Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 4528/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2923/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2004 abgeändert. Der Beklagte wird zur Feststellung verurteilt, dass bei dem Kläger seit 1. Januar 2007 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" vorliegen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Der 1935 geborene Kläger beantragte am 08.12.1999 bei dem damaligen Versorgungsamt Stuttgart (VA) die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Mit Bescheid vom 30.01.2001 stellte das VA den GdB mit 80 fest und legte dabei folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
1. seelische Störung (Teil-GdB 60) 2. Funktionsbehinderung der Kniegelenke, Arthrose (Teil-GdB 30) 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20).
Außerdem entscheid das VA, die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G", "B", "H", "aG", "Bl" und "RF" seien nicht erfüllt. Dieser Entscheidung lagen unter anderem der Befundbericht des Orthopäden Dr. S. vom 18.12.2000 (Gonarthrosis deformans rechts mehr als links; Lumboischialgie mit Ausfallerscheinungen bei Spondylolisthesis L5/S1 und Wurzelreizsymptomatik L5) und die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 25.01.2001 zugrunde.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, weshalb der GdB zu erhöhen sei. Außerdem müsse ihm der Nachteilsausgleich "G" zuerkannt werden, da Dr. S. einen hinkenden Gang und eine Deformierung der Kniegelenke beschrieben habe. Besondere Schwierigkeiten habe er beim Tragen schwerer Einkaufstüten. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26.07.2001). Zur Begründung führte der Beklagte aus, weder die Festsetzung des GdB noch die Versagung des Nachteilsausgleichs "G" sei zu beanstanden.
Hiergegen erhob der Kläger am 28.08.2001 Klage bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Ziel, den Nachteilsausgleich "G" zu erhalten. Der Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG erhob Beweis durch Einholung des orthopädischen Gutachtens von Oberarzt Dr. D., Klinik für Unfallchirurgie des M.hospitals S., vom 28.10.2002, durch die schriftliche Anhörung der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-B. unter dem 13.11.2002 als sachverständige Zeugin und durch die Einholung des internistischen Gutachtens von Prof. Dr. S., Zentrum für Innere Medizin des R.-B.-Krankenhauses S., vom 18.07.2003. Dr. D. bewertete in der Beurteilung seines Gutachtens die Funktionseinschränkungen von Seiten der Wirbelsäule und der Kniegelenke jeweils mit einem Teil-GdB von 20 und den Gesamt-GdB mit 80. Die Frage, ob der Kläger noch ohne erhebliche Schwierigkeiten eine Strecke von etwa zwei Kilometern in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen könne, könne nicht schlüssig beantwortet werden, weil die zurücklegbare Wegstrecke in erster Linie von der subjektiven Schmerztoleranz abhänge. Jedenfalls bedingten die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen und an der Lendenwirbelsäule keinen GdB von 50. Auch wirkten sich die Behinderungen an den Kniegelenken nicht so gravierend aus wie eine Versteifung des Hüftgelenks, eine Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder eine arterielle Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40. Dr. K.-B. führte aus, der Beklagte habe die Behinderungen von Seiten des Bewegungsapparates erfasst, nicht jedoch die kardiale Belastungsdyspnoe und auch nicht den desolaten psychischen Zustand. Schmerzbedingt und von kardialer Seite sei wohl nur ein langsames Gehen mit Pausen möglich. Die Frage, ob die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen und an der Lendenwirbelsäule einen GdB von 50 bedingten, bejahte sie. Außerdem könne die schwere depressive Störung mit sozialen Anpassungsstörungen und phobischen Zuständen (GdB ca. 60 bis 70) je nach Befinden zu einer Behinderung im Straßenverkehr führen.
Prof. Dr. S. beschrieb in seinem Gutachten den Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit bei guter linksventrikulärer Funktion ohne Nachweis einer Belastungskoronarinsuffizienz bis 75 Watt, eine Adipositas und eine leichte Lungenfunktionsstörung im Sinne einer schwachen Restriktion. Die endgültige Diagnose einer koronaren Herzkrankheit wäre nur durch eine Herzkatheteruntersuchung zu stellen, welche der Kläger abgelehnt habe. Auch unter der Annahme, dass eine koronare Herzkrankheit bestehe, sei die funktionelle Einschränkung gering, da bei dem durchgeführten Belastungs-EKG (zwei Minuten bei 75 Watt) keine typischen pectanginösen Beschwerden und keine pathologischen EKG-Veränderungen dokumentiert worden seien. Hieraus lasse sich ableiten, dass der Kläger bei seinen alltäglichen Belastungen von kardialer Seite kaum eine Beeinträchtigung erfahren dürfte. Die bei der Lungenfunktionsuntersuchung erhobene geringgradige Restriktion erkläre die vom Kläger angegebene Atemnotsymptomatik nicht. Der durch die koronare Herzkrankheit und die geringe Lungenrestriktion bedingte GdB betrage jeweils 0. Der Kläger sei danach in der Lage, eine Strecke von zwei Kilometern ohne erhebliche Schwierigkeiten zu Fuß zurückzulegen.
Mit Urteil vom 12.08.2004 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf die Gutachten von Dr. D. und Prof. Dr. S ...
