L 12 AL 5512/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 1574/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 5512/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom Sozialgericht Reutlingen vom 09.10.2007 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Streit.

Die 1945 geborene Klägerin meldete sich bei der Beklagten am 30.11.2005 nach § 37 b Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) arbeitsuchend, nachdem sie an diesem Tag das Kündigungsschreiben ihres von einem Insolvenzverfahren bedrohten Arbeitgebers, der Mode M. GmbH, erhalten hatte. Nach der Bescheinigung des Insolvenzverwalters vom 09.12.2005 war die Klägerin vom 01.04.1992 bis zum 28.02.2006 als Verkäuferin mit einem Monatslohn von zuletzt 934,65 EUR beschäftigt. Das Arbeitsgericht Freiburg (Az. 12 Ca 532/05) stellte mit Beschluss vom 20.01.2006 fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund betriebsbedingter Kündigung mit Ablauf des 31.01.2006 endete. Am 31.01.2006 gab die Klägerin bei der Beklagten den von ihr unterschriebenen Antrag auf Arbeitslosengeld ab.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 06.02.2006 Arbeitslosengeld ab dem 01.02.2006 in Höhe von täglich 15,16 Euro für eine Anspruchsdauer von 540 Kalendertagen.

Mit weiterem Bescheid vom 13.02.2005 stellte die Beklagte fest, dass der Anspruch auf die Leistung von Arbeitslosengeld bis einschließlich zum 03.02.2006 wegen einer gewährten Urlaubsabgeltung ruhe. Mit Änderungsbescheid vom 13.02.2006 wurde daraufhin der Bewilligungsbescheid vom 06.02.2005 insoweit unter Berufung auf § 143 Abs. 2 SGB III angepasst.

Mit ihrem Widerspruch vom 23.02.2006 machte die Klägerin eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes geltend. Im Vorfeld der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses hätten Gespräche mit dem Sachbearbeiter der Beklagten Herrn R. stattgefunden, wonach zunächst vorgesehen sei, dass das Arbeitsverhältnis zum 15.01.2006 beendet werde. Nach dem die Klägerin sich gegen eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits zum 15.01.2006 gewandt habe, habe der Mitarbeiter der Beklagten Herr R. selbst für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2006 noch einen Anspruch auf den Bezug von Arbeitslosengeld für eine Dauer von 32 Monaten zugesichert. Erst aufgrund dieser Zusage habe sie sich mit einer späteren Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2006 einverstanden erklärt.

In der Beklagtenakte befindet sich ein Vermerk des Mitarbeiters R. vom 24.03.2006, wonach eine Auskunft in der von der Klägerin genannten Form nicht erteilt worden sei und die Angaben der Klägerin hierzu falsch seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 06. und 13.02.2006 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe der Arbeitsvermittlung erst nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 01.02.2006 zur Verfügung gestanden, weswegen die materiell rechtlichen Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit im Sinne der §§ 117 ff. SGB III erst ab dem 01.02.2006 vorgelegen hätten. Die Klägerin könne deswegen vorliegend nicht von der Übergangsvorschrift für eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld des § 434 l Abs. 1 SGB III profitieren, da die Übergangsfrist nur für Personen gelte, deren Anspruch vor dem 01.02.2006 entstanden sei. Unter Berücksichtigung der Dauer des nachgewiesenen Versicherungspflichtverhältnisses und des Lebensalters der Klägerin sei in den angegriffenen Bescheiden aufgrund der neuen Regelung über die Anspruchsdauer von Arbeitslosengeld zutreffend eine Anspruchsdauer von 540 Tagen festgelegt worden. Die Frage, ob die Klägerin tatsächlich von dem Mitarbeiter R. die von ihr behauptete Zusage erhalten habe, sei nicht weiter aufzuklären. Denn nach § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bedürfe eine Zusage der Schriftform. Eine schriftliche Zusicherung habe die Klägerin indes nicht erhalten. Im Übrigen käme eine Korrektur des angegriffenen Bescheids im Rahmen des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht in Betracht, da eine Ersetzung von materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen im Wege dieses Anspruchs nicht möglich sei.

Die Klägerin hat am 27.04.2006 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und die Gewährung einer längeren Anspruchsdauer geltend gemacht. Sie macht einen Beratungsfehler der Beklagten dahingehend geltend, dass das Ende des Beschäftigungsverhältnisses vor den 31.01.2006 hätte gelegt werden müssen, um den längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten.

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 09.10.2007 als unbegründet abgewiesen. Da die Klägerin erst am 01.02.2006 arbeitslos gewesen sei, habe die Beklagte zu Recht die kürze Anspruchsdauer von Arbeitslosengeld ohne Anwendung der inzwischen abgelaufenen Übergangsvorschriften des § 434 l Abs. 1 Satz 1 SGB III zugrunde gelegt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch könne der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Ein Beratungsfehler sei nicht ersichtlich, zumal sich aus den enthaltenen Beratungsvermerken ergebe, dass die Problematik bei den im Vorfeld durchgeführten Gesprächen angesprochen worden sei. Auch bei Unterstellen eines solchen Beratungsfehlers könne die fehlende Arbeitslosigkeit der Klägerin vor dem 01.02.2006 nicht durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln "wegfingiert" werden (unter Berufung auf Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 31.01.2006 - B 11a AL 15/05 R-). Der Gerichtsbescheid des SG wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 23.10.2007 zugestellt.

