagen genannt, die hierdurch ungedeckt geblieben wären oder weiter blieben. Es ist weder vorgetragen worden noch ist es aus den nach Akteninhalt erkennbaren Umständen ersichtlich, dass das Einkommen der Mutter der Klägerin nicht ausreichte, ihren eigenen Bedarf und den der Klägerin zu decken. Die Mutter erhält monatlich EUR 1.300.- an Rente. Für Unterkunft und Heizung fallen nach den Angaben für das Jahr 2004 Kosten insgesamt monatlich EUR 192,65 an; dabei sind die Zahlungen für das Heizöl vollständig berücksichtigt, ohne einen ggf. auf die Bevorratung für eine spätere Heizperiode entfallenden Anteil zu berücksichtigen. Berücksichtigt man – zugunsten der Klägerin – für die Mutter der Klägerin den vollen Regelsatz nach § 28 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zzgl. eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII, errechnet sich ein Bedarf zum Lebensunterhalt von EUR 406.-. Setzt man für die Klägerin ebenfalls den vollen Regelsatz i.H.v. derzeit EUR 347.- an, ergibt sich ein grundsicherungsrechtlicher Gesamtbedarf der Klägerin und ihrer Mutter i.H.v. EUR 945,61. Dieser kann ersichtlich aus dem vorhandenen Einkommen der Mutter bestritten werden. D.h. die Mutter ist tatsächlich in der Lage, den Lebensunterhalt der Klägerin zu decken, ohne selbst ihren notwendigen Lebensunterhalt zu gefährden. Der Senat hat daher keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Hilfeleistung durch die Mutter den Lebensunterhalt der Klägerin nicht vollständig abdeckte.

Diese Erwägung widerspricht nicht den Kriterien, die im Rahmen des § 9 Abs. 5 SGB II anzusetzen sind. Danach wird, wenn Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten leben, vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Nach § 1 Abs. 2 Alg II-Verordnung (Alg II-V) sind dabei die um die Absetzbeträge des § 11 Abs. 2 SGB II bereinigten Einnahmen i.d.R. nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Regelsatzes zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehend 50% der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten. Diese Maßstäbe konkretisieren lediglich die gesetzliche Vermutung nach § 9 Abs. 5 SGB II. Sie sind jedoch nicht einschlägig, wenn der Verwandte tatsächlich Leistungen erbringt, auch wenn dies von ihm nach der Regelung des § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 2 Alg II-V nicht – typisiert – erwartet wird. Daher kommt es auch auf das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft nicht an. Entscheidend ist nach § 9 Abs. 1 SGB II allein die tatsächliche bedarfsdeckende Hilfeerbringung. Es kann daher offen bleiben, ob angesichts der Pflegeleistungen der Klägerin von ihrer Mutter nicht ohnehin eine Hilfeleistung zu erwarten wäre, obwohl der "Freibetrag" des § 1 Abs. 2 Alg II-V nicht überschritten wird.

Die Klägerin hat auch zu keiner Zeit vorgetragen, die Sicherung ihres Lebensunterhalts aus dem Einkommen ihrer Mutter stelle nur eine vorschussweise Überbrückung bis zur Leistungsgewährung durch die Beklagte dar. Angesichts der Höhe der Rente und der Pflegeleistungen der Klägerin drängt sich dies auch nicht auf. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Mutter der Verwendung ihres Einkommens in dieser Weise widersprochen hätte.

Da bereits die tatsächliche Hilfeleistung durch die Mutter die Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach § 9 Abs. 1 SGB II ausschließt, ist ein Anspruch auf Gewährung von Alg II zu verneinen, ohne dass es auf die Verwertbarkeit des Hausgrundstücks W.straße ankäme.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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