Am 05.09.2004 hat der Kläger hiergegen Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt. Er trägt vor, seit Erlass des angefochtenen Urteils habe es ihn "sehr sehr schwer gesundheitlich erwischt". Ausweislich der Arztbriefe des Krankenhauses B. C. vom 04. und 21.10.2004 wurde der Kläger vom 12. bis 28.09.2004 in der Klinik für Allgemeine Innere Medizin dieses Krankenhauses und anschließend bis 16.10.2004 in der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Unfallchirurgie dieses Krankenhauses stationär behandelt wegen eines Nierenzellkarzinoms rechts bei Hufeisenniere, das zur Nephrektomie rechts am 29.09.2004 führte, wegen einer tiefen Beinvenenthrombose des linken Oberschenkels mit beiderseitigen Lungenarterienembolien und dem Verdacht auf ältere Lungenembolie sowie wegen einer chronischen Sinusitis beidseits und Otitis externa beidseits. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er könne aus drei Gründen nicht mehr richtig gehen. Zum einen falle ihm das Gehen wegen der Zerstörung der Venenklappen in den Beinen und dem dadurch lebenslang notwendigen Tragen von Gummistützstrümpfen schwer. Zum Anderen gerate er wegen der Folgen der Lungenembolien schon bei einem kleinen Gang, zum Beispiel von seinem Sessel zur Toilette, in Atemnot. Schließlich sei es ihm bedingt durch den Krebs und die riesige Operationsnarbe an der Stelle, an der die rechte Niere mitsamt dem tennisballgroßen Tumor entfernt worden sei, nicht mehr möglich, normal zu laufen. Der Kläger hat zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt, darunter die Atteste des Internisten Dr. H. vom 05.11.2004 (Kläger könne seine Wohnung allein nicht verlassen und sei auf Pkw angewiesen), 11.11.2004 (erhebliche Belastungsdyspnoe aufgrund pulmonaler Hypertonie nach Lungenembolie), 10.01.2005 (der Kläger sei erkrankungsbedingt nur erheblich eingeschränkt gehfähig und benötige das Merkzeichen "G") und vom 10.11.2005 (der Kläger könne wegen seiner schweren Belastungsdispnoe aufgrund der Lungenfunktionseinschränkung auf ebener Stecke maximal 20 Meter gehen) und das Attest von Dr. K.-B. vom 25.11.2004 (der Kläger sei wegen des Zustands nach tiefer Beinvenenthrombose und des Zustands nach multiplen Lungenembolien in seiner Gehfähigkeit glaubhaft eingeschränkt).
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Er hat unter Vorlage der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 28.02.2005 vorgetragen, die durch Dr. H. attestierte erhebliche Belastungsdyspnoe sei nicht objektiviert.
Der Senat hat unter dem 29.11.2004 Dr. K.-B. und unter dem 06.12.2004 Dr. H. jeweils schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. K.-B. hat bekundet, sie habe den Kläger zuletzt am 04.12.2003 in ihrer Praxis behandelt und danach nur noch telefonische Kontakte mit dem Kläger gehabt. Am 04.12.2003 sei die Gehfähigkeit durch die Gonarthrose und die Belastungsdyspnoe aufgrund einer Herzinsuffizienz eingeschränkt gewesen. In den letzten 10 Jahren habe sich die kardio-pulmonale Situation zunehmend verschlechtert und die Gehfähigkeit nachgelassen. Dem übersandten Arztbrief von Prof. Dr. A. / Dr. S. und Dr. C. von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin des Krankenhauses B. C. vom 04.10.2004 ist zu entnehmen, dass die Compliance des Klägers bei einer Lungenfunktionsprüfung stark eingeschränkt gewesen sei. Dabei sei die Vitalkapazität deutlich vermindert erschienen und es habe sich eine mittelgradige Obstruktion ergeben. Dr. H. hat mitgeteilt, der Kläger stehe seit 05.11.2004 in seiner hausärztlichen Behandlung. Bei der Erstuntersuchung sei eine deutliche Belastungsatemnot bei Verdacht auf pulmonale Hypertonie nach Lungenembolie auffallend gewesen. Weitere Untersuchungen seien bisher nicht möglich gewesen, da der Kläger nicht in der Praxis gewesen sei und einen Taxitransport benötigen würde.
Der Senat hat den Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Gefäßchirurgie des Kreiskrankenhauses S., Dr. L., mit der Erstattung eines gefäßchirurgischen Gutachtens über den Kläger beauftragt. Der Kläger ist zur Untersuchung nicht erschienen mit der Begründung, es sei ihm unmöglich, nach S. zu kommen. Er hat seine Berufung dahingehend erweitert, für die Zeit ab Entlassung aus dem Krankenhaus B. C. im Oktober 2004 auch den Nachteilsausgleich "aG" zu erhalten. Der Senat hat daraufhin den leitenden Arzt der Chirurgischen Klinik am D.klinikum S., PD Dr. E., mit der Erstattung eines chirurgisch-gefäßchirurgisch-orthopädischen Gutachtens beauftragt. Auch bei diesem Arzt erschien der Kläger an zwei Untersuchungsterminen nicht unter Hinweis auf akute Erkrankungen an Grippe bzw. Bronchitis/Lungenentzündung sowie vereiterte Nasennebenhöhlen. Außerdem gab er bei einem Telefonat am 20.03.2006 gegenüber Dr. E. an, eigentlich müsste er eher durch einen Lungenfacharzt untersucht werden, da er von Seiten des Bewegungsapparates nicht wesentlich, wohl aber von Seiten seiner Lungenfunktion stark eingeschränkt sei. Der Senat hat daraufhin den Internisten und Lungenarzt Dr. M. mit der Erstattung eines entsprechenden Gutachtens beauftragt. Auch dort erschien der Kläger jedoch unter Hinweis auf seine immense Müdigkeit, kolossalen Herzschmerzen und seine furchtbare und beängstigende Atemnot nicht zur Untersuchung, zu der er sich kräftemäßig nicht in der Lage fühle. Nachdem der Kläger das Ruhen des Berufungsverfahrens beantragt und der Beklagte sich diesem Antrag angeschlossen hatte, hat der Senat mit Beschluss vom 15.05.2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Nachdem der Senat bereits mit Beschluss vom 02.06.2005 - L 6 SB 4817/04 ER - einen Antrag des Klägers abgelehnt hatte, ihm das Merkzeichen "aG", hilfsweise "G" im Wege der einstweiligen Anordnung zuzuerkennen, hat der Kläger am 31.05.2007 erneut beantragt, ihm "wenigstens (und eventuell vorläufig)" den Nachteilsausgleich "G" durch einstweilige Anordnung zuzuerkennen. Auf den Hinweis des Senats, dass ein derartiger Antrag das Betreiben eines Berufungsverfahrens voraussetze, hat der Kläger am 14.06.2007 sein Berufungsverfahren wiederangerufen, jedoch gleichzeitig vorgetragen, er habe im Moment weder die psychische noch die physische Kraft, zu weiteren externen Examina und Untersuchungen zu erscheinen, die er vorher schon in aller reichlichster Fülle überall mit äußerster Akribie und unermesslichem Elan über sich habe ergehen lassen. Der Kläger hat unter anderem weiter vorgelegt die ärztliche Bescheinigung von Dr. C. von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin des Krankenhauses B. C. vom 11.11.2004 (ungeachtet der zugrunde liegenden malignen Erkrankung sei der Kläger durch stattgehabte rezidivierende Lungenembolien kardiopulmonal in seiner Belastungsfähigkeit deutlich eingeschränkt; zudem bestehe der dringende Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit, die bislang aufgrund einer Niereninsuffizienz nicht durch kontrastmittelgestützte Koronarangiographie habe verifiziert werden können), zwei Atteste des Internisten Dr. G. vom 30.04.2007 (der Kläger sei aufgrund seiner schweren Lungenerkrankung in seiner Mobilität ganz erheblich eingeschränkt und könne nur wenige Meter laufen; er leide schon unter Ruhedyspnoe und könne auf ebener Strecke allenfalls wenige Schritte laufen; aus diesem Grunde sollte ihm das Merkzeichen "aG" zugebilligt werden), den Befundbericht über die am 22.09.2004 in der Medizinischen Klinik B. C. durchgeführte Lungenfunktionsprüfung und den Bericht der Klinik für Nuklearmedizin des K.hospitals S. vom 13.09.2004 über die an diesem Tag durchgeführte Perfusionsszintigraphie der Lunge sowie das Schreiben des Sozialamtes der Stadt Stuttgart vom 07.05.2007 (der Kläger sei aufgrund seiner Erkrankung stark in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt und dringend auf ein Kraftfahrzeug angewiesen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können).
