L 2 U 5610/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 37/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 5610/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Dem Kläger werden Gerichtskosten in Höhe von 500,- EUR auferlegt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt zum wiederholten Male die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 14.12.1983.

Während seiner Tätigkeit als Arbeitnehmer der Firma B.-B.-Reutlingen stürzte der Kläger am 14.12.1983 aus einer Höhe von 2,10 m (s. Protokoll des Polizeireviers Reutlingen vom 16.12.1983) von einem Gerüst und zog sich dabei eine Fraktur des 7. Brustwirbelkörpers und der 7. Rippe zu (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. G. vom 14.12.1983). Die Beklagte bewilligte auf der Grundlage des Ersten Rentengutachtens des Gutachtens von Prof. Dr. W. vom 18.06.1984 mit Bescheid vom 12.08.1985 eine Verletztenrente für die Zeit vom 01.03. bis 10.09.1984 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H; darüber hinaus bestehe kein Rentenanspruch, da keine MdE in rentenberechtigender Höhe vorliege. Als Unfallfolgen wurden eine knöchernen fest verheilte Kompressionsfraktur des 7. Brustwirbelkörpers mit Höhenminderung im Bereich der Vorderkante und eine folgenlos ausgeheilte Fraktur der 7. Rippe rechts anerkannt. Die hiergegen erhobene Klage (S 3 U 1687/85) wies das Sozialgericht Reutlingen (SG) mit Urteil vom 17.02.1987 als unbegründet ab. Die zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung (L 7 U 949/87) nahm der Kläger zurück, nachdem Prof. Dr. W. im Gutachten vom 14.09.1988 - erneut - die Unfallfolgen über den 10.09.1984 hinaus mit einer MdE von 10 v. H. bewertet hatte. Auf einen später gestellten Verschlimmerungsantrag veranlasste die Beklagte die Begutachtung des Klägers durch Prof. Dr. We., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T., der in seinem Gutachten vom 26.02.1997 die MdE weiterhin mit 10 v. H. einschätzte und eine wesentliche Änderung verneinte. Mit Bescheid vom 18.03.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.1998 lehnte die Beklagte erneut die Gewährung einer Verletztenrente ab, weil wegen der Unfallfolgen keine MdE in rentenberechtigendem Grade vorliege. Hiergegen erhob der Kläger wiederum Klage zum SG (S 10 U 1297/98). Dieses befragte die behandelnden Ärzte des Klägers (Auskünfte der Internistin/Kardiologin Dr. Gradin-F. vom 24.11.1998, des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde/Innere Medizin/Allergologie Dr. D. vom 25.11.1998, des Orthopäden Dr. B. vom 26.01.1999, des Allgemeinenarztes Dr. Q. vom 07.07.1999). Es erhob weiter Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Orthopäden Prof. Dr. H., des Internisten/Rheumatologen Dr. M. (gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und der Fachärztin für psychotherapeutische Medizin/Psychotherapie/Sozial-medizin Dr. K.-H ... In seinem Gutachten vom 26.10.1999 verneinte Prof. Dr. H. eine Befundverschlechterung seit 1985 und bewertete die unfallbedungte MdE (bei großzügiger Auslegung) unverändert mit 10 v. H ... Dr. M. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 05.02.2001 ein Fibromyalgiesyndrom und empfahl bezüglich der Zusammenhangsfrage die Einholung eines psychosomatischen Zusatzgutachtens. Dr. K.-H. führte in ihrem Gutachten vom 08.05.2000 u. a. aus, Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen nicht vor; im Übrigen bezweifelte sie das Vorliegen einer Fibromyalgie und lehnte - selbst wenn diese vorläge - einen Zusammenhang mit dem Unfall ab. Mit Urteil vom 20.07.2000 wies das SG die Klage ab. Auf die Berufung (L 7 U 3384/00) des Klägers erhob das LSG weiter Beweis. Der dort erkennende Senat zog Unterlagen und Auskünfte des Rentenversicherungsträgers und der AOK bei. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG erstattete Prof. Dr. Sp. das chirurgisch-orthopädische Gutachten vom 25.04.2001, in dem der Sachverständige in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern keine Abweichung zu den Unfallfolgen feststellte und die MdE mit 10 v.H. bemaß. Auf weiteren Antrag des Klägers nach 109 SGG erstattete Prof. Dr. St. das nervenärztliche Gutachten vom 26.03.2002. Dieser beschrieb als Unfallfolgen eine gravierende und inzwischen chronifizierte posttraumatische Störung sowie eine "leere Depression". Die MdE betrage seit dem 20.12.1989 100 v.H ... Anschließend holte der dort erkennende Senat von Prof. Dr. Fo. ein nervenärztliches Sachverständigengutachten von Amts wegen ein (Gutachten vom 29.03.2004). Danach bestand weder eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F 43.0), noch eine posttraumatische Leistungsstörung (ICD 10 F43.1); ebenso wenig vermochte der Sachverständige anhand der ICD 10 - Kriterien eine somatoforme Schmerzstörung zu erkennen. Mit Urteil vom 05.08.2004 hat das LSG die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Das Bundessozialgericht (BSG) wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 28.10.2004 zurück (B 2 U 305/04 B).

