Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 522/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4382/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) Rente wegen Erwerbsminderung vom 01. April 2003 bis 28. Februar 2007 zusteht.
Die am 1953 in S. geborene Klägerin hat einen Beruf nicht erlernt. Sie arbeitete von April bis August 1971 als Küchenhilfe in der Sch ... Im Oktober 1973 kam sie in die Bundesrepublik Deutschland. Hier arbeitete sie als Arbeiterin in einer Trikotfabrik, als Küchenhilfe, als Legerin, als Heimarbeiterin für eine Kettlerei, als Schleiferin, als Stickerin, als Putzfrau, als Reglerin in einer Wäschefabrik und zuletzt bis 26. April 1991 als Näherin in einer Trikotwarenfabrik. Seit Juni 1991 war sie arbeitslos und bezog Leistungen von der Arbeitsverwaltung. Vom 07. bis 28. Oktober 2002 wurde bei ihr eine stationäre Heilbehandlung in der Reha-Klinik G. durchgeführt (Entlassungsbericht des Chefarztes Dr. G. vom 22. November 2002). Seit 23. Februar 2004 ist bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt.
Am 29. April 2003 beantragte sie bei der früheren Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (jetzt Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, im Folgenden Beklagte) Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte erhob das aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 05. August 2003 erstattete Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin/Sportmedizin und für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie Dr. P. vom Sozialmedizinischen Dienst der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg. Darin wurden als Diagnosen eine psychogene Ess-Störung, ein Übergewicht sowie Bluthochdruck, ferner Herz-Rhythmusstörungen (derzeit unter Medikation Sinusrhythmus), eine Fettstoffwechselstörung sowie wiederkehrende Magenschleimhautentzündungen (derzeit beschwerdefrei) genannt. Der Gutachter stellte fest, dass bei der Klägerin schwere und mittelschwere Arbeiten sowie Tätigkeiten mit sehr hohem Zeitdruck sowie Nachtschichttätigkeiten nicht mehr leidensgerecht seien. Aufgrund der erheblichen Adipositas seien ihr Tätigkeiten mit fixierter Arbeitshaltung und häufigem Bücken nicht mehr zuzumuten. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihr jedoch weiterhin vollschichtig zumutbar. Danach lehnte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 08. August 2003 die Rentengewährung ab. Am 19. Januar 2004 beantragte die Klägerin die Rücknahme des Bescheids vom 08. August 2003. Sie reichte ein Attest der Allgemeinärztin Dr. K. vom 15. April 2004 ein und trug vor, Dr. K. beschreibe ihre Leistungsfähigkeit mit unter drei Stunden täglich, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vorlägen. Die Beklagte erhob bei Dr. K. Arztbriefe. Nach einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 11. Juni 2004 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2004 die Rücknahme des Ablehnungsbescheids vom 08. August 2003 ab. Dagegen legte die Klägerin am 12. Juli 2004 Widerspruch ein und machte geltend, bei ihr seien bei einem anhängig gemachten Verfahren auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft eine Ess-Störung, Adipositas per magna, Herzrhythmusstörungen und ein Bluthochdruck festgestellt worden. Zu berücksichtigen seien auch Wirbelsäulenprobleme in zwei Wirbelsäulenabschnitten sowie Depressionen. Bei einer Gesamtschau der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei von Erwerbsminderung auszugehen. Die Klägerin reichte ein weiteres Attest der Dr. K. vom 21. September 2004 sowie einen Arztbrief des Dr. Sch., Röntgenologe, vom 20. Juli 2004 ein. Die Beklagte erhob das Rentengutachten der Internistin-Sozialmedizin Dr. M. vom 03. Dezember 2004. Darin gelangte die Ärztin zu dem Ergebnis, wegen erheblichem Gewicht mit Bluthochdruck sowie degenerativen Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat seien der Klägerin auf Dauer keine schweren und überwiegend schweren Arbeiten mehr möglich. Die Klägerin sei nur für überwiegend leichte Arbeiten ohne vermehrten Zeitdruck bei überwiegendem Sitzen vollschichtig einsetzbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Deswegen erhob die Klägerin am 23. Februar 2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie benannte die behandelnden Ärzte und verwies erneut darauf, dass bei ihr aufgrund der Beurteilung der Dr. K. das Leistungsvermögen aufgehoben sei. Das SG erhob schriftliche Auskünfte als sachverständige Zeugen bei Dr. B., Fachärztin für Innere Medizin (Eingang beim SG am 24. Mai 2005), und Dr. K. vom 19. Juli 2005. Weiter erstatteten Dr. B., Facharzt für Orthopädie, am 20. Oktober 2005 sowie Dr. I., Internist und Nervenarzt, Chefarzt der Inneren und Geriatrischen Abteilung der Fachkliniken H., am 22. April 2006 Sachverständigengutachten. Ferner zog das SG die Akte S 11 SB 3243/04 bei. Mit Gerichtsbescheid vom 26. Juli 2006 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X