Der Senat hat Dr. G. unter dem 30.08.2007 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat berichtet, seit Beginn seiner Behandlung im November 2004 hätten die Untersuchungen bislang ausschließlich in der Wohnung des Klägers (regelmäßig alle drei bis vier Wochen) stattgefunden. Technische Untersuchungen hätten deshalb nicht durchgeführt werden können. Eine geplante Vorstellung in der S. zur Überprüfung der Indikation einer differenzierten medikamentösen Therapie bei pulmonaler Hypertonie habe vom Kläger nicht wahrgenommen werden können. Seine Befunde stützten sich auf den klinischen Eindruck. Bei den Hausbesuchen leide der Kläger bereits nach den wenigen Schritten zur Haustüre unter erheblicher Belastungsdyspnoe und auch bei der Untersuchung im Wohnzimmer auf dem Sofa bzw. bei den Telefongesprächen unter Ruhedyspnoe. Eine Objektivierung der Befunde sei ausschließlich mit technischen bzw. bildgebenden Verfahren möglich. Der Kläger sei prinzipiell in der Lage, sein Kfz zu benützen. Der limitierende Faktor sei ein gegebenenfalls langer Fußweg zum Auto, so dass in diesen Fällen ein Krankenwagen oder ein Taxi die geeigneteren Alternativen seien.
Mit Schreiben vom 04.10.2007 hat der Beklagte daraufhin im Vergleichswege angeboten, den GdB ab 29.09.2004 mit 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab Januar 2007 festzustellen. In seiner vä Stellungnahme vom 27.09.2007 hat Dr. W. ausgeführt, aufgrund der Auskunft von Dr. G. vom 30.08.2007 werde man wohl von einer ausgeprägten Lungenfunktionseinschränkung ausgehen können, die einen Teil-GdB von wenigstens 50 bedinge. Unter diesen Gesichtspunkten lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" vor. Da ein genauer Verschlimmerungszeitpunkt nicht exakt angegeben werden könne, werde vorgeschlagen, das Merkzeichen "G" ab Januar 2007 zuzuerkennen.
Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen. Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.08.2004 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2001 abzuändern und den Beklagten zur Feststellung zu verurteilen, dass bei ihm ab Antragstellung die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" und seit Oktober 2004 auch für den Nachteilsausgleich "aG" vorliegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und hinsichtlich des Nachteilsausgleichs aG als unzulässig zu verwerfen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats (L 6 SB 3854/04, L 6 SB 2765/07 ER und L 6 SB 2923/07), des SG und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, der keine Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG entgegenstehen, ist hinsichtlich des begehrten Nachteilsausgleichs "G" zulässig.
Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "aG" ist die Berufung unzulässig. Zwar gilt im Berufungsverfahren gemäß § 153 Abs. 1 SGG die Vorschrift des § 99 Abs. 1 SGG entsprechend, wonach eine Änderung der Klage zulässig ist, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird oder statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird (§ 99 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 SGG). Im Berufungsverfahren setzt eine Klageänderung jedoch eine zulässige Berufung voraus (vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 8. Auflage, Randziffer 12 zu § 99 m. N.). Gemäß § 143 SGG findet die Berufung gegen die Urteile der Sozialgerichte statt. Über das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleich "aG" hat das SG jedoch nicht entschieden, so dass die Berufung aus diesem Grunde nicht statthaft ist. Es liegt ferner auch keiner der Ausnahmefälle vor, in denen im Wege der Klageänderung (Klageerweiterung) Ansprüche zum Gegenstand des Berufungsrechtszugs gemacht werden können, über die das SG noch nicht entschieden hat (so genanntes Heraufholen von Prozessresten, vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer a. a. O., Randziffer 12 zu § 99). Denn der Kläger hat vor dem SG keinen Antrag hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "aG" gestellt. Ein entsprechender Antrag wäre auch unzulässig gewesen, weil der Bescheid vom 30.01.2001 hinsichtlich der Ablehnung des Nachteilsausgleichs "aG" bindend geworden ist. Hiergegen hat der Kläger nämlich keinen Widerspruch eingelegt und der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 26.07.2001 folgerichtig nicht mehr entschieden.
Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "G" ist die Berufung teilweise begründet.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind seit dem 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II SGB IX)" - im Folgenden: AHP - niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15.03.1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil 07.11.2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Hieran hat auch § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nichts geändert, der durch das Gesetz zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I, Seite 2904) in das BVG eingefügt worden ist. Mit der in § 30 Abs. 17 BVG enthaltenen Ermächtigungsgrundlage ist zwar eine Voraussetzung für die lange geforderte Verrechtlichung der AHP geschaffen worden. Es fehlt jedoch bislang noch an einer hierauf beruhenden Verordnung. Die AHP sind jedoch im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Feststellung von Nachteilsausgleichen. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AHP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 1). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 2).
Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. AHP Nr. 26.9) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. AHP Nr. 26.8) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. AHP Nr.26.12).