Am 07.12.2004 beantragte der Kläger sinngemäß die Überprüfung der Rentenablehnung (§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)). Hierzu legte er das Schreiben des Prof. Dr. St. vom 24.03.2005 vor, nach dem dieser weiterhin an seiner Beurteilung im Gutachten vom 26.03.2002 festhielt. Dieser Meinung schlossen sich die Neurologen und Psychiater Dres. Se. (Attest vom 24.02.2005) und K. (Stellungnahme vom 08.08.2005) an. Mit Bescheid vom 27.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die psychischen Störungen des Klägers keine Unfallfolgen darstellten, wie das Landessozialgericht Baden-Württemberg in dem zwischenzeitlich rechtskräftigen Urteil vom 05.08.2004 bestätigt habe.

Hiergegen hat der Kläger am 04.01.2006 wieder Klage zum SG erhoben (S 10 U 37/06) und die Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin Dr. K. vom 12.08.2005 vorgelegt, nach der dem Gutachten des Prof. Dr. St. zu folgen sei. Mit Gerichtsbescheid vom 20.09.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es u. a. ausgeführt, die Rentenablehnung sei rechtmäßig; der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, weil eine rentenberechtigende MdE nicht gegeben sei. Insbesondere auf psychiatrischem Gebiet lägen keine Unfallfolgen vor, wie bereits in dem vorangegangenen Verfahren durch das LSG unter Zugrundelegung des Gutachtens von Prof. Dr. Fo. festgestellt worden sei. Dem Gutachten des Prof. Dr. St. könne aus den dortigen Gründen nicht gefolgt werden. Sowohl Dr. Se. als auch Dr. K. hätten sich nicht mit dem Gutachten von Prof. Dr. Fo. auseinander gesetzt.

Gegen den am 25.09.2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 25.10.2006 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wird vorgetragen, entgegen der Auffassung des SG sei der Beurteilung des Prof. Dr. St. zu folgen, dessen Auffassung durch die behandelnden Ärzte bestätigt würden. Im Übrigen hätten die Beklagte und das SG nicht die Vorschriften des 7. Buches Sozialgesetzbuch, sondern die zum Unfallzeitpunkt geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anwenden müssen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. September 2006 sowie den Bescheid vom 27. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheids vom 12. August 1985 und Aufhebung des Bescheids vom 18. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 1998 ab 1. Januar 2000 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Dr. Schn., Universitätsklinikum R., eingeholt. In seinem Gutachten vom 13.12.2007 hat dieser ausgeführt, es lägen keine Unfallfolgen auf körperlicher oder psychischer Basis vor. Eine MdE sei somit nicht gegeben. Der Bewertung durch Prof. Dr. St. könne nicht gefolgt werden.

Bezüglich weitere Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 27.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2005, mit dem die Beklagte die Rücknahme der einer Verletztenrentengewährung wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 14.12.1983 entgegenstehenden Bescheide abgelehnt hat.