lägen nicht vor. Die Klägerin sei am 08. August 2003 nicht teilweise erwerbsgemindert und damit erst recht nicht voll erwerbsgemindert gewesen, da sie unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen in der Lage gewesen sei und auch noch sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dies ergebe sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 07. August 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28. August 2006 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Am 20. September 2006 beantragte die Klägerin unter Beifügung eines Berichts der Dr. K. vom 15. September 2006 erneut die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2006 zunächst ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch reichte die Klägerin ein Attest der Dr. K. vom 24. Januar 2007 ein, in dem diese die Ansicht vertrat, es sei dringend erforderlich, die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Rahmen einer Reha-Maßnahme zu begutachten. Nach Abgabe einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. P. vom 18. bzw. 29. Januar 2007 gewährte die Beklagte der Klägerin dann eine stationäre Heilbehandlung, die vom 22. Februar bis 22. März 2007 in der Sch.lklinik gGmbH in A. durchgeführt wurde. Dr. R., Leitender Arzt der Klinik, ging im Entlassungsbericht vom 10. April 2007 davon aus, dass die Klägerin aufgrund der chronifizierten Schmerzsymptomatik mit wenig Veränderungsmöglichkeiten einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr nachkommen könne. Dr. H., Fachärztin für Chirurgie-Sozialmedizin, empfahl danach in ihrer Stellungnahme vom 18. Mai 2007 eine erneute Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet durchzuführen. Es wurde von der Beklagten daraufhin das weitere Gutachten der Dr. M. vom 11. Dezember 2007 Beklagten eingeholt, die zum Ergebnis gelangte, die Klägerin sei seit der Behandlung in der Sch.klinik nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig; insoweit sei eine Besserung unwahrscheinlich. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 08. August 2003 weiter.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2005 zu verurteilen, den Bescheid vom 08. August 2003 zurückzunehmen und ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 01. April 2003 bis 28. Februar 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Sie hat u.a. das Rentengutachten der Dr. Messerschmidt vom 11. Dezember 2007 sowie den Rentenbescheid vom 17. Dezember 2007 vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der Akte des SG S 11 SB 3243/04 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vom 08. August 2003, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat, und auf Gewährung einer solchen Rente wegen Erwerbsminderung schon vom 01. April 2003 bis 28. Februar 2007. Denn der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Streitgegenstand im Rahmen des hier nach § 44 Abs. 1 SGB X zu beurteilenden Antragsverfahrens ist nur das Bestehen eines Rentenanspruchs ab 01. April 2003. Nicht dagegen ist in diesem Verfahren nach § 44 SGB X zu prüfen, was unten auszuführen sein wird, ob der Klägerin ab einem späteren Zeitpunkt, jedoch noch vor Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007, Rente wegen Erwerbsminderung zusteht. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der Rentenablehnungsbescheid vom 08. August 2003, der kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, ist im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu überprüfen. Dabei muss sich die nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X erforderliche Prüfung der Rechtswidrigkeit im Hinblick auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids bzw. Widerspruchsbescheids bzw. auf den Zeitpunkt beziehen, zu dem der Bescheid Wirkung entfalten sollte. Die Rechtmäßigkeit des Rentenablehnungsbescheids beurteilt sich hier also nach der Zeit des Erlasses des Bescheids vom 08. August 2003 nach heutiger Sicht (vgl. BSGE 90, 136, 138). Insoweit liegt ursprüngliche Rechtswidrigkeit auch dann vor, wenn deren richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist (vgl. Wiesner in v. Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 44 Rdnr. 10). Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Erlass des Bescheids vom 08. August 2003 sind bei der Prüfung, ob wegen ursprünglicher Rechtswidrigkeit Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind, nur dann zu berücksichtigen, wenn diese neue Sach- und Rechtslage nach ihrem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-1300 § 44 Nr. 5 Rdnr. 8). Eine solche Rückwirkung auf den 01. April 2003 bzw. 08. August 2003 ergibt sich hier nicht. Aufgrund einer Änderung des Gesundheitszustands und Leistungsvermögens der Klägerin, der während der stationären Heilbehandlung vom 22. Februar bis 22. März 2007 festgestellt wurde, hat die Beklagte Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007 bewilligt.