Die AHP beschreiben Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können. Entscheidend ist danach im vorliegenden Fall, ob allein die bei dem Kläger festgestellten körperlichen Regelwidrigkeiten mit den von ihnen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen die Bewegungsfähigkeit einer gedachten Person ebenso weit herabsetzen, wie in den in den AHP (beispielhaft) genannten Fällen. Erst dann ist nach dem Erfahrungswissen ärztlicher Sachverständiger, das sich in den AHP niedergeschlagen hat, anzunehmen, dass der/die Behinderte die Strecke von 2 km nicht mehr innerhalb von 30 Minuten zurücklegen kann (BSG, Urteil vom 27.08.1993 - B 9 SB 13/97 R - VersorgVerw 1999, 47 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall hat sich der Senat aufgrund der vom Kläger nach Wiederanrufung seines Berufungsverfahrens vorgelegten Atteste aufgrund der glaubhaften Ausführungen, die der behandelnde Internist Dr. G. unter dem 30.08.2007 schriftlich als sachverständiger Zeuge gemacht hat sowie aufgrund der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 27.09.2007, die der Senat als qualifizierten Parteivortrag verwertet hat, davon überzeugt, dass bei dem Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (erst) seit Januar 2007 vorliegt. Hierbei legt er die AHP in der Fassung von 2008 zugrunde, die in allen hier maßgeblichen Teilen mit den früheren Fassungen von 2004 und 1996 übereinstimmen. In seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 30.08.2007 hat Dr. G. glaubhaft seinen klinischen Eindruck geschildert, dass der Kläger bei seinen Hausbesuchen unter erheblicher Belastungsdyspnoe leidet, wenn er nur wenige Schritte zur Haustür gemacht hat, um dem Arzt zu öffnen, und dass bei der Untersuchung im Wohnzimmer auf dem Sofa bzw. bei Telefongesprächen sogar eine Ruhedyspnoe auftritt. Mit Dr. W. nimmt der Senat deshalb an, dass bei dem Kläger eine Erkrankung der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion zumindest in einem mittleren Grade vorliegt, der nach Abschnitt 26 Nr. 8 der AHP mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten ist. Von welchem Zeitpunkt an diese ausgeprägte Lungenfunktionseinschränkung vorgelegen hat, lässt sich heute allerdings nicht mehr exakt feststellen. Zutreffend hat Dr. G. in seiner Äußerung vom 30.08.2007 ausgeführt, dass eine Objektivierung der Befunde einer Belastungs- oder sogar Ruhedyspnoe ausschließlich mit technischen bzw. bildgebenden Verfahren möglich ist. Eine ursprünglich geplante Untersuchung in der Fachklinik für Lungenkrankheiten S. wurde nie durchgeführt, obwohl der Kläger jedenfalls bis August 2007 in der Lage war, sein Auto zu benutzen und dies nach seinen eigenen Angaben, wenn auch zuletzt in eingeschränktem Umfang, auch getan hat. Unter diesen Umständen konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass schon vor dem 01.01.2007 eine mittelgradige Einschränkung der Lungenfunktion vorgelegen hat. Insbesondere kann nicht allein aufgrund des Umstandes, dass der Kläger im September 2004 eine Lungenembolie oder mehrere Lungenembolien durchgemacht hat, der Schluss gezogen werden, schon damals habe eine dem heutigen Ausmaß vergleichbare Einschränkung der Lungenfunktion vorgelegen. Zwar hat Dr. H. schon in seinen Attesten ab November 2004 die Auffassung vertreten, der Kläger leide unter einer erheblichen Belastungsdyspnoe aufgrund pulmonaler Hypertonie nach Lungenembolie. Auch in seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 06.12.2004 hat er entsprechende Befunde beschrieben. Trotzdem verbleiben erhebliche Zweifel, welches Ausmaß die Einschränkung der Lungenfunktion des Klägers seit September 2004 wirklich hatte. Denn immerhin hat der Kläger (z. B. in seinem an Dr. H. gerichteten Brief vom 09.01.2005) eingeräumt, noch seinen Hund auszuführen, worauf er jeweils noch drei Stockwerke zu seiner Wohnung hinauf steigen müsse. Nach Auffassung des Senats wäre es dem Kläger deshalb zumutbar gewesen, sich zu einer der durch PD Dr. E. und den Lungenarzt Dr. M. anberaumten Untersuchungen in S. zu begeben, wobei der Kläger für die relativ kurze Anfahrt innerhalb von S. jeweils seinen Pkw hätte benutzen können. Notfalls hätte er auch in einem Krankenwagen zur Untersuchung befördert werden können, wofür schon die vom Kläger vorgelegte "Verordnung einer Krankenbeförderung" durch Dr. G. vom 24.04.2006 anlässlich der beabsichtigten Untersuchung in der Fachklinik S. spricht.
Schließlich beweist auch nicht der vom Kläger vorgelegte Bericht über die Lungenfunktionsprüfung, die am 22.09.2004 in der Medizinischen Klinik des Krankenhauses B. C. durchgeführt worden ist, dass bei ihm schon ab September 2004 eine Einschränkung der Lungenfunktion vorgelegen hat, die einen GdB von mindestens 50 gerechtfertigt hat. Zwar wird der Befund im Arztbrief des Krankenhauses B. C. vom 04.10.2004 in der Weise beschrieben, dass die Vitalkapazität deutlich vermindert erschien und eine mittelgradige Obstruktion bejaht wurde. Andererseits wurde die stark eingeschränkte Compliance des Klägers hervorgehoben, dass heißt seine unzureichende Mitwirkung. Außerdem fehlte der zu erwartende typische Emphysemknick der Flussvolumenkurve. Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass Dr. W. in seiner Stellungnahme die Voraussetzungen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erst für die Zeit ab 01.01.2007 bejaht hat. Hinsichtlich des strittigen Zeitraums bis 31.12.2006 war die Berufung deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Erstattung außergerichtlicher Kosten des Klägers kam nicht in Betracht, weil die die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" rechtfertigende Verschlechterung der Lungenfunktion erst für einen lange nach Einlegung der Berufung am 05.09.2004 liegenden Zeitpunkt nachgewiesen ist und der Beklagte mithin keinen Anlass zur Einlegung des Rechtsmittels gegeben hat.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Der 1935 geborene Kläger beantragte am 08.12.1999 bei dem damaligen Versorgungsamt Stuttgart (VA) die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Mit Bescheid vom 30.01.2001 stellte das VA den GdB mit 80 fest und legte dabei folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
1. seelische Störung (Teil-GdB 60) 2. Funktionsbehinderung der Kniegelenke, Arthrose (Teil-GdB 30) 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20).