Am 21.11.2007 haben die Bevollmächtigten der Klägerin beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG sei von einer verbindlichen Zusage des Mitarbeiters der Beklagten Herrn R. auszugehen. Aufgrund des Beratungsanspruchs der Klägerin nach § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hätten ihr die für sie günstigsten Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch die Nachteile, deutlich vorgeführt werden müssen. Insofern sei es das klar erkennbare Ziel der Klägerin gewesen, Arbeitslosengeld für die maximale Anspruchsdauer von 32 Monaten zu beziehen. Nachdem das Beratungsgespräch mit der Klägerin nach diesen Vorgaben stattgefunden habe, sei die Klägerin dann nicht zutreffend und umfassend informiert worden. Der Klägerin stehe daher ein Herstellungsanspruch gegenüber der Beklagten zu.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.10.2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 06.02.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für insgesamt 32 Monate zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts, die Akten des Landessozialgerichts sowie die vom Arbeitsgericht Freiburg beigezogene Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen, denen der Senat sich ausdrücklich anschließt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann die Verletzung von Nebenpflichten grundsätzlich einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Nach § 14 SGB I hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, wobei für die Beratung die Leistungsträger zuständig sind, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Werden im Rahmen einer Beratung oder Antragstellung Hinweise erkennbar, die für den Versicherten eine günstigere Gestaltung seiner Situation ermöglichen, ist der Versicherte aus Anlass dieses Kontakts auf seine weiteren Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, wenn die Nutzung dieser Rechte oder Gestaltungsmöglichkeiten nahe liegt oder sich aufdrängt; eine Schlechterfüllung dieser Beratungspflicht kann zu einem Anspruch des Versicherten nach dem Institut des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs führen (vgl. hierzu BSGE 49, 76 = SozR 2200 § 1418 Nr. 6; BSGE 50, 88 = SozR 5750 Art. 2 § 51 a Nr. 39; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2).

Als Folge des Herstellungsanspruchs ist der Versicherte so zu stellen, als ob der Sozialleistungsträger seinen Verpflichtungen nachgekommen wäre. Das Eingreifen des Herstellungsanspruchs ist an folgende Voraussetzungen geknüpft (vgl. BSG SozR 3-4100 § 110 Nr. 2 m.w.N.):

1. Der Sozialleistungsträger muss eine ihm auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht verletzt haben. Auch wenn der Betroffene nicht konkret um eine Beratung beim Sozialleistungsträger nachgesucht hat, ist dieser auch von Amts wegen gehalten, Leistungsempfänger bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus "spontan" auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde.

2. Der erlittene Nachteil muss mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung ausgeglichen werden können.

3. Zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil für den Versicherten muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.

Vorliegend ist bereits das Vorliegen eines Beratungsfehlers nicht nachgewiesen. Weitere Ermittlungen waren insofern jedoch bereits deswegen nicht vorzunehmen, weil auch der Nachweis eines Beratungsfehlers der Klägerin vorliegend nicht zu einer längeren Anspruchsdauer verhelfen könnte.

Nach ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) lässt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch es nämlich selbst bei einem nachgewiesenen Fehlverhalten der Verwaltung nicht zu, alle materiellrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld zu unterstellen bzw. zu ersetzen. Insbesondere kann eine fehlende Meldung als arbeitsuchend bei der Arbeitsagentur nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden. Wenn wie in solchen Fällen der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann, bleibt für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum. Da die Meldung wegen Arbeitslosigkeit bei der Agentur für Arbeit als Arbeitsuchender durch den Arbeitslosen selbst (persönlich) zu erfolgen hat, ist sie nicht der Gestaltung durch Verwaltungshandeln zugänglich (BSGE 92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr. 3; vgl. auch BSG vom 27.6.1990 - 5 RJ 49/89 = SozR 3-2200 § 1259 Nr. 2, BSG vom 6.8.1992 - 8 RKn 9/91 - = Kompass 1992, 43 und BSG vom 15.12.1994 - 4 RA 64/93 - = SozR 3-2600 § 58 Nr. 2).

Die Klägerin hat sich vorliegend unstreitig erst ab dem 01.02.2006 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt, denn sie war nach dem von ihr selbst vor dem Arbeitsgericht abgeschlossenen Vergleich noch bis zum 31.01.2006 bei ihrem alten Arbeitgeber beschäftigt. Daher waren die materiellrechtlichen Vorraussetzungen für eine Gewährung von Arbeitslosengeld erst ab dem 01.02.2006 erfüllt, womit die kürzere Anspruchsdauer nach der Neureglung der §§ 117 ff. SGB III anzuwenden war. Sofern die Klägerin soweit einen Schaden geltend macht, kann dieser jedenfalls nicht vor den Sozialgerichten verfolgt werden

Die Kostenentscheidung beruht sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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