Auch der Senat vermag hier nicht festzustellen, dass die Beklagte insoweit das am 08. August 2003 geltende Recht, d.h. die §§ 43, 44 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung, unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen (medizinischen) Sachverhalt bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin ausgegangen ist, weshalb hier zu Unrecht Rente ab 01. April 2003 nicht gewährt wurde. Dieser der Klägerin obliegende Nachweis ist weder im Hinblick auf volle noch auf die teilweise Erwerbsminderung geführt worden, wie das SG zutreffend auch im Hinblick auf die von ihm eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachten zutreffend ausgeführt hat. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheids Bezug.
Eine rückwirkend ab 01. April 2003 vorzunehmende abweichende Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin ergibt sich auch nicht aufgrund der Befunde, die während der stationären Heilbehandlung vom 22. Februar bis 22. März 2007 in der Sch.klinik sowie dann nach dem Gutachten der Dr. M. vom 11. Dezember 2007 erhoben worden sind, die dann zur Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007 geführt haben, zumal auch noch die vom SG erhobenen Sachverständigengutachten des Dr. B. (Untersuchung am 19. Oktober 2005) und des Dr. I. (Untersuchung am 16. Februar 2006) ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben hatten und ferner die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin erst ab 23. Februar 2004 erfolgte. Mithin ist davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen erst nach dem 01. April bzw. 08. August 2003 verschlechtert haben.
Danach war es nicht geboten, weitere Amtsermittlungen, die sich auf den Zeitpunkt April bzw. August 2003 hätten beziehen müssen, vorzunehmen.
Die Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) Rente wegen Erwerbsminderung vom 01. April 2003 bis 28. Februar 2007 zusteht.
Die am 1953 in S. geborene Klägerin hat einen Beruf nicht erlernt. Sie arbeitete von April bis August 1971 als Küchenhilfe in der Sch ... Im Oktober 1973 kam sie in die Bundesrepublik Deutschland. Hier arbeitete sie als Arbeiterin in einer Trikotfabrik, als Küchenhilfe, als Legerin, als Heimarbeiterin für eine Kettlerei, als Schleiferin, als Stickerin, als Putzfrau, als Reglerin in einer Wäschefabrik und zuletzt bis 26. April 1991 als Näherin in einer Trikotwarenfabrik. Seit Juni 1991 war sie arbeitslos und bezog Leistungen von der Arbeitsverwaltung. Vom 07. bis 28. Oktober 2002 wurde bei ihr eine stationäre Heilbehandlung in der Reha-Klinik G. durchgeführt (Entlassungsbericht des Chefarztes Dr. G. vom 22. November 2002). Seit 23. Februar 2004 ist bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt.