Außerdem entscheid das VA, die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G", "B", "H", "aG", "Bl" und "RF" seien nicht erfüllt. Dieser Entscheidung lagen unter anderem der Befundbericht des Orthopäden Dr. S. vom 18.12.2000 (Gonarthrosis deformans rechts mehr als links; Lumboischialgie mit Ausfallerscheinungen bei Spondylolisthesis L5/S1 und Wurzelreizsymptomatik L5) und die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 25.01.2001 zugrunde.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, weshalb der GdB zu erhöhen sei. Außerdem müsse ihm der Nachteilsausgleich "G" zuerkannt werden, da Dr. S. einen hinkenden Gang und eine Deformierung der Kniegelenke beschrieben habe. Besondere Schwierigkeiten habe er beim Tragen schwerer Einkaufstüten. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26.07.2001). Zur Begründung führte der Beklagte aus, weder die Festsetzung des GdB noch die Versagung des Nachteilsausgleichs "G" sei zu beanstanden.
Hiergegen erhob der Kläger am 28.08.2001 Klage bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Ziel, den Nachteilsausgleich "G" zu erhalten. Der Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG erhob Beweis durch Einholung des orthopädischen Gutachtens von Oberarzt Dr. D., Klinik für Unfallchirurgie des M.hospitals S., vom 28.10.2002, durch die schriftliche Anhörung der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. K.-B. unter dem 13.11.2002 als sachverständige Zeugin und durch die Einholung des internistischen Gutachtens von Prof. Dr. S., Zentrum für Innere Medizin des R.-B.-Krankenhauses S., vom 18.07.2003. Dr. D. bewertete in der Beurteilung seines Gutachtens die Funktionseinschränkungen von Seiten der Wirbelsäule und der Kniegelenke jeweils mit einem Teil-GdB von 20 und den Gesamt-GdB mit 80. Die Frage, ob der Kläger noch ohne erhebliche Schwierigkeiten eine Strecke von etwa zwei Kilometern in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen könne, könne nicht schlüssig beantwortet werden, weil die zurücklegbare Wegstrecke in erster Linie von der subjektiven Schmerztoleranz abhänge. Jedenfalls bedingten die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen und an der Lendenwirbelsäule keinen GdB von 50. Auch wirkten sich die Behinderungen an den Kniegelenken nicht so gravierend aus wie eine Versteifung des Hüftgelenks, eine Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder eine arterielle Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40. Dr. K.-B. führte aus, der Beklagte habe die Behinderungen von Seiten des Bewegungsapparates erfasst, nicht jedoch die kardiale Belastungsdyspnoe und auch nicht den desolaten psychischen Zustand. Schmerzbedingt und von kardialer Seite sei wohl nur ein langsames Gehen mit Pausen möglich. Die Frage, ob die Behinderungen an den unteren Gliedmaßen und an der Lendenwirbelsäule einen GdB von 50 bedingten, bejahte sie. Außerdem könne die schwere depressive Störung mit sozialen Anpassungsstörungen und phobischen Zuständen (GdB ca. 60 bis 70) je nach Befinden zu einer Behinderung im Straßenverkehr führen.
Prof. Dr. S. beschrieb in seinem Gutachten den Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit bei guter linksventrikulärer Funktion ohne Nachweis einer Belastungskoronarinsuffizienz bis 75 Watt, eine Adipositas und eine leichte Lungenfunktionsstörung im Sinne einer schwachen Restriktion. Die endgültige Diagnose einer koronaren Herzkrankheit wäre nur durch eine Herzkatheteruntersuchung zu stellen, welche der Kläger abgelehnt habe. Auch unter der Annahme, dass eine koronare Herzkrankheit bestehe, sei die funktionelle Einschränkung gering, da bei dem durchgeführten Belastungs-EKG (zwei Minuten bei 75 Watt) keine typischen pectanginösen Beschwerden und keine pathologischen EKG-Veränderungen dokumentiert worden seien. Hieraus lasse sich ableiten, dass der Kläger bei seinen alltäglichen Belastungen von kardialer Seite kaum eine Beeinträchtigung erfahren dürfte. Die bei der Lungenfunktionsuntersuchung erhobene geringgradige Restriktion erkläre die vom Kläger angegebene Atemnotsymptomatik nicht. Der durch die koronare Herzkrankheit und die geringe Lungenrestriktion bedingte GdB betrage jeweils 0. Der Kläger sei danach in der Lage, eine Strecke von zwei Kilometern ohne erhebliche Schwierigkeiten zu Fuß zurückzulegen.
Mit Urteil vom 12.08.2004 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf die Gutachten von Dr. D. und Prof. Dr. S ...
Am 05.09.2004 hat der Kläger hiergegen Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt. Er trägt vor, seit Erlass des angefochtenen Urteils habe es ihn "sehr sehr schwer gesundheitlich erwischt". Ausweislich der Arztbriefe des Krankenhauses B. C. vom 04. und 21.10.2004 wurde der Kläger vom 12. bis 28.09.2004 in der Klinik für Allgemeine Innere Medizin dieses Krankenhauses und anschließend bis 16.10.2004 in der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Unfallchirurgie dieses Krankenhauses stationär behandelt wegen eines Nierenzellkarzinoms rechts bei Hufeisenniere, das zur Nephrektomie rechts am 29.09.2004 führte, wegen einer tiefen Beinvenenthrombose des linken Oberschenkels mit beiderseitigen Lungenarterienembolien und dem Verdacht auf ältere Lungenembolie sowie wegen einer chronischen Sinusitis beidseits und Otitis externa beidseits. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er könne aus drei Gründen nicht mehr richtig gehen. Zum einen falle ihm das Gehen wegen der Zerstörung der Venenklappen in den Beinen und dem dadurch lebenslang notwendigen Tragen von Gummistützstrümpfen schwer. Zum Anderen gerate er wegen der Folgen der Lungenembolien schon bei einem kleinen Gang, zum Beispiel von seinem Sessel zur Toilette, in Atemnot. Schließlich sei es ihm bedingt durch den Krebs und die riesige Operationsnarbe an der Stelle, an der die rechte Niere mitsamt dem tennisballgroßen Tumor entfernt worden sei, nicht mehr möglich, normal zu laufen. Der Kläger hat zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt, darunter die Atteste des Internisten Dr. H. vom 05.11.2004 (Kläger könne seine Wohnung allein nicht verlassen und sei auf Pkw angewiesen), 11.11.2004 (erhebliche Belastungsdyspnoe aufgrund pulmonaler Hypertonie nach Lungenembolie), 10.01.2005 (der Kläger sei erkrankungsbedingt nur erheblich eingeschränkt gehfähig und benötige das Merkzeichen "G") und vom 10.11.2005 (der Kläger könne wegen seiner schweren Belastungsdispnoe aufgrund der Lungenfunktionseinschränkung auf ebener Stecke maximal 20 Meter gehen) und das Attest von Dr. K.-B. vom 25.11.2004 (der Kläger sei wegen des Zustands nach tiefer Beinvenenthrombose und des Zustands nach multiplen Lungenembolien in seiner Gehfähigkeit glaubhaft eingeschränkt).
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Er hat unter Vorlage der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 28.02.2005 vorgetragen, die durch Dr. H. attestierte erhebliche Belastungsdyspnoe sei nicht objektiviert.
Der Senat hat unter dem 29.11.2004 Dr. K.-B. und unter dem 06.12.2004 Dr. H. jeweils schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. K.-B. hat bekundet, sie habe den Kläger zuletzt am 04.12.2003 in ihrer Praxis behandelt und danach nur noch telefonische Kontakte mit dem Kläger gehabt. Am 04.12.2003 sei die Gehfähigkeit durch die Gonarthrose und die Belastungsdyspnoe aufgrund einer Herzinsuffizienz eingeschränkt gewesen. In den letzten 10 Jahren habe sich die kardio-pulmonale Situation zunehmend verschlechtert und die Gehfähigkeit nachgelassen. Dem übersandten Arztbrief von Prof. Dr. A. / Dr. S. und Dr. C. von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin des Krankenhauses B. C. vom 04.10.2004 ist zu entnehmen, dass die Compliance des Klägers bei einer Lungenfunktionsprüfung stark eingeschränkt gewesen sei. Dabei sei die Vitalkapazität deutlich vermindert erschienen und es habe sich eine mittelgradige Obstruktion ergeben. Dr. H. hat mitgeteilt, der Kläger stehe seit 05.11.2004 in seiner hausärztlichen Behandlung. Bei der Erstuntersuchung sei eine deutliche Belastungsatemnot bei Verdacht auf pulmonale Hypertonie nach Lungenembolie auffallend gewesen. Weitere Untersuchungen seien bisher nicht möglich gewesen, da der Kläger nicht in der Praxis gewesen sei und einen Taxitransport benötigen würde.
Der Senat hat den Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Gefäßchirurgie des Kreiskrankenhauses S., Dr. L., mit der Erstattung eines gefäßchirurgischen Gutachtens über den Kläger beauftragt. Der Kläger ist zur Untersuchung nicht erschienen mit der Begründung, es sei ihm unmöglich, nach S. zu kommen. Er hat seine Berufung dahingehend erweitert, für die Zeit ab Entlassung aus dem Krankenhaus B. C. im Oktober 2004 auch den Nachteilsausgleich "aG" zu erhalten. Der Senat hat daraufhin den leitenden Arzt der Chirurgischen Klinik am D.klinikum S., PD Dr. E., mit der Erstattung eines chirurgisch-gefäßchirurgisch-orthopädischen Gutachtens beauftragt. Auch bei diesem Arzt erschien der Kläger an zwei Untersuchungsterminen nicht unter Hinweis auf akute Erkrankungen an Grippe bzw. Bronchitis/Lungenentzündung sowie vereiterte Nasennebenhöhlen. Außerdem gab er bei einem Telefonat am 20.03.2006 gegenüber Dr. E. an, eigentlich müsste er eher durch einen Lungenfacharzt untersucht werden, da er von Seiten des Bewegungsapparates nicht wesentlich, wohl aber von Seiten seiner Lungenfunktion stark eingeschränkt sei. Der Senat hat daraufhin den Internisten und Lungenarzt Dr. M. mit der Erstattung eines entsprechenden Gutachtens beauftragt. Auch dort erschien der Kläger jedoch unter Hinweis auf seine immense Müdigkeit, kolossalen Herzschmerzen und seine furchtbare und beängstigende Atemnot nicht zur Untersuchung, zu der er sich kräftemäßig nicht in der Lage fühle. Nachdem der Kläger das Ruhen des Berufungsverfahrens beantragt und der Beklagte sich diesem Antrag angeschlossen hatte, hat der Senat mit Beschluss vom 15.05.2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Nachdem der Senat bereits mit Beschluss vom 02.06.2005 - L 6 SB 4817/04 ER - einen Antrag des Klägers abgelehnt hatte, ihm das Merkzeichen "aG", hilfsweise "G" im Wege der einstweiligen Anordnung zuzuerkennen, hat der Kläger am 31.05.2007 erneut beantragt, ihm "wenigstens (und eventuell vorläufig)" den Nachteilsausgleich "G" durch einstweilige Anordnung zuzuerkennen. Auf den Hinweis des Senats, dass ein derartiger Antrag das Betreiben eines Berufungsverfahrens voraussetze, hat der Kläger am 14.06.2007 sein Berufungsverfahren wiederangerufen, jedoch gleichzeitig vorgetragen, er habe im Moment weder die psychische noch die physische Kraft, zu weiteren externen Examina und Untersuchungen zu erscheinen, die er vorher schon in aller reichlichster Fülle überall mit äußerster Akribie und unermesslichem Elan über sich habe ergehen lassen. Der Kläger hat unter anderem weiter vorgelegt die ärztliche Bescheinigung von Dr. C. von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin des Krankenhauses B. C. vom 11.11.2004 (ungeachtet der zugrunde liegenden malignen Erkrankung sei der Kläger durch stattgehabte rezidivierende Lungenembolien kardiopulmonal in seiner Belastungsfähigkeit deutlich eingeschränkt; zudem bestehe der dringende Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit, die bislang aufgrund einer Niereninsuffizienz nicht durch kontrastmittelgestützte Koronarangiographie habe verifiziert werden können), zwei Atteste des Internisten Dr. G. vom 30.04.2007 (der Kläger sei aufgrund seiner schweren Lungenerkrankung in seiner Mobilität ganz erheblich eingeschränkt und könne nur wenige Meter laufen; er leide schon unter Ruhedyspnoe und könne auf ebener Strecke allenfalls wenige Schritte laufen; aus diesem Grunde sollte ihm das Merkzeichen "aG" zugebilligt werden), den Befundbericht über die am 22.09.2004 in der Medizinischen Klinik B. C. durchgeführte Lungenfunktionsprüfung und den Bericht der Klinik für Nuklearmedizin des K.hospitals S. vom 13.09.2004 über die an diesem Tag durchgeführte Perfusionsszintigraphie der Lunge sowie das Schreiben des Sozialamtes der Stadt Stuttgart vom 07.05.2007 (der Kläger sei aufgrund seiner Erkrankung stark in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt und dringend auf ein Kraftfahrzeug angewiesen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können).