Ausgangspunkt für die Prüfung des im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 44 Abs. 1 und 4 SGG) geltend gemachten Anspruchs ist - worauf das SG zutreffend hingewiesen hat - § 44 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben wurden.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die Beklagte hat bei Erlass der Bescheide vom 12.08.1985 und 18.03.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.1998 weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist es von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, die Beklagte habe bei der Überprüfung an Stelle der Vorschriften des SGB VII die (Vorgänger-)Vorschriften der RVO anwenden müssen, ist bereits deshalb unerheblich, weil insofern bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen einer Verletztenrente (Unfallfolgen, die mindestens eine MdE um 20 v.H. begründen) keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen worden sind. Unfallfolgen, die eine MdE von mindestens 20 v.H. rechtfertigen könnten, liegen ab 11.09.1984 nicht mehr vor. Die Ermittlungen der vorangegangenen Klage- und Berufungsverfahren (S 3 U 1687/85, L 7 U 949/87 und S 10 U 1297/98, L 7 U 3384/00) haben nach umfassender Beweisaufnahme ergeben, dass keine Unfallfolgen vorliegen, die eine MdE von mindestens 20 v.H. begründen könnten, insbesondere liegen auch keine Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet vor. Das LSG hat in dem Urteil vom 05.08.2004 zuletzt ausführlich begründet, weshalb es sich bei umfassender Beweiswürdigung dem schlüssigen Gutachten von Prof. Dr. Fo. angeschlossen hat und der von Prof. Dr. St. vertretenen Auffassung, nach der eine gravierende und chronifizierte posttraumatische Störung als Folge des Arbeitsunfalls gegeben sei, nicht gefolgt ist. Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid dieses Beweisergebnis nochmals ausführlich begründet. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung sowohl den Ausführungen des SG in dem angefochtenen Gerichtsbescheid als auch den Entscheidungsgründen des 7. Senats des LSG in dem Urteil vom 05.08.2004 uneingeschränkt an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der Arzt des Vertrauens nach § 109 SGG Prof. Dr. Dr. Schn. in seinem Gutachten vom 13.12.2007 in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Fo. Unfallfolgen auf psychischen bzw. psychosomatischen Fachgebiet verneint hat. Er weist zu Recht darauf hin, dass das Gutachten von Prof. Dr. St. entsprechend der internationalen Klassifikation ICD-10 nicht schlüssig ist. Er hat insbesondere daraufhingewiesen, dass die Bewertung der psychischen Entwicklung durch Prof. Dr. St. nicht auf der Grundlage von wissenschaftlich anerkannten psychiatrisch-psychosomatischen Diagnosemodellen begründet worden ist. Professor Dr. Dr. Schn. hat in seinem Gutachten in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Fo. dargelegt, dass sich neben den lebensgeschichtlichen Belastungen und damit verbundenen psychischen Reaktionen keinerlei Hinweise auf psychiatrische Gesundheitsstörungen bestehen, die durch den Arbeitsunfall verursacht oder verschlimmert worden wären. Auch die Arbeitsanamnese nach dem Unfall, die in dem Urteil des LSG vom 05.08.2004 näher dargestellt worden ist, spricht gegen psychische Beeinträchtigungen durch den angeschuldigten Unfall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat dem Kläger gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten in Höhe von 500 EUR auferlegt, weil dessen weitere Rechtsverfolgung angesichts der gesamten Prozessgeschichte in hohem Maße missbräuchlich ist. Dies kommt insbesondere auch darin zum Ausdruck, dass der Kläger auch in Kenntnis des erneuten Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. Dr. Schn. an der Fortführung der Berufung festhält und zuvor derselbe Verfahrenskomplex bereits höchstrichterlich überprüft worden ist. Hinsichtlich der Höhe der Verschuldenskosten hat der Senat die Dauer der Beratung und die für die Abfassung des Urteils erforderliche zeitliche Inanspruchnahme der Berufsrichter unter Berücksichtigung der ca. 1200 Seiten umfassenden Verwaltungs- und Prozessakten (insgesamt 5 Stunden) in Ansatz gebracht.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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