Am 29. April 2003 beantragte sie bei der früheren Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (jetzt Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, im Folgenden Beklagte) Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte erhob das aufgrund einer Untersuchung der Klägerin vom 05. August 2003 erstattete Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin/Sportmedizin und für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie Dr. P. vom Sozialmedizinischen Dienst der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg. Darin wurden als Diagnosen eine psychogene Ess-Störung, ein Übergewicht sowie Bluthochdruck, ferner Herz-Rhythmusstörungen (derzeit unter Medikation Sinusrhythmus), eine Fettstoffwechselstörung sowie wiederkehrende Magenschleimhautentzündungen (derzeit beschwerdefrei) genannt. Der Gutachter stellte fest, dass bei der Klägerin schwere und mittelschwere Arbeiten sowie Tätigkeiten mit sehr hohem Zeitdruck sowie Nachtschichttätigkeiten nicht mehr leidensgerecht seien. Aufgrund der erheblichen Adipositas seien ihr Tätigkeiten mit fixierter Arbeitshaltung und häufigem Bücken nicht mehr zuzumuten. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihr jedoch weiterhin vollschichtig zumutbar. Danach lehnte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 08. August 2003 die Rentengewährung ab. Am 19. Januar 2004 beantragte die Klägerin die Rücknahme des Bescheids vom 08. August 2003. Sie reichte ein Attest der Allgemeinärztin Dr. K. vom 15. April 2004 ein und trug vor, Dr. K. beschreibe ihre Leistungsfähigkeit mit unter drei Stunden täglich, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vorlägen. Die Beklagte erhob bei Dr. K. Arztbriefe. Nach einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 11. Juni 2004 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2004 die Rücknahme des Ablehnungsbescheids vom 08. August 2003 ab. Dagegen legte die Klägerin am 12. Juli 2004 Widerspruch ein und machte geltend, bei ihr seien bei einem anhängig gemachten Verfahren auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft eine Ess-Störung, Adipositas per magna, Herzrhythmusstörungen und ein Bluthochdruck festgestellt worden. Zu berücksichtigen seien auch Wirbelsäulenprobleme in zwei Wirbelsäulenabschnitten sowie Depressionen. Bei einer Gesamtschau der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei von Erwerbsminderung auszugehen. Die Klägerin reichte ein weiteres Attest der Dr. K. vom 21. September 2004 sowie einen Arztbrief des Dr. Sch., Röntgenologe, vom 20. Juli 2004 ein. Die Beklagte erhob das Rentengutachten der Internistin-Sozialmedizin Dr. M. vom 03. Dezember 2004. Darin gelangte die Ärztin zu dem Ergebnis, wegen erheblichem Gewicht mit Bluthochdruck sowie degenerativen Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat seien der Klägerin auf Dauer keine schweren und überwiegend schweren Arbeiten mehr möglich. Die Klägerin sei nur für überwiegend leichte Arbeiten ohne vermehrten Zeitdruck bei überwiegendem Sitzen vollschichtig einsetzbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Deswegen erhob die Klägerin am 23. Februar 2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie benannte die behandelnden Ärzte und verwies erneut darauf, dass bei ihr aufgrund der Beurteilung der Dr. K. das Leistungsvermögen aufgehoben sei. Das SG erhob schriftliche Auskünfte als sachverständige Zeugen bei Dr. B., Fachärztin für Innere Medizin (Eingang beim SG am 24. Mai 2005), und Dr. K. vom 19. Juli 2005. Weiter erstatteten Dr. B., Facharzt für Orthopädie, am 20. Oktober 2005 sowie Dr. I., Internist und Nervenarzt, Chefarzt der Inneren und Geriatrischen Abteilung der Fachkliniken H., am 22. April 2006 Sachverständigengutachten. Ferner zog das SG die Akte S 11 SB 3243/04 bei. Mit Gerichtsbescheid vom 26. Juli 2006 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X lägen nicht vor. Die Klägerin sei am 08. August 2003 nicht teilweise erwerbsgemindert und damit erst recht nicht voll erwerbsgemindert gewesen, da sie unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen in der Lage gewesen sei und auch noch sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dies ergebe sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 07. August 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28. August 2006 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Am 20. September 2006 beantragte die Klägerin unter Beifügung eines Berichts der Dr. K. vom 15. September 2006 erneut die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2006 zunächst ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch reichte die Klägerin ein Attest der Dr. K. vom 24. Januar 2007 ein, in dem diese die Ansicht vertrat, es sei dringend erforderlich, die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Rahmen einer Reha-Maßnahme zu begutachten. Nach Abgabe einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. P. vom 18. bzw. 29. Januar 2007 gewährte die Beklagte der Klägerin dann eine stationäre Heilbehandlung, die vom 22. Februar bis 22. März 2007 in der Sch.lklinik gGmbH in A. durchgeführt wurde. Dr. R., Leitender Arzt der Klinik, ging im Entlassungsbericht vom 10. April 2007 davon aus, dass die Klägerin aufgrund der chronifizierten Schmerzsymptomatik mit wenig Veränderungsmöglichkeiten einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr nachkommen könne. Dr. H., Fachärztin für Chirurgie-Sozialmedizin, empfahl danach in ihrer Stellungnahme vom 18. Mai 2007 eine erneute Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet durchzuführen. Es wurde von der Beklagten daraufhin das weitere Gutachten der Dr. M. vom 11. Dezember 2007 Beklagten eingeholt, die zum Ergebnis gelangte, die Klägerin sei seit der Behandlung in der Sch.klinik nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig; insoweit sei eine Besserung unwahrscheinlich. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 08. August 2003 weiter.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2005 zu verurteilen, den Bescheid vom 08. August 2003 zurückzunehmen und ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 01. April 2003 bis 28. Februar 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Sie hat u.a. das Rentengutachten der Dr. Messerschmidt vom 11. Dezember 2007 sowie den Rentenbescheid vom 17. Dezember 2007 vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der Akte des SG S 11 SB 3243/04 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vom 08. August 2003, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat, und auf Gewährung einer solchen Rente wegen Erwerbsminderung schon vom 01. April 2003 bis 28. Februar 2007. Denn der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Streitgegenstand im Rahmen des hier nach § 44 Abs. 1 SGB X zu beurteilenden Antragsverfahrens ist nur das Bestehen eines Rentenanspruchs ab 01. April 2003. Nicht dagegen ist in diesem Verfahren nach § 44 SGB X zu prüfen, was unten auszuführen sein wird, ob der Klägerin ab einem späteren Zeitpunkt, jedoch noch vor Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007, Rente wegen Erwerbsminderung zusteht. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der Rentenablehnungsbescheid vom 08. August 2003, der kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, ist im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu überprüfen. Dabei muss sich die nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X erforderliche Prüfung der Rechtswidrigkeit im Hinblick auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids bzw. Widerspruchsbescheids bzw. auf den Zeitpunkt beziehen, zu dem der Bescheid Wirkung entfalten sollte. Die Rechtmäßigkeit des Rentenablehnungsbescheids beurteilt sich hier also nach der Zeit des Erlasses des Bescheids vom 08. August 2003 nach heutiger Sicht (vgl. BSGE 90, 136, 138). Insoweit liegt ursprüngliche Rechtswidrigkeit auch dann vor, wenn deren richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist (vgl. Wiesner in v. Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 44 Rdnr. 10). Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Erlass des Bescheids vom 08. August 2003 sind bei der Prüfung, ob wegen ursprünglicher Rechtswidrigkeit Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind, nur dann zu berücksichtigen, wenn diese neue Sach- und Rechtslage nach ihrem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-1300 § 44 Nr. 5 Rdnr. 8). Eine solche Rückwirkung auf den 01. April 2003 bzw. 08. August 2003 ergibt sich hier nicht. Aufgrund einer Änderung des Gesundheitszustands und Leistungsvermögens der Klägerin, der während der stationären Heilbehandlung vom 22. Februar bis 22. März 2007 festgestellt wurde, hat die Beklagte Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007 bewilligt.
Auch der Senat vermag hier nicht festzustellen, dass die Beklagte insoweit das am 08. August 2003 geltende Recht, d.h. die §§ 43, 44 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung, unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen (medizinischen) Sachverhalt bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin ausgegangen ist, weshalb hier zu Unrecht Rente ab 01. April 2003 nicht gewährt wurde. Dieser der Klägerin obliegende Nachweis ist weder im Hinblick auf volle noch auf die teilweise Erwerbsminderung geführt worden, wie das SG zutreffend auch im Hinblick auf die von ihm eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachten zutreffend ausgeführt hat. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheids Bezug.
Eine rückwirkend ab 01. April 2003 vorzunehmende abweichende Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin ergibt sich auch nicht aufgrund der Befunde, die während der stationären Heilbehandlung vom 22. Februar bis 22. März 2007 in der Sch.klinik sowie dann nach dem Gutachten der Dr. M. vom 11. Dezember 2007 erhoben worden sind, die dann zur Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. März 2007 geführt haben, zumal auch noch die vom SG erhobenen Sachverständigengutachten des Dr. B. (Untersuchung am 19. Oktober 2005) und des Dr. I. (Untersuchung am 16. Februar 2006) ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben hatten und ferner die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin erst ab 23. Februar 2004 erfolgte. Mithin ist davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen erst nach dem 01. April bzw. 08. August 2003 verschlechtert haben.
Danach war es nicht geboten, weitere Amtsermittlungen, die sich auf den Zeitpunkt April bzw. August 2003 hätten beziehen müssen, vorzunehmen.
Die Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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