Der Senat hat Dr. G. unter dem 30.08.2007 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat berichtet, seit Beginn seiner Behandlung im November 2004 hätten die Untersuchungen bislang ausschließlich in der Wohnung des Klägers (regelmäßig alle drei bis vier Wochen) stattgefunden. Technische Untersuchungen hätten deshalb nicht durchgeführt werden können. Eine geplante Vorstellung in der S. zur Überprüfung der Indikation einer differenzierten medikamentösen Therapie bei pulmonaler Hypertonie habe vom Kläger nicht wahrgenommen werden können. Seine Befunde stützten sich auf den klinischen Eindruck. Bei den Hausbesuchen leide der Kläger bereits nach den wenigen Schritten zur Haustüre unter erheblicher Belastungsdyspnoe und auch bei der Untersuchung im Wohnzimmer auf dem Sofa bzw. bei den Telefongesprächen unter Ruhedyspnoe. Eine Objektivierung der Befunde sei ausschließlich mit technischen bzw. bildgebenden Verfahren möglich. Der Kläger sei prinzipiell in der Lage, sein Kfz zu benützen. Der limitierende Faktor sei ein gegebenenfalls langer Fußweg zum Auto, so dass in diesen Fällen ein Krankenwagen oder ein Taxi die geeigneteren Alternativen seien.
Mit Schreiben vom 04.10.2007 hat der Beklagte daraufhin im Vergleichswege angeboten, den GdB ab 29.09.2004 mit 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab Januar 2007 festzustellen. In seiner vä Stellungnahme vom 27.09.2007 hat Dr. W. ausgeführt, aufgrund der Auskunft von Dr. G. vom 30.08.2007 werde man wohl von einer ausgeprägten Lungenfunktionseinschränkung ausgehen können, die einen Teil-GdB von wenigstens 50 bedinge. Unter diesen Gesichtspunkten lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" vor. Da ein genauer Verschlimmerungszeitpunkt nicht exakt angegeben werden könne, werde vorgeschlagen, das Merkzeichen "G" ab Januar 2007 zuzuerkennen.
Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen. Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.08.2004 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2001 abzuändern und den Beklagten zur Feststellung zu verurteilen, dass bei ihm ab Antragstellung die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" und seit Oktober 2004 auch für den Nachteilsausgleich "aG" vorliegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und hinsichtlich des Nachteilsausgleichs aG als unzulässig zu verwerfen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats (L 6 SB 3854/04, L 6 SB 2765/07 ER und L 6 SB 2923/07), des SG und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, der keine Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG entgegenstehen, ist hinsichtlich des begehrten Nachteilsausgleichs "G" zulässig.
Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "aG" ist die Berufung unzulässig. Zwar gilt im Berufungsverfahren gemäß § 153 Abs. 1 SGG die Vorschrift des § 99 Abs. 1 SGG entsprechend, wonach eine Änderung der Klage zulässig ist, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird oder statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird (§ 99 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 SGG). Im Berufungsverfahren setzt eine Klageänderung jedoch eine zulässige Berufung voraus (vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 8. Auflage, Randziffer 12 zu § 99 m. N.). Gemäß § 143 SGG findet die Berufung gegen die Urteile der Sozialgerichte statt. Über das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleich "aG" hat das SG jedoch nicht entschieden, so dass die Berufung aus diesem Grunde nicht statthaft ist. Es liegt ferner auch keiner der Ausnahmefälle vor, in denen im Wege der Klageänderung (Klageerweiterung) Ansprüche zum Gegenstand des Berufungsrechtszugs gemacht werden können, über die das SG noch nicht entschieden hat (so genanntes Heraufholen von Prozessresten, vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer a. a. O., Randziffer 12 zu § 99). Denn der Kläger hat vor dem SG keinen Antrag hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "aG" gestellt. Ein entsprechender Antrag wäre auch unzulässig gewesen, weil der Bescheid vom 30.01.2001 hinsichtlich der Ablehnung des Nachteilsausgleichs "aG" bindend geworden ist. Hiergegen hat der Kläger nämlich keinen Widerspruch eingelegt und der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 26.07.2001 folgerichtig nicht mehr entschieden.
Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "G" ist die Berufung teilweise begründet.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind seit dem 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II SGB IX)" - im Folgenden: AHP - niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15.03.1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil 07.11.2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Hieran hat auch § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nichts geändert, der durch das Gesetz zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I, Seite 2904) in das BVG eingefügt worden ist. Mit der in § 30 Abs. 17 BVG enthaltenen Ermächtigungsgrundlage ist zwar eine Voraussetzung für die lange geforderte Verrechtlichung der AHP geschaffen worden. Es fehlt jedoch bislang noch an einer hierauf beruhenden Verordnung. Die AHP sind jedoch im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Feststellung von Nachteilsausgleichen. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AHP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 1). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 2).
Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. AHP Nr. 26.9) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. AHP Nr. 26.8) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AHP, Nr. 30 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. AHP Nr.26.12).
Die AHP beschreiben Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können. Entscheidend ist danach im vorliegenden Fall, ob allein die bei dem Kläger festgestellten körperlichen Regelwidrigkeiten mit den von ihnen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen die Bewegungsfähigkeit einer gedachten Person ebenso weit herabsetzen, wie in den in den AHP (beispielhaft) genannten Fällen. Erst dann ist nach dem Erfahrungswissen ärztlicher Sachverständiger, das sich in den AHP niedergeschlagen hat, anzunehmen, dass der/die Behinderte die Strecke von 2 km nicht mehr innerhalb von 30 Minuten zurücklegen kann (BSG, Urteil vom 27.08.1993 - B 9 SB 13/97 R - VersorgVerw 1999, 47 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall hat sich der Senat aufgrund der vom Kläger nach Wiederanrufung seines Berufungsverfahrens vorgelegten Atteste aufgrund der glaubhaften Ausführungen, die der behandelnde Internist Dr. G. unter dem 30.08.2007 schriftlich als sachverständiger Zeuge gemacht hat sowie aufgrund der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 27.09.2007, die der Senat als qualifizierten Parteivortrag verwertet hat, davon überzeugt, dass bei dem Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (erst) seit Januar 2007 vorliegt. Hierbei legt er die AHP in der Fassung von 2008 zugrunde, die in allen hier maßgeblichen Teilen mit den früheren Fassungen von 2004 und 1996 übereinstimmen. In seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 30.08.2007 hat Dr. G. glaubhaft seinen klinischen Eindruck geschildert, dass der Kläger bei seinen Hausbesuchen unter erheblicher Belastungsdyspnoe leidet, wenn er nur wenige Schritte zur Haustür gemacht hat, um dem Arzt zu öffnen, und dass bei der Untersuchung im Wohnzimmer auf dem Sofa bzw. bei Telefongesprächen sogar eine Ruhedyspnoe auftritt. Mit Dr. W. nimmt der Senat deshalb an, dass bei dem Kläger eine Erkrankung der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion zumindest in einem mittleren Grade vorliegt, der nach Abschnitt 26 Nr. 8 der AHP mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten ist. Von welchem Zeitpunkt an diese ausgeprägte Lungenfunktionseinschränkung vorgelegen hat, lässt sich heute allerdings nicht mehr exakt feststellen. Zutreffend hat Dr. G. in seiner Äußerung vom 30.08.2007 ausgeführt, dass eine Objektivierung der Befunde einer Belastungs- oder sogar Ruhedyspnoe ausschließlich mit technischen bzw. bildgebenden Verfahren möglich ist. Eine ursprünglich geplante Untersuchung in der Fachklinik für Lungenkrankheiten S. wurde nie durchgeführt, obwohl der Kläger jedenfalls bis August 2007 in der Lage war, sein Auto zu benutzen und dies nach seinen eigenen Angaben, wenn auch zuletzt in eingeschränktem Umfang, auch getan hat. Unter diesen Umständen konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass schon vor dem 01.01.2007 eine mittelgradige Einschränkung der Lungenfunktion vorgelegen hat. Insbesondere kann nicht allein aufgrund des Umstandes, dass der Kläger im September 2004 eine Lungenembolie oder mehrere Lungenembolien durchgemacht hat, der Schluss gezogen werden, schon damals habe eine dem heutigen Ausmaß vergleichbare Einschränkung der Lungenfunktion vorgelegen. Zwar hat Dr. H. schon in seinen Attesten ab November 2004 die Auffassung vertreten, der Kläger leide unter einer erheblichen Belastungsdyspnoe aufgrund pulmonaler Hypertonie nach Lungenembolie. Auch in seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 06.12.2004 hat er entsprechende Befunde beschrieben. Trotzdem verbleiben erhebliche Zweifel, welches Ausmaß die Einschränkung der Lungenfunktion des Klägers seit September 2004 wirklich hatte. Denn immerhin hat der Kläger (z. B. in seinem an Dr. H. gerichteten Brief vom 09.01.2005) eingeräumt, noch seinen Hund auszuführen, worauf er jeweils noch drei Stockwerke zu seiner Wohnung hinauf steigen müsse. Nach Auffassung des Senats wäre es dem Kläger deshalb zumutbar gewesen, sich zu einer der durch PD Dr. E. und den Lungenarzt Dr. M. anberaumten Untersuchungen in S. zu begeben, wobei der Kläger für die relativ kurze Anfahrt innerhalb von S. jeweils seinen Pkw hätte benutzen können. Notfalls hätte er auch in einem Krankenwagen zur Untersuchung befördert werden können, wofür schon die vom Kläger vorgelegte "Verordnung einer Krankenbeförderung" durch Dr. G. vom 24.04.2006 anlässlich der beabsichtigten Untersuchung in der Fachklinik S. spricht.
Schließlich beweist auch nicht der vom Kläger vorgelegte Bericht über die Lungenfunktionsprüfung, die am 22.09.2004 in der Medizinischen Klinik des Krankenhauses B. C. durchgeführt worden ist, dass bei ihm schon ab September 2004 eine Einschränkung der Lungenfunktion vorgelegen hat, die einen GdB von mindestens 50 gerechtfertigt hat. Zwar wird der Befund im Arztbrief des Krankenhauses B. C. vom 04.10.2004 in der Weise beschrieben, dass die Vitalkapazität deutlich vermindert erschien und eine mittelgradige Obstruktion bejaht wurde. Andererseits wurde die stark eingeschränkte Compliance des Klägers hervorgehoben, dass heißt seine unzureichende Mitwirkung. Außerdem fehlte der zu erwartende typische Emphysemknick der Flussvolumenkurve. Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass Dr. W. in seiner Stellungnahme die Voraussetzungen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erst für die Zeit ab 01.01.2007 bejaht hat. Hinsichtlich des strittigen Zeitraums bis 31.12.2006 war die Berufung deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Erstattung außergerichtlicher Kosten des Klägers kam nicht in Betracht, weil die die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" rechtfertigende Verschlechterung der Lungenfunktion erst für einen lange nach Einlegung der Berufung am 05.09.2004 liegenden Zeitpunkt nachgewiesen ist und der Beklagte mithin keinen Anlass zur Einlegung des Rechtsmittels gegeben